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Die Kraft der vielen Herzen

In dieser Woche trafen sich in Frankfurt am Main die weltweit wichtigsten Forscher und Entwickler von Computerarchitekturen. Heiße Themen dabei waren "Organic Computing" mit global verteilten Systemen und virtuelle Prozessoren.

Manfred Kloiber im Gespräch mit Peter Welchering | 18.03.2006
    Manfred Kloiber: Die Themen des Treffens in Frankfurt markieren einen wichtigen Paradigmenwechsel bei der Entwicklung von Computerarchitekturen. Wie sieht der aus, Peter Welchering?

    Peter Welchering: "Der Tagungsleiter der Frankfurt Konferenz, Professor Klaus Waldschmidt, hat diesen Paradigmenwechsel so beschrieben, dass wir an der Schwelle der klassischen Computerarchitektur zu stark verteilten Systemen stehen. Und das hat eine Menge Konsequenzen. Künftig werden wir es nicht mehr mit einem PC auf dem Schreibtisch zu tun haben, sondern mit ganz vielen prozessorgesteuerten Geräten, die Diktate von uns aufnehmen, uns unsere Mail vorlesen, dafür sorgen, dass unsere Mail abgeschickt wird, die für uns Bibliotheks- und Datenbankrecherchen machen. Alle diese Prozessoren oder Computer umgeben uns, sind in Schreibtische, Bibliotheksschränke, unsere Kleidung oder die Armbanduhr eingebaut. Und man nennt diese Forschungsrichtung "Pervasive Computing". Das ändert unser Verhalten im Umgang mit dem Computer. So hat beispielsweise Professor Jose Luis Encarnacao von der Technischen Universität Darmstadt, der ja auch ein eigenes Fraunhofer-Institut dort leitet, dazu aufgefordert: Schmeißt die Tastaturen weg! Mit den Computern von morgen reden wir, zeigen ihnen mit Gesten, was wir wollen oder wir lassen uns vom Avatar, von einem virtuellen Charakter, Vorschläge machen, was der Computer gerade für uns tun kann."

    Kloiber: Wenn so viele Computer und Prozessoren für mich arbeiten, müssen die ja aufeinander abgestimmt sein. Wie geht diese Abstimmung vonstatten?

    Welchering: "Bei dieser arbeitsteiligen Abstimmung orientieren sich die Computerwissenschaftler an biologischen Vorbildern. "Organic Computing" heißt diese Forschungsrichtung. Wenn ich beispielsweise in einigen Jahren mein Handy einschalte, wird es einen Prozessor geben, der nichts anderes macht, als die für mich günstigste Funkfrequenz herauszusuchen. Das ist der "Scout"-Prozessor, und bei der Entwicklung dieses Handy-Konzepts orientieren sich die Forscher an einem Wespenschwarm. Professor Klaus Waldschmidt:"

    Wenn etwa ein Wespenschwarm ein Nest verlassen möchte, dann ist es sehr interessant, zu untersuchen, wie dieser Schwarm sich einen neuen Platz sucht. Diese Fragestellungen sind etwa an der Universität in Leipzig sehr intensiv untersucht worden, indem man festgestellt hat, dass es da bestimmte Scout-Bienen gibt, die voran fliegen und dann auf der Suche nach einem neuen Nistplatz sehr erfolgreich sind. Da ist es für als Computerarchitekten sehr interessant, zu untersuchen, welche dieser autonomen Einheiten denn jetzt spezialisiert ist auf ganz bestimmte Aufgaben und welche sich unterordnen.

    "So werden wir es in einigen Jahren mit Prozessorenschwärmen zu tun haben, die sich um bestimmte Rechenaufgaben kümmern. Damit sie als Schwarm an die Arbeit gehen können, müssen sie sich organisieren für eine bestimmte Zeit wie ein Wespenschwarm und danach ist jeder Prozessor wieder für sich allein."

    Kloiber: Wie wird sich diese Orientierung an biologischen Systemen denn auf den Bau Schaltkreisen auswirken?

    Welchering: "Schaltkreise werden immer noch aus Silizium sein. Aber die Prozessorfunktionalität wird von der physikalischen Ebene, also vom eigentlichen Schaltkreis abgehoben. Wir werden es mit virtuellen Prozessoren zu tun haben. Das sind Systemprogramme, die sich die Schaltkreise suchen, die sozusagen besetzen, die gerade gebraucht werden und verfügbar sind. An diese Schaltkreise geben sie dann bestimmte Logikbefehle zum Abarbeiten. Die Ergebnisse werden von den Schaltkreisen wieder zurückgeliefert an den virtuellen Prozessor, der also nicht aus Silizium besteht - dieser virtuelle Prozessor ist reine Software. Und der stellt die Logikergebnisse dann zu einem wirklichen Rechenergebnis zusammen."