" Noch Raureif in den Höhenlagen, "
in den Tälern blühen die Magnolien.
" In Köln läuft eine Frau Amok, die aus einem 40er Jahre Schundroman entsprungen ist. "
Weiter westlich in der Normandie spürt ein spinnerter Kommissar einem mittelalterlichen Heer hinterher.
" Nur tief drunten in Bayern sterben die Leut einfach so an Schlägen mit der Axt und es interessiert keinen Kommissar. "
Das klingt nach ...
der Krimikolumne.
" Auch heute wieder frei von jeder Nobelpreisträgerlyrik. "
Dafür stilecht mit dem Rezensenten,
Guten Tag und gutes Buch!
" ... und dem Nachweis, dass die Kriminalschriftstellerei, die wie keine andere literarische Gattung auf Realität angewiesen ist, dann am besten klingt, wenn sie surrealistisch wird. "
Gerne erzählt man sich in dunkler Nacht unter Rezensenten von obskuren Fällen, in denen das Unmögliche geschah und eine literarische Figur so lebendig wurde, dass sie ganz Mensch ward und solchermaßen in die Wirklichkeit einzog.
Meistens endet das fatal.
" So etwa im Fall des Trappers-Genies, Karl May, dessen Erfindung "Old Shatterhand" seinen Autor derart in Bann schlug, dass er die Taten seines Überhelden höchstpersönlich nachstellen und verkörpern musste ... "
Danach rief er sich allen Ernstes zum Herrscher über 35.000 Apachen aus, feuerte seine Silberbüchse ab und behauptete über 1000 Sprachen zu sprechen.
Oder aber Hermann Hesse ...
" ... dessen in der Schweiz verfasster Indienroman "Siddhartha" heute noch in Japan oder Nepal für bare Münze und für die wahre Geschichte eines heiligen Mannes gehalten wird. "
Literarisch hat Cornelia Funke in ihrer Tintenherz-Trilogie aus der verbreiteten Idee, dass literarische Gestalten unter besonderen Bedingungen in die reale Welt eintreten könnten, all ihren Weltruhm und ihren Reichtum geschöpft.
Und jetzt:
" Jetzt legt Deutschlands schmuddeligster, überspanntester und durchgeknalltester Autor nach und lässt es richtig krachen. "
Gleich der Titel "Platinblondes Dynamit" verheißt nicht gerade tiefenpsychologische Subtilität.
" Ebenso wenig wie der Name des Autors, Jörg Juretzka, mehrfacher Träger des Deutschen Krimipreises, bekannt geworden durch seine zehn überdrehten Romane um den Ruhrpott-Lotter-Ermittler Kristof Kryszinski, den man schreibt, wie man ihn spricht. "
Jörg Juretzka bedeutet für den Krimi, was Günter Grass gerne für das deutsche Gedicht wäre: das verkannte Genie mit den wenig subtilen Methoden.
" Schon der Versuch einer Handlungszusammenfassung des neuen Juretzkas "Platinblondes Dynamit" gibt genug Anlass an der seelischen Befindlichkeit unseres Rezensenten, ... "
der dieses Buch uneingeschränkt empfiehlt,
" ... zu zweifeln: "
Ein reichlich erfolgloser Schundromanschriftsteller mit dem absolut depperten Namen Folkmar Windell, genannt "Volle Windel", Pseudonym Will B. Everhard, Autor der Jack-Knife-Krimireihe, wird von seiner Verlegerin gezwungen, eine weibliche Hauptperson zu erfinden.
Das kann Will B. Everhard nicht mit seinem Selbstbild vereinen.
" Also greift er in seiner Verzweiflung und angesichts der Schulden seiner Stammkneipe, zu einem Computer-Schreibprogramm, das Bestseller verfasst. "
Heraus kommt dabei die Protagonistin Pussy Cat. Die lässt sich allerdings nicht in jenen 40er-Jahre-Roman bannen, den Everhard schreiben soll, sondern zieht stattdessen in die Literaturgeschichte ein und marodierend durch das Köln des Jahres 2012.
" Pussy Cat hat als von Windell nicht ganz zu Ende gedachte Figur zwar das Bewusstsein einer 40er-Jahre Diva, doch die Physiognomie des Autors selbst, weshalb nun der Autor selbst statt seiner wild gewordenen Figur von Polizei und rachsüchtigen Psychiaterinnen durch Köln verfolgt wird. "
Kommt - oder will - noch jemand mit?
All dies ist in jenem völlig überzogenen Jureztka-Stil geschrieben, dem keine Idee zu abwegig ist, um sie in den Papierkorb zu werfen. Juretzka treibt seine Erfindungen stattdessen noch weiter auf die Spitze.
" Köstlich, wie im Buch die erzählte Realität und der immer wieder in die Handlung eingeschobene Schundroman "Amor Mortis" - sich umgarnen, verschwimmen, miteinander wetteifern, sodass es einem als Leser schwindelig wird ob all der Postmodernität und der ganz und gar fantastischen Einfälle des Autors, "
Man könnte fast sagen, meint unser Rezensent, dass Juretzka
... die Krimihandlung wie einen tonnenschweren Betonschmetterling federleicht bis zum geradezu Karl-May-haften Ende vor sich hertreibt.
Was soll denn das für eine Metapher sein?
" Ist unserem Rezensenten offensichtlich so eingefallen angesichts der auch ihn gehörig verwirrenden Handlung von "Platinblondes Dynamit", einer Krimigroteske von Jörg Juretzka, die gerade im Pendragon-Verlag erschienen ist. "
Mit Sicherheit das verrückteste Buch diesseits der Wahrnehmungsgrenze.
.... urteilt dazu unser selbst sich jenseits dieser Grenze befindende Rezensent.
Wir werden etwas ernsthafter, etwas gesetzter, erheben uns weit über die Niederungen des Schundromans und wenden uns der inzwischen sogar im hohen Feuilleton stets raunend gelobten französischen Autorin Fred Vargas zu.
" In kaum einem Artikel über Fred Vargas bleibt unerwähnt, dass sie eigentlich Archäozoologin sei, was schon vom Klang her ein schöner Beruf sein mag und dass sie die Tochter eines Journalisten sei, der eigentlich Surrealist war, in Wahrheit aber nur einige Essays über Surrealisten geschrieben hat. "
Dafür ist Fred Vargas selbst zwar eine Kriminalschriftstellerin, in Wahrheit jedoch eine der größten zeitgenössischen Schriftstellerinnen Frankreichs.
" Sie ist die Königin des poetischen Kriminalromans, Erfinderin des scheuen Jean Baptiste Adamsberg, von dem sich niemand vorstellen kann, wie er es mit seinem ausgelebten Hang zum Abseitigen, zum Mystischen und Obskuren jemals zum Chef einer Pariser Mordbrigade bringen konnte. "
Obendrein ist Adamsbergs Brigade eine Ansammlung obskurster Charaktere, die ihr Chef so beschreibt:
"Die Nacht des Zorns" von Fred Vargas, gerade im Aufbau-Verlag und übersetzt von Waltraud Schwarze. Seite 90: "Unter meinen Leuten" - "
... erläutert an dieser Stelle Adamsberg einer alten Dame, die sich wundert, wieso der Kommissar einfach sein Kommissariat verlassen hat, um in der Normandie einer Erscheinung nachzuspüren -
" "Unter meinen Leuten ist einer der an Hypersomnie leidet und ganz unvermittelt zusammenbricht, ein Zoologe mit den Spezialgebiet Fische, vor allem Süßwasserfische, eine Bulimikerin, die gelegentlich verschwindet, um ihre Essensvorräte aufzufüllen, ein alter Reiher, der beschlagen ist in Märchen und Legenden, ein Monster an Wissen, das am Weißwein hängt."
Dies also sind die Helden, zu denen noch das ein oder andere Getier stößt. Kurzum:
Die Romane von Fred Vargas spielen in einer anderen Dimension.
" ... urteilt zweideutig unser Rezensent und ist mehr als begeistert von der Autorin und ihrer liebenswürdigen Ermittler-Freak-Show , zu der diesmal auch eine lahme Pariser Stadt-Taube gehört. sie alle kümmern sich nur jenen winzigen Deut um die Wirklichkeit, der nötig ist, damit ein ganz und gar zauberhafter Roman von so profanen Lesern wie uns überhaupt verstanden werden kann. "
Handlung gibt es trotzdem genügend: Den ersten Mord lässt die Vargas ihren Kommissar Adamsber gleich auf Seite 13 aufklären. Fast so als ob sie demonstrieren will:
"Seht her, ich könnte das auch". "
Doch dann lässt sie den Kommissar lieber demonstrativ die dreckige Taube retten.
" "Seht her, jetzt zeige ich Euch,"
- sagt die Vargas damit,
"wie man aus dem Nichts große Poesie entstehen läßt."
Dann tritt eine alte Frau auf, die dem taubenpflegenden Kommissar Adamsberg erzählt, dass sie daheim in der Normandie das "Wütende Heer", welches einer Sage des 11 Jahrhunderts entstamme, gesehen habe. Natürlich bricht Adamsberg sofort in die Normandie auf.
" "Seht her, die alten Geschichten, sind wahrer als jede Forensik", "
... sagt uns die Vargas damit. Und doch liegt am Ende DES literarischen Regenbogens, am Ende der Geschichte der alten Dame und des mittelalterlichen Mythos eine wirkliche Leiche.
" Mir scheint, unser Rezensent ist nach der Lektüre von Fred Vargas "Die Nacht des Zorns" wahrhaft poetisch erregt. "
Ich erwäge ernsthaft, mich der Taubenzucht zuzuwenden!
... offenbart unser Rezensent nach der bewußtseinserweiternden, wahrhaft bezaubernden Lektüre von Fred Vargas "Die Nacht des Zornes" und er fügt noch hinzu:
Lesen Sie dieses Buch, wenn sie das Leben lieben, dieses Buch wird sie wieder lieben, als ob es das Leben wäre!
" Nanana! Etwas mehr Realismus bitte! "
Wohlan Realismus, geh deinen steinigen Weg.
An nichts ist Andrea Maria Schenkel, die überaus realistische Oberpfälzer Kriminalschriftstellerin und Spezialistin für semi-dokumentarisch verarbeitete Provinzverbrechen weniger interessiert als an einem Kommissar, der ein Verbrechen aufklärt. In ihrem neuen Buch "Finsterau". Verlag Hoffman und Campe gibt es einen solchen deshalb gar nicht wirklich.
" Zwar wird am Ende ein Fall aufgeklärt, doch dies geschieht mehr durch die Autorin und das Erzählen selbst, dass sich auch nicht - wie sonst in Kriminalromanen - den Tätern zuwendet. "
Andrea Maria Schenkel hat den Krimi vom Kopf auf die Füße gestellt.
Ihn also den Tätern entwendet und den Opfern übergeben. Der Schenkel geht es nicht um die Herrschaftsgeschichte, um die Täter, sondern um die Geschichte der Opfer. Es sind derer mindestens drei, die sich in ihrem neuen Buch finden.
" Da ist zuerst jene Frau, Afra, die nach dem Krieg, Vo, Leben geschlagen und mit einem Kind vom Franzosenfeind in ihr kärgliches und katholisches Elternhaus in Finsterbayern zurückkehrt, obwohl sie dort alles andere als ein angenehmes Leben erwartet. Insgeheim hofft sie, dass der Vater ihres Kindes plötzlich vorbei kommen würde, um sie - und mit ihr auch ein wenig die Gegend - zu erlösen. "
Am Ende des 120 Seiten schmalen Bandes "Finsterau" wird Afra allerdings erschlagen auf dem Boden liegen. Daneben ihr Kind, Albert, Opfer Nummer Zwei.
" Opfer Nummer Drei ist der vermeintliche Mörder der beiden. Afras Vater, der - demenzkrank - den Mord kurz nach der Tat gestanden hatte. Ein Irrtum, erfährt der Leser gleich im ersten Kapitel von "Finsterau" ... "
... das zwar stilecht mit der Verhaftung des wahren Täters 18 Jahre später endet,
" ... doch zwischen diesem normalen Beginn und dem normalen Ende ist wenig so wie wir es aus der Krimiliteratur kennen. "
Das ist grandios verschachtelt aufgebaut, dabei knapp und präzise. Etwas zu holzschnitthaft vielleicht. Ein wenig weht das 19. Jahrhundert daher.
Soweit die wohlformulierte Rezension unseres Rezensenten. und nun folgt die Klatschgeschichte.
" Denn natürlich ist kann niemand über die Autorin Andrea Maria Schenkel sprechen ohne den Verweis auf ihre Aschenputtelgeschichte, die sie mittels ein paar weniger Manuskriptseiten über einen realen Mordfall namens "Tannöd" von einer Regensburger Hausfrau zu einer international gefragten Millionenbestsellerautorin machte, "
... die dann den Erwartungen nicht mehr ganz genügen konnte. Es ist dies die Geschichte von plötzlichem Erfolg, Reichtum, Prozessen, Scheidung und Mißerfolg mit ihrem letzten Roman "Bunker", den sie selbst nicht mochte.
" Daraus hat sich Andrea Maria Schenkel inzwischen befreit. Nach einem Teilumzug nach New York, der samt ihrem neuen Lebenspartner namens James der führenden Literaturzeitschrift "Für Sie" gestanden wurde, ist sie nun mit einem kleinen Roman zurück, der an ihren genialen Sensationserstling erinnert, ihn aber ... "
... natürlich ...
... nicht erreicht. Nicht erreichen kann und auch nicht will.
" Und gerade deshalb ist "Finsterau" ein gutes Buch, eines, dem das Abgründige des Erstlingswerkes fehlt, das dafür an Selbstverständlichkeit gewonnen hat. Jetzt noch eine etwas originellere Geschichte und dann "
... freuen wir uns auf das nächste Buch, das angeblich schon fertig ist.
Die Jury der Krimizeit-Bestenliste führt in diesem Monat übrigens Frau Schenkel auf Platz sechs und Frau Vargas auf Platz 4. Den Spitzenrang übernimmt der ganz und gar unglaubliche Donald Ray Pollock aus Ohio. Pollock, ein 50-jähriger Arbeiter aus einer Papierfabrik, hat mit "Das Handwerk des Teufels", erschienen im Liebeskind-Verlag, und übersetzt von Peter Torbergein Romandebüt vorgelegt, das in seiner wüsten Rigidität fast an den genialischen Erstling der Schenkel heranreicht.
Unbedingt eine Empfehlung.
Besprochene Bücher:
Jörg Juretzka: "Platinblondes Dynamit"
(Pendragon)
Donald Ray Pollock: "Das Handwerk des Teufels"
(Liebeskind)
Andrea Maria Schenkel: "Finsterau"
(Hoffmann & Campe)
Fred Vargas: "Die Nacht des Zorns"
(Aufbau-Verlag)
in den Tälern blühen die Magnolien.
" In Köln läuft eine Frau Amok, die aus einem 40er Jahre Schundroman entsprungen ist. "
Weiter westlich in der Normandie spürt ein spinnerter Kommissar einem mittelalterlichen Heer hinterher.
" Nur tief drunten in Bayern sterben die Leut einfach so an Schlägen mit der Axt und es interessiert keinen Kommissar. "
Das klingt nach ...
der Krimikolumne.
" Auch heute wieder frei von jeder Nobelpreisträgerlyrik. "
Dafür stilecht mit dem Rezensenten,
Guten Tag und gutes Buch!
" ... und dem Nachweis, dass die Kriminalschriftstellerei, die wie keine andere literarische Gattung auf Realität angewiesen ist, dann am besten klingt, wenn sie surrealistisch wird. "
Gerne erzählt man sich in dunkler Nacht unter Rezensenten von obskuren Fällen, in denen das Unmögliche geschah und eine literarische Figur so lebendig wurde, dass sie ganz Mensch ward und solchermaßen in die Wirklichkeit einzog.
Meistens endet das fatal.
" So etwa im Fall des Trappers-Genies, Karl May, dessen Erfindung "Old Shatterhand" seinen Autor derart in Bann schlug, dass er die Taten seines Überhelden höchstpersönlich nachstellen und verkörpern musste ... "
Danach rief er sich allen Ernstes zum Herrscher über 35.000 Apachen aus, feuerte seine Silberbüchse ab und behauptete über 1000 Sprachen zu sprechen.
Oder aber Hermann Hesse ...
" ... dessen in der Schweiz verfasster Indienroman "Siddhartha" heute noch in Japan oder Nepal für bare Münze und für die wahre Geschichte eines heiligen Mannes gehalten wird. "
Literarisch hat Cornelia Funke in ihrer Tintenherz-Trilogie aus der verbreiteten Idee, dass literarische Gestalten unter besonderen Bedingungen in die reale Welt eintreten könnten, all ihren Weltruhm und ihren Reichtum geschöpft.
