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Die Jagd nach dem Glück

Wer nicht glücklich ist, der ist selber schuld - so lässt sich die allgemeine "Glückshysterie" zusammenfassen, die der Erfurter Philosoph Wilhelm Schmid um sich greifen sieht. Beim 15. Philosophicum Lech diskutierten die Wissenschaftler daher auch das Recht auf Melancholie.

Von Knut Cordsen | 25.09.2011
    Wer wohl die Idee hatte, ausgerechnet Dieter Althaus das 15. Philosophicum mit einem sogenannten "Impulsreferat" eröffnen zu lassen? Diesen Unglücksraben! Dieter Althaus, der in Österreich 2009 beim Skifahren schwer verunfallte frühere Ministerpräsident Thüringens, der Politiker, der aus dem Bundesland stammt, das das Schlusslicht bildet im gerade veröffentlichten Deutschen Glücksatlas, er sollte etwas über Glück erzählen.

    Zynismus? Nein, Dieter Althaus hielt seine Rede als Sponsor, schließlich ist er jetzt "Vice President Governmental Affairs" bei einer großen Autozuliefererfirma, und die bezuschusst das Vorarlberger Philosophicum. Vielleicht widmet er sich als Manager jetzt ja dem, was heute als "economics of happiness" propagiert wird. Angesichts von "Glücksunterricht" an den Schulen, Glücksforschung an den Universitäten und vielen Bestsellern zum Thema Glück spricht der Erfurter Philosoph Wilhelm Schmid von grassierender "Glückshysterie". Der 58-Jährige hat lange Zeit als philosophischer Seelsorger gearbeitet in einem Schweizer Spital und dort mitbekommen, wie sehr sich mittlerweile die Glücksdoktrin durchgesetzt hat.

    "Was passiert eigentlich mit den Menschen, die unglücklich sind und die mitbekommen, dass die ganze Gesellschaft nur noch über Glück diskutiert? Können Sie sich vorstellen wie diese Menschen sich fühlen? Ich habe einen Eindruck bekommen bei der Arbeit im Krankenhaus, denn dort sind mir sehr viele Menschen begegnet, die unglücklich sind, und sagen: Ja, aber alle anderen sind doch glücklich! Und man muss doch im Leben glücklich sein. Der Glücksdiskurs hat eine normative Bedeutung mittlerweile bekommen, also den Menschen eine Norm an den Horizont zu malen: Du musst glücklich sein, sonst lohnt sich eigentlich gar nicht mit deinem Leben, kannst eigentlich gleich freiwillig weggehen. Ein Teil des Glücksdiskurses heute ist asozial, um das mal ganz hart zu sagen, kümmert sich nicht mehr um den Teil der Gesellschaft, der im Unglück und im Unglücklichsein lebt."

    Schmid plädierte für ein Recht auf Melancholie und diskutierte die Tatsache, dass gerade in Wohlstandsgesellschaften Depressionen immer mehr zur Volkskrankheit werden. Eingeladen zur gedanklichen Jagd nach dem Glück in die Bergwelt von Lech hatte auch diesmal der Wiener Philosoph Konrad Paul Liessmann, und der griff bei schönstem Wetter dunkelste Themen auf:

    "Unerträglich scheint uns bis heute ein Gedanke, den einzig Friedrich Nietzsche auszusprechen wagte: Dass es ein Glück der Bösen geben könnte. Solange wir Glück und Moral zusammen denken wollen, wird uns dieser Gedanke irritieren müssen. Dass die großen und kleinen Verbrecher nicht nur glücklich, sondern, horribile dictu, womöglich glücklicher als die Tugendhaften sind. Das widerstrebt zutiefst unseren Vorstellungen. Sie können es sofort selbst überprüfen: Können wir uns die Vergewaltiger und Kinderschänder, die Massenmörder und Serienkiller, die Rassisten und Betrüger und Ausbeuter, die Gierigen, die Gewalttäter wirklich als glückliche Menschen vorstellen?"

    Diese Frage beantwortete der Feldkircher Psychiater Reinhard Haller eindeutig - mit ja. Er verwies darauf, dass jedes Verbrechen eine Suche nach Glück ist und verwies auf den Glücksrausch des Anders Behring Breivik, der sich nach seinem Massaker in Oslo und Utøya in seinem lächelnden Gesicht gespiegelt habe.

    "Bei vielen Verbrechern - und für die trifft zweifelsohne das Glück des Bösen zu - kommt noch etwas hinzu, und das ist Machtausübung. Für die schwer narzisstischen Menschen liegt das Motiv ihrer Handlungen nicht im sexuellen Lustgewinn, auch nicht im materiellen Lustgewinn, es liegt darin, andere zu beherrschen, über sie zu bestimmen, gottgleich sozusagen sein zu können, über Leben und Tod zu bestimmen, sich an ihrer Angst zu weiden und sich dadurch aus der Alltäglichkeit herauszuheben, das heißt sie suchen das Glück dann nicht in der Weise, dass sie etwas Besonderes anstreben, sondern dass sie alle anderen niederdrücken und selbst als einzigartig dastehen."

    Der norwegische Attentäter - ein "stiller, düsterer, böser Mensch", um es mit den Worten Friedrich Nietzsches zu formulieren - und, so unglaublich es klingt, auch ein glücklicher. Eine von vielen Erkenntnissen dieses interdisziplinären Symposiums.