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Die Katharsis der Krise

Der Philosoph und Sportsoziologe Gunter Gebauer sieht in der medialen Aufarbeitung der Wirtschaftskrise das Modell der Katharsis widergespiegelt. An der Beurteilung des aktuellen Konjunkturpaketes sehe man, dass "wir so ein rhetorisches Modell im Kopf haben, das uns immer wieder den Optimismus zurückgibt", so Gebauer.

Gunter Gebauer im Gespräch mit Beatrix Novy |
    Beatrix Novy: Wir wenden uns geläufigen Superlativen der Öffentlichkeit zu. Dieser Wintertag ist der kälteste seit 102 Jahren, jene Temperatur die niedrigste seit Beginn der Temperaturmessung, diese Krise jetzt wird die schlimmste seit dem Krieg oder seit 1929 - und so geht es mit den Vergleichen immer zum Anschlag hin.

    Auch jetzt: Dieses Paket ist das größte in der Geschichte der Bundesrepublik und, so sagt die Kanzlerin, diese Krise soll nicht nur überwunden werden, sondern wir werden gestärkt aus ihr hervorgehen. Ist das das Bild der Krankheit, der schweren Grippe, aus der man mit erfrischten Widerstandskräften wieder aufersteht? Darüber habe ich mit Gunter Gebauer gesprochen, Philosoph und Sportsoziologe an der Freien Universität Berlin.

    Gunter Gebauer: Das ist so eine Art altes Modell der Katharsis, es gibt eine Form der Reinigung, der inneren Reinigung durch heftigste innere Bewegung, durch innere Kräfte, die sich gegeneinander bekämpfen, und wenn das durchgestanden ist, dann ist der Organismus neu geboren und irgendwie ganz besonders widerstandsfähig.

    Novy: Das ist ja gar nicht so falsch, denn dass es immer eine Kellerphase geben muss, dass die ein notwendiges Durchgangsstadium ist, ist ja tatsächlich auch in anderen Bereichen so.

    Gebauer: Ja, das ist zumindest unsere Vorstellung, das muss aber gar nicht so sein. Es kann ja auch sein, dass unter dem Keller noch ein weiterer Keller liegt, so was gibt es ja auch und dass es dann einen Absturz gibt und eine Möglichkeit, dass man sich gar nicht wieder erholt.

    Aber wir haben so ein rhetorisches Modell im Kopf, das uns immer wieder den Optimismus zurückgibt, dass, wenn man irgendetwas durchschritten hat, die Talsohle durchschritten hat, Not und Pein erlitten hat und so weiter, die Nachkriegszeit bewältigt hat, die Trümmer gereinigt hat, wieder aufgebaut hat, dass dann irgendwie blühende Landschaften kommen, dass alles wieder viel besser wird.

    Novy: Auf der anderen Seite ist ja die Kellerphase auch ein Memento, dass es nicht ewig aufwärts gehen kann und dass es zum Beispiel Pausen und Einbrüche einfach gibt im menschlichen Leben.

    Gebauer: Ja, aber das kennen wir nun aus allen möglichen Geschehen, vor allen Dingen aus dem privaten Geschehen, und wir kennen das natürlich auch aus solchen Modellen, die wir immer wieder sehen, wir haben das einmal in der Dramatik, wo uns das immer wieder vor Augen geführt wird, in Romanen und natürlich auch im Sport.

    Novy: Im Sport erinnert ja die Rhetorik sehr oft an die des Krieges, während die Rhetorik der Wirtschaftsberichterstattung wiederum oft sportlich wirkt, also solche Worte wie Turbulenzen, Höhenflug, Aufschwung, Abschwung - der Staatsaufschwung heute in der "FAZ", das erinnert doch wahrscheinlich nicht ganz aus Versehen an einen Felgaufschwung. Die Konjunktur soll anspringen wie ein Porschemotor. Ist das so?

    Gebauer: Ja. Wir haben ja so etwas wie zwei rhetorische Felder, die wie kommunizierende Gefäße miteinander verbunden sind. Wir haben einmal die quantitative Berichterstattung im Sport, wo es dann um Rekorde geht, um das Beste, den Ersten, den Meister, und natürlich dann auch die Gegenbewegung, den Absturz, den Abstieg, die Unterliga.

    Ich glaube, wir haben dadurch, dass sich die beiden rhetorischen Felder in der Ökonomie, in dem Wirtschaftsgeschehen und im Sport sich einander so angenähert haben, einen ständigen Austausch zwischen beiden. Man hat das Gefühl, der Wirtschaftsreporter ist zum Sportreporter mutiert.

    Novy: Sowohl im Sport als auch in der Wirtschaft, fällt mir dazu ein, gibt es ja in den letzten Jahren, vielleicht letzten zehn, 15 Jahren, eine Gestik des Gewinners, die sehr brachial, martialisch, geradezu bösartig anmutet. Früher lief man über das Spielfeld, wenn man ein Tor geschossen hat, und lachte. Das ist heute eine absolute Seltenheit, das ist eher eine Anspannung, die sich da kundtut.

    Gebauer: Ja, und das zeigt ja, dass nicht nur die Rhetorik sich angenähert hat, sondern es ist eine ähnliche Mentalität, die wir in beiden Feldern beobachten können, das heißt, eine absolute Mentalität des Gewinnenwollens, eine Missachtung des Zweiten und der Platzierten, the winner takes all und so weiter, das Gewinnen ist das Einzige, was es gibt, alles andere zählt nicht. Das ist so ein grundlegendes Handlungsmodell, das eigentlich bei uns inzwischen in allen Konkurrenzfeldern vorhanden ist.

    Das ist ja nicht nur die Kriegsrhetorik, das ist ja in gewisser Hinsicht eine Rhetorik, die eigentlich nur noch das Einzige und allein das Erwählte, das, was alles andere ausschaltet, gelten lässt, dass es im Grunde genommen viel stärker noch aus dem religiösen Bereich kommt. So etwas wie eine Erwählung des Siegers, aber gleichzeitig auch die Unsicherheit der Existenz, weil der Sieger ja im nächsten Moment wieder abstürzen kann. Das ist ja das Interessante, was den Sport und die Wirtschaft so stark annähert. Das, was einmal gewonnen ist, ist nicht definitiv gewonnen.

    Novy: Aber der ewige Gewinner ist langweilig, während der Verlierer die attraktivere Figur auf lange Sicht ist. Stimmt das nicht?

    Gebauer: Na, aber der ewige Verlierer ist ja wohl das Langweiligste, was es überhaupt gibt.

    Novy: Auch wieder wahr.

    Gebauer: Der Gewinner, der aufsteigt aus dem Nichts, vielleicht gerade nach… Hoffenheim ist natürlich ein wunderbares Beispiel, aus dem Nichts aufgestiegen, aus der zweiten Liga kommt er rein und dann ist er Herbstmeister und das Schönste wäre natürlich jetzt - von der dramatischen Geschichte her, nicht von den Liebhabern dieses Vereins - dass er jetzt wieder abstürzt.

    Novy: Da kann man ja wieder den Bogen schlagen zur Rhetorik und zur Metaphorik der aktuellen Krise, in der wir uns ja ein bisschen baden.

    Gebauer: Ja, es ist ja so, dass diese Krise etwas spiegelt, was jeder Mensch in seinem eigenen Leben schon erlebt hat, und insofern kann man ein Wirtschaftsgeschehen auf eigenes Lebensgeschehen übertragen oder umgekehrt, das eigene Lebensgeschehen mit Krankheiten oder mit Verlust oder mit Siegen, die man errungen hat, mit Diplomen, die man zwischendurch hatte, mit Sparguthaben, die man wieder verloren hat und so weiter, alles dies spiegelt sich gegenseitig und verbindet eigentlich das Aktiengeschehen, das ja normalerweise völlig undurchsichtig ist, was kein Mensch wirklich erklären kann, das spiegelt sich sozusagen im eigenen Leben und erhält dadurch - jedenfalls vordergründig - eine gewisse Verständlichkeit.

    Novy: Das war Gunter Gebauer, Philosoph und Sportsoziologe an der FU Berlin.