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"Die Kassen sind leer"

Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Stephan Articus, warnt die angehende Regierung davor, die Gewerbesteuer zu senken, die für Städte und Kommunen einen Großteil der Haushaltseinnahmen ausmachen: "Wir würden Eingriffe in die Gewerbesteuer sicherlich bekämpfen," so Articus.

Stephan Articus im Gespräch mit Gerhard Schröder | 11.10.2009
    Gerhard Schröder: Herr Articus, Union und FDP führen derzeit Koalitionsverhandlungen. Ein zentraler Punkt dabei ist, sie wollen Bürger und Unternehmen entlasten, damit auch die Konjunktur wieder in Schwung kommt. Freuen Sie sich denn schon darauf, dass wir demnächst alle weniger Steuern zahlen?

    Stephan Articus: Das ist eine schwierige Frage. Wir haben in der Vergangenheit als Städtetag Steuersenkungen eigentlich stets unterstützt, sowohl für die Bürger wie auch für die Wirtschaft. Im Hinblick auf die Wirtschaft ist ja unsere eigene wichtigste Steuer die Gewerbesteuer, die Gott sei Dank 2007 im Zuge der Unternehmenssteuerreform wieder verstärkt, bestärkt oder renoviert worden ist, das war sehr wichtig für die Städte.

    Wir würden Eingriffe in die Gewerbesteuer sicherlich bekämpfen, würden sie nicht mittragen. Aber wir gehen auch davon aus, dass wir darum nicht kämpfen müssen, weil die Bundeskanzlerin Frau Merkel gesagt hat, wir können darauf vertrauen, dass es keine Eingriffe in die Gewerbesteuer gibt.

    Schröder: Aber Union und FDP, um hier die grundlegende Logik noch mal zu erwähnen, die sagen ja: Die Unternehmen und Beschäftigten, die müssen entlastet werden, damit die Konjunktur Tritt fasst, damit die wirtschaftliche Dynamik wieder erzeugt wird, die auch nötig ist, um Wachstum zu erzeugen, um Beschäftigung zu erzeugen, um Leute wieder in Brot und Arbeit zu bringen - und dann steigen irgendwann auch die Steuereinnahmen wieder. Ist das nicht eine Logik, der sich auch die Kommunen anschließen können?

    Articus: Also, ich glaube, das ist eine streitige Frage. Wenn man die vergangenen eineinhalb Jahrzehnte sieht, muss man eigentlich erkennen, dass alle steuerlichen Erleichterungen und alle Steuerabsenkungen, auch die gegenüber der Wirtschaft, nicht zu einer Reduzierung der Arbeitslosigkeit geführt haben. Das ist deswegen jetzt kein Grund, sich gegen steuerliche Erleichterungen, auch für die Erwerbstätigen, zu stellen.

    Aber ich will mal anders argumentieren: Bund, Länder und Kommunen stehen in der Krise, aber nicht nur wegen der Krise, vor derartig großen Herausforderungen, vor derartig großen Aufgaben - ich nehme mal das Beispiel "Integration von Menschen mit Migrationshintergrund", ich nehme das Beispiel "Ausbau für Ganztagesbetreuung von Kindern", die "Qualifizierung von Kindergärten als vorschulische Einrichtungen". Die Kassen sind leer, die Schuldenberge sind hoch.

    Es ist schwer vorzustellen, wie man gleichzeitig die wichtigen staatlichen Dienstleistungen für die Bürger unseres Landes erfüllen und verbessern kann und gleichzeitig spürbare steuerliche Entlastungen sozusagen im gleichen Zeitraum macht. Ich sage noch mal: Das heißt nicht, dass sich die Städte dagegen wehren. Aber ich glaube, wenn Bund und Länder sich für wirklich nachhaltige Steuerentlastungen entscheiden würden, müssten sie schon auch Auskunft darüber geben, wie die wichtigen Dienstleistungen für die Bürger unseres Landes und auch für die Wirtschaft, die Infrastrukturleistungen, die die öffentliche Hand leistet, finanziert werden sollen.

    Schröder: Das ist ja auch eine Frage, die Sie selbst beantworten müssten. Derzeit sieht es ja so aus, dass die Kommunen mit weniger Geld auskommen müssen, die Steuereinnahmen sinken. Gleichzeitig steigen die Ausgaben. Herr Articus, wie dramatisch ist da die Lage?

    Articus: Also die Lage war in den letzten zwei, drei Jahren, Herr Schröder, vor der Finanz- und Wirtschaftskrise eigentlich eine positive. Die Konjunktur war in einem guten Entwicklungsstrang, die Steuereinnahmen hatten sich wieder erholt. Aber die Krise hat uns erneut, aber nicht nur uns, auch den Bund und die Länder, in eine sehr schwierige Situation gebracht. Wir als Kommunen haben beispielsweise dramatisch steigende Ausgaben im Sozialbereich, aber genau so dramatisch sinkende Einnahmen bei den Steuern. Die eben zitierte Gewerbesteuer sinkt in diesem Jahr durchschnittlich um 15 Prozent, in vielen großen Städten um bis zu 50 Prozent. Das bedeutet Steuereinbrüche in der Größenordnung von sechs Milliarden in einem Jahr. Gleichzeitig wachsen beispielsweise die Kosten für die Arbeitslosigkeit in diesem Jahr um - so schätzen wir - mindestens zwei Milliarden.

    Schröder: Welche Folgen hat das für die Kommunen? In welchem Umfang sind sie überhaupt noch handlungsfähig?

    Articus: Wir haben sehr viele Städte - große Städte, sehr viele mittlere Städte -,die eigentlich in einer Haushaltsnotlage sind. Viele wissen nicht mehr, wie sie beispielsweise soziale Leistungen bezahlen sollen, viele wissen nicht mehr, wie sie den Ausbau der Kindertagesstätten bezahlen sollen. Viele machen das auf Pump. Wir haben ein wachsendes Volumen von Kassenkrediten - inzwischen von über 32 Milliarden. Das sind Zustände, von denen man sagen kann: Die sind definitiv nicht in Ordnung.

    Schröder: Und das sind ja Zustände, die noch keineswegs vorüber sind. Vielleicht haben wir das Schlimmste ja noch gar nicht gesehen, im nächsten Jahr werden ja die Steuereinnahmen vermutlich weiter sinken, gleichzeitig Sozialausgaben weiter steigen. Wie geht's da weiter?

    Articus: Also wir haben vor einiger Zeit eine Hauptversammlung in Bochum gehabt. Wir haben gesagt, wir müssen trotz erschwerter Rahmenbedingungen auch darum ringen, dass wir elementar wichtige zentrale Leistungen auch in der Krise gewährleisten. Dazu stehen die Städte auch.

    Dazu gehört, wenn ich einmal ausführen darf, natürlich die eben genannten Themen, denn wir haben ja nicht nur eine Finanzkrise, wir haben nicht nur eine Wirtschaftskrise, sondern wir haben auch eine schwierige gesellschaftliche Situation. Immer mehr Menschen fühlen sich in unserer Gesellschaft sozusagen nur am Rande platziert, fühlen sich nicht aufgenommen, fühlen sich nicht akzeptiert. Und offensichtlich wird diese Gruppe immer größer. Das sind die Arbeitslosen, das sind viele Menschen mit Migrationshintergrund, das sind viele ältere Menschen, die allein und auch mit Krankheiten und Behinderungen alleine leben.

    Um diese Zustände, auch um den gesellschaftlichen Zustand müssen wir uns kümmern. Dazu gehört eine Weiterqualifizierung des Bildungssystems, eine Weiterentwicklung der vorschulischen Bildung von Kindern aus sozial schwachen Familien, von Kindern aus Familien mit Migrationshintergrund, um denen einen chancengleichen Start in das Berufsleben zu ermöglichen. Dazu gehören auch größere Anstrengungen, um prophylaktisch die drohende Altersarmut zu verhindern.

    Schröder: Wir sprechen mit Stephan Articus, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages. Herr Articus, Sie haben jetzt viele Punkte genannt, die Sie erledigen wollen. Dafür brauchen Sie aber Geld, tatsächlich werden Sie weniger Geld zur Verfügung haben. Wie also wollen Sie das finanzieren?

    Articus: Also, eine erste Bitte, ein erster Appell, den wir auch an die Verhandlungsführer der neuen Regierungskoalition formuliert haben, ist, uns um Himmelswillen nicht noch weiter zu belasten mit vermeidbaren Belastungen. Dazu gehört beispielsweise, dass am Mittwoch im Kabinett beschlossen worden ist, die bereits länger geplante Absenkung des Anteils des Bundes an der Finanzierung der Kosten der Unterkunft der Arbeitslosen nicht vorzunehmen, nicht diese Kürzung uns auch noch zuzumuten.

    Schröder: Aber dieser Appell geht ja schon mal ins Leere, denn das Bundeskabinett hat dies ja quasi als letzte Amtshandlung noch verfügt.

    Articus: Das ist bedauerlicherweise richtig. Ein zweiter Appell ist natürlich, dass man die Aufgaben, die wir vereinbart haben, auch vernünftig finanziert und dass man da keine potemkinschen Dörfer aufbaut, wie beispielsweise viele Länder es tun - bei der Finanzierung des Ausbaus der Kindergärten. Wir haben nicht viel mehr als Appelle, aber so ganz vergeblich sind die auch nicht.

    Schröder: Nun schauen wir mal auf das, was Sie haben. Zum Beispiel haben Bund und Länder ja im Rahmen der Konjunkturpakete ein milliardenschweres Investitionsprogramm angeschoben, das in den Kommunen realisiert werden soll. Rund 13 Milliarden Euro hat das als Volumen. Das ist doch eine Hilfe, die in den Kommunen ankommen muss, oder?

    Articus: Wir haben uns über dieses Konjunkturprogramm sehr gefreut. Es ist zur genau richtigen Zeit gekommen, es ist sehr nachhaltig durch sein Volumen. Dieses Programm läuft …

    Schröder: … aber reicht es aus?

    Articus: Also es ist zunächst mal eine wirklich große Hilfe. Es ist schwerfälliger als wir alle dachten. Aber es ist natürlich kein wirklicher Ausgleich für die Delle, die in der Finanzierung der Aufgaben bei den Kommunen und auch bei den Ländern entsteht.

    Schröder: Was wäre denn nötig, um diese Delle zu füllen?

    Articus:Also ich glaube, dass nötig wäre der Mut zur Prioritätensetzung, um die zentralen Anliegen auch in den Zeiten der Krisen tatsächlich bewältigen zu können.

    Schröder: Welche Aufgaben denn wären zum Beispiel zu vernachlässigen, welche könnte man erst mal zurückstellen, wo könnte man da einsparen?

    Articus: Die Frage ist wirklich schwer, ich war eher auf die Frage vorbereitet, auf welche man auf keinen Fall verzichten kann. Also gut, ich mach mal auf die Gefahr hin, dass es Mitglieder gibt im Städtetag, die mich für einen solchen Hinweis schelten. Also wir glauben beispielsweise, dass eine Erhöhung des Schonvermögens für Hartz IV-Empfänger, oder dass die vorgesehene Erhöhung der Zuverdienstmöglichkeiten, die beide dazu führen werden, dass eine größere Zahl von nicht arbeitslosen Familien in SGB II landen, dass die zum jetzigen Zeitpunkt wirklich nicht nötig gewesen wären.

    Schröder: Was halten Sie denn von der Idee, die derzeit diskutiert wird in der Union und in der FDP, das Kindergeld zu erhöhen, den Kinderfreibetrag, um die Familien zu entlasten? Gleichzeitig liegt den Kommunen ja auch sehr daran, zum Beispiel die Kinderbetreuung zu verbessern. Welche Prioritäten würden Sie hier setzen?

    Articus: Also wir haben uns eigentlich niemals dagegen gewehrt, dass finanzieller Lastenausgleich für Familien so weit entwickelt wird, wie es irgend geht, weil wir erleben, dass gerade Familien mit mehreren Kindern sehr schnell und ziemlich ernsthaft, von Armut und von Fürsorgeleistungen abhängig zu werden, bedroht sind. Und die Erhöhung des Kindergeldes ist dafür eine der - sagen wir mal - sozialpolitisch neutralen Maßnahmen, die wir grundsätzlich unterstützen.

    Schröder: Die aber viel Geld kosten.

    Articus: Ja, die kosten viel Geld, aber natürlich auch an anderer Stelle sparen sie ebenfalls von der öffentlichen Hand - also von Bund, Ländern oder Kommunen - zu finanzierende Fürsorgeleistungen.

    Schröder: Aber müssen Sie nicht fürchten, dass Ihnen dann irgendwann entgegen gehalten wird: Na, für die Familien haben wir schon so viel getan, jetzt fehlt uns das Geld für den Ausbau der Kinderbetreuung?

    Articus:Ja, das ist ja hier auch eine ziemlich ernsthafte Debatte gewesen. Aber ich finde, dass man so zusagen die Grundausstattung in den fördernden Dienstleistungen, in Kindertagesstätten auf der einen Seite, die Geldleistungen zur Unterstützung der Familien mit Kindern, dass man die nicht gegeneinander aufrechnen kann, sondern dass in diesem Fall beides richtig ist.

    Schröder: Aber klar ist doch: Schon jetzt gibt es große Probleme - die Zusagen, die gemacht wurden, was den Ausbau der Kinderbetreuung anbetrifft, einzuhalten. Bis 2013 sollen da 750.000 zusätzliche Kindergartenplätze eingerichtet werden. Wissen Sie schon, wie Sie das finanzieren wollen?

    Articus: Nein, das wissen wir nicht. Also dieses Anliegen ist in der Tat sehr wichtig. Die Initiative, die Ganztagesbetreuung oder die Kindergartenplätze rasch auszubauen und auch zu qualifizieren, kann man nur unterstützen, weil wir alle erkannt haben, die wir politische Verantwortung in den Kommunen, bei Ländern und beim Bund tragen, dass ein nicht hinreichendes Angebot - quantitativ und qualitativ - eigentlich die entscheidende Ursache dafür ist, dass viele Kinder mit nicht gleichen Chancen in das Bildungssystem einsteigen und infolge dieser nicht gleichen Chancen, zu scheitern drohen, als wenn man das systematischer besser machen würde. Deswegen ist dieses Aufgabenfeld absolut vorrangig. Inzwischen ist es ein Rechtsanspruch. Und für diesen Rechtsanspruch sind die Mittel, die bereitgestellt worden sind, nicht ausreichend.

    Schröder: Wir sprechen mit Stephan Articus, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages. Herr Articus, schon jetzt reichen die Mittel also nicht. Ab 2013 sollen dann alle Eltern die Garantie haben, dass sie auch ihre Kinder schon ab einem Jahr in einer Kinderkrippe betreuen lassen können. Wie wollen Sie das finanzieren, wenn Sie schon jetzt nicht wissen, wie Sie es für die Dreijährigen hinkriegen?

    Articus: Also, unser Hauptappell richtet sich in dieser Frage an die Länder. Die Bundesregierung hat ja in dieses Projekt vier Milliarden eingespeist mit dem Ziel, dass davon ein Teil der Investitionen refinanziert sind. Dieses Geld sollte weitergegeben werden. Viele Länder, man muss es so sagen, geben das Geld nicht weiter, sondern behalten es in ihrer eigenen Kasse und substituieren ihre eigenen Leistungen, statt selbst noch etwas dazu zu tun.

    Schröder: Und Sie müssen das ohnmächtig mit ansehen?

    Articus: Wir müssen das ohnmächtig mit ansehen, und deswegen nehmen wir jede Gelegenheit, wie auch diese, wahr, diesen Missstand anzuprangern.

    Schröder: Herr Articus, können Sie denn angesichts dieser Misere überhaupt noch zusichern, dass Sie das Versprechen, dass eben ab 2013 für alle Eltern mit einem Kind ab einem Jahr ein Betreuungsplatz zur Verfügung steht, können Sie dieses Versprechen überhaupt noch einhalten, oder gerät das nicht langsam ins Wackeln?

    Articus: Sie stellen mir wirklich schwierige Fragen heute. Wir würden gerne vermeiden, jetzt schon erklären zu müssen und die Leute aufzuschrecken mit der Botschaft, das ist nicht einzuhalten. Wir würden lieber unsere Kräfte konzentrieren und noch heftiger darum kämpfen, dass wir möglichst weit kommen in der Umsetzung dieses Zieles. Aber in der Tat sind dafür schwierige Hürden zu überwinden, nicht nur die, dass die vorgesehenen Mittel nicht ausreichen, sondern beispielsweise auch, dass die Erzieherinnen zu gewinnen, eine schwierige Aufgabe ist. Aber wir sind jetzt im Jahre 2009 und eigentlich Kummer bei so großen Projekten als Kommunen gewöhnt. Wir waren es auch beim SBG II gewöhnt. Am Ende haben wir es ziemlich weit geschafft. Also, ich würde sagen, über diese Frage sollten wir noch mal in zwei Jahren sprechen.

    Schröder: Herr Articus, halten wir fest, die Aufgaben wachsen. Sie brauchen mehr Geld. Statt dessen haben Sie weniger zur Verfügung. Und wenn es dumm läuft, dann schmilzt noch der Kuchen, den Sie in den nächsten Jahren zur Verfügung haben, denn die Union und die FDP diskutieren ja derzeit sehr angestrengt darüber, gerade die Steuern zu senken, an denen auch die Kommunen teilhaben, zum einen die Einkommensteuer, zum anderen die Gewerbesteuer. Die möchte die FDP am liebsten ganz abschaffen.

    Aber gerade bei der Gewerbesteuer, der wichtigsten kommunalen Steuer, sind ja Einschränkungen geplant, gerade die Einschränkungen, die 2008 gelockert wurden. Da wurde ja verfügt, dass auch Ausgaben der Unternehmen besteuert werden wie zum Beispiel Mieten und Zinsen. Das soll gerade jetzt wieder eingeschränkt werden, weil gesagt wird, das verschärft noch die Krise, das macht den Unternehmen Probleme. Hier müssen wir dem entgegen kommen. Aus wirtschaftlicher Logik macht das ja durchaus Sinn, oder? Können Sie das nachvollziehen?

    Articus: Nein, wir können es nicht nachvollziehen. Also, wir halten das für Krokodilstränen. Kein Unternehmen, das Verluste macht und kein Unternehmen, das verschuldet ist, wird gewerbesteuerlich ernsthaft und nachhaltig veranlagt. Das ist einfach nicht wahr. Veranlagt werden echte Gewinne. Und damit Gewinne, die gemacht werden, auch nicht durch legale Gestaltungsmöglichkeiten so zusagen schließlich nicht versteuert werden, hat man eingeführt, dass auch Leasingraten, Pachten und Mieten bei der Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer berücksichtigt werden. Das ist eine Regelung gewesen, die man gemacht hat, um Gestaltungsspielräume einzuschränken, an deren Ende dann plötzlich keine Gewinne mehr im Inland zu versteuern waren.

    Schröder: Aber welche Folgen, Herr Articus, hätte es denn, wenn Union und FDP hier doch tatsächlich Ernst machen und die Grundlage der Gewerbesteuer einschränken?

    Articus: Also, ernsthafte Eingriffe in die Gewerbesteuer, das sage ich unumwunden, wären eine Katastrophe. Und die Politiker, die sagen, das trifft gar nicht alle, das ist auch falsch. Ich komme gerade aus den neuen Bundesländern, wo wir eine Konferenz mit den ostdeutschen Bürgermeistern hatten. Alle waren sich einig, dass die Gewerbesteuer als die einzige authentische kommunale Steuer nicht angetastet werden darf.

    Schröder: Die Kommunen sind auch an den Einnahmen durch die Einkommensteuer beteiligt. Würden Sie das denn hier für akzeptabel halten, wenn die Einkommensteuer sinkt. Könnten das zumindest die Kommunen vertragen?

    Articus: Also, der Einkommensteueranteil der Kommunen ist in der Tat die zweitwichtigste steuerliche Einnahme bei den Kommunen. Ich will auch da niemandem vorgreifen, aber ich würde sagen, wenn sich die kommunale Belastungssituation weiter so entwickelt, wie jetzt absehbar, und die Einnahmenverluste ebenfalls, kann ich mir auf jeden Fall persönlich nicht vorstellen, wie wir da weitere Einbrüche zumindest derzeit verkraften sollten.

    Schröder: Wie wollen Sie denn klarkommen? Sie fordern ein Sofortprogramm vom Bund. Der Bund aber sagt, wir haben selber kein Geld, von uns ist da wenig zu erwarten. Gleichzeitig fährt er seinen Anteil bei den Unterkunftskosten für Hartz IV zurück, denkt über Einschnitte bei Gewerbesteuer, bei Einkommensteuer nach. Wie wollen Sie im nächsten Jahr noch klarkommen?

    Articus: Also, unsere Forderung ist natürlich, dass die Programme, die wir vereinbaren - wir haben eben über Kindergartenausbau gesprochen -, dass die auch so dotiert werden, wie es nötig wäre. Auf der anderen Seite haben wir immer auf der Agenda, dass man soziale Ausgaben kritisch betrachtet und auch überprüft, statt so zusagen in einem unabgestimmten Stakkato immer wieder neue Einzelmaßnahmen zu entscheiden, die die Sozialausgaben erhöhen. Wir sind mittlerweile so weit, dass wir fast eine doppelt so hohe Soziallast haben in den städtischen Haushalten wie zur Zeit der deutschen Einheit. Bei 40 Milliarden sind wir in diesem Jahr angekommen. Das ist eine Entwicklung, die muss man bremsen.

    Das war ja übrigens auch der Grund, warum man gesagt hat, die Kommunen müssen bei der Sozialhilfe entlastet werden durch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe im Rahmen des SGB II. Wir müssen feststellen, dieses Projekt ist gescheitert. Wir müssen also neu anfangen zu versuchen, die Kommunen auch bei den Soziallasten zu entlasten.

    Schröder: Wenn Sie sagen entlasten, heißt das, der Bund muss einen größeren Teil übernehmen?

    Articus: Ach, der Bund muss einen größeren Teil übernehmen.

    Schröder: Oder sehen Sie hier auch Einsparmöglichkeiten?

    Articus: Ja, Einsparungsmöglichkeiten sehe ich eigentlich weniger. Bei der vorhin beschriebenen Situation unserer Gesellschaft, wo viele Menschen sich an den Rand gedrängt fühlen, sehe ich eher, dass man, was Förderung angeht, was Unterstützung angeht, was die Leute zu befähigen, selbst erfolgreich im Erwerbsleben zu sein und selbst ihre Kinder erfolgreich durch die Erziehungs- und Ausbildungsphase zu bringen, muss man eher mehr tun. Aber ich glaube, Bund, Länder und Kommunen können sich zusammenraufen und können versuchen, die Sozialleistungen, die sie so zusagen entschieden haben, besser zu machen, effektiver zu machen.

    Schröder: Stephan Articus, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages im Interview der Woche des Deutschlandfunks. Herr Articus, wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann sagen Sie, Hartz IV, die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosengeld II, die ist eigentlich gescheitert, zumindest was die gemeinsame Finanzierung anbetrifft. Nun gibt es ja nicht nur praktische Probleme in der Zusammenarbeit von Bund und Kommunen, sondern es gibt auch verfassungsrechtliche Probleme. Das Bundesverfassungsgericht hat die gemeinsame Betreuung von Langzeitarbeitslosen durch Kommunen und Arbeitsagenturen für verfassungswidrig erklärt, das sei eine nicht verfassungsgemäße Mischverwaltung. Ist das nicht die Gelegenheit für einen großen Schnitt, für eine Neuorganisation der Jobcenter, der Arbeitsagenturen insgesamt?

    Articus: Also, organisatorisch und ich glaube auch mit der Zielrichtung, das Fördern, das Unterstützen von Langzeitarbeitslosen effektiver zu gestalten, würde ich nicht sagen, dass das SGB II gescheitert ist. Die ARGEn, diese Arbeitsgemeinschaften, haben sich schwer getan in der Anlaufphase, das ist richtig. Am Ergebnis war nach der Einführungsphase die Arbeit der ARGEn wahrhaftig nicht schlecht. Aber das Finanzgefüge zwischen Bund und zwischen den Kommunen war nicht richtig sortiert. Und der Umgang mit der Auflage des Verfassungsgerichtshofs. Der hätte erfolgreicher sein können.

    Schröder: Aber nun besteht doch, Herr Articus, die Chance für die Kommunen, nicht nur Einfluss zu nehmen, sondern diese Arbeit tatsächlich in eigener Regie zu übernehmen. In Reihen der Union und der FDP gibt es da ja durchaus Sympathien dafür, die Betreuung, die Vermittlung von Langzeitarbeitslosen komplett den Kommunen zu überlassen. Wollen Sie hier zugreifen?

    Articus: Nein.

    Schröder: Warum nicht?

    Articus: Also, die Frage ist sehr leicht zu beantworten. Die Hilfe im Rahmen des SGB II haben ein Finanzvolumen von ungefähr 40 Milliarden Euro. Es gibt nach der Verfassung keine Möglichkeit, dass diese Aufgabe als Selbstverwaltungsaufgabe von den Kommunen verwaltet, aber finanziell vom Bund gewährleistet wird. Das lässt die Verfassung nicht zu.

    Schröder: Trauen sich denn die Kommunen diese Aufgabe zu?

    Articus: Ich glaube, dass viele Kommunen das können, aber die Kommunen können nicht die Gewährleistung für die Finanzierung übernehmen. Das würde bedeuten, dass Arbeitslose in einer finanz- und wirtschaftsschwachen Region viel schlechtere Voraussetzungen hätten, wieder eingegliedert werden zu können als in einer stärkeren. Wir brauchen da schon die Bundeszuständigkeit für die Finanzierung. Und die lässt es nicht zu, dass eine Aufgabe komplett kommunalisiert wird.

    Schröder: Aber so wie jetzt kann es ja nicht weiter gehen. Das heißt, eine Mischverwaltung von Kommunen und Bund wie jetzt darf nicht weiter bestehen. Bis Ende 2010 muss das geregelt sein. Wie sollte es Ihrer Meinung nach geändert werden?

    Articus: Also, es gibt einmal natürlich die Möglichkeit, zumindest theoretisch, dass man die Fragen über eine Verfassungsänderung gestaltet.

    Schröder: Aber wäre das die richtige Antwort, auf eine Bedenklichkeitserklärung des Verfassungsgerichtes mit einer Verfassungsänderung zu reagieren?

    Articus: Nein, nicht unbedingt. Ich weiß auch nicht, ob das gewollt ist. Ich weiß auch nicht, ob das möglich ist. Wenn es also nur einfach gesetzlich geht, dann sind die Möglichkeiten beschränkter. Aber ich finde, man muss da nicht resignieren. Wenn eben das Bundesverfassungsgerichtsurteil das Gebot ausspricht, dass die zwei Träger, Bund und Kommunen, ihre Aufgaben so wahrnehmen, dass der Hilfesuchende erkennen kann, wer dabei welche Verantwortung hat und wie er sie wahrgenommen hat, dann sage ich, das wird eigentlich, wenn man guten Mutes ist, möglich sein.

    Schröder: Das heißt im Prinzip doch, alles weitgehend so beim Alten lassen wie jetzt, nur ein anderes Kleid drum nähen?

    Articus: Ja, es muss mit eigenem Personal, mit eigenen Bescheiden gehen. Es gibt nicht ein Schild, es gibt zwei Schilder an der Haustüre.

    Schröder: Die Große Koalition hat diese Frage verschleppt. Sie hat sie nicht beantwortet. Jetzt wird die Zeit knapp bis Ende 2010. Also noch gut ein Jahr steht zur Verfügung. Reicht die Zeit, um das noch ordentlich zu lösen und umzusetzen?

    Articus: Also, die Zeit reicht eigentlich nicht, denn wenn wir aus den ARGEn zwei getrennte Stränge machen, die wirklich gar nichts mehr miteinander zu tun hätten, müssten die Kommunen die verfügbare EDV, die die Bundesanstalt für Arbeit hat, komplett verlassen und müssten ein eigenes Programm entwickeln. Das geht nicht innerhalb von einem Jahr. Da wird man mit Übergangslösungen arbeiten müssen.

    Schröder: Herr Articus, ich bedanke mich für das Gespräch.

    Articus: Danke auch.