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Die IRA hat abgerüstet

Die irische Untergrundarmee IRA kämpfte seit den sechziger Jahren gegen die Zugehörigkeit Nordirlands zu Großbritannien und gegen den protestantischen – was nichts anderes heißt als den britischen - Einfluss auf die Provinz. Seit gestern gilt sie offiziell nur noch als Veteranenverein, nachdem eine internationale Beobachter-Kommission bestätigte, dass ihre Entwaffnung abgeschlossen ist. Wie üblich bleibt das Misstrauen. Auch wenn die Beobachtungskommission als unabhängigen gilt, wird auch sie nicht garantieren können, dass alle IRA-Zellen die neue Situation akzeptieren. Aus Irland berichtet Martin Alioth.

    "We have now reported to the British and Irish governments that we have observed and verified events to put beyond use very large quantities of arms which we believe include all the arms in the IRA’s possession."

    Der Leiter der internationalen Entwaffnungskommission für Nordirland, der ehemalige kanadische Generalstabschef John de Chastelain, hat es gestern Nachmittag bestätigt: Die Irisch-Republikanische Armee, die gefährlichste Guerilla-Armee Europas, hat abgerüstet. Er sprach von großen Mengen. Seiner Ansicht nach wurde alles vernichtet. Neben halbautomatischen Gewehren und Plastiksprengstoff nannte er weniger gebräuchliche Waffentypen:

    "Flame throwers, we are talking about surface to air missiles, we’re talking about rocket-propelled granades, both commercial and home-made, we’re talking about heavy machine guns, 12.7 Russian guns..."

    Flammenwerfer, Boden-Luft-Raketen, Granaten mit eigenen Triebsätzen, schwere russische Maschinengewehre und so weiter. Die exakten Mengen sollen geheim bleiben, bis alle nordirischen Untergrundverbände abgerüstet haben und die Protestanten lassen vorläufig keine derartige Neigung erkennen, aber die Inventare der Entwaffnungskommission decken sich mit Schätzungen, die von der irischen und der nordirischen Polizei vor einem Jahr angestellt worden waren.

    "Our new inventory is consistent with these estimates, and we are satisfied that the arms decommissioned represent the totality of the IRA’s arsenal."

    Er sei deshalb überzeugt, das gesamte Arsenal der IRA sei unschädlich gemacht worden - vermutlich in unterirdischen Bunkern versiegelt. Sie seien, behauptete de Chastelain, für immer unbrauchbar und unzugänglich. Für Skeptiker - an denen herrscht in Nordirland nie Mangel - hatte der General Zeugen. Der Methodistenpfarrer Harold Good und der katholische Priester Alec Reid, einer der Väter des Friedensprozesses, schauten bei der Verschrottungsaktion zu. Pfarrer Good sprach gestern für beide:

    "We are certain, utterly certain, about the exactitude of this report…"

    Der Kommissionsbericht sei korrekt, denn sie beide seien dabei gewesen.

    "...minute by minute, from beginning to end."

    Minute für Minute schauten sie zu; bis zum bitteren Ende.

    Nordirlands Politik ist vom Konzept des Nullsummenspiels geprägt, wonach der eine automatisch verliert, was der andere gewinnt, und sie gehorcht den Regeln steriler Männlichkeitsrituale. Der Verzicht der IRA auf ihre Waffen muss daher als Akt der Selbstüberwindung verstanden werden. Er entspringt indessen der politischen Vernunft, denn der politische Flügel der IRA, die Sinn Féin-Partei, musste so lange ein politischer Eunuch bleiben, wie sie sich diese voll bewaffnete Privatarmee hielt. Nach dem Bekenntnis der IRA zu friedlichen Methoden vor zwei Monaten und der gestern bestätigten Abrüstung ist diese Hypothek weitgehend getilgt. Entsprechend positiv fielen die Reaktionen in Dublin und London aus:

    "The fact is, in relation to the Provisional IRA, we’ve reached that day, that is the position: the gun of the IRA is out of Irish politics."

    Zum mindestens bezüglich der IRA sei das Ziel erreicht, freute sich der irische Premierminister Bertie Ahern: das Gewehr sei aus der irischen Politik entfernt worden. Sein britischer Amtskollege Tony Blair schaute hoffnungsvoll in die Zukunft:

    "In time, I hope, as the confidence builds…"
    Mit zunehmendem Vertrauen hoffe er auf eine Rückkehr zur nordirischen Selbstverwaltung, also auf die Bildung einer Koalitionsregierung zwischen der Sinn Féin-Partei und Pfarrer Paisleys Protestanten.

    "…about Northern Ireland and ist future be taken by the people of Northern Ireland."

    Denn die wahren Adressaten des gestrigen Kommissionsberichtes sind die nordirischen Protestanten, die knappe Mehrheit der Bevölkerung. Der kanadische General wurde gefragt, ob er sicher sei, dass die IRA alles abgegeben habe?

    "We have no way of knowing that the IRA hasn’t retained arms..."

    Das könne man unmöglich wissen, aber er glaube den entsprechenden Zusagen der IRA.

    "...that they were sincere when they said that."

    Die Antwort Paisleys, der mittlerweile die größte Partei Nordirlands anführt, kam postwendend:

    "The majority of people in Northern Ireland are not confident after that press conference today that that has happened."

    Die Mehrheit der Nordiren glaube nicht an die vollständige Abrüstung. Und so geht es einmal mehr um vertrauen und politischen Willen. Paisleys Gefolgsleute stehen vor einer gänzlich neuen Situation, die sie so nicht erwartet haben.