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"Die Koreaner werden uns nicht verzeihen"

Korea war bis 1945 eine Kolonie Japans. Heute leben rund 700.000 Koreaner in Japan. Aber ein Zuhause haben die meisten in Tokio nicht gefunden – sie können die Benachteiligungen nicht vergessen, die ihnen von Japanern während der Kolonialzeit zugefügt wurden.

Von Silke Ballweg | 19.06.2010
    In einem weitläufigen, gut fünf auf neun Meter großen Raum tanzen ältere Frauen langsam zum Rhythmus der Musik. Auf dicken Wollsocken machen sie immer wieder ein paar Schritte vor und zurück, manche tragen eine Plastikblume im Haar. Sie wirken konzentriert, bemühen sich sehr, alles richtig zu machen. Entlang der Wände sind metallene Klappstühle aufgereiht.

    Mehrmals in der Woche besuchen einige Dutzend Senioren dieses koreanische Kulturzentrum in der Stadt Kawasaki in der Nähe Tokios. Dann kochen sie zusammen, an festgelegten Tagen wird der Tanzkurs angeboten, wer will, kann japanische Schriftzeichen studieren. Sie kommen ein oder zwei Mal in der Woche hierher, sind siebzig Jahre alt oder älter. Viele sind als Kinder aus Korea gekommen, so auch Kim Mun Ja:

    "Mein Vater ist nach Japan gegangen, weil er hier Arbeit suchte. Und so sind meine Mutter und ich irgendwann nachgekommen. Das war Ende der dreißiger Jahre, so genau weiß ich das nicht mehr."

    Kim Mun Ja ist Ende 70, sie hat eine kräftige Stimme und ein lautes Lachen. Ganz anders als Japaner, die sich eher vornehm zurückhalten. Aber: Japanisch fühlt sich hier im koreanischen Kulturzentrum ohnehin kaum jemand, mehr als 60 Jahre nach Kriegsende leben Japaner und Koreaner nebeneinander her. Viele Japaner wüssten oft gar nicht, dass Koreaner in ihrer Nachbarschaft wohnen, erzählt Kim Mun Ja. Wie sie selbst versuchten die meisten Koreaner, ihre Herkunft zu verbergen.

    "Ich habe einen japanischen Namen, der lautet Sugiyama. Deswegen konnte ich hier immer versteckt leben, ohne dass die Leute wussten, dass ich Koreanerin bin."

    Wie alle anderen älteren Koreaner nahm Kim Mun Ja ihren japanischen Namen nicht freiwillig an. Es geschah 1940 auf Geheiß der Tokioter Regierung, die den Einfluss der koreanischen Kultur zurückdrängen wollte. Und weil Koreaner während der vergangenen Jahrzehnte in Japan immer wieder angefeindet wurden, bemühen sich viele Koreaner bis heute, hinter dem japanischen Namen ihre wahre Identität zu verbergen.

    Unmittelbar nach der Annexion Koreas im Jahr 1910 begann Japan mit der Ausbeutung von Rohstoffen im neuen Herrschaftsbereich. Japaner wurden in Korea angesiedelt, um das neue Territorium langfristig für Tokio zu sichern. Oppositionelle in Korea wurden zu Tausenden in Gefängnisse gesperrt. Und aus einem Gefühl kultureller Überlegenheit heraus unterdrückte Japan die koreanische Kultur und wollte, dass Korea japanisch wird. Ab 1938 durfte etwa an den Schulen in Korea nicht länger in der Landessprache unterrichtet werden. Mit Japans Kriegseintritt verschärfte sich die Situation für die Koreaner weiter: Japan verschleppte rund 200.000 koreanische Mädchen und Frauen an die japanische Front, wo sie von japanischen Soldaten in Militärbordellen zum Sex gezwungen wurden. Hunderttausende Koreaner wurden wiederum als Zwangsarbeiter nach Japan gebracht und mussten vor allem in Rüstungsbetrieben und Bergwerken schuften.

    Rund 600.000 Koreaner blieben nach dem Ende der japanischen Kolonialherrschaft 1945 in Japan - auch die Seniorinnen in Kawasaki. Doch Japan wollte sie nicht und nahm ihnen schließlich den Pass, erzählt Sven Saaler, Professor für japanische Geschichte an der Sophia Universität in Tokyo:

    "Bis 1945 waren sie Japaner, hatten japanische Staatsangehörigkeit, natürlich war das nicht für alle positiv, denn sie waren ja koloniale Subjekte des japanischen Kaiserreiches. Aber 1945, die Koreaner, die in Japan lebten, blieben in Japan, konnten nicht zurück, hatten selbst auch nicht die finanziellen Mittel und konnten das auch wegen des Koreakrieges nicht, aber verloren ihre japanische Staatsangehörigkeit und waren auf einmal in einem fremden Land staatenlos und für viele ist das eben bis heute noch ein Problem."

    So auch für die Frauen im Kulturzentrum in Kawasaki. Staatenlos hieß für sie, dass sich weder Japan noch Korea für sie zuständig fühlte und keiner sich ihrer annahm. Erst 1965 nahmen Japan und Korea diplomatische Beziehungen auf, was es den Staatenlosen möglich machte, die südkoreanische Staatsbürgerschaft zu beantragen. Die Frauen in Kawasaki machen Japan noch heute dafür verantwortlich, dass sie in der Vergangenheit immer wieder diskriminiert wurden. Dass Japaner keine Wohnungen an sie vermieten wollten, dass sie oft nur die Arbeit bekamen, die Japaner nicht machen wollten. Dass man sie spüren ließ, dass sie unerwünscht waren. Bis heute. Um dem zu entgehen, haben Kim Mun Jas Söhne die japanische Staatsbürgerschaft angenommen:

    "Meine Söhne fühlen sich nicht wie Japaner, aber sie wollen diese Maske aufsetzen. So werden sie nicht länger diskriminiert und können besser leben. Denn wenn man Japaner ist, bekommt man auch die guten Jobs. Es ist schade, aber so ist das halt."

    Private Kontakte gibt es zwischen Japanern und Koreanern in der älteren Generation so gut wie nicht. Und so ist Hiroko Suzuki eine Ausnahme. Seit mehr als zehn Jahren kommt die 72-jährige Japanerin regelmäßig ins Kulturzentrum in Kawasaki. Mit den Koreanern übt sie japanische Schriftzeichen. Zu den Frauen hat sie mittlerweile eine innige Beziehung aufgebaut, und doch kann sie nicht vergessen, was zwischen ihnen steht:

    "Die Erziehung in Japan ist so, dass man auf Koreaner herabschaut, auch wenn man eigentlich weiß, dass alle Menschen gleich sind. Und jedes Mal, wenn ich hier bin, merke ich, dass ich ganz automatisch viele diskriminierende Worte benutze. Deswegen sind die Besuche hier für mich so gut, hier werde ich mir meiner Gedanken bewusst."

    Als junges Mädchen hat Hiroko Suzuki in der Schule kaum etwas über Japans koloniale Vergangenheit gelernt. Vom Schicksal der Koreaner hat sie erst hier im Kulturzentrum erfahren. Sie schämt sich für ihr Land, kann kaum aushalten, dass sich die Japaner ihrer Vergangenheit so wenig bewußt sind. Mit ihrer Hand fährt sich die schmale, grauhaarige Frau über die Augen. Und dann rinnen Tränen die Wangen herab:

    "Egal, was wir machen, diese Frauen werden uns Japanern nicht verzeihen. Ich denke immer, dass die Koreanerinnen zu uns Japanern sagen wollen: Was habt Ihr uns angetan? Ihr seid schuldig. Nein, sie werden uns nicht verzeihen."