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Die Invasion der Weihnachtsbäume

Der Weihnachtsbaum ist und bleibt beliebt. Der Trend geht sogar zum Zweitbaum. Kaum anders lässt sich erklären, dass allein in Deutschland in diesem Jahr rund 29 Millionen Bäume verkauft werden. Naturschützer warnen vor ökologisch fragwürdiger Weihnachtsbaum-Massenproduktion.

Von Thomas Wagner | 15.12.2010
    "Oh Tannenbaum" heißt es dieser Tage auch beim Landesverband Baden-Württemberg im Naturschutzbund Deutschland, kurz NABU. Wobei aus dem Mund eines gestandenen NABU-Funktionärs das "oh" eher klagend, warnend denn erfreut klingt:

    "Also insbesondere im Neckar-Odenwald-Kreis sind riesige Christbaum-Kulturen entstanden. Dort, wo früher noch Grünland war oder Ackerland war, sind jetzt riesige mit Pestiziden und Zäunen versehene Christbaumkulturen entstanden. Und das passt nicht in die Landschaft, in die offene Landschaft. Und das bedeutet eine massive Schädigung des Landschaftsbildes."

    André Baumann ist Landesvorsitzender des NABU Baden-Württemberg und vehementer Kritiker der Weihnachtsbaum-Politik der Landesregierung. Die nämlich hat bereits 2009 den Wegfall der Genehmigungspflicht für Christbaum-Plantagen verfügt. Vorher mussten Land- und Forstwirte die Genehmigung der jeweiligen Gemeinde einholen, wenn sie Weihnachtsbaumkulturen anpflanzen wollten. Der Wegfall dieser Regelung fördert nach Ansicht des NABU-Baden-Württemberg die Entstehung riesiger Weihnachtsbaum-Plantagen:

    "Durch die Christbaumkulturen wird Grünland umgebrochen, dadurch entstehen große Nitrat-Auswaschungen im Grundwasser. Dadurch geht der Artenreichtum der Wiesen verloren. Und diese Christbaumkulturen werden mit unglaublichen Mengen an Pestiziden vollgespritzt, damit dann ein makelloser Weihnachtsbaum im Wohnzimmer steht, der billig ist. Und dadurch werden Umwelt und Natur massiv geschädigt."

    Nicht nur im Neckar-Odenwald-Kreis, sondern auch auf der Ortenau bei Offenburg und auf der Ostalb seien nach dem Wegfall der Genehmigungspflicht großflächige Christbaum-Monokulturen entstanden, so die Argumentation des NABU - eine Kritik, die das für Weihnachtsbäume amtlicherseits zuständige Ministerium für Ländlichen Raum, Ernährung und Verbraucher vehement zurückweist. Gartenbaudirektor Erich Herrmann bestätigt zwar die Gesetzesänderung von 2009 und den Wegfall der Genehmigungspflicht für Weihnachtsbaum-Plantagen. Dies sei aber nur deshalb geschehen, weil der Christbaum von heute mit dem Christbaum von gestern und vorgestern kaum mehr etwas gemein hat.

    "Früher hat man überwiegend Fichten als Weihnachtsbäume genutzt, also Waldbäume. Zwischenzeitlich werden hauptsächlich Nordmann-Tannen als Weihnachtsbäume verwendet. Das sind Bäume, die nicht mehr im Wald wachsen, die ganz normal auf Ackerbaulichen Flächen herangezogen werden. Und vor diesem Hintergrund hat man dann eben entschieden, diesen Weihnachtsbaum-Anbau nicht mehr einer Aufforstung gleichzustellen. Man hat die Genehmigung fallen gelassen."

    Beim Verbraucher sind die Nordmann-Tannen, die so problemlos auf den baden-württembergischen Ackerböden sprießen, wegen einer Eigenschaft ganz besonders beliebt: Sie brauchen viel länger als die Fichten, bis sie ihre Nadeln lassen. Dass neue Anbauflächen für solche Nordmann-Tannen hinzugekommen sind, gesteht Erich Hermann vom Ministerium Ländlicher Raum gerne ein. Dies bringe aber eher Nutzen als Schaden für die Natur:

    "Das ist eine Kultur, die auf dieser Fläche acht bis zwölf Jahre steht, mit entsprechendem Unterwuchs. Und in diesem Unterwuchs halten sich sehr viele Kleinlebewesen und auch sehr, sehr viele Tiere. Man hat schon festgestellt, dass die Anzahl der Vögel in diesen Flächen erheblich höher ist als in all den Flächen, die mit normalen Kulturen bestellt sind."

    Ein Blick in die Statistik zeige zudem, dass sich die Dimension der Problematik in engen Grenzen halte: 2010 betrug die Christbaum-Anbaufläche in Baden-Württemberg rund 2500 Hektar. Macht genau 0,17 Prozent an der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche. Zwar habe es tatsächlich ein Zuwachs an Weihnachtsbaum-Plantagen gegeben. Der Falle aber mit rund 400 Hektar im vergangenen Jahr relativ überschaubar aus. Und so liegen sich denn NABU und baden-württembergische Landesregierung in der leidigen Weihnachtsbaum-Frage scheinbar unversöhnlich und so gar nicht vorweihnachtlich in den Haaren. Eines haben sie damit immerhin erreicht: Der eine oder andere Verbraucher überlegt sich nun, wie er die Christbaum-Frage ökologisch sinnvoll löst:

    "Wir haben nie einen Weihnachtsbaum, weil wir das total schrecklich finden. Und wir laden uns dieses Mal bei Freunden ein, die schon einen Bio-Baum gekauft haben in Kassel."