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Die Ko-Fabrik in Bochum
Wo man sich seinen Arbeitsplatz erarbeiten muss

Die Eisenfabrik in der Bochumer City stand lange leer. Jetzt bietet sie Menschen Platz zum Arbeiten. Aber wer das will, muss es sich erarbeiten. Mit einer Stunde gemeinnütziger Arbeit pro genutztem Quadratmeter Fläche.

Von Kai Rüsberg | 11.06.2019
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Wie andere Ruhrgebietsstädte ist Bochum voller alter Industrieanlagen, viele davon heute anders genutzt (imago stock&people)
Der Verkehr auf dem vierspurigen Bochumer Innenstadtring rauscht nur wenige Meter entfernt an einer kleinen grünen Oase vorbei. Philipp Asshauer steht auf dem Wiesengrundstück unter den gewaltigen Platanen. Er ist Projektmanager der Urbanen Nachbarschaft Imbuschplatz:
"Und wir laden die Nachbarschaft ein, es zu einem schönen Nutzgarten, zur Spielwiese, zum Freizeitort zu machen. Wir wollen Nachbarn, die wirklich ein echtes Bedürfnis danach haben, hier vielleicht ein eigenes Beet zu haben, und die keinen Garten haben, also wo eine echte Verbindlichkeit und Verantwortung entsteht."
Nebenan ist die Zentrale, die Ko-Fabrik. Es ist eine denkmalgeschützte ehemalige Eisenfabrik, die trotz der Nähe zur Innenstadt länger leer stand.
Alte Eisenfabrik wird zum Nachbarschaftszentrum
Eine Hälfte wurde innen bereits für eine Büronutzung umgebaut. Auf der anderen Seite soll nun das Ko-Werk entstehen. Aus der Halle sollen die Zwischendecken herausgebrochen werden, um so einen Ort für handwerkliche Produktion zu erschaffen, sagt Philipp Asshauer:
"Hier erhoffen wir uns von dem Ko-Werk, wir schreiben erstmal urbane Produktion drüber, dass im anderen Bereich eher gedacht wird und hier eher gemacht wird. Das wäre natürlich schön und wenn man die Produktion wieder in die Quartiere reinbekommt, ist es in gewisser Weise auch ein Lernort, wenn man hier Unternehmen im Bereich der Produktion findet, die zum Beispiel auch Workshops anbieten, fällt auch der ein oder andere Arbeitsplatz dabei rum."
Die Ko-Fabrik liegt in Sichtweite des Rathauses, in einem Stadtteil, in dem vor 100 Jahren die Arbeiter der umliegenden Stahlwerke wohnten. Seit den 70er-Jahren hatten sich hier Zuwanderer zunächst aus der Türkei niedergelassen. Oberbürgermeister Thomas Eiskirch hofft, dass von dem Engagement des gemeinwohl-orientierten Nachbarschaftsprojekts ein Impuls zur Weiterentwicklung des Quartiers ausgeht:
"Kurzfristig hätte man wahrscheinlich mehr Geld bekommen können, aber ich glaube, dass wir so langfristig mehr Wert bekommen und zwar Mehrwert für eine Quartiersentwicklung, für eine kreative Urbanität, für Menschen, die in ein Quartier kommen mit dem was sie beruflich machen, mit dem was die gesellschaftlich mitbringen. Ich glaube, dass am Ende für uns alle da mehr bei rumspringt, als jetzt einmal die 'Schnelle Mark', einen schnellen Euro zu machen. Und wenn ich richtig mitbekomme, wer jetzt schon hier Interesse dran hat, einzieht und sich engagiert, dann sind das eben junge Unternehmer, die neue Idee nach Bochum transportieren danach diese Ideen aus Bochum sozusagen in die ganze Welt."
Mehrwert für die Stadt Bochum
Die Stadt Bochum hat das Gebäude jetzt gezielt nicht etwa an einen Immobilieninvestor, sondern an die Montag Stiftung verpachtet. Sie sorgt dafür, dass die Mieter auch etwas an die Menschen im Viertel weitergeben. Jeder verpflichtet sich, pro Quadratmeter Fläche pro Jahr eine Stunde gemeinwohlorientierte Arbeit zu leisten:
"Das, was hier passieren soll, ist ja, dass eine Quartiersentwicklung aus sich selbst heraus passiert, also nicht: Da kommt einer und die Stadt stellt zwei Leute zu Verfügung, die sich darum kümmern, dass da was passiert, sondern diejenigen, die hier einziehen, denen Raum zur Verfügung gestellt wird, unterstützt durch die Montag Stiftung, das sind diejenigen, die selbst im Quartier was zurückgeben, die mit dem was sie können, mit dem was sie an besonderen Talenten haben, sagen, für jeden Quadratmeter, den ich hier miete, zahle ich nicht nur Geld, sondern gebe ich ins Quartier auch eine Stunde meiner Dienstleistungen."
Im obersten Stockwerk haben sich zwei Existenzgründer auf ein paar hundert Quadratmetern eingerichtet. Sie wollen unter dem alten Fabrikdach einen Ko-Arbeitsplatz anbieten, in den sich andere Kreative mit einem Schreibtisch einmieten können, erläutert Samuel Kumanan, der hier mit Ronny Hanatschek Betreiber ist:
"Soll eine Plattform sein, für Leute, die Bock haben oder Raum suchen, sich entfalten zu können. Leute, die sagen, ich bin jetzt freiberuflich unterwegs, möchte mir Netzwerk schaffen, möchte mit Menschen zusammenarbeiten, die vielleicht ähnlich ticken wie ich, die sollen hier die Chance haben, anzukommen und wachsen zu können."
"Es ist unser Traum oder die Sache dahinter ein bisschen weitreichender: Wir werden Ende des Jahres, Anfang nächsten Jahres im Erdgeschoss auch eine Café-Fläche eröffnen."
Bisher sind in der früheren Eisenfabrik in Bochum 35 Arbeitsplätze entstanden.