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Die Krise als Chance nutzen

Die einen sprechen von einem "schwerfälligen Tanker", andere nennen sie eine "Anstalt für Kosmetik" oder den "Nürnberger Versorgungstrichter". Gemeint ist die Bundesanstalt für Arbeit - mit über 90.000 Mitarbeitern Deutschlands größte Amtsstube. Heute vor 50 Jahren, am 1. Mai 1952, nahm die Mammutbehörde ihre Arbeit auf - als Nachfolgerin der vor 75 Jahren gegründeten Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung.

Gode Japs |
    Die Geburtstagsfeier in der vergangenen Woche fiel bescheiden aus. Proteste, Vorwürfe, Schuldzuweisungen. Ein Festakt im Zeichen der Krise. Das Motto: Auftrag und Erneuerung. Seit Monaten steht sie im Kreuzfeuer der Kritik - die Nürnberger Bundesanstalt mit ihren 181 Arbeitsämtern und über 650 Außenstellen.

    Ende vergangenen Jahres hatte der Bundesrechnungshof herausgefunden: Bei der Vermittlung von Arbeit wurde geschönt, geschlampt und geschummelt. Eine Affäre um manipulierte Statistiken, die Mitarbeiter am Pranger. Buh-Männer der Nation, das mag der Personalratsvorsitzende Eberhard Einsiedler nicht auf seinen Kolleginnen und Kollegen sitzen lassen:

    Wir alle sind verärgert, enttäuscht, ja sogar zornig, wie in den letzten Wochen von Politik und Medien mit uns umgegangen wurde. Dies stärkt nicht die Motivation, sondern treibt Mitarbeiter eher in Verbitterung oder Resignation.

    Das hat auch der Bundesarbeitsminister erkannt. Walter Riester schafft ungewohnt schnelle gesetzliche Veränderungen. Der Nürnberger Moloch wird entrümpelt und umgekrempelt - vom Amt zum Dienstleister. Konsequenzen werden gezogen aus dem Statistik-Skandal der Arbeitsämter - allerdings ohne die Mitarbeiter zu verprellen:

    Jede Generalkritik oder gar Generalverdacht ist unangemessen. Er schmälert die in der Tat sehr richtige Kritik. Aber vor allem diese Verunsicherung führt uns nicht weiter. Denn ich weiß: Gerade die Mitarbeiter der Bundesanstalt sind tagtäglich konfrontiert mit einer der schwersten Herausforderungen. Zu ihnen kommen Menschen, verunsichert in ihrer Existenzmitte mit dem Verlust des Arbeitsplatzes, händeringend nach Arbeit suchend, Menschen, die Beratung bedürfen und dies in einer häufig für die Mitarbeiter sehr stressbezogenen Situation.

    Der Wiederaufbau der Arbeitsverwaltung im Nachkriegs-Deutschland beginnt 1947. 100tausende Kriegsheimkehrer, Vertriebene und Flüchtlinge suchen Beschäftigung - meist vergeblich. Sie müssen stempeln gehen. Die Arbeitsämter nehmen ihre Tätigkeit wieder auf. Sie werden den neu entstandenen Ländern unterstellt.

    Bald schon setzen Bestrebungen ein, Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung wieder einer zentralen Institution zu übertragen. Im Mai 1952 ist es dann so weit: Die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung wird ins Leben gerufen. Edmund Dude war viele Jahre Vorsitzender des Verwaltungsrats:

    Die Bundesanstalt ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung. Und die Selbstverwaltung in der Bundesanstalt wird verkörpert durch den Vorstand und durch den Verwaltungsrat in Nürnberg. Die ist zusammengesetzt aus Vertretern der Arbeitgeber, der Arbeitnehmer und der sogenannten öffentlichen Bank.

    Gewerkschaften und Arbeitgeber favorisieren zunächst die paritätische Mitbestimmung - ohne die öffentliche Hand. Doch da spielt der Bundestag nicht mit. In dem Gesetz über die Errichtung einer Bundesanstalt vom 10. März 1952 wird die paritätische Beteiligung der Sozialpartner und der Vertreter der öffentlichen Körperschaften an der Selbstverwaltung festgelegt.

    Diese Selbstverwaltung ist in den letzten Monaten im Zusammenhang mit der Affäre um manipulierte Statistiken ebenfalls in Misskredit geraten. Die Vorwürfe: Die Gremien kämen ihren Kontrollaufgaben nicht nach, bedienten sich selbst und vertuschten manche Missstände.

    Früher hörte man andere Töne. Viel Lob gerade für die Selbstverwaltung - zum Beispiel 1975 vom langjährigen Vorsitzenden der CDU-Sozialausschüsse und ehemaligen Bundesarbeitsminister Hans Katzer:

    Das ist eine Selbstverwaltung. Da sitzen Arbeitgeber, da sitzen Arbeitnehmer, da sitzt die öffentliche Hand - das ist eine Drittelparität. Das sind bürgernahe Selbstverwaltungen, die haben doch das Ohr beim Menschen selbst.

    Josef Stingl, von 1968 bis 84 Präsident der Nürnberger Anstalt, sah stets einen Vorteil darin, dass es in der Selbstverwaltung die sogenannte "dritte Bank" gibt, eben die Vertreter der öffentlichen Hand.

    Das ist ein sehr großer Vorteil. Dadurch muss mehr argumentiert werden, als wenn man Ich und Du hat. Wenn auch noch ein dritter Er dabei sitzt, da muss man sehen, dass man die Stimme von diesem kriegt. Und das verlangt, dass man gut argumentiert. Und ich muss sagen: Dass wir in Deutschland doch mit Streiks und Aussperrungen, mit Tarifkonflikten noch sehr gut weggekommen sind, liegt auch zu einem Teil darin, dass wir in den Sozialversicherungseinrichtungen eben diese Selbstverwaltung haben.

    1950 startet die junge Bundesrepublik mit elf Prozent oder fast 1,9 Millionen Arbeitslosen in ihr Wirtschaftswunder. Die Bundesanstalt hat vorrangig die Aufgabe der Arbeitsvermittlung, Berufsberatung und Arbeitslosenversicherung. Herbert Hermann ist schon 1952 als Lehrling bei der Arbeitsverwaltung dabei:

    Es war einmal, dass wir viele, viele Arbeitslose hatten, diese immer in Schlangen anstanden, wenn sie ihre sogenannte Arbeitslosenunterstützung abgeholt haben, weil wir seinerzeit noch die Barzahlung hatten. Das heißt also, dass jeden Zahltag - der war wöchentlich gewesen - Riesenschlangen vor dem Arbeitsamt standen.

    Das ändert sich erst viele Jahre später. Unter Josef Stingl wird die bargeldlose Zahlung eingeführt:

    Weil ich da auch ein Stück Menschlichkeit verwirklichen wollte. Ich habe es einfach in unserer Zeit nicht für menschenwürdig empfunden, wenn einer, der Geld holt, erst einmal vor einem Schalter sich bücken muss - das war ja auch in den Eingängen der Arbeitsämter so. Das hielt ich für unangebracht, für unangemessen. Und das Anstehen nach Geld eben auch.

    1956 ist der Aufbau der Arbeitsverwaltung weitgehend abgeschlossen. Die sogenannte "große Novelle" stellt die Rechtseinheit auf dem Gebiet der Arbeitslosenversicherung wieder her; das Versicherungsprinzip wird gestärkt, der Versicherungsschutz neu gestaltet. Auch Leistungsmissbrauch kann nun besser bekämpft werden. Bis 1969 wird die gesetzliche Grundlage für die Arbeit der Nürnberger Anstalt insgesamt noch 18 mal geändert. Von besonderer Bedeutung sind dabei die Einführung des Schlechtwettergeldes für die Bauwirtschaft im Dezember 1959 und neue Vorschriften für die Bemessung des Arbeitslosengeldes.

    1962 - zehn Jahre nach Gründung der Bundesanstalt - liegt die Arbeitslosenrate bei 0,7 Prozent. Vollbeschäftigung. Den knapp 150.000 Arbeitslosen stehen fast 800.000 offene Stellen gegenüber. Ein Zustand, von dem man heute nur noch träumen kann. Arbeit satt - aber zu wenig Arbeitskräfte. Ausländer werden angeworben als Gastarbeiter. Sie kommen aus Italien, Griechenland, Spanien, Portugal und der Türkei. Der Türke Achmed Bajar erinnert sich:

    Ich war damals ein kleiner Junge in einem deutschsprachigen Gymnasium und kann mich genau erinnern, dass eben vor dieser deutschen Verbindungsstelle immer eine sehr lange Warteschlange war. Und die Auswahlkriterien waren sehr streng.

    Wer diese Kriterien - vom Gesundheitsschutz bis zur Kleidung - erfüllt, darf nach Deutschland kommen: als willkommene Hilfskraft, ausgesucht und begleitet von Mitarbeitern der Arbeitsbehörde. Herbert Hermann:

    Es war für diese Kollegen auch eine ganz schön schwere Arbeit, denn die beherrschten ja nicht die Landessprache. Einige hundert fremde Menschen im Sonderzug über vielleicht zwei Tage zu betreuen, war sicher nicht einfach gewesen.

    Arbeitslosigkeit wird zum Fremdwort. Für ein halbes Jahr werden sogar die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung ausgesetzt. Es ist genug Geld in den Kassen. Im April 1968 weist die Statistik der Bundesanstalt rund 330.000 Arbeitslose aus. Das sind 1,6 Prozent.

    Am 1. Juli 1969 löst das Arbeitsförderungsgesetz das Gesetz aus dem Jahre 52 ab. Der Auftrag der "Bundesanstalt für Arbeit" - so heißt sie jetzt offiziell - wird neu definiert. Nicht mehr der Schadensausgleich, sondern die Vorsorge, - vorbeugende Hilfe, Weiterbildung und Qualifizierung - rückt in den Vordergrund. Zusätzlich zur Berufsberatung, Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung wird den Arbeitsämtern die Förderung der beruflichen Bildung zugewiesen. Josef Stingl:

    Wir möchten gern- das ist der Sinn des Arbeitsförderungsgesetzes -, dass jeder seinen Arbeitsplatz bekommt, wobei ich das "Seinen" etwas umgedeutet habe. Früher hieß "sein" Arbeitsplatz: Er nimmt ihn mit 15 Jahren ein und steigt mit 65 Jahren aus diesem Arbeitsplatz aus - das war "sein". Ich meine jetzt unter "seinem": Er soll den Arbeitsplatz zur jeweiligen Zeit haben, der seinen Fähigkeiten entspricht. Das ist eine große Aufgabe. Ich weiß natürlich, dass man da halt nicht sagen kann, das wird uns ohne Not und Kummer gelingen.

    Not und Kummer kommen schneller als den Politikern lieb ist: Anfang der 70er Jahre die Ölkrise, autofreie Sonntage und immer weniger Arbeit. Helmut Schmidt, damals Bundeswirtschaftsminister, warnt:

    Fünf Prozent Arbeitslosigkeit in Deutschland führen politisch zum Zerfall der Demokratie. Schon zwei Prozent Arbeitslosigkeit, wie wir sie im Jahre 1967 zu verzeichnen hatten, führen zu schwersten innenpolitischen Verwerfungen, haben damals zum Beispiel zum Aufstieg der Nationaldemokratischen Partei geführt, wie sich diese Neonazis genannt haben. Drei oder vier Prozent wäre für Deutschland unerträglich.

    Helmut Schmidt im September 1972. Zwei Jahre später - 1974 - gibt es in Deutschland bereits wieder 4,7 Prozent ohne Job. Die Arbeitslosigkeit wird zu einem strukturellen Problem. Experten und Politiker sind macht- und hilflos. Josef Stingl erhält den Spitznamen "Bundesunke", weil er nur noch schlechte Botschaften vom Arbeitsmarkt zu verkünden hat.

    Die Arbeitsämter dagegen haben Arbeit ohne Ende: Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Kurzarbeit, Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess, Lehrgänge und Umschulungen. Moderne Ausbildungszentren entstehen. Übungsfirmen werden gegründet. Es blüht ein neuer Wirtschaftszweig in Deutschland: Die Industrie gegen die Arbeitslosigkeit. Ihr größter Kunde: die Nürnberger Behörde.

    Doch effektive Rezepte zur Eindämmung der hohen Arbeitslosenzahlen findet weder Josef Stingl noch sein Nachfolger Heinrich Franke. Beim Wechsel an der Spitze in Nürnberg im April 84 werden 2,5 Millionen Arbeitslose gezählt. In Deutschland stehen die Zeichen auf Streik und Aussperrung. Und der neue Chef Heinrich Franke belastet seinen Amtsantritt mit einem Paukenschlag: Für ausgesperrte Arbeiter und Angestellte gibt es kein Geld:

    Das wird vorgeschrieben in den entsprechenden Paragraphen des Arbeitsförderungsgesetzes und in der Neutralitätsanordnung, die die Gremien der Bundesanstalt für Arbeit dem Präsidenten als Entscheidungsspielraum gegeben haben. Es ist kein großer Entscheidungsspielraum vorhanden.

    Das sehen die Gewerkschaften ganz anders. Sie kontern:

    Wer aussperrt, gehört eigentlich eingesperrt.

    Der politische Streit landet vor den Sozialgerichten. Sie erklären den Vorstoß Frankes für rechtswidrig. Eine Niederlage, von der sich der neue Chef der Bundesanstalt nur schwer erholt. - Das Heer der Arbeitslosen wächst weiter an. Und Kritik wird laut an den Methoden, wie in Deutschland die Arbeitslosigkeit gemessen wird.

    Kritik aber nicht nur an der Statistik. Sie ist auch zu hören gegenüber dem "Wasserkopf", der Zentrale in Nürnberg. Die sei zu unbeweglich, heißt es. Die Bundesanstalt für Arbeit müsse ausgebaut werden zu einem wirklichen Dienstleistungsunternehmen.

    Franke reagiert. Eine Offensive wird gestartet: Qualifizierung gegen Arbeitslosigkeit. Und des Präsidenten Lieblingskind erblickt das Licht der Welt: der Stelleninformationsservice. Doch ein eigenes EDV-System kommt nur schleppend in die Gänge. Noch heute gilt die Datenverarbeitung als eine der ganz großen Schwachstellen in Nürnberg.

    Ende der 80er Jahre boomt es wieder in der Bundesrepublik. Die Arbeitslosigkeit sinkt unter die Zwei-Millionen Grenze, liegt 1989 knapp unter acht Prozent. Dann kommt die Wende: Im November 1989 fällt die Berliner Mauer, am 3. Oktober 1990 schließlich die Wiedervereinigung. Sie stellt die Bundesanstalt vor ihre bislang größte und wohl auch schwierigste Herausforderung.

    Die Strukturen der Bundesanstalt mit ihren Landes- und untergeordneten Arbeitsämtern werden auf die fünf neuen Bundesländer übertragen. Dort gab es keine "Arbeitslosenversicherung", weil es in der DDR offiziell auch keine Arbeitslosigkeit gab. Der damalige Bundesarbeitsminister Norbert Blüm:

    Es ist fast ein Wunder. Innerhalb weniger Monate mussten wir eine Arbeitsverwaltung aus dem Boden stampfen. Das wäre im Normalfall ein Programm von fünf Jahren gewesen, was wir in fünf Monaten geschafft haben. Deshalb meine ich: Man muss auch noch einmal die Leistung vieler tausend Mitbürger anerkennen, die ganz ohne jede öffentliche Beachtung Großes geleistet haben.

    In den neuen Ländern vollzieht sich der Wandel vom Plan zum Markt. Von der Treuhand werden 15.000 ehemalige DDR-Betriebe "abgewickelt". Und es gibt nur ganz wenige neue Arbeitsplätze. "ABM" heißt im Osten das Allheilmittel zur Bewältigung der Jobkrise. Ende 91 stehen in den neuen Bundesländern allein 400.000 Menschen in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Allenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein. Bernhard Jagoda tritt im Januar 1993 die Nachfolge von Heinrich Franke als Präsident der Bundesanstalt für Arbeit an. Jagoda erinnert sich:

    Ich will sagen, dass wir im Jahre 90/91 und folgende natürlich die aktive Arbeitsmarktpolitik sehr weit ausgefahren haben in den neuen Bundesländern. Vergessen Sie bitte nicht, dass wir in der Spitze mit diesen Instrumenten 2,1 Millionen Menschen vor Arbeitslosigkeit bewahrten. Das ist aber kein Normalfall, sondern das war nur zu begründen mit dem Strukturumbruch, den wir beim Übergang von der Planwirtschaft der DDR zur sozialen Marktwirtschaft hinnehmen mussten.

    Doch die Arbeitslosigkeit ist nicht zu stoppen: Im Januar 94 meldet Nürnberg für Deutschland einen neuen Höchststand: Mehr als vier Millionen Beschäftigungslose! 8,2 Prozent im Westen; 15,2 Prozent im Osten. Es kommt noch schlimmer. 1997 gibt es bundesweit 12,7 Prozent - im Osten sind es 19,5, im Westen elf Prozent.

    Patentrezepte zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sind nicht in Sicht. Es wird allenfalls an den Symptomen herumgedoktert. Ohne Erfolg. Die Effizienz der Bundesanstalt wird immer stärker in Zweifel gezogen: schwerfällig und aufgabenüberfrachtet.

    Bernhard Jagoda versucht umzusteuern. Das Serviceangebot wird ausgebaut. Mit dem "Arbeitsamt 2000" soll das Image des "Nürnberger Versorgungstrichters" poliert werden. Erste Erfolge zeichnen sich ab. Doch durch ein Gutachten des Bundesrechnungshofs stürzt die Bundesanstalt im Dezember 2001 in ihre bislang schlimmste Krise. Die Arbeitsamtaffäre um geschönte Vermittlungsstatistiken bringt den Nürnberger Tanker in unruhige Wasser. Der Ruf nach Jagodas Rücktritt wird laut. Doch der Präsident will das Steuer noch nicht aus der Hand geben:

    Ein Kapitän geht nicht, wenn Sturm ist, von der Brücke. Und jetzt ist Sturm, und den gucken wir uns erst einmal genau an. Ich mach' mich nicht dünne, ich gehe nicht stiften.

    Die rot-grüne Koalition reagiert: Jagoda muss gehen. Arbeitsminister Walter Riester macht Nägel mit Köpfen, beruft den rheinland-pfälzischen Sozialminister Florian Gerster zum neuen Anstalts-Chef, will die Bundesanstalt reformieren. Vor allem in drei Bereichen:

    Erstens: Jobactiv muss weiterhin zum Erfolg geführt werden. Vermittlung muss erkennbar und belegbar und in großem Umfang erreicht werden. Zweitens: Die Arbeitsverwaltung muss die große Herausforderung durch die private Vermittlung bestehen. Und drittens: Die Integration von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe muss gelingen.

    So weit die politischen Vorgaben. Sie sollen nun umgesetzt werden vom Vorstandsvorsitzenden Gerster. Vollmundig kündigt er neue Zeiten für die skandalgeschüttelte Behörde an. Sein Reformplan: Nürnberg soll nach privatwirtschaftlichem Vorbild zu einem Dienstleistungsunternehmen umgestaltet werden.

    Es darf nicht nur kosmetische Veränderungen geben. Es muss sich gewissermaßen die Philosophie der Bundesanstalt verändern in Richtung einer aktivierenden Rolle und einer weniger verwaltenden Rolle.

    Den Begriff der aktivierenden Rolle greift auch Bundeskanzler Gerhard Schröder auf. Er möchte die Krise der Arbeitsverwaltung nun als Chance zu durchgreifenden Reformen nutzen. "Aktivierende Arbeitsmarktpolitik" heißt sein neues Zauberwort:

    Aktivierende Arbeitsmarktpolitik folgt einem neuen Verständnis. Hier geht es weit stärker als bisher um den einzelnen Menschen, der Beschäftigung sucht und um dessen individuelles Qualifikations- und damit Beschäftigungsprofil. Und sie orientiert sich viel stärker an den Stellenprofilen und den Qualifikationsanforderungen, die die Arbeitsplätze in den Unternehmen heute aufweisen.

    Die Krise als Chance nutzen, fordert nicht nur der Bundeskanzler. Dieses Motto haben sich mittlerweile auch die Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf die Fahne geschrieben, genauso wie die Opposition. Alle fordern eine Reform an Haupt und Gliedern. Auch Christoph Kannengießer vom Arbeitgeberverband. Er ist zur Zeit der Vorsitzende in den Selbstverwaltungsgremien in Nürnberg.

    Ziel muss eine deutlich verschlankte, eine entbürokratisierte, eine sich als Dienstleister verstehende, der Kooperation mit privaten Dienstleistern aufgeschlossene und sich auf ihre Kernaufgabe konzentrierende Bundesanstalt sein, die sich wesentlich stärker als bislang an den Kriterien und Prinzipien von Wirtschaftlichkeit und Effizienz orientiert.

    Wie weit Reformvorstellungen in die Praxis umgesetzt werden, bleibt abzuwarten. Als Richtschnur gilt: Ein wie auch immer gearteter Umbau der Nürnberger Mