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Die Krimikolumne

Der schönste Krimi dieses Winters hat nur 191 Seiten. Leider. Ansonsten hat er alles, was ein Krimi braucht, nur besser, größer, schöner, schneller. Doch wer schrieb diesen bis in die Haarspitzen zynischen und zugleich poetischen Roman? Nehmen Sie die Ermittlungen auf mit der ersten Krimikolumne des neuen Jahres.

Von Andreas Ammer | 08.01.2009
    Die Welt steht vor dem Untergang!

    " Terroristen halten ganze Dörfer besetzt. "

    In den großen Städten jenseits der Meere schändet ein Killer reihenweise Frauen.

    " Geheimdienstler, die sich längst zur Ruhe gesetzt haben, begeben sich auf die Suche nach dem dunklen Herz ihres Staates und finden es in einer heruntergekommenen Truckerkneipe. "

    Das klingt - auch wenn die wahre Welt derzeit ähnliches bereit hält - nach der Krimikolumne. Nur echt mit unserem Rezensenten.

    Stets zur Stelle

    Der schönste Krimi dieses Winters hat nur 191 Seiten. Leider. Man könnte ewig in ihm weiter lesen. Er heißt "Deine Augen hat der Tod". Er stammt von dem eigenwilligen amerikanischen Autoren James Sallis, den der ebenso eigenwillige Münchner Liebeskind-Verlag neu entdeckt hat.

    " Vor gut sieben Jahren ist dieser Roman schon einmal in Deutschland erschienen. Er wurde damals nicht beachtet. Auch nicht von unserem sonst allwissenden Rezensenten. "

    Höre ich da einen Vorwurf?

    Vielleicht war die Zeit noch nicht reif für diesen bis in die Haarspitzen zynischen und zugleich poetischen Roman einer Reise durch Amerika ... mitten ins Herz dieses ebenso mächtigen wie rätselhaften und verkommenen Landes.

    "Kein glitzernder Stahl a la Hollywood in den Bäumen oder Hügeln."

    Früher, es ist neun Jahre her, da war David der Berufs-Killer einer USA-Eliteeinheit. Jetzt liegt er mit seiner Freundin Gabby, die ihn aus seinem verkommenen Leben gerettet hat, im Bett.

    " Gabby möchte den Tag mit etwas Liebe beginnen. "

    Das Telefon läutet.

    " David wird von seinem früheren Leben eingeholt. Ein Auftrag noch. Ein letzter. "

    Also nichts mit Liebe, stattdessen Zeit für große Sätze.

    David spricht sie zu Gabby - stellen Sie sich vor, ihr Lebenspartner würde gleich so etwas sagen:

    "Alles, was du von mir weißt, alles, was du glaubst von mir zu wissen ist falsch."

    Nach einer Sekunde nickte sie.

    "Ich möchte, dass du zusammenpackst, was du unbedingt brauchst, und ich möchte, dass du fort gehst. Nicht in deine Wohnung zurück, sondern irgendwo anders hin. .... Ich will gar nicht wissen, wo du bist."

    Und?

    Gabby geht und David macht sich auf den Weg. Quer durch Amerika, verfolgt von einem Killer, den eigentlich er jagen sollte.

    "Deine Augen hat der Tod" ist ein Buch aus dem besten Genre, das Amerika hervorgebracht hat. Es ist ein Buch vom Leben in Autos, vom Fahren über Land und all den poetischen Dingen, die eine Landstraße samt staubigen Motels hervorbringen kann. Ein literarisches Roadmovie höchster Qualität. - "

    Da lässt er uns aber recht jubeln unser Rezensenten!

    Es geht noch besser!

    " Wie das? "

    Indem ihr einfach vorlest. Hier, Seite 78. David, der staatlich geprüfte Killer betritt ein Restaurant namens "Sam's" am "Rand von Nirgendwo".

    Diesen Abschnitt hier?

    Genau den!

    Ähem, der ist aber lang:

    Lies!

    "Jetzt befand ich mich, nahm ich an, im tiefsten Herzen von Amerika, unter Menschen, deren Werte, Familien und elementare Lebensweise ich in den ganzen Jahren in meinem Handeln für die Agency, beschützt hatte. Hier einen streitsüchtigen Diktator entfernt, dort eine kooperative Militärjunta mit Waffen versorgt, ein oder zwei Attentate. Geheimste Informationen weitergeleitet, Regierungsstürze, "taktische Umstürzung". Alles, damit diese Menschen ihr Leben mit Budweiser, Strandspaziergängen, Sitcoms, Samstagabendfootball und Sonntagskirche weiterführen konnten."

    Geradezu philosophisch.

    ... und Verfolgungsjagden gibt es auch.

    " Liebesszenen sowieso. "

    Shoot-outs am Straßenrand.

    Also alles was ein Krimi braucht ... nur besser, größer, schöner, schneller.

    " ... urteilt unser Rezensent über "Deine Augen hat der Tod" von James Sallis, erschienen im Liebeskind-Verlag. "

    Und er hat wirklich nicht übertrieben?

    Ich irre nie!

    " Gegenüber solchen poetischen Schwergewichten tut sich der deutsche Krimi, der sich nicht umsonst immer weiter in die Provinz oder nach Italien zurückzieht, gewohntermaßen schwer. "

    Bernhard Jaumann hat die beiden Standards der derzeitigen germanischen Kriminalliteratur, nämlich den Provinzkrimi und den Italienkrimi, auf die Spitze getrieben und dadurch etwas völlig einzigartiges geschaffen: Sein italienisches Kaff Montesecco, das schon zum dritten Mal der Held eines Jauman-Krimis geworden ist.

    " "Die Augen der Medusa" heißt Jaumanns dritter Krimi, den der zweifache Glauser-Preisträger in dem italienischen Kaff Montesecco spielen lässt. Montesecco ist eine einzige Idylle, aber diese hat - wir sind in der Moderne - nur noch 25 Einwohner. Alle anderen sind weggezogen. Ein Terrorist sprengt dort erst Italiens berühmtesten Anti-Mafia-Staatsanwalt in die Luft und verschanzt sich dann mit vier Geiseln mitten im Dorf. "

    Spezialkommandos der Polizei und skrupellose Journalisten geben dem Dorfleben den Rest. Die demente Constanza, 85 Jahre, glaubt sie befände sich im Krieg und organisiert resolut eine "Resistenza" gegen die Besatzer.

    Eigentlich hatte man geglaubt, Jaumanns Erzählkonzept, ein ganzes, kollektiv ermittelndes Dorf als Held eines Krimis auftreten zu lassen, hätte sich nach den ersten beiden Fällen langsam ad absurdum geführt.

    " Im Gegenteil: Jaumann lässt diesmal die große, brutale Welt in Montesecco einbrechen. So kommt dieses Dorf erst recht zu sich selbst. Die allesamt verschwisterten und zerstrittenen 25 Einwohner finden erst zueinander und dann Jaumann somit zum eigentlichen Thema seines Krimis: Er ist eine melancholische Hymne auf ein gerade verschwindendes Leben im Kleinen. "

    Vor allem aber - glaubt einmal Eurem Rezensenten! - ist Jaumann ein prächtiger Erzähler.

    Einer, der das Krimi-Genre nur deshalb gewählt hat, weil er die Kunst mehr schätzt als das Leben und ihm deshalb die Künstlichkeit des Krimis mehr Raum für die realistische Schilderung von Stimmungen, Gefühlen und Menschen erlaubt.

    " "Bernhard Jaumanns "Die Augen der Medusa", erschienen im Aufbau-Verlag ist - bis hin zu den Landschaftsschilderungen ein schlichtweg ... na Herr Rezensent "

    Für das Schöne fehlen einem gerne mal die Worte!

    " Also sagen wir es altmodisch: Es ist ein schöner Krimi. 123 mal besser als Donna Leon und 847 mal besser als die Allgäu-Krimis von Klüpfl und Kobr. Und handwerklich raffiniert gebaut ist er obendrein. "

    " Und damit hinaus aus der tiefsten Provinz in die große Welt und ab in die Hard Boiled Ecke: "

    Ich merke: Ihr wollt das Blut spritzen sehen!

    Allan Guthrie wurde hier in der Kolumne bereits gelobt. Sein Roman "Abschied ohne Küsse" war ein wahrhaft das Hirn weg blasender Krimi, der so gut war, das die weltweit etablierte Krimireihe "Hard Case Crime" hierzulande fulminant mit ihm eröffnet wurde. Noch liegt dieses Buch in den Buchhandlungen ...

    " ... da hat nach dem Erfolg dieses Taschenbuches der Rotbuch-Verlag schnell geschaltet und hat sich die Rechte an Allan Guthries erstem Roman "Post Mortem", gesichert, der "

    ... sogar noch besser ist.

    ... urteilt unser Rezensent etwas vorschnell. Wir referieren mal die Ausgangslage:

    " Robin Greaves, ein kleiner schottischer Ganove, bemerkt, dass seine Frau Carol eine Affäre mit seinem Komplizen Eddie hat. "

    Eigentlich will Greaves beide umbringen, aber vorher haben die beiden Ganoven noch einen gemeinsamen Überfall auf eine Post geplant,

    " ... bei dem allerdings eine Angestellte umkommt, "

    ... die dummerweise die abgöttisch verehrte Mutter des verurteilten Mörders und Knochenbrechers Pearce war.

    " Während von diesen 3 Personen nun jeder jeden jagt, jeder jedem nach dem Leben trachtet und alle zusammen von der Polizei gesucht werden, "

    ... wollen die abgehalfterten Privatdetektive Gray und Kennedy von dem Durcheinander profitieren und sich das geraubte Geld unter den Nagel reißen

    ... und das alles ist nur der Anfang.

    " Herr Rezensent, wir sind jetzt schon verwirrt, schreiten sie schnell zur Kritik: "

    "Herausragende Dialoge und unvergessliche Schufte"

    ... hat unser Rezensent in Allan Guthries Debütroman "Post Mortem" entdeckt.

    " Aber genau das steht doch hier auf dem Klappentext. "

    Okay, ich hab untertrieben: Es ist der seltene Fall, dass ein Buch besser ist, als sein Klappentext verspricht!

    " Es geht noch schwärzer, noch hartgekochter, vor allem brutaler "

    Faszinierend!

    " ... nennt unser Rezensent das nächste Objekt seiner Profession. "

    New York 1936: Die Frau liegt auf dem Bett. Weiß recken sich ihre vollen Brüste dem Mann entgegen, der sich Torpedo nennt. In der Sprechblase über ihrem von Lust etwas verzerrtem Gesicht stehen die Worte:

    " "Aus mir kriegst du keinen Laut raus."

    Der Mann nackt über sie gebeugt. Unter dem Bild stehen die Worte:

    "Sie hatte Recht: Aus ihr bekam ich nichts raus, aber dafür bekam sie was rein. Sie zeigte keinerlei Anteilnahme, stellte nur ihren Körper zur Verfügung und ich machte die ganze Arbeit. Das Mädel war pures Eis. Ich hingegen war so was von heiß."

    Faszinierend!

    Wer schreibt denn so was?

    " Enrique Sanchez Abuli, geboren 1945, Spanier, Autor und Erfinder einer der ekelhaftesten Comic-Figuren aller Zeiten: Loca Torelli, Auftragskiller, genannt Torpedo. "

    Torpedo hat - anders als manch anderer Anti-Held - nicht einen einzigen sympathischen Zug. Er mordet ohne Skrupel, schießt Männern in den Rücken und vergeht sich an den Frauen. Respekt und Mitleid kennt der Torpedo nicht.

    Faszinierend.

    Dafür hat der Comic-Star berühmte Fans: Frederico Fellini und Quentin Tarantino sollen diesen zynischen 80er-Jahre Berufskiller im typischen Nadelstreifenanzug geradezu verehrt haben. Jetzt liegt in 5 Bänden aus dem Cross-Cult-Verlag das Torpedo Gesamtwerk komplett vor: Eine einmalige Sammlung nackter Frauen, brutalster Morde und abscheulichster Charaktere.

    Faszinierend, sage ich.

    " Enrique Sanchez Abuli arbeitet gern mit Stereotypen: Die blonde, meist spärlich bekleidete Femme Fatale, der fette Mafia-Boss, der treudoof ergebene Diener des Killers: Rascal. Trotzdem war das Interesse des Autors Enrique Sanchez Abuli an seiner Figur so groß, dass er Luca Torelli im Laufe der Jahre mit einer ganzen Biographie ausstattete: Es gibt Geschichten über seine Jugend, über seinen ersten Mord, über sein Alter mit Krückstock. "

    Torpedo zu lesen, bedeutet: ernsthaft mit den moralischen Grenzen des Krimi-Genres konfrontiert zu werden. Auch mit den Grenzen des guten Geschmacks. Hier wurde das Leben im Verbrechen auf die künstlerische Spitze getrieben und ein Held geschaffen, der fasziniert, obwohl oder weil er nur den dunkelsten Zielen folgt und zu den abscheulichsten Mitteln greift.

    Sag ich doch: faszinierend. Aber mit schlechtem Gewissen.

    " Zwei Bedingungen stellt der Autor Abuli jedem Verlag. Seine Comics müssen im harten schwarz/weiß bleiben und es darf keine Zensur geben. "

    ... denn mit letzterer hatte Abuli begreiflicherweise des Öfteren zu kämpfen. Nicht allerdings bei cross-cult, seinem deutschen Nobel-Comic Verlag der die schöne Edition auf den Weg gebracht hat.

    ... und für all diejenigen, die unserem Rezensenten nicht glauben, dass "Torpedo" unter jeden volljährigen Weihnachtsbaum gehört, und die James Sallis nicht für den größten Straßenphilosophen Amerikas halten, denen empfehlen wir auch heute, wie schon seit 18 Jahren.

    " Hören Sie mal - ich möchte mich beschweren! "

    Es fällt ein Schuss.

    " Der Nächste bitte! "

    Besprochene Bücher
    Enrique Sanchez Abuli (mit Jordi Bernet), Torpedo-Gesamtausgabe, Cross Cult

    Allan Guthrie, Post Mortem, Rotbuch Krimi

    Bernhard Jaumann, Die Augen der Medusa, Aufbau

    James Sallis, Deine Augen hat der Tid, liebeskind