Montag, 29. April 2024

Archiv


Die Iren und mögliche Änderungen der EU-Verträge

Sollten, wie es Merkel und Sarkozy vorgeschlagen haben, die EU-Verträge geändert werden, dann wären wieder einmal die Iren am Zug: Auf der grünen Insel ist für einen solchen Fall ein Referendum vorgeschrieben. Wie das ausginge, mag niemand vorhersagen - die Iren leiden unter dem gnadenlosen Sparprogramm.

Von Jochen Spengler | 07.12.2011
    Der 13.Juni 2008 dürfte Europas Politikern noch in unguter Erinnerung sein. Das irische Volk musste über den Lissabonner EU-Vertrag abstimmen, und das Ergebnis war so überraschend wie eindeutig.

    Während die Gegner des Vertrags die 53 Prozent Nein-Stimmen feiern, lecken die Befürworter ihre Wunden und geben Stellungnahmen der Ratlosigkeit ab.

    Ein Jahr später müssen die Iren noch einmal entscheiden. Erst mit diesem zweiten Anlauf wird der Lissabon-Vertrag gerettet.

    Die Lehre daraus: Einstimmigkeit erfordernde EU-Vertragsänderungen sind mit dem Risiko behaftet, an Irland zu scheitern. Denn 1987 hat der Supreme Court in Dublin festgelegt, dass jede Übertragung von Hoheitsrechten an die EU nicht allein die Zustimmung des Parlaments nötig macht, sondern auch die des Volkes.

    Wer wollte bezweifeln, dass das, was Merkel und Sarkozy in dieser Woche dem EU-Gipfel vorschlagen wollen, um den EURO zu retten: strengere Haushaltsregeln, automatische Sanktionen, Überwachung durch EU-Kommission und Europäischen Gerichtshof, dass dies eine weitere Souveränitätsverlagerung von den Nationalstaaten auf Brüssel ist.

    Folglich hat Irlands Ministerpräsident Enda Kenny bei seinem Berlin-Besuch Mitte November gegenüber Angela Merkel dafür geworben, statt langwieriger Vertragsänderungen doch zunächst einmal alle Möglichkeiten auszureizen, die der Lissabon-Vertrag biete.

    "Ich halte die Flexibilität, die es in den bestehenden Verträgen gibt, für ausreichend, um das zu tun, was jetzt nötig ist. Ich möchte nicht in die Situation kommen, in der wir größere Änderungen brauchen, was die Tür für viele Staaten öffnen könnte, ihrerseits Vertragsänderungen zu verlangen, was uns viel Zeit kosten wird. Wir müssen diese Krise bewältigen mit den Instrumenten, die wir jetzt haben."

    Eurobonds und eine größere Rolle der EZB als Kreditgeber wären nach Kennys Ansicht solche Instrumente, was aber bekanntlich Angela Merkel anders sieht. Ob Irlands Ministerpräsident auf dem EU-Gipfel trotz seiner Bedenken dem Vorschlag Merkozys zustimmt, ist noch nicht ausgemacht. In einer Fernseh-Ansprache an sein Volk vor wenigen Tagen scheint Enda Kenny Kompromissbereitschaft anzudeuten:

    "Irland unterstützt die stärkere wirtschaftliche Steuerung Europas, insbesondere in der Euro-Zone. Tatsächlich zahlt das irische Volk derzeit den Preis für das Fehlen solcher Regeln in der Vergangenheit. Europas Führer müssen in dieser Woche klare Entscheidungen treffen und auch umsetzen, um unser aller Entschlossenheit, unsere Währung zu schützen, unter Beweis zu stellen."

    Sollte sich der EU-Gipfel auf Vertragsänderungen verständigen, ob nun auf solche, die die Zustimmung aller 27 EU-Staaten erfordern, oder auf solche, denen nur die 17 Euro-Staaten zustimmen müssen - dürfte man ein erneutes irisches Referendum kaum vermeiden können.

    Wie das ausginge, mag heute niemand vorhersagen – Iren können störrisch sein und sie leiden derzeit sehr unter dem gnadenlosen Sparprogramm, das die Bedingung für die Milliardenhilfe durch EU und IWF war, die die Staatspleite verhindert hat.

    14 Prozent Arbeitslose, sinkende Reallöhne, viermal mehr Arme als vor einem Jahr und immer noch 1.000 junge Iren, die wöchentlich ihrem Land den Rücken kehren.

    "Ich würde Ihnen heute Abend gern sagen, dass unsere Wirtschaftsprobleme gelöst sind und das Schlimmste überstanden ist. Aber für viel zu viele von Ihnen ist das einfach nicht die Wahrheit."

    gibt der Premierminister zu, der in dieser Woche einen neuen Sparhaushalt vorgelegt hat. Trotz des leichten Wachstums und der anziehenden Exporte, trotz des Lobs der internationalen Finanzaufseher für den Musterknaben, habe man ein Problem:

    "Im Augenblick gibt der Staat noch immer 16 Milliarden Euro pro Jahr mehr aus, als er einnimmt. Dieses Problem wird nicht gelöst, wenn wir die Lücke nicht schließen. Es bedeutet, dass wir in unserem Haushalt die Ausgaben um weitere 2,2 Milliarden senken. Und die Einnahmen um 1,6 Milliarden erhöhen - durch zusätzliche Steuern."

    Die Mehrwertsteuer soll um zwei Punkte auf 23 Prozent angehoben werden. Stellen im öffentlichen Dienst werden abgebaut, Dienstwagen verkauft, der Senat wird abgeschafft und der Sozialstaat geschrumpft. Die Iren müssen den Gürtel noch enger schnallen. Inzwischen zum siebten Mal in Folge.

    Auszahlen wird sich die Rosskur am Ende nur dann, wenn die Eurokrise gelöst wird und das Land nicht erneut in den Abgrund reißt.