"Nichts: Was im Leben wichtig ist" heißt der sehr erfolgreiche, aber auch sehr umstrittene Roman, mit dem die dänische Schriftstellerin Janne Teller einem größeren Publikum in Deutschland bekannt wurde. Er sei Kindern und Jugendlichen nicht zuzumuten, kritisierte man. Dabei ist "Nichts" nicht brutal, nicht pornografisch.
Ein Junge glaubt, nichts im Leben habe eine Bedeutung. So brauche er auch nicht zu tun, nichts zu lernen, sondern könne sich gleich in einen Pflaumenbaum setzen und das NICHTS spüren. Und das macht er dann auch.
Seine Klassenkameraden wollen ihm beweisen, dass es doch Dinge gebe, für die zu Leben es sich lohne. In einem alten Sägewerk errichten sie den Berg der Bedeutung: Es fängt harmlos an, mit abgenutzten Tonkassetten, einer Puppe mit abgebissenem Kopf und ein Perlmuttkamm, dem zwei Zähne fehlen. Doch die Kinder zwingen sich, immer mehr zu geben. Etwas, was wirklich eine Bedeutung hat. Ein Mädchen opfert seinen Hamster, ein anderes seine Unschuld, ein Gitarre spielender Junge seinen Finger, jemand, muss einen Hund köpfen. Doch den Jungen aus dem Pflaumenbaum überzeugt das alles nicht. Da lynchen ihn die anderen.
"Ich schreibe meistens für Erwachsene, aber in Deutschland bin ich vor allem durch die Jungendbücher bekannt geworden. Da gibt es einige Themen, über die man besser für Jugendliche schreiben kann. Jugendliche sind so offen und so radikal in ihrer Annäherung an das Leben. Da gibt es eine Wahrheit und eine Intensität, wenn man das für Jugendliche schreibt, die man nicht für Erwachsene kriegen kann."
Jetzt ist ein Buch mit Kurzgeschichten erschienen, die Janne Teller teilweise schon in den letzten Jahren veröffentlicht hat. Es heißt "Alles - worum es geht". Darin erzählt Janne Teller auch davon, wie sie schreibt. In: "Alles - was ich erzählen kann".
"Ich lebe, was ich schreibe. Dafür brauche ich viel Ruhe und viel Konzentration und muss mein eigenes Leben ganz vergessen."
Zum Schreiben braucht Janne Teller absolute Ruhe und Abgeschiedenheit. Sie geht nicht ans Telefon, gewährt der Postbotin gerade acht Worte, sitzt mit einer Tasse starkem Kaffee an einem aufgeräumten Schreibtisch.
Seit drei Jahren lebt Janne Teller in New York, einer Stadt, die nicht gerade für Ruhe und Abgeschiedenheit steht:
"Ich habe sehr gern die Multikulturalität hier. Ich bin so gemischt selber, ich hab' auch in Afrika gelebt. Hier kommt das alles zusammen. Hier sind alle Menschen anonym. Und wenn man anonym ist, dann wird die Umgebung ein bisschen wie ein Summen im Hintergrund. Das ist eigentlich eine Ruhe inmitten der Unruhe."
Janne Teller wollte ihren großen Erfolg "Nichts: Was im Leben wichtig ist" nicht kopieren. Und hat eine andere Form gewählt: Kurzgeschichten:
"In ‚Nichts‘ habe ich über die großen, existenziellen Fragen geschrieben. Das kann man nicht in Kurzgeschichten. Das ist mehr über Identität, über kleinere Fragen, aber auch philosophische Fragen und über Momente, wo es durchkommt, wie jemand wirklich ist und nicht nur, wie es scheint an der Oberfläche."
In fast allen Geschichten sind einsame Kinder die Hauptfiguren: ein Mädchen aus Österreich, das in Dänemark lebt und von seinen Mitschülern ausgegrenzt wird, ein Junge, dessen einziger Freund ein Baum ist, bis ein kleines Mädchen ihn aus seinem Zimmer holt und mit ihm spazieren geht, ein Junge aus Amerika der seinem kleinen Bruder zum Geburtstag Pfannkuchen aus Mehl und Margarine zubereitet - zu mehr reicht das Geld nicht.
Da ist etwas Düsteres in diesen Geschichten, Unheil Verkündendes. Von Anfang an.
Sie funktionieren alle nach demselben Muster. Wie lange kann man es aushalten, Außenseiter zu sein, bis man sich wehrt? Das ist der Moment, in dem diese Geschichten umschlagen. In dem die einsamen Kinder eine Katastrophe heraufbeschwören.
Der Junge, der den Baum lebt, will seiner neuen Freundin einen Lolli schenken. Schon als er den Laden betritt, weiß man, dass er nicht mit einer Handvoll gestohlener Lutscher wieder heraus kommen wird. Er wird den Ladenbesitzer töten.
Auch der Junge aus Amerika, der seinem siebenjährigen Bruder Justin zum Geburtstag etwas zum Essen aus dem kleinen koreanischen Laden holen will, bringt den Mann hinter der Theke um. Und nicht nur den. Auch noch Vater Hieronymus, der den Laden betritt und den er für den einstigen Liebhaber seiner Mutter und Vater von Justin hält. An der Hand hält Vater Hieronymus ein kleines Mädchen. Das Kind wird auch erstochen.
"Herr Chi hat nichts mit der Sache zu tun. Er hätte weglaufen können. So war das geplant ...Warum musste Vater Hieronymus gerade in diesem Moment hereinkommen?"
Die Kinder sehen ihre Taten als etwas Unaufhaltsames an, etwas für das sie nicht verantwortlich sind. Das kleine Mädchen im Laden hätte doch nicht da sein müssen. Und jetzt wartet der Junge aus Amerika auf seine Hinrichtung. Denn man behauptet, er habe die Tat geplant. Eine geplante Tötung ist Mord. Stoff - genug für einen Roman. Ganze elf Seiten lang ist diese Geschichte.
"Ich schreibe gern so, dass meine Geschichten ein bisschen wie ein Brühwürfel werden, dass ich alles Unnotwendige herausschmeiße. Da gibt es wirklich viel in der Geschichte "bis der Tod uns scheidet". Es geht natürlich über Strafe, die Todesstrafe. Der Mann, der spricht, ist nicht normal, denkt nicht logisch. Trotzdem hat er einen Point. Was denn, wenn der Staat ihn tötet? Das ist auch geplant."
In "Warum", einer Kurzgeschichte in Dialogform antwortet ein siebzehnjähriger Junge auf die Frage, warum er sich einer rassistischen Gang angeschlossen habe: "Ich war allein." Und auf die Frage, warum er auf einen Araber eingeschlagen und eingetreten habe, der jetzt mit Nieren- und Leberriss, offenem Schädelbruch und 23 anderen Brüchen mehr tot als lebendig ist, er wolle die Grenze herausfinden. Und jemand, es wird nicht gesagt wer, es könnte sein Verteidiger oder seine Bewährungshelferin oder ein Psychologe oder eine Journalistin sein, suggeriert ihm, nicht er sei schuld, sondern die Gesellschaft.
"Ich wollte sehen, wie weit man gehen kann, wenn man versucht zu erklären, warum jemand etwas sehr Böses getan hat. Ich hab' oft das Gefühl, zumindest in Skandinavien, dass wir so gern etwas verstehen möchten, dass wenn gar keine Erklärung kommt, dann erfinden wir die Erklärung. Und sie ist diese Journalistin, ich denke sie mir als Frau, es könnte auch ein Mann sein, sie möchte es gern verstehen, warum der junge Mann diesen unerklärlichen Gewaltakt getan hat. Er erklärt es nicht selber, aber sie sagt: 'Die Gesellschaft, die Eltern'. Und damit geben sie ihm recht, wenn er sagt: Hier gibt es keine Grenzen."
Ein Mädchen mit den österreichischen Wurzeln verwüstet den Schulgarten, lässt alle Tiere entkommen, die Zwergziegen, die Kaninchen, die Vögel, deren Namen sie sich nicht merken kann. Sie sagt:
Ich habe es nicht mit Absicht getan.
Ich kann es nicht erklären.
Da ist einfach was schief gegangen.
"Ich kenne dieses Gefühl, dass ich nicht in Dänemark zu Hause bin. Meine Mutter ist aus Österreich und ist als Kriegskind nach Dänemark gekommen. Mein Vater ist in Dänemark aufgewachsen, sein Vater war aus Deutschland. Da ist man in den Augen des anderen ein Fremder. Das kenne ich. Wir haben nie zu Hause deutsch gesprochen, weil meine Eltern wollten, dass wir Dänen sein sollten. Auch dass man es in der Sprache schwer hat, kenne ich. Das Mädchen kennt nicht die Namen von Blumen, Bäumen, Tieren oder Vögeln. Das kennt man oft nicht als Emigrantenkind. Weil die Eltern sie nicht kennen, die Wörter für die Blumen. Ich dachte, das ist ganz Besonderes, dass all die anderen Kinder diese Wörter kennen. Ich hab' nicht das Gefühl, dass ich zu dumm war, aber ich konnte sie nie."
Janne Teller beschreibt kühl, wie Gärten verwüstet, Menschen zusammengeschlagen, erstochen werden. Sie verdammt die Täter nicht, aber sie schützt sie auch nicht. Sie erzählt in klarer, nüchterner, niemals sentimentaler Prosa von einsamen Kindern, in denen sich große Wut aufgestaut hat. Gerade wegen ihres reduzierten Stils sind die Geschichten so eindrücklich. Auch ihr neues Buch "Alles - worum es geht" wird für Diskussionen sorgen.
Ein Junge glaubt, nichts im Leben habe eine Bedeutung. So brauche er auch nicht zu tun, nichts zu lernen, sondern könne sich gleich in einen Pflaumenbaum setzen und das NICHTS spüren. Und das macht er dann auch.
Seine Klassenkameraden wollen ihm beweisen, dass es doch Dinge gebe, für die zu Leben es sich lohne. In einem alten Sägewerk errichten sie den Berg der Bedeutung: Es fängt harmlos an, mit abgenutzten Tonkassetten, einer Puppe mit abgebissenem Kopf und ein Perlmuttkamm, dem zwei Zähne fehlen. Doch die Kinder zwingen sich, immer mehr zu geben. Etwas, was wirklich eine Bedeutung hat. Ein Mädchen opfert seinen Hamster, ein anderes seine Unschuld, ein Gitarre spielender Junge seinen Finger, jemand, muss einen Hund köpfen. Doch den Jungen aus dem Pflaumenbaum überzeugt das alles nicht. Da lynchen ihn die anderen.
"Ich schreibe meistens für Erwachsene, aber in Deutschland bin ich vor allem durch die Jungendbücher bekannt geworden. Da gibt es einige Themen, über die man besser für Jugendliche schreiben kann. Jugendliche sind so offen und so radikal in ihrer Annäherung an das Leben. Da gibt es eine Wahrheit und eine Intensität, wenn man das für Jugendliche schreibt, die man nicht für Erwachsene kriegen kann."
Jetzt ist ein Buch mit Kurzgeschichten erschienen, die Janne Teller teilweise schon in den letzten Jahren veröffentlicht hat. Es heißt "Alles - worum es geht". Darin erzählt Janne Teller auch davon, wie sie schreibt. In: "Alles - was ich erzählen kann".
"Ich lebe, was ich schreibe. Dafür brauche ich viel Ruhe und viel Konzentration und muss mein eigenes Leben ganz vergessen."
Zum Schreiben braucht Janne Teller absolute Ruhe und Abgeschiedenheit. Sie geht nicht ans Telefon, gewährt der Postbotin gerade acht Worte, sitzt mit einer Tasse starkem Kaffee an einem aufgeräumten Schreibtisch.
Seit drei Jahren lebt Janne Teller in New York, einer Stadt, die nicht gerade für Ruhe und Abgeschiedenheit steht:
"Ich habe sehr gern die Multikulturalität hier. Ich bin so gemischt selber, ich hab' auch in Afrika gelebt. Hier kommt das alles zusammen. Hier sind alle Menschen anonym. Und wenn man anonym ist, dann wird die Umgebung ein bisschen wie ein Summen im Hintergrund. Das ist eigentlich eine Ruhe inmitten der Unruhe."
Janne Teller wollte ihren großen Erfolg "Nichts: Was im Leben wichtig ist" nicht kopieren. Und hat eine andere Form gewählt: Kurzgeschichten:
"In ‚Nichts‘ habe ich über die großen, existenziellen Fragen geschrieben. Das kann man nicht in Kurzgeschichten. Das ist mehr über Identität, über kleinere Fragen, aber auch philosophische Fragen und über Momente, wo es durchkommt, wie jemand wirklich ist und nicht nur, wie es scheint an der Oberfläche."
In fast allen Geschichten sind einsame Kinder die Hauptfiguren: ein Mädchen aus Österreich, das in Dänemark lebt und von seinen Mitschülern ausgegrenzt wird, ein Junge, dessen einziger Freund ein Baum ist, bis ein kleines Mädchen ihn aus seinem Zimmer holt und mit ihm spazieren geht, ein Junge aus Amerika der seinem kleinen Bruder zum Geburtstag Pfannkuchen aus Mehl und Margarine zubereitet - zu mehr reicht das Geld nicht.
Da ist etwas Düsteres in diesen Geschichten, Unheil Verkündendes. Von Anfang an.
Sie funktionieren alle nach demselben Muster. Wie lange kann man es aushalten, Außenseiter zu sein, bis man sich wehrt? Das ist der Moment, in dem diese Geschichten umschlagen. In dem die einsamen Kinder eine Katastrophe heraufbeschwören.
Der Junge, der den Baum lebt, will seiner neuen Freundin einen Lolli schenken. Schon als er den Laden betritt, weiß man, dass er nicht mit einer Handvoll gestohlener Lutscher wieder heraus kommen wird. Er wird den Ladenbesitzer töten.
Auch der Junge aus Amerika, der seinem siebenjährigen Bruder Justin zum Geburtstag etwas zum Essen aus dem kleinen koreanischen Laden holen will, bringt den Mann hinter der Theke um. Und nicht nur den. Auch noch Vater Hieronymus, der den Laden betritt und den er für den einstigen Liebhaber seiner Mutter und Vater von Justin hält. An der Hand hält Vater Hieronymus ein kleines Mädchen. Das Kind wird auch erstochen.
"Herr Chi hat nichts mit der Sache zu tun. Er hätte weglaufen können. So war das geplant ...Warum musste Vater Hieronymus gerade in diesem Moment hereinkommen?"
Die Kinder sehen ihre Taten als etwas Unaufhaltsames an, etwas für das sie nicht verantwortlich sind. Das kleine Mädchen im Laden hätte doch nicht da sein müssen. Und jetzt wartet der Junge aus Amerika auf seine Hinrichtung. Denn man behauptet, er habe die Tat geplant. Eine geplante Tötung ist Mord. Stoff - genug für einen Roman. Ganze elf Seiten lang ist diese Geschichte.
"Ich schreibe gern so, dass meine Geschichten ein bisschen wie ein Brühwürfel werden, dass ich alles Unnotwendige herausschmeiße. Da gibt es wirklich viel in der Geschichte "bis der Tod uns scheidet". Es geht natürlich über Strafe, die Todesstrafe. Der Mann, der spricht, ist nicht normal, denkt nicht logisch. Trotzdem hat er einen Point. Was denn, wenn der Staat ihn tötet? Das ist auch geplant."
In "Warum", einer Kurzgeschichte in Dialogform antwortet ein siebzehnjähriger Junge auf die Frage, warum er sich einer rassistischen Gang angeschlossen habe: "Ich war allein." Und auf die Frage, warum er auf einen Araber eingeschlagen und eingetreten habe, der jetzt mit Nieren- und Leberriss, offenem Schädelbruch und 23 anderen Brüchen mehr tot als lebendig ist, er wolle die Grenze herausfinden. Und jemand, es wird nicht gesagt wer, es könnte sein Verteidiger oder seine Bewährungshelferin oder ein Psychologe oder eine Journalistin sein, suggeriert ihm, nicht er sei schuld, sondern die Gesellschaft.
"Ich wollte sehen, wie weit man gehen kann, wenn man versucht zu erklären, warum jemand etwas sehr Böses getan hat. Ich hab' oft das Gefühl, zumindest in Skandinavien, dass wir so gern etwas verstehen möchten, dass wenn gar keine Erklärung kommt, dann erfinden wir die Erklärung. Und sie ist diese Journalistin, ich denke sie mir als Frau, es könnte auch ein Mann sein, sie möchte es gern verstehen, warum der junge Mann diesen unerklärlichen Gewaltakt getan hat. Er erklärt es nicht selber, aber sie sagt: 'Die Gesellschaft, die Eltern'. Und damit geben sie ihm recht, wenn er sagt: Hier gibt es keine Grenzen."
Ein Mädchen mit den österreichischen Wurzeln verwüstet den Schulgarten, lässt alle Tiere entkommen, die Zwergziegen, die Kaninchen, die Vögel, deren Namen sie sich nicht merken kann. Sie sagt:
Ich habe es nicht mit Absicht getan.
Ich kann es nicht erklären.
Da ist einfach was schief gegangen.
"Ich kenne dieses Gefühl, dass ich nicht in Dänemark zu Hause bin. Meine Mutter ist aus Österreich und ist als Kriegskind nach Dänemark gekommen. Mein Vater ist in Dänemark aufgewachsen, sein Vater war aus Deutschland. Da ist man in den Augen des anderen ein Fremder. Das kenne ich. Wir haben nie zu Hause deutsch gesprochen, weil meine Eltern wollten, dass wir Dänen sein sollten. Auch dass man es in der Sprache schwer hat, kenne ich. Das Mädchen kennt nicht die Namen von Blumen, Bäumen, Tieren oder Vögeln. Das kennt man oft nicht als Emigrantenkind. Weil die Eltern sie nicht kennen, die Wörter für die Blumen. Ich dachte, das ist ganz Besonderes, dass all die anderen Kinder diese Wörter kennen. Ich hab' nicht das Gefühl, dass ich zu dumm war, aber ich konnte sie nie."
Janne Teller beschreibt kühl, wie Gärten verwüstet, Menschen zusammengeschlagen, erstochen werden. Sie verdammt die Täter nicht, aber sie schützt sie auch nicht. Sie erzählt in klarer, nüchterner, niemals sentimentaler Prosa von einsamen Kindern, in denen sich große Wut aufgestaut hat. Gerade wegen ihres reduzierten Stils sind die Geschichten so eindrücklich. Auch ihr neues Buch "Alles - worum es geht" wird für Diskussionen sorgen.