Und jetzt:
" Jetzt legt Deutschlands schmuddeligster, überspanntester und durchgeknalltester Autor nach und lässt es richtig krachen. "
Gleich der Titel "Platinblondes Dynamit" verheißt nicht gerade tiefenpsychologische Subtilität.
" Ebenso wenig wie der Name des Autors, Jörg Juretzka, mehrfacher Träger des Deutschen Krimipreises, bekannt geworden durch seine zehn überdrehten Romane um den Ruhrpott-Lotter-Ermittler Kristof Kryszinski, den man schreibt, wie man ihn spricht. "
Jörg Juretzka bedeutet für den Krimi, was Günter Grass gerne für das deutsche Gedicht wäre: das verkannte Genie mit den wenig subtilen Methoden.
" Schon der Versuch einer Handlungszusammenfassung des neuen Juretzkas "Platinblondes Dynamit" gibt genug Anlass an der seelischen Befindlichkeit unseres Rezensenten, ... "
der dieses Buch uneingeschränkt empfiehlt,
" ... zu zweifeln: "
Ein reichlich erfolgloser Schundromanschriftsteller mit dem absolut depperten Namen Folkmar Windell, genannt "Volle Windel", Pseudonym Will B. Everhard, Autor der Jack-Knife-Krimireihe, wird von seiner Verlegerin gezwungen, eine weibliche Hauptperson zu erfinden.
Das kann Will B. Everhard nicht mit seinem Selbstbild vereinen.
" Also greift er in seiner Verzweiflung und angesichts der Schulden seiner Stammkneipe, zu einem Computer-Schreibprogramm, das Bestseller verfasst. "
Heraus kommt dabei die Protagonistin Pussy Cat. Die lässt sich allerdings nicht in jenen 40er-Jahre-Roman bannen, den Everhard schreiben soll, sondern zieht stattdessen in die Literaturgeschichte ein und marodierend durch das Köln des Jahres 2012.
" Pussy Cat hat als von Windell nicht ganz zu Ende gedachte Figur zwar das Bewusstsein einer 40er-Jahre Diva, doch die Physiognomie des Autors selbst, weshalb nun der Autor selbst statt seiner wild gewordenen Figur von Polizei und rachsüchtigen Psychiaterinnen durch Köln verfolgt wird. "
Kommt - oder will - noch jemand mit?
All dies ist in jenem völlig überzogenen Jureztka-Stil geschrieben, dem keine Idee zu abwegig ist, um sie in den Papierkorb zu werfen. Juretzka treibt seine Erfindungen stattdessen noch weiter auf die Spitze.
" Köstlich, wie im Buch die erzählte Realität und der immer wieder in die Handlung eingeschobene Schundroman "Amor Mortis" - sich umgarnen, verschwimmen, miteinander wetteifern, sodass es einem als Leser schwindelig wird ob all der Postmodernität und der ganz und gar fantastischen Einfälle des Autors, "
Man könnte fast sagen, meint unser Rezensent, dass Juretzka
... die Krimihandlung wie einen tonnenschweren Betonschmetterling federleicht bis zum geradezu Karl-May-haften Ende vor sich hertreibt.
Was soll denn das für eine Metapher sein?
" Ist unserem Rezensenten offensichtlich so eingefallen angesichts der auch ihn gehörig verwirrenden Handlung von "Platinblondes Dynamit", einer Krimigroteske von Jörg Juretzka, die gerade im Pendragon-Verlag erschienen ist. "
Mit Sicherheit das verrückteste Buch diesseits der Wahrnehmungsgrenze.
.... urteilt dazu unser selbst sich jenseits dieser Grenze befindende Rezensent.
Wir werden etwas ernsthafter, etwas gesetzter, erheben uns weit über die Niederungen des Schundromans und wenden uns der inzwischen sogar im hohen Feuilleton stets raunend gelobten französischen Autorin Fred Vargas zu.
" In kaum einem Artikel über Fred Vargas bleibt unerwähnt, dass sie eigentlich Archäozoologin sei, was schon vom Klang her ein schöner Beruf sein mag und dass sie die Tochter eines Journalisten sei, der eigentlich Surrealist war, in Wahrheit aber nur einige Essays über Surrealisten geschrieben hat. "
Dafür ist Fred Vargas selbst zwar eine Kriminalschriftstellerin, in Wahrheit jedoch eine der größten zeitgenössischen Schriftstellerinnen Frankreichs.
" Sie ist die Königin des poetischen Kriminalromans, Erfinderin des scheuen Jean Baptiste Adamsberg, von dem sich niemand vorstellen kann, wie er es mit seinem ausgelebten Hang zum Abseitigen, zum Mystischen und Obskuren jemals zum Chef einer Pariser Mordbrigade bringen konnte. "
Obendrein ist Adamsbergs Brigade eine Ansammlung obskurster Charaktere, die ihr Chef so beschreibt:
"Die Nacht des Zorns" von Fred Vargas, gerade im Aufbau-Verlag und übersetzt von Waltraud Schwarze. Seite 90: "Unter meinen Leuten" - "
... erläutert an dieser Stelle Adamsberg einer alten Dame, die sich wundert, wieso der Kommissar einfach sein Kommissariat verlassen hat, um in der Normandie einer Erscheinung nachzuspüren -
" "Unter meinen Leuten ist einer der an Hypersomnie leidet und ganz unvermittelt zusammenbricht, ein Zoologe mit den Spezialgebiet Fische, vor allem Süßwasserfische, eine Bulimikerin, die gelegentlich verschwindet, um ihre Essensvorräte aufzufüllen, ein alter Reiher, der beschlagen ist in Märchen und Legenden, ein Monster an Wissen, das am Weißwein hängt."
Dies also sind die Helden, zu denen noch das ein oder andere Getier stößt. Kurzum:
Die Romane von Fred Vargas spielen in einer anderen Dimension.
" ... urteilt zweideutig unser Rezensent und ist mehr als begeistert von der Autorin und ihrer liebenswürdigen Ermittler-Freak-Show , zu der diesmal auch eine lahme Pariser Stadt-Taube gehört. sie alle kümmern sich nur jenen winzigen Deut um die Wirklichkeit, der nötig ist, damit ein ganz und gar zauberhafter Roman von so profanen Lesern wie uns überhaupt verstanden werden kann. "
Handlung gibt es trotzdem genügend: Den ersten Mord lässt die Vargas ihren Kommissar Adamsber gleich auf Seite 13 aufklären. Fast so als ob sie demonstrieren will:
"Seht her, ich könnte das auch". "
Doch dann lässt sie den Kommissar lieber demonstrativ die dreckige Taube retten.
" "Seht her, jetzt zeige ich Euch,"
- sagt die Vargas damit,
"wie man aus dem Nichts große Poesie entstehen läßt."
Dann tritt eine alte Frau auf, die dem taubenpflegenden Kommissar Adamsberg erzählt, dass sie daheim in der Normandie das "Wütende Heer", welches einer Sage des 11 Jahrhunderts entstamme, gesehen habe. Natürlich bricht Adamsberg sofort in die Normandie auf.
" "Seht her, die alten Geschichten, sind wahrer als jede Forensik", "
... sagt uns die Vargas damit. Und doch liegt am Ende DES literarischen Regenbogens, am Ende der Geschichte der alten Dame und des mittelalterlichen Mythos eine wirkliche Leiche.
" Mir scheint, unser Rezensent ist nach der Lektüre von Fred Vargas "Die Nacht des Zorns" wahrhaft poetisch erregt. "
Ich erwäge ernsthaft, mich der Taubenzucht zuzuwenden!
... offenbart unser Rezensent nach der bewußtseinserweiternden, wahrhaft bezaubernden Lektüre von Fred Vargas "Die Nacht des Zornes" und er fügt noch hinzu:
Lesen Sie dieses Buch, wenn sie das Leben lieben, dieses Buch wird sie wieder lieben, als ob es das Leben wäre!
" Nanana! Etwas mehr Realismus bitte! "
Wohlan Realismus, geh deinen steinigen Weg.
An nichts ist Andrea Maria Schenkel, die überaus realistische Oberpfälzer Kriminalschriftstellerin und Spezialistin für semi-dokumentarisch verarbeitete Provinzverbrechen weniger interessiert als an einem Kommissar, der ein Verbrechen aufklärt. In ihrem neuen Buch "Finsterau". Verlag Hoffman und Campe gibt es einen solchen deshalb gar nicht wirklich.
" Zwar wird am Ende ein Fall aufgeklärt, doch dies geschieht mehr durch die Autorin und das Erzählen selbst, dass sich auch nicht - wie sonst in Kriminalromanen - den Tätern zuwendet. "
Andrea Maria Schenkel hat den Krimi vom Kopf auf die Füße gestellt.
Ihn also den Tätern entwendet und den Opfern übergeben. Der Schenkel geht es nicht um die Herrschaftsgeschichte, um die Täter, sondern um die Geschichte der Opfer. Es sind derer mindestens drei, die sich in ihrem neuen Buch finden.
" Da ist zuerst jene Frau, Afra, die nach dem Krieg, Vo, Leben geschlagen und mit einem Kind vom Franzosenfeind in ihr kärgliches und katholisches Elternhaus in Finsterbayern zurückkehrt, obwohl sie dort alles andere als ein angenehmes Leben erwartet. Insgeheim hofft sie, dass der Vater ihres Kindes plötzlich vorbei kommen würde, um sie - und mit ihr auch ein wenig die Gegend - zu erlösen. "
Am Ende des 120 Seiten schmalen Bandes "Finsterau" wird Afra allerdings erschlagen auf dem Boden liegen. Daneben ihr Kind, Albert, Opfer Nummer Zwei.
" Opfer Nummer Drei ist der vermeintliche Mörder der beiden. Afras Vater, der - demenzkrank - den Mord kurz nach der Tat gestanden hatte. Ein Irrtum, erfährt der Leser gleich im ersten Kapitel von "Finsterau" ... "
... das zwar stilecht mit der Verhaftung des wahren Täters 18 Jahre später endet,
" ... doch zwischen diesem normalen Beginn und dem normalen Ende ist wenig so wie wir es aus der Krimiliteratur kennen. "
Das ist grandios verschachtelt aufgebaut, dabei knapp und präzise. Etwas zu holzschnitthaft vielleicht. Ein wenig weht das 19. Jahrhundert daher.
Soweit die wohlformulierte Rezension unseres Rezensenten. und nun folgt die Klatschgeschichte.
" Denn natürlich ist kann niemand über die Autorin Andrea Maria Schenkel sprechen ohne den Verweis auf ihre Aschenputtelgeschichte, die sie mittels ein paar weniger Manuskriptseiten über einen realen Mordfall namens "Tannöd" von einer Regensburger Hausfrau zu einer international gefragten Millionenbestsellerautorin machte, "
... die dann den Erwartungen nicht mehr ganz genügen konnte. Es ist dies die Geschichte von plötzlichem Erfolg, Reichtum, Prozessen, Scheidung und Mißerfolg mit ihrem letzten Roman "Bunker", den sie selbst nicht mochte.
" Daraus hat sich Andrea Maria Schenkel inzwischen befreit. Nach einem Teilumzug nach New York, der samt ihrem neuen Lebenspartner namens James der führenden Literaturzeitschrift "Für Sie" gestanden wurde, ist sie nun mit einem kleinen Roman zurück, der an ihren genialen Sensationserstling erinnert, ihn aber ... "
... natürlich ...
... nicht erreicht. Nicht erreichen kann und auch nicht will.
" Und gerade deshalb ist "Finsterau" ein gutes Buch, eines, dem das Abgründige des Erstlingswerkes fehlt, das dafür an Selbstverständlichkeit gewonnen hat. Jetzt noch eine etwas originellere Geschichte und dann "
... freuen wir uns auf das nächste Buch, das angeblich schon fertig ist.
Die Jury der Krimizeit-Bestenliste führt in diesem Monat übrigens Frau Schenkel auf Platz sechs und Frau Vargas auf Platz 4. Den Spitzenrang übernimmt der ganz und gar unglaubliche Donald Ray Pollock aus Ohio. Pollock, ein 50-jähriger Arbeiter aus einer Papierfabrik, hat mit "Das Handwerk des Teufels", erschienen im Liebeskind-Verlag, und übersetzt von Peter Torbergein Romandebüt vorgelegt, das in seiner wüsten Rigidität fast an den genialischen Erstling der Schenkel heranreicht.
Unbedingt eine Empfehlung.
Besprochene Bücher:
Jörg Juretzka: "Platinblondes Dynamit"
(Pendragon)
Donald Ray Pollock: "Das Handwerk des Teufels"
(Liebeskind)
Andrea Maria Schenkel: "Finsterau"
(Hoffmann & Campe)
Fred Vargas: "Die Nacht des Zorns"
(Aufbau-Verlag)