Heinlein: Erklärt das auch diese enorme Differenz der Schätzungen zwischen 40 und 3.000 Milliarden Euro?
Nienhaus: Nein, also nur zum Teil. Man muss einfach sehen, dass da ganz unterschiedliche Dinge in der Regel in einem Atemzug genannt werden. Das Eine sind die reinen Budgetkosten des Krieges, zum Beispiel Kosten die dadurch entstehen, dass Truppen bewegt werden, dass Munition eingesetzt wird. Das ist das, was unmittelbar etwa die 40 Milliarden ausmachen. Die ganz großen Beträge mit sehr vielen Nullen sind Kosten, die auch den Wiederaufbau, die Stabilisierung des Landes, andere sagen, die Besetzung des Landes einbeziehen und vor allen Dingen kumuliert sind über einen Zeitraum von bis zu zehn Jahren. Das kann man nicht so ohne Weiteres miteinander vergleichen.
Heinlein: 75 Milliarden US-Dollar hat Bush für diesen Krieg beantragt. Inwieweit sind dort die Kosten für die humanitäre Hilfe, die Besetzung des Landes und den Wiederaufbau mitberücksichtigt?
Nienhaus: Also nach den mir vorliegenden Zahlen sind lediglich 2,5 Milliarden dieses 75-Milliarden-Paketes Ausgaben für Hilfs- und Wiederaufbaumaßnahmen in 2003.
Heinlein: Ist diese Summe denn ausreichend?
Nienhaus: Nein, auf gar keinen Fall. Zumindest für humanitäre Hilfe hat ja die UNO in diesen Tagen einen Aufruf gestartet, etwa 2,2 Milliarden US-Dollar bereitzustellen, und das betrifft jetzt nur die unmittelbare Flüchtlingshilfe, humanitäre Hilfe im Lande. Für den Wiederaufbau wird man sicherlich in der Größenordnung von 50 bis 100 Milliarden in absehbarer Zeit rechnen müssen, und dann kommt es sehr darauf an, wie man sich auch die Ölzukunft des Landes vorstellt, denn die Ölanlagen müssen modernisiert werden. Es wären sehr hohe Investitionen erforderlich, wenn man die Ölförderkapazität des Landes ausweiten wollte. Nur: Da kann man ja auch auf privates Investment hoffen. Von daher gehe ich mal davon aus, dass mindestens mit 50 bis 100 Milliarden öffentlicher Mittel für den Wiederaufbau in den nächsten vielleicht drei, vier, fünf Jahren zu rechnen ist.
Heinlein: Anders als im ersten Golfkrieg müssen die USA ja alleine diese finanzielle Hauptlast des Krieges tragen. Kann der US-Haushalt dies überhaupt verkraften?
Nienhaus: Ich glaube, schon. Wir reden zwar über gewaltige Milliardenbeträge. In absoluten Beträgen ist dieses sehr eindrucksvoll. Auf der anderen Seite, wenn Sie das mal in Prozent zum amerikanischen Sozialprodukt oder überhaupt zum Schuldenstand des amerikanischen Staates sehen, ist das durchaus noch in managebaren Größenordnungen, also zum Beispiel ist der Schuldenstand der Amerikaner etwa so, dass sie noch die Maastricht-Kriterien erfüllen das heißt ungefähr 60 Prozent des Bruttoinlandproduktes, und diese 70 Milliarden Defizit, das sind weniger als 1 Prozent des Sozialproduktes der USA. Also das sind keine dramatischen Größenordnungen.
Heinlein: Und wenn der Krieg länger dauert und teurer wird als erwartet, gibt es dann wirtschaftliche Risiken? Droht etwa ein Rekorddefizit, eine neue Verschuldung im US-Haushalt?
Nienhaus: Davon ist wahrscheinlich auszugehen. Das Problem für die wirtschaftliche Entwicklung ist aber nicht unbedingt dieses Rekorddefizit im Haushalt. Es ist zwar historisch auf Höchststand für die USA, aber immer noch in Größenordnung, die für sich genommen nicht wirklich die Bedrohung darstellen. Die Frage ist aber, welche Signale damit auf Investoren, auf Konsumenten, auf Haushalte ausgehen. Und da haben wir das große Problem, dass die Märkte nach wie vor verunsichert sind. Das klingt so etwas nach Gucken in die Glaskugel, aber das Problem ist folgendes: Wenn ich weiß, was im Grunde passieren kann, ich weiß noch nicht, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Schaden eintritt, dann kann ich das versuchen, in meinen Kalkulationen zu erfassen, aber wenn ich nicht weiß, was passieren wird, dann wird es ausgesprochen schwierig, mich darauf einzustellen, und wir erleben ja zur Zeit wieder eine neue Verunsicherung durch Drohungen in Richtung Iran, vor allen Dingen neuerdings Drohungen in Richtung Syrien. Was bedeutet das eigentlich? Plant man da auch eine Intervention, etwa nach dem Muster, nun haben wir keine chemischen Waffen im Irak gefunden, die sind alle nach Syrien geschafft worden, also ist das der nächste Staat der Massenvernichtungswaffen? Wenn solche Signale kommen, dann wird man wahrscheinlich sehr ungern in den USA investieren, jedenfalls in produktive Anlagen, die auch Ziel von Anschlägen werden könnten, die sehr davon abhängen, dass die Produkte gewinnträchtig verkauft werden können, und man wird sich stärker umsehen nach festverzinslichen Anlagen, vielleicht nach Staatspapieren, und das ist das, was wir im Moment auch schon erleben. Die Dollarschwäche oder die Eurostärke hat ein bisschen damit zu tun, dass sich Kapitalströme in Richtung Europa orientieren und da vor allen Dingen in den Bereich der festverzinslichen Anlagen gehen.
Heinlein: Was könnten denn die Auswirkungen dieser Verunsicherung für die globale Weltwirtschaft sein? Geht die Achterbahnfahrt an den Börsen und an den Ölmärkten weiter?
Nienhaus: Na ja, also zunächst scheinen wir unten auf der Achterbahn angekommen zu sein, und es gibt nur Wenige, die prognostizieren, dass es sehr bald wieder sehr steil aufwärts gehen wird. Das ist das Erste, also die rezessiven Tendenzen sind da, sie bauen sich auch nicht ab, und wenn es denn einen moderaten Aufschwung gab oder wenn man ihn vorhergesagt hat, dann wird man ihn wahrscheinlich für 2003 erst mal wieder zu den Akten legen müssen. Was die Ölmärkte angeht, da ist es sehr unsicher, wie es weitergehen wird. Der Irak hat ja nun die arabischen Nachbarstaaten aufgefordert, die Ölförderung nicht zu steigern, um die Preise nicht nach unten zu korrigieren. Es gibt Prognosen, die von 90 Dollar Ölpreis ausgehen. Das hätte natürlich gewaltige Auswirkungen auf die Weltkonjunktur. Das schlägt durch auf Wachstumsaussichten. Das führt zu einem Einkommenstransfer von den Ölverbraucherländern zu den Ölproduktionsländern. Andere gehen davon aus, dass der Ölpreis nach kurzen Spitzen, die wir im Moment erleben, wieder irgendwo auf dem langfristigen Trend einpendelt. Dann werden diese Effekte nur sehr moderat sein. Es ist ausgesprochen schwierig, in dieser Situation verlässliche Prognosen abzugeben. Man kann immer nur die Bedingungen nennen, unter denen bestimmte Probleme auftreten werden. Im Moment ist es wahrscheinlich so, dass sich die Probleme jedenfalls nicht abbauen.
Heinlein: Vielen Dank für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio
