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"Die Kinderrechte in Deutschland sind vergleichsweise gut verwirklicht"

"Diese Menschenrechtskonvention für Kinder ist ein Meilenstein", sagt Wolf-Christian Ramm, Pressesprecher von Terre des Hommes. Obwohl sie in fast allen Ländern ratifiziert worden ist, sei es wichtig auf die Umsetzung zu achten.

Wolf-Christian Ramm im Gespräch mit Gerd Breker |
    Gerd Breker: Heute feiert die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen ihren 20. Geburtstag. Sie wurde im November 1989 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet und sie gilt in gewisser Weise als Konvention der Superlative. Kein anderes Menschenrechtsdokument ist so schnell ratifiziert worden und keines hat so viele Unterzeichnerstaaten vorzuweisen. Die Kinderliebe, so sieht es aus, kennt keine Grenzen - in der Theorie. Mit der Umsetzung der Bestimmungen hapert es allerdings. Kinderarbeit, Kinderehen und Kinderprostitution sind in vielen Ländern immer noch weit verbreitet. Am Telefon begrüße ich nun Wolf-Christian Ramm. Er ist Pressesprecher von Terre des Hommes. Guten Tag, Herr Ramm.

    Wolf-Christian Ramm: Einen schönen guten Tag.

    Breker: Herr Ramm, 20 Jahre Kinderkonvention. Was hat es gebracht?

    Ramm: Es hat einiges gebracht. Ich denke, diese Menschenrechtskonvention für Kinder ist, was die Verlautbarungsebene anbetrifft, was auch die Bewusstseinsebene für die Rechte des Kindes anbetrifft, ein Meilenstein. Es ist eine Zusammenstellung, in der die Rechte und die Ansprüche, die Kinder an die Welt der Erwachsenen haben dürfen, kodifiziert sind und das Dokument ist von nahezu allen Staaten ratifiziert worden. Damit haben sich alle Staaten, Ausnahme USA und Somalia, dazu bekannt, die Kinderrechte ernst zu nehmen und in ihre gesetzliche, also nationale Gesetzgebung umzusetzen. Das ist erst mal ein großer Erfolg der internationalen Gemeinschaft. Aber das reicht natürlich nicht, sich nur dazu zu bekennen, sondern man muss diese Umsetzung auch tatsächlich vornehmen. Man muss vor allen Dingen umdenken. Man muss Kinder als Rechtssubjekte, also als Personen, die einen Anspruch auf eigene Rechte haben, ernst nehmen und man muss ihre Interessen dann auch in den Mittelpunkt seiner Überlegungen stellen. Die Konvention zu ratifizieren und abzuheften alleine reicht natürlich nicht.

    Breker: Nur was nützt es, wenn Theorie und Praxis so weit auseinanderklaffen, Herr Ramm? Gibt es eine Institution der Vereinten Nationen, die überprüft, inwieweit die Kinderrechte auch tatsächlich in nationale Gesetzgebung umgesetzt werden?

    Ramm: Ja, diese Institution gibt es. Es gibt den UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes. Das ist ein Ausschuss, vor dem alle fünf Jahre alle Unterzeichnerstaaten der Konvention Auskunft darüber geben müssen, wie sie in ihren jeweiligen Ländern die Rechte des Kindes umgesetzt haben, und genau das ist auch der Hebel, den Nichtregierungsorganisationen wie wir von Terre des Hommes nutzen, denn dort werden die Berichte der Regierung diskutiert und dort wird man sehr genau gucken müssen, ob es zum Beispiel stimmt, wenn die Bundesregierung mitteilt, dass in Deutschland die Kinderrechte optimal verwirklicht sind, ist das überhaupt richtig. Dort kann man auch schauen, wenn Länder, in denen krasse Menschenrechtsverletzungen herrschen, mitteilen, dass die Kinderrechte bei ihnen auf gutem Wege, oder nahezu verwirklicht sind. Das ist ein Punkt, der für uns sehr, sehr wichtig ist und wo wir als Nichtregierungsorganisation auch unsere Wächterfunktion ernst nehmen müssen.

    Breker: Wir haben eben gehört, Herr Ramm, dass die armen Länder denken, Kinderrechte sind ein Problem in den reichen Ländern, und die reichen Länder denken, Kinderrechte sind ein Problem der armen Länder. Sie haben Deutschland erwähnt. Wie sieht es denn bei uns aus?

    Ramm: Wenn man international vergleicht, sind natürlich die Kinderrechte in Deutschland vergleichsweise gut verwirklicht. Das hat etwas mit dem allgemeinen Lebensstandard in Deutschland zu tun. Aber die Annahme, dass es in Deutschland überhaupt nichts zu tun gibt, ist sicherlich falsch. Ein ganz klares Beispiel ist der Artikel 22 der Kinderrechtskonvention. Dort geht es um den Schutz minderjähriger Flüchtlinge, die nach Deutschland gekommen sind. Diese Kinder, Kinderflüchtlinge haben nach den Bestimmungen der Konvention Schutz und Fürsorge der deutschen Behörden zu genießen. Die Bundesregierung hat mit der Ratifizierung der Kinderrechtskonvention einen Vorbehalt hinterlegt, der sinngemäß besagt, dass in Deutschland weiterhin das Ausländergesetz für diese Kinder gilt, nicht die Konvention, und das bedeutet, dass diese Kinder in aller Regel in ein Asylverfahren gedrängt werden, dass sie nicht kindgerecht und vor allen Dingen wie Erwachsene behandelt werden, dass sie im Zweifelsfall geschätzt werden, was ihr Alter anbetrifft. Oft ist es so, dass das Alter höher geschätzt wird. Dazu wird eine fragwürdige Methode der Analyse der Handwurzelknochen verwendet. Das sind Bereiche, wo wir sagen, hier wird gegen die Kinderrechte verstoßen. Aber hier im neuen Koalitionsvertrag gibt es ja die Aussage der Bundesregierung, dass man an die Abschaffung dieses Vorbehaltes denkt, und wir sind sehr gespannt und werden sehr genau verfolgen, was die Bundesregierung nun unternimmt, um zum Beispiel für diesen Personenkreis, also für die minderjährigen Flüchtlinge in Deutschland, endlich auch die Kinderrechte zu verwirklichen.

    Breker: Das werden wir auch gespannt verfolgen. Wolf-Christian Ramm war das. Er ist Pressesprecher von Terre des Hommes. Danke für dieses Gespräch.