Ein Tusch!
Ein Schrei!
Ein Rezensent!
Hier ist sie!
Die Krimikolumne!
Heute mit grauenhaften Königen ...
... gerissenen Kleinkriminellen ...
... und greisen Klassikern
... an globalen Kriegsschauplätzen.
Genug mit dem knöchernen Stabgereime!
Denn die Krise ist vorbei!
Die Welt ist voller wunderbarer Krimis.
Er war die Neuentdeckung des letzten Jahres. Er ist der aktuelle Gewinner des "Deutschen Krimi Preises". Und das ist so merkwürdig wie seine Krimis tough und geradeaus sind. Er ist: Richard Stark.
Und damit beginnen die Probleme: Denn als Richard Stark 1933 geboren wird, da heißt er noch Donald E. Westlake. Als dieser hat er gut hundert Krimis veröffentlicht, die in den sechziger und siebziger Jahren in Publikums-Verlagen tausendfach verkauft wurden. Auch als Tucker Coe war Westlake damals bekannt. Oder als Curt Clark, als Timothy J. Culver, als Morgan J Cunningham, als Sheldon Lord, als Edwin West, Alan Marschall oder als Samuel Holt oder eben als Richard Stark.
Als Richard Stark hat Westlake 20 Romane verfasst, die den vornamenlosen Berufskriminellen Parker zum Helden haben. Die Parker-Romane verkauften sich bis Mitte der siebziger Jahre ganz wacker. Krimi-Dutzendware. Dann verließ den Ullstein-Verlag das Interesse an Stark und seinem Verbrecher Parker. Subtilere Krimis waren gefragt. Starks Bücher, damals eher der Schund-Literatur zugehörig, wurden vergessen. Drei Jahrzehnte lang.
Bis im letzten Jahr der ehrwürdige Zsolnay-Verlag wie aus dem Nichts den 20. Parker-Krimi veröffentlichte und damit bei Kritik und Publikum einen Riesenerfolg landete. Applaus, Lobeshymnen, Krimipreise!
So etwas Kraftvolles hatte man lange nicht gelesen!
Alles, was früher nach Schmuddel und Durchschnitt geklungen hatte, war auf einmal scharf, exakt, wild, ungebändigt. Ein 75-jähriger Newcomer war geboren: Richard Stark!
Der dann allerdings sofort wieder abtrat. Exakt am letzten Tag des Jahres 2008 verstarb Westlake im Alter von 75 Jahren. Sein Geniestück "Fragen Sie den Papagei", der 20. Band seiner Parker-Bücher sollte sein letztes Buch sein.
Weshalb der Zsolnay-Verlag jetzt also nicht den Folgeband, sondern den Vorgängerband veröffentlicht: "Keiner rennt für immer" heißt er und er endet mit der Szene, mit der "Fragen Sie den Papagei" beginnt: Parker steigt nach einem Bankraub - von Hunden gehetzt - einen Hügel hinan.
Hat er es geschafft, die Bank zu überfallen?
Hör mal, das dürfen wir nicht verraten!
Aber wir wissen es doch schon, weil wir den Folgeband schon begeistert gelesen haben!
Stimmt, das ist ein Problem.
Schreiten wir also zur Rezension:
"Keiner rennt für immer" weiß, was man mit einer Bank machen sollte.
... urteilt unser Rezensent zu "Keiner rennt für immer", den 19. Band der Parker-Reihe von Richard Stark, der absurderweise als zweites Stark-Buch gerade bei Zsolnay erschienen ist.
Ich schätze mal, da kommen noch 18 weitere.
Und - geschätzter Rezensent - wie lautet ihr Urteil?
Je älter Westlake wurde, desto besser wurde er.
Noch etwas älter aber viel lebendiger als Stark ist John Le Carre, das Spionage-Thriller-Urgestein. Tausendmal tot gesagt. Zuletzt als ihm nach dem Fall der Mauer der Stoff für seine Bücher abhanden gekommen war.
Le Carre hat daraufhin arbeitslose Agenten als Faktotum in König Ludwig Schlössern arbeiten lassen, er ließ Romane im Irak und in Afrika spielen, Heimisch wurde er dort nicht. "Marionetten", der neueste Thriller von John Le Carre, dem studierten Germanisten und ehemaligen Geheimdienstler, spielt in Hamburg, jener Stadt, die als Heimat islamistischer "Schläfer" 2001 weltberüchtigt wurde.
Issa ist Muslim und mit viel Geld hat er sich nach Hamburg schleppen lassen, wo er untergetaucht ist. Hier will er von einem distinguierten Banker jenes Geld zurück, das sein russischer Vater bei der Privatbank deponiert hat. Der Banker wiederum verliebt sich in Annabel, die engagierte Anwältin, die Issa zu seinem Recht helfen will, Hinter den Kulissen arbeiten natürlich unablässig die Geheimdienste.
Viel mehr passiert nicht im neuen Le Carre. Lange, hunderte von Seiten nicht. Die Charaktere sind etwas überzeichnet, dafür fühlt man sich als Deutscher natürlich davon lokalpatriotisch geschmeichelt, dass ein internationaler Thriller bei uns spielt.
Aber dennoch: Irgendwie scheint Meister Le Carre in seiner Meisterschaft erstarrt. Die Handlung tritt auf der Stelle, kommt nicht voran, immer länger und feiner werden die Figuren gezeichnet und...
... eben nichts passiert. Ein selbstverliebtes Alterswerk! Handwerklick ok, aber mehr auch nicht.
... urteilt unser Rezensent über "Marionetten", den neuen Le Carre, der bei Ullstein erschienen ist und trotz des Vetos unseres Rezensenten längst glückliche Leser findet.
Sehr spannend ist das Buch nicht!
Dabei ist "Marionetten" wieder einmal exzellent recherchiert. Selten war uns Hamburg so nah.
Aber spannend ist er nicht!
Immer muss er das letzte Wort haben.
... nur spannend ist das alles nicht;
... na, am Schluss ein klein wenig.
Wir bleiben in Deutschland. Wir blicken nach Berlin, in jene Stadt, in der die Spione aus der Kälte kamen.
Jakob Arjouni war einstmals eines der großen deutschen Krimi-Talente. Er erfand den ersten türkischen Detektiv Kayankaya. Er wurde von Doris Dörrie verfilmt und irgendwann, als sich Arjouni, der überaus begabte Schriftsteller, zu Höherem berufen fühlte, da verlor sich seine Spur in Nebenwerken. Er schrieb Theaterstücke, Science-Fiction-Romane, alles ganz gut, aber nichts so richtig bedeutend.
"Der heilige Eddy" heißt der neueste, bei Diogenes erschienene Arjouni-Krimi.
Ein nettes Buch.
Es handelt von Eddy, einem Kreuzberger Ganoven, der mit Trickbetrügereien seinen Lebensunterhalt verdient.
Auch mit "Der heilige Eddy" frönt Arjouni seinem unseligen Hang zum Genrestück. Allerdings bedient er mit diesem Buch ein Genre, das es in Deutschland gar nicht so richtig gibt:
Arjouni hat sich weit entfernt von den billigen Krimi-Versatzstücken, mit denen fast alle deutschen Autoren ihre Seiten füllen. Bei ihm gibt es keine abgehalfterten Detektive, schrulligen Provinz-Kriminaler oder allein stehende Power-Frauen-Ermittler mit Alkoholproblem.
Sein Eddy ist nichts als ein kleiner Gangster. Allerdings passiert dem aus Versehen ein kleiner Mord. Der kleine Mord stellt sich als Riesen-Sache heraus, denn der Tote ist einer der meistgehassten Investoren in Berlin.
Soweit, so gut gedacht. Dann aber setzt Arjounis Meisterschaft ein. Als wäre sein Buch ein Film von Billy Wilder schafft es Arjouni, einen amüsanten Krimi zu schreiben. Der windige und trotzdem hochintelligente Eddy schafft es, die größten Idioten umzubringen, die schönsten Bräute flachzulegen und dennoch ein Ganove zu bleiben, einer wie du und ich.
Du vielleicht, aber ich nicht.
Ich auch nicht, aber sicher unser Rezensent.
Alle Daumen hoch für Jakob Arjouni!
... fordert unser Rezensent für "Der heilige Eddy", erschienen im Diogenes-Verlag. ... Weißt du was mir unser Rezensent verraten hat?
Na?
Dass er solche halb witzigen, halb spannenden Bücher ansonsten nicht ausstehen kann, dass er aber den neuen Arjouni nicht aus den Händen legen konnte. Schon nach einer Seite nicht. Und er hat sich so köstlich amüsiert wie lange nicht.
Unser Rezensent kann sich amüsieren?
Sagt das ja nicht weiter.
Und noch was exotisches…
Ein Krimi, der mit Deutschland nichts am Hut hat, im Gegenteil.
Dafür ist er aktuell.
"Ein Grab in Gaza" heißt er, er ist von dem britischen Journalisten Matt Beynon Rees und bei C.H. Beck erschienen.
Ein besonderes Privileg der besseren Krimis war es immer schon, die Wirklichkeit direkter wieder zu spiegeln als andere Romane. Insbesondere trifft dies für einen Krimi zu, der kompetent mit einer Wirklichkeit umgeht, über die wir so gut wie nichts wissen: Das Leben in Gaza.
Anders als die Nachrichtenlage es vermuten lässt, leben dort nicht hauptsächlich Terroristen, sondern 1,5 Millionen Menschen. Es gibt dort ein normales Leben unter ärmlichsten Bedingungen. Es gibt dort Universitäten - eine davon wurde vor ein paar Wochen nieder gebombt. Es gibt in Gaza Familien, Schüler, Lehrer. Ein Lehrer ist Omar Jussuf, der Ermittler in Matt Beynon Rees' "Palästinenser-Krimis".
Omar Jussufs erster Fall war letztes Jahr ein Achtungserfolg, kam aber etwas behäbig daher.
Der zweite Fall ist ungleich besser.
... urteilt unser Rezensent über "Ein Grab in Gaza" von Matt Beynon Rees, erschienen im C.H. Beck Verlag.
Diesmal ist Omar Jussuf, der palästinensische Lehrer, unterwegs im Gazastreifen und selbst er, der sonst in Bethlehem lebt, versteht nur schwer, wer in Gaza gerade gegen wen, wo, warum und um was kämpft. Diese Orientierungslosigkeit gepaart mit einem Klima endloser und grundloser Gewalt ist nicht nur das ideale Setting für eine Krimi, sondern eben auch Nachhilfeunterricht für verwirrte Mitteleuropäer, die nicht verstehen können, wer im Gaza warum, wo, um was und mit wem kämpft.
Nur Israelis kommen in dem Roman nicht vor. Sie haben allerdings - es sei denn sie säßen im Panzer - keinen Zutritt zum Gaza-Streifen. Dem Realismus tut das keinen Abbruch.
Selten war ein Krimi aktueller und gleichzeitig lehrreicher.
Etwas fehlt noch!
Etwas Heimatkitsch!
Am besten Klatsch und Grausamkeiten!
Könige und Meuchelmorde!
Ein Sachbuch:
Eines von Alfons Schweiggert. Es trägt seine verblüffende These schon im Titel. Es heißt "Edgar Allan Poe und König Ludwig II.", ist im Eos-Verlag erschienen und das verblüffendste Sachbuch des Jahres.
Es beweist schlicht, dass der bayrische König Ludwig II., diese Ikone von Kitsch und Bisexualität geistig nicht von den Habsburgern oder von Königin Sissi, sondern vom Großmeister des Grauens, vom Erfinder des Kriminalromans, von Edgar Allan Poe beeinflusst war.
Alfons Schweiggerts These stützt sich auf ein Gespräch, dass Ludwig mit dem amerikanischen Schriftsteller Lew Vanderpoole führte:
"Haben Sie Poe gekannt?", soll Ludwig den Amerikaner neugierig gefragt haben. Denn für ihn sei ...
"Poe einer der größten Menschen, die je geboren wurden."
Und dann versichert der König dem verblüfften Besucher, dass er - Zitat -
seinen "Thron dafür geben würde, eine Stunde lang mit Edgar Allan Poe sprechen und die einzigartigen, seltsamen Gedanken erfahren zu können, die ihn offenbar sein Leben lang beherrschten".
Ludwig konnte seinen Thron noch eine kleine Weile behalten, denn zu diesem Zeitpunkt war der große Poe schon längst gestorben. Aber offenbar hatte Ludwig sein eigenes Schicksal in Poes Geisteswelten wieder gefunden.
Selbst Ludwigs rätselhafte Bauwut findet sich bei Poe vorformuliert. In der Geschichte "Der Park von Arnheim" verwendet ein unermesslich reicher Mann sein ganzes Vermögen darauf, sich und seine Umgebung in eine schöne Idealwelt zu verwandeln.
Für mich bisher das verblüffendste Buch des Jahres.
... und für all diejenigen, die unserem Rezensenten nicht glauben, dass es im Gaza Streifen Gerechtigkeit gibt oder König Ludwig von Krimischriftstellern beeinflusst wurde, für all diejenigen gilt auch dieses Mal wie schon seit 19 Jahren.
Besprochene Bücher:
Jakob Arjouni: Der heilige Eddy
Diogenes
John le Carré: Marionetten
Ullstein
Matt Beynon Rees: Ein Grab in Gaza
C.H. Beck
Alfons Schweiggert: Edgar Allan Poe und König Ludwig II.
Eos Verlag
Richard Stark: Keiner rennt für immer
Zsolnay
Ein Schrei!
Ein Rezensent!
Hier ist sie!
Die Krimikolumne!
Heute mit grauenhaften Königen ...
... gerissenen Kleinkriminellen ...
... und greisen Klassikern
... an globalen Kriegsschauplätzen.
Genug mit dem knöchernen Stabgereime!
Denn die Krise ist vorbei!
Die Welt ist voller wunderbarer Krimis.
Er war die Neuentdeckung des letzten Jahres. Er ist der aktuelle Gewinner des "Deutschen Krimi Preises". Und das ist so merkwürdig wie seine Krimis tough und geradeaus sind. Er ist: Richard Stark.
Und damit beginnen die Probleme: Denn als Richard Stark 1933 geboren wird, da heißt er noch Donald E. Westlake. Als dieser hat er gut hundert Krimis veröffentlicht, die in den sechziger und siebziger Jahren in Publikums-Verlagen tausendfach verkauft wurden. Auch als Tucker Coe war Westlake damals bekannt. Oder als Curt Clark, als Timothy J. Culver, als Morgan J Cunningham, als Sheldon Lord, als Edwin West, Alan Marschall oder als Samuel Holt oder eben als Richard Stark.
Als Richard Stark hat Westlake 20 Romane verfasst, die den vornamenlosen Berufskriminellen Parker zum Helden haben. Die Parker-Romane verkauften sich bis Mitte der siebziger Jahre ganz wacker. Krimi-Dutzendware. Dann verließ den Ullstein-Verlag das Interesse an Stark und seinem Verbrecher Parker. Subtilere Krimis waren gefragt. Starks Bücher, damals eher der Schund-Literatur zugehörig, wurden vergessen. Drei Jahrzehnte lang.
Bis im letzten Jahr der ehrwürdige Zsolnay-Verlag wie aus dem Nichts den 20. Parker-Krimi veröffentlichte und damit bei Kritik und Publikum einen Riesenerfolg landete. Applaus, Lobeshymnen, Krimipreise!
So etwas Kraftvolles hatte man lange nicht gelesen!
Alles, was früher nach Schmuddel und Durchschnitt geklungen hatte, war auf einmal scharf, exakt, wild, ungebändigt. Ein 75-jähriger Newcomer war geboren: Richard Stark!
Der dann allerdings sofort wieder abtrat. Exakt am letzten Tag des Jahres 2008 verstarb Westlake im Alter von 75 Jahren. Sein Geniestück "Fragen Sie den Papagei", der 20. Band seiner Parker-Bücher sollte sein letztes Buch sein.
Weshalb der Zsolnay-Verlag jetzt also nicht den Folgeband, sondern den Vorgängerband veröffentlicht: "Keiner rennt für immer" heißt er und er endet mit der Szene, mit der "Fragen Sie den Papagei" beginnt: Parker steigt nach einem Bankraub - von Hunden gehetzt - einen Hügel hinan.
Hat er es geschafft, die Bank zu überfallen?
Hör mal, das dürfen wir nicht verraten!
Aber wir wissen es doch schon, weil wir den Folgeband schon begeistert gelesen haben!
Stimmt, das ist ein Problem.
Schreiten wir also zur Rezension:
"Keiner rennt für immer" weiß, was man mit einer Bank machen sollte.
... urteilt unser Rezensent zu "Keiner rennt für immer", den 19. Band der Parker-Reihe von Richard Stark, der absurderweise als zweites Stark-Buch gerade bei Zsolnay erschienen ist.
Ich schätze mal, da kommen noch 18 weitere.
Und - geschätzter Rezensent - wie lautet ihr Urteil?
Je älter Westlake wurde, desto besser wurde er.
Noch etwas älter aber viel lebendiger als Stark ist John Le Carre, das Spionage-Thriller-Urgestein. Tausendmal tot gesagt. Zuletzt als ihm nach dem Fall der Mauer der Stoff für seine Bücher abhanden gekommen war.
Le Carre hat daraufhin arbeitslose Agenten als Faktotum in König Ludwig Schlössern arbeiten lassen, er ließ Romane im Irak und in Afrika spielen, Heimisch wurde er dort nicht. "Marionetten", der neueste Thriller von John Le Carre, dem studierten Germanisten und ehemaligen Geheimdienstler, spielt in Hamburg, jener Stadt, die als Heimat islamistischer "Schläfer" 2001 weltberüchtigt wurde.
Issa ist Muslim und mit viel Geld hat er sich nach Hamburg schleppen lassen, wo er untergetaucht ist. Hier will er von einem distinguierten Banker jenes Geld zurück, das sein russischer Vater bei der Privatbank deponiert hat. Der Banker wiederum verliebt sich in Annabel, die engagierte Anwältin, die Issa zu seinem Recht helfen will, Hinter den Kulissen arbeiten natürlich unablässig die Geheimdienste.
Viel mehr passiert nicht im neuen Le Carre. Lange, hunderte von Seiten nicht. Die Charaktere sind etwas überzeichnet, dafür fühlt man sich als Deutscher natürlich davon lokalpatriotisch geschmeichelt, dass ein internationaler Thriller bei uns spielt.
Aber dennoch: Irgendwie scheint Meister Le Carre in seiner Meisterschaft erstarrt. Die Handlung tritt auf der Stelle, kommt nicht voran, immer länger und feiner werden die Figuren gezeichnet und...
... eben nichts passiert. Ein selbstverliebtes Alterswerk! Handwerklick ok, aber mehr auch nicht.
... urteilt unser Rezensent über "Marionetten", den neuen Le Carre, der bei Ullstein erschienen ist und trotz des Vetos unseres Rezensenten längst glückliche Leser findet.
Sehr spannend ist das Buch nicht!
Dabei ist "Marionetten" wieder einmal exzellent recherchiert. Selten war uns Hamburg so nah.
Aber spannend ist er nicht!
Immer muss er das letzte Wort haben.
... nur spannend ist das alles nicht;
... na, am Schluss ein klein wenig.
Wir bleiben in Deutschland. Wir blicken nach Berlin, in jene Stadt, in der die Spione aus der Kälte kamen.
Jakob Arjouni war einstmals eines der großen deutschen Krimi-Talente. Er erfand den ersten türkischen Detektiv Kayankaya. Er wurde von Doris Dörrie verfilmt und irgendwann, als sich Arjouni, der überaus begabte Schriftsteller, zu Höherem berufen fühlte, da verlor sich seine Spur in Nebenwerken. Er schrieb Theaterstücke, Science-Fiction-Romane, alles ganz gut, aber nichts so richtig bedeutend.
"Der heilige Eddy" heißt der neueste, bei Diogenes erschienene Arjouni-Krimi.
Ein nettes Buch.
Es handelt von Eddy, einem Kreuzberger Ganoven, der mit Trickbetrügereien seinen Lebensunterhalt verdient.
Auch mit "Der heilige Eddy" frönt Arjouni seinem unseligen Hang zum Genrestück. Allerdings bedient er mit diesem Buch ein Genre, das es in Deutschland gar nicht so richtig gibt:
Arjouni hat sich weit entfernt von den billigen Krimi-Versatzstücken, mit denen fast alle deutschen Autoren ihre Seiten füllen. Bei ihm gibt es keine abgehalfterten Detektive, schrulligen Provinz-Kriminaler oder allein stehende Power-Frauen-Ermittler mit Alkoholproblem.
Sein Eddy ist nichts als ein kleiner Gangster. Allerdings passiert dem aus Versehen ein kleiner Mord. Der kleine Mord stellt sich als Riesen-Sache heraus, denn der Tote ist einer der meistgehassten Investoren in Berlin.
Soweit, so gut gedacht. Dann aber setzt Arjounis Meisterschaft ein. Als wäre sein Buch ein Film von Billy Wilder schafft es Arjouni, einen amüsanten Krimi zu schreiben. Der windige und trotzdem hochintelligente Eddy schafft es, die größten Idioten umzubringen, die schönsten Bräute flachzulegen und dennoch ein Ganove zu bleiben, einer wie du und ich.
Du vielleicht, aber ich nicht.
Ich auch nicht, aber sicher unser Rezensent.
Alle Daumen hoch für Jakob Arjouni!
... fordert unser Rezensent für "Der heilige Eddy", erschienen im Diogenes-Verlag. ... Weißt du was mir unser Rezensent verraten hat?
Na?
Dass er solche halb witzigen, halb spannenden Bücher ansonsten nicht ausstehen kann, dass er aber den neuen Arjouni nicht aus den Händen legen konnte. Schon nach einer Seite nicht. Und er hat sich so köstlich amüsiert wie lange nicht.
Unser Rezensent kann sich amüsieren?
Sagt das ja nicht weiter.
Und noch was exotisches…
Ein Krimi, der mit Deutschland nichts am Hut hat, im Gegenteil.
Dafür ist er aktuell.
"Ein Grab in Gaza" heißt er, er ist von dem britischen Journalisten Matt Beynon Rees und bei C.H. Beck erschienen.
Ein besonderes Privileg der besseren Krimis war es immer schon, die Wirklichkeit direkter wieder zu spiegeln als andere Romane. Insbesondere trifft dies für einen Krimi zu, der kompetent mit einer Wirklichkeit umgeht, über die wir so gut wie nichts wissen: Das Leben in Gaza.
Anders als die Nachrichtenlage es vermuten lässt, leben dort nicht hauptsächlich Terroristen, sondern 1,5 Millionen Menschen. Es gibt dort ein normales Leben unter ärmlichsten Bedingungen. Es gibt dort Universitäten - eine davon wurde vor ein paar Wochen nieder gebombt. Es gibt in Gaza Familien, Schüler, Lehrer. Ein Lehrer ist Omar Jussuf, der Ermittler in Matt Beynon Rees' "Palästinenser-Krimis".
Omar Jussufs erster Fall war letztes Jahr ein Achtungserfolg, kam aber etwas behäbig daher.
Der zweite Fall ist ungleich besser.
... urteilt unser Rezensent über "Ein Grab in Gaza" von Matt Beynon Rees, erschienen im C.H. Beck Verlag.
Diesmal ist Omar Jussuf, der palästinensische Lehrer, unterwegs im Gazastreifen und selbst er, der sonst in Bethlehem lebt, versteht nur schwer, wer in Gaza gerade gegen wen, wo, warum und um was kämpft. Diese Orientierungslosigkeit gepaart mit einem Klima endloser und grundloser Gewalt ist nicht nur das ideale Setting für eine Krimi, sondern eben auch Nachhilfeunterricht für verwirrte Mitteleuropäer, die nicht verstehen können, wer im Gaza warum, wo, um was und mit wem kämpft.
Nur Israelis kommen in dem Roman nicht vor. Sie haben allerdings - es sei denn sie säßen im Panzer - keinen Zutritt zum Gaza-Streifen. Dem Realismus tut das keinen Abbruch.
Selten war ein Krimi aktueller und gleichzeitig lehrreicher.
Etwas fehlt noch!
Etwas Heimatkitsch!
Am besten Klatsch und Grausamkeiten!
Könige und Meuchelmorde!
Ein Sachbuch:
Eines von Alfons Schweiggert. Es trägt seine verblüffende These schon im Titel. Es heißt "Edgar Allan Poe und König Ludwig II.", ist im Eos-Verlag erschienen und das verblüffendste Sachbuch des Jahres.
Es beweist schlicht, dass der bayrische König Ludwig II., diese Ikone von Kitsch und Bisexualität geistig nicht von den Habsburgern oder von Königin Sissi, sondern vom Großmeister des Grauens, vom Erfinder des Kriminalromans, von Edgar Allan Poe beeinflusst war.
Alfons Schweiggerts These stützt sich auf ein Gespräch, dass Ludwig mit dem amerikanischen Schriftsteller Lew Vanderpoole führte:
"Haben Sie Poe gekannt?", soll Ludwig den Amerikaner neugierig gefragt haben. Denn für ihn sei ...
"Poe einer der größten Menschen, die je geboren wurden."
Und dann versichert der König dem verblüfften Besucher, dass er - Zitat -
seinen "Thron dafür geben würde, eine Stunde lang mit Edgar Allan Poe sprechen und die einzigartigen, seltsamen Gedanken erfahren zu können, die ihn offenbar sein Leben lang beherrschten".
Ludwig konnte seinen Thron noch eine kleine Weile behalten, denn zu diesem Zeitpunkt war der große Poe schon längst gestorben. Aber offenbar hatte Ludwig sein eigenes Schicksal in Poes Geisteswelten wieder gefunden.
Selbst Ludwigs rätselhafte Bauwut findet sich bei Poe vorformuliert. In der Geschichte "Der Park von Arnheim" verwendet ein unermesslich reicher Mann sein ganzes Vermögen darauf, sich und seine Umgebung in eine schöne Idealwelt zu verwandeln.
Für mich bisher das verblüffendste Buch des Jahres.
... und für all diejenigen, die unserem Rezensenten nicht glauben, dass es im Gaza Streifen Gerechtigkeit gibt oder König Ludwig von Krimischriftstellern beeinflusst wurde, für all diejenigen gilt auch dieses Mal wie schon seit 19 Jahren.
Besprochene Bücher:
Jakob Arjouni: Der heilige Eddy
Diogenes
John le Carré: Marionetten
Ullstein
Matt Beynon Rees: Ein Grab in Gaza
C.H. Beck
Alfons Schweiggert: Edgar Allan Poe und König Ludwig II.
Eos Verlag
Richard Stark: Keiner rennt für immer
Zsolnay