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Die Karmelitinnen in Dachau
Beten für eine bessere Welt

Es gibt Frauen, die lassen sich freiwillig einschließen. Hinter Mauern. Raus können die Karmelitinnen in Dachau nur in begründeten Ausnahmefällen. Die Schwestern leben in strenger Klausur. Meistens schweigen sie. Ihr zentraler Lebensinhalt: das Gebet für andere Menschen. Verweigern sich die Karmelitinnen der modernen Welt?

Von Burkhard Schäfers | 12.08.2015
    Das internationale Mahnmal des jugoslawischen Künstlers Nandor Glid an der KZ-Gedenkstätte in Dachau, aufgenommen am 21.06.2012. Am 22.03.1933 wurde das Konzentrationslager errichtet, befreit wurde es am 29.04.1945 durch amerikanische Truppen. Die Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers wurde im Jahr 1965 auf Initiative und nach den Plänen der überlebenden Häftlinge errichtet
    Der Karmel Heilig Blut liegt am Rande der KZ-Gedenkstätte in Dachau (picture alliance / dpa - Sven Hoppe)
    Es ist ein bedrückender Ort – wohl kaum jemand geht hier ohne Beklemmungen raus. Ein endloser Schotterplatz, umgeben von Mauern und Wachtürmen. 200.000 Menschen haben die Nazis ins Konzentrationslager Dachau verschleppt. Am Rande der heutigen Gedenkstätte wurde vor gut 50 Jahren, 1964, der Karmel Heilig Blut gegründet. Die Zellenfenster der Ordensschwestern sind auf das frühere KZ ausgerichtet. Erinnern – Ja. Aber sie blicken nicht nur zurück, sagt die Karmelitin Johanna Kuric.
    "Auch wir schauen die Nachrichten an oder lesen Zeitung, erfahren von Gräueltaten oder Unrechtsgeschehen maßloser Art. Dachau ist ein Synonym für viele andere heutige Orte. Unser Gebet soll an alle Orte ausstrahlen, die heute dieses Unrechtsgeschehen erleiden müssen."
    Syrien, der Irak, die Ukraine und viele vergessene Orte, die es nicht ins Fernsehen schaffen: Die Karmelitinnen beten für eine bessere Welt. Wer ihre Klosterkirche besucht, kann Anliegen auf einen Zettel schreiben. Die Leute formulieren ihre Bitten in allen möglichen Sprachen an diesem internationalen Ort, erzählt Schwester Johanna. Viele haben existenzielle Probleme.
    "Jemand liegt im Sterben. Der Vater hat die Arbeit verloren, dann sind zwei Kinder da, die in der Pubertät sind. Ein 19-Jähriger ist in der Psychiatrie, weil er einen schizoiden Schub hat. Also oftmals viele ungelöste Fragen, die Auswirkungen haben auf Familiensysteme oder im Freundeskreis."
    Einfachheit wiederentdecken
    Die Ordensschwestern versammeln sich zu den Stundengebeten, feiern Tag für Tag die Eucharistie, ziehen sich längere Zeit allein zur Meditation zurück. Außerdem arbeiten sie in der klostereigenen Kerzenwerkstatt oder im Klosterladen. Das Gebet jedoch nimmt einen großen Teil des Alltags ein, es gilt als zentrale Lebensaufgabe im Karmel. Diese uralte Tradition geht auf Eremiten zurück, die an der Schwelle zum 13. Jahrhundert im Karmel-Gebirge im heutigen Israel lebten. Aber: Der Erfolg des Gebets lässt sich nicht messen. Gewalt, Krieg, Ungerechtigkeit gehen weiter, so viel die Schwestern auch beten.
    "Das entzieht sich leider aller Beweisführung. Ich denk mir oft, das Böse hat Wirkkraft, das Böse, was jemand in die Welt setzt. Und so auch das Gute, das vielleicht im Verborgenen geschieht, von mir aus hinter einem Klausurgitter. Wer weiß schon, was es bei jemandem bewirkt. Oder jemand fasst Zuversicht, dadurch dass er weiß, hier wird für mich gebetet."
    "Meiner Ansicht nach ist das innerliche Gebet nichts anderes als das Zusammensein mit einem Freund, mit dem wir oft und gerne allein zusammen sind, um mit ihm zu reden, weil wir sicher sind, dass er uns liebt."

    Sagt Teresa von Avila. Die Mystikerin und Kirchenlehrerin wurde 1515, vor genau 500 Jahren geboren. Sie war selbst Karmelitin und gründete den Reformzweig der Unbeschuhten Karmelitinnen, zu dem auch das Dachauer Kloster gehört. Die Schwestern leben in Klausur. Das heißt, sie dürfen das Haus nur mit Erlaubnis der Priorin, der Leiterin, verlassen – etwa zum Einkaufen oder wenn sie zum Arzt müssen. Wesentliches Merkmal des Klosterlebens ist das Schweigen. Auch Johanna Kuric spricht nicht oft.
    Mystikerin Teresa von Avila 
    Teresa von Avila - gründete den Reformzweig der Unbeschuhten Karmelitinnen, zu dem auch das Dachauer Kloster gehört (picture alliance / dpa / Foto: efe)
    "Ich denke, unser Angebot, was wir so machen können, ist, Einfachheit wieder zu entdecken. So was wie die Entdeckung der Langsamkeit – war ja mal ein Buchtitel. Nicht immer dieses Multitasking. Sondern: Ich konzentriere mich auf etwas. Oder ich lenke den Blick auch in mein Inneres, ich halte es aus, eine halbe Stunde schweigend in einem Zimmer zu sitzen."
    Spartanisches Leben
    Schweigen, beten, ein fest vorgegebener Tagesablauf: So für immer zu leben kann sich in der modernen Welt kaum jemand vorstellen. Ein Rückzug auf Zeit hingegen finde wachsendes Interesse, sagt Gert Pickel, Professor für Religionssoziologie an der Universität Leipzig.
    "Das ist doch für einige moderne Menschen interessant geworden: Man merkt es ja auch dadurch, dass die Nachfrage, in Orden zu übernachten, oder Schweigeorden – sich zwei Wochen diesem zu unterziehen, dass man nicht redet, was man sonst im Beruf sehr häufig tut – an Attraktivität gewonnen hat. Es ist sehr schön, daran teilzunehmen. Diese Ruhe, die innere Gelassenheit, auch die Psyche zu reinigen. Das Interessante dabei ist aber: Nicht mehr auf Dauer, sondern irgendwie temporär."
    Das Leben im Karmel ist spartanisch: Die Zellen sind gerade einmal acht Quadratmeter groß, mit einem schmalen Bett, Tisch, Stuhl und Waschbecken. Nicht einmal einen Kleiderschrank gibt es. Gert Pickel:
    "Man muss das vor dem Hintergrund moderner, sehr stark auf Konsum ausgerichteter Gesellschaften sehen. Da ist Verzicht etwas, was eine sehr deutliche Aussage mit sich bringt. Wenn wir sehen, dass moderne Protestbewegungen sich durch Boykotts oder Verzicht sichtbar machen, spielt das eine große Rolle. Und wenn jemand eine so grundlegende Entscheidung trifft, dass er sagt, ich verzichte mein ganzes Leben auf diese Möglichkeiten, die ich haben würde, dann ist das für viele schon etwas, was sie sehr respektvoll betrachten und sagen, da muss ein tiefer Grund dahinter stecken, so einfach tut man das nicht."
    Humor hinter Klausurgittern
    Das ungewöhnliche Leben hinter Klostermauern finde in der Gesellschaft durchaus Anerkennung, so der Religionssoziologe. Nicht wenige betrachten diesen Mikro-Kosmos wohl als eine Art Sehnsuchtsort:
    "Es ist dann doch erstaunlich, wenn man mit jungen Menschen spricht, dass die sagen, sie können es schon verstehen, diesen Rückzugsgedanken. Was sie sagen: Mit Gebeten etwas zu verändern, das wird wahrscheinlich nicht gelingen. Das hängt damit zusammen, dass in säkularisierten, modernen Gesellschaften man dem nicht mehr so eine hohe Bedeutung oder Wirkungskraft zugesteht. Aber der Rückzugs-Gedanke, ich lasse das mal etwas hinter mir, das können viele nachvollziehen, auch wenn sie es selbst nicht tun würden."
    Wie viele Orden machen sich auch die Karmelitinnen Gedanken über die Zukunft ihrer Klöster: Denn wer tritt heute noch in den Karmel ein? Sind das diejenigen, die eindeutige Antworten suchen in der Uneindeutigkeit der Moderne? Die sich gern einschließen in einem letzten Stück heile Welt? Nein, sagt Schwester Johanna. Den Klosteralltag zu verklären, sei unangemessen. Sie hält ihn für eine sehr nüchterne Angelegenheit.
    "Die Schwester wäre hier ganz schnell wieder draußen, weil das nicht funktioniert. Die Welt kommt ja auch zu uns hinein, da ist ja nicht an der Pforte hier ‚geschlossen für die Welt'. Sondern Welt ist innen genauso vorhanden mit allen guten und schlechten Neigungen oder Sympathie, Antipathie."
    Zurzeit leben 16 Karmelitinnen in Dachau, für 21 wäre Platz. Es sei schwierig, geeigneten Nachwuchs zu finden, gibt Schwester Johanna zu. In den vergangenen 13 Jahren seien von eigentlich zehn Neuzugängen nur drei dauerhaft geblieben. Das Leben in der Klausur sei eine permanente Herausforderung, sagt die 49-Jährige.
    "Mein Leben ist davon bestimmt, was die Ordensregel vorschreibt und was die jeweilige Ordensobere für gut hält oder anordnet. Meine Generation ist doch eher auf Diskussion, auf Gespräch, auf Kollegialität immer aus gewesen. Und dann plötzlich in die Hierarchie sich einzuordnen, das ist nicht immer einfach, braucht Humor und vielleicht ein bisschen Spitzfindigkeit manchmal, dass man doch dazu kommt, was man selber möchte."