Die Geschichte ist ebenso schockierend wie "Geschenkt", der Text, mit dem Alissa Walser 1992 den Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen hatte. Damals brüskierte die zweitjüngste Tochter von Martin Walser die feine literarische Gesellschaft mit einer inzestuös gefärbten Vater-Geschichte. Die Spekulationen über den möglichen Realitätsgehalt des gewagten Debüts wollten kein Ende nehmen, so daß sich die Autorin immer wieder genötigt sah, den Kunstcharakter ihrer Prosa zu betonen. Als sie 1994 die Klagenfurter Erfolgsstory zusammen mit neun weiteren Geschichten veröffentlichte, wählte sie einen absolut unmißverständlichen Titel: "Dies ist nicht meine ganze Geschichte". Dazu die Autorin:
"Daß die Klagenfurt-Geschichte hinterher so autobiographisch gedeutet wurde, das hätte ich auch in Klagenfurt nicht gedacht. Denn in Klagenfurt war das eigentlich nicht der Fall. Von den Juroren hat keiner die Geschichte so gedeutet. Und es war eigentlich hinterher die Presse, die sich darauf gestürzt hat. Da war ich, das muß ich sagen, ziemlich naiv. Daran hätte ich gar nicht gedacht. Vielleicht mal als Frage, Interessenfrage, die kann man ja auch beantworten. Aber daß es so ein ganz großes Interesse hervorgerufen hat an dem Punkt, das kann ich immer noch nicht verstehen.- vielleicht insofern verstehen, als ich die Presse heute anders sehe."
"Bitte schicken Sie mir unbedingt Ihre Fragen vorab", sagt die 39-jährige Künstlerin bei unserer Verabredung zum Interview in ihrem Atelier in der Nähe des Frankfurter Hauptbahnhofs. Eine Zeile aus einem Schumann-Lied, erklärt sie, sei seit Jahren ihr bewährtes Lebensmotto: "Hüte dich - sei wach und munter!" Deswegen wolle sie die Fragen am liebsten schwarz auf weiß - im voraus.
Eine der vier Töchter des Literaturmagnaten Martin Walsers zu sein, ist offenbar keine leichte Übung. Daß die drei Schwestern ebenfalls Theater-Kunst- und Literaturschaffende sind, kommt hinzu. Insofern ist Alissa Walsers Vorsicht in vielerlei Hinsicht beredt. Sie läßt Verletzbarkeit erahnen und gleichzeitig erinnert sie an die distanzierte, sezierende Ich-Erzählerin ihrer Geschichten.
Diese kennt die "Kleinere Hälfte der Welt" mitsamt ihren Bewohnern: Menschen, die sich in ungeklärten, teilweise gewalttätigen Beziehungen zueinander befinden. Menschen, die Gutes beabsichtigen, aber Verwüstungen anrichten.
Insbesondere die Frauen verhalten sich untereinander seltsam bezugslos und maliziös. Sie rauben einander die Männer, den Schmuck und die Illusionen. In der titelgebenden Erzählung distanziert sich die Tochter von den Lebenslügen der Mutter mit blankem Sarkasmus: "Dein Garten, kaum größer als der Wohnzimmerteppich, ist schon losgegangen wie ein Feuerwerk: Iris und Rosen, auf dem Rasen Galaxien von Gänseblümchen. Die kleinere Hälfte der Welt, sagst du, aber immerhin. Wenn man's so schön hat daheim, sagst du, braucht man nicht wegzufahren." Dazu die Autorin:
"Geschrieben habe ich immer in irgendeiner Form seit ich schreiben kann. Als Kind viel Tagebuch. Ich habe immer so Blindbände von meinen Eltern geschenkt bekommen. Und habe da immer schon geschrieben und gezeichnet. Als ich Malerei studiert habe, habe ich auch irgendwie immer geschrieben, aber ich habe nie konkret Geschichten geschrieben."
Als Abiturientin begann Alissa Walser zunächst zusammen mit dem Vater, später dann im Alleingang - literarische Übersetzungen aus dem Englischen anzufertigen. Die anglophile Literatin hat diverse Theaterstücke übersetzt, u.a.von Albee und Oates und "Die Tagebücher" von Sylvia Plath.
Autobiographische Bezüge ihres eigenen Schreibens weist Alissa Walser weit von sich. Sie bearbeitet ihre Geschichten so lange, bis sie emblematisch und modellhaft sind. Ihre Erzählsituationen sind immer konflikthaft Aufgeladen und symbolhaft übehöht. Zufall ist dies keineswegs:
"Was mich daran interessiert, ist etwas anzutippen, in welche Richtung man bei so einem Konflikt denken könnte. Es interessiert mich weniger dann den Konflikt zu lösen. Die Realität ist eine andere als die vorgestellte Realität."
Zu ihren literarischen Laborversuchen kam Alissa Walser über den Umweg der Kunst. In den 80er Jahren studierte sie Malerei in New York mit einem Jahr Unterbrechung in Wien. Die Spuren ihrer künstlerischen Vergangenheit sind sich in allen Büchern, die sie bislang veröffentlicht hat, erkennbar. In "Traumhochzeit", erschienen 1990 unter dem Pseudonym Fanny Gold, begleiten die farbenfrohen gegenständlich-figürlichen Bilder den Text auf konvetionelle illustrative Weise. Auf den ersten Blick könnte man dieses abgründige Märchen aus der Barbie-Welt sogar für ein harmloses Kinderbuch halten. Bei den beiden bisher erschienenen Erzählbänden ist das Verhältnis zwischen Bild und Text ebenso eigenständig wie rätselhaft:
"Ich bin zu dieser Form des Schreibens übers Zeichnen gekommen. Ich komme von einer sehr großformatigen Malerei her. Also eine Malerei, die sehr stark vom Material beeinflußt ist. Ich habe mit richtig schwerem Material gearbeitet. Nicht figürlich, Ölmalerei mit Wachs. Das habe ich einige Jahre lang gemacht und habe dann gemerkt, daß ich das Material immer weniger leiden kann./.../ Und habe dann angefangen zu zeichnen, wurde auch dann wieder ganz linear. Irgendwann bin ich dann zum Filzstift gekommen, und das ist seit einigen Jahren mein Medium auch geblieben."
Alissa Walser blättert durch ihre Arbeiten der vergangenen Jahre: Akte, viele erotische Zeichnungen, Liebespaare, die, je nach Blickwinkel, wie ein einziges Wesen erscheinen, Tiere, undefinierbare Wesen - weder Tier noch Mensch und dennoch faszinierende Kreaturen. Die doppelte Lesbarkeit der Dinge und zwar im konkreten wie im übertragenen Sinn, sagt sie, sei für sie eine der faszinierendsten Entdeckungen überhaupt. Wie emst ihr der Brückenschlag zwischen der Bildenden Kunst und dem Schreiben ist, zeigt unter anderem auch die Tatsache, daß sie die Gestaltung ihres neuen Buches vom Umschlag über den Satz bis zum roten Lesebändchen in ihrem Frankfurter Grafikbüro FaGoTt entwickelt hat. Die Autorin:
"Ich freue mich, daß das Buch existiert. Für mich ist ja beim Buch auch die Gestaltung ganz wichtig. Hier habe ich den Umschlag gestaltet. Ich habe inzwischen auch so etwas wie ein Grafikbüro gegründet. Und ich konnte damals nicht mit Schrift. Die Schrift ist vom Verlag. Und hier das ist das Gesamte jetzt in meinem Grafikbüro gestaltet. Also ja, mit der Gestaltung bin ich sehr zufrieden und ich finde es wunderschön gemacht und es ist von der Farben her genau wie ich das haben wollte und eben auch mit der Zeichnung. Und dann finde ich es eben auch innen sehr schön gemacht. Da ist einfach sehr viel Konzentration in dem Buch auch in der Gestaltung drin. Man sieht, wenn man jetzt nicht so darauf achtet....also hier werden Sie keine Nachlässigkeiten finden, wie sie sonst eigentlich in jedem Buch inzwischen zu finden sind."
"Daß die Klagenfurt-Geschichte hinterher so autobiographisch gedeutet wurde, das hätte ich auch in Klagenfurt nicht gedacht. Denn in Klagenfurt war das eigentlich nicht der Fall. Von den Juroren hat keiner die Geschichte so gedeutet. Und es war eigentlich hinterher die Presse, die sich darauf gestürzt hat. Da war ich, das muß ich sagen, ziemlich naiv. Daran hätte ich gar nicht gedacht. Vielleicht mal als Frage, Interessenfrage, die kann man ja auch beantworten. Aber daß es so ein ganz großes Interesse hervorgerufen hat an dem Punkt, das kann ich immer noch nicht verstehen.- vielleicht insofern verstehen, als ich die Presse heute anders sehe."
"Bitte schicken Sie mir unbedingt Ihre Fragen vorab", sagt die 39-jährige Künstlerin bei unserer Verabredung zum Interview in ihrem Atelier in der Nähe des Frankfurter Hauptbahnhofs. Eine Zeile aus einem Schumann-Lied, erklärt sie, sei seit Jahren ihr bewährtes Lebensmotto: "Hüte dich - sei wach und munter!" Deswegen wolle sie die Fragen am liebsten schwarz auf weiß - im voraus.
Eine der vier Töchter des Literaturmagnaten Martin Walsers zu sein, ist offenbar keine leichte Übung. Daß die drei Schwestern ebenfalls Theater-Kunst- und Literaturschaffende sind, kommt hinzu. Insofern ist Alissa Walsers Vorsicht in vielerlei Hinsicht beredt. Sie läßt Verletzbarkeit erahnen und gleichzeitig erinnert sie an die distanzierte, sezierende Ich-Erzählerin ihrer Geschichten.
Diese kennt die "Kleinere Hälfte der Welt" mitsamt ihren Bewohnern: Menschen, die sich in ungeklärten, teilweise gewalttätigen Beziehungen zueinander befinden. Menschen, die Gutes beabsichtigen, aber Verwüstungen anrichten.
Insbesondere die Frauen verhalten sich untereinander seltsam bezugslos und maliziös. Sie rauben einander die Männer, den Schmuck und die Illusionen. In der titelgebenden Erzählung distanziert sich die Tochter von den Lebenslügen der Mutter mit blankem Sarkasmus: "Dein Garten, kaum größer als der Wohnzimmerteppich, ist schon losgegangen wie ein Feuerwerk: Iris und Rosen, auf dem Rasen Galaxien von Gänseblümchen. Die kleinere Hälfte der Welt, sagst du, aber immerhin. Wenn man's so schön hat daheim, sagst du, braucht man nicht wegzufahren." Dazu die Autorin:
"Geschrieben habe ich immer in irgendeiner Form seit ich schreiben kann. Als Kind viel Tagebuch. Ich habe immer so Blindbände von meinen Eltern geschenkt bekommen. Und habe da immer schon geschrieben und gezeichnet. Als ich Malerei studiert habe, habe ich auch irgendwie immer geschrieben, aber ich habe nie konkret Geschichten geschrieben."
Als Abiturientin begann Alissa Walser zunächst zusammen mit dem Vater, später dann im Alleingang - literarische Übersetzungen aus dem Englischen anzufertigen. Die anglophile Literatin hat diverse Theaterstücke übersetzt, u.a.von Albee und Oates und "Die Tagebücher" von Sylvia Plath.
Autobiographische Bezüge ihres eigenen Schreibens weist Alissa Walser weit von sich. Sie bearbeitet ihre Geschichten so lange, bis sie emblematisch und modellhaft sind. Ihre Erzählsituationen sind immer konflikthaft Aufgeladen und symbolhaft übehöht. Zufall ist dies keineswegs:
"Was mich daran interessiert, ist etwas anzutippen, in welche Richtung man bei so einem Konflikt denken könnte. Es interessiert mich weniger dann den Konflikt zu lösen. Die Realität ist eine andere als die vorgestellte Realität."
Zu ihren literarischen Laborversuchen kam Alissa Walser über den Umweg der Kunst. In den 80er Jahren studierte sie Malerei in New York mit einem Jahr Unterbrechung in Wien. Die Spuren ihrer künstlerischen Vergangenheit sind sich in allen Büchern, die sie bislang veröffentlicht hat, erkennbar. In "Traumhochzeit", erschienen 1990 unter dem Pseudonym Fanny Gold, begleiten die farbenfrohen gegenständlich-figürlichen Bilder den Text auf konvetionelle illustrative Weise. Auf den ersten Blick könnte man dieses abgründige Märchen aus der Barbie-Welt sogar für ein harmloses Kinderbuch halten. Bei den beiden bisher erschienenen Erzählbänden ist das Verhältnis zwischen Bild und Text ebenso eigenständig wie rätselhaft:
"Ich bin zu dieser Form des Schreibens übers Zeichnen gekommen. Ich komme von einer sehr großformatigen Malerei her. Also eine Malerei, die sehr stark vom Material beeinflußt ist. Ich habe mit richtig schwerem Material gearbeitet. Nicht figürlich, Ölmalerei mit Wachs. Das habe ich einige Jahre lang gemacht und habe dann gemerkt, daß ich das Material immer weniger leiden kann./.../ Und habe dann angefangen zu zeichnen, wurde auch dann wieder ganz linear. Irgendwann bin ich dann zum Filzstift gekommen, und das ist seit einigen Jahren mein Medium auch geblieben."
Alissa Walser blättert durch ihre Arbeiten der vergangenen Jahre: Akte, viele erotische Zeichnungen, Liebespaare, die, je nach Blickwinkel, wie ein einziges Wesen erscheinen, Tiere, undefinierbare Wesen - weder Tier noch Mensch und dennoch faszinierende Kreaturen. Die doppelte Lesbarkeit der Dinge und zwar im konkreten wie im übertragenen Sinn, sagt sie, sei für sie eine der faszinierendsten Entdeckungen überhaupt. Wie emst ihr der Brückenschlag zwischen der Bildenden Kunst und dem Schreiben ist, zeigt unter anderem auch die Tatsache, daß sie die Gestaltung ihres neuen Buches vom Umschlag über den Satz bis zum roten Lesebändchen in ihrem Frankfurter Grafikbüro FaGoTt entwickelt hat. Die Autorin:
"Ich freue mich, daß das Buch existiert. Für mich ist ja beim Buch auch die Gestaltung ganz wichtig. Hier habe ich den Umschlag gestaltet. Ich habe inzwischen auch so etwas wie ein Grafikbüro gegründet. Und ich konnte damals nicht mit Schrift. Die Schrift ist vom Verlag. Und hier das ist das Gesamte jetzt in meinem Grafikbüro gestaltet. Also ja, mit der Gestaltung bin ich sehr zufrieden und ich finde es wunderschön gemacht und es ist von der Farben her genau wie ich das haben wollte und eben auch mit der Zeichnung. Und dann finde ich es eben auch innen sehr schön gemacht. Da ist einfach sehr viel Konzentration in dem Buch auch in der Gestaltung drin. Man sieht, wenn man jetzt nicht so darauf achtet....also hier werden Sie keine Nachlässigkeiten finden, wie sie sonst eigentlich in jedem Buch inzwischen zu finden sind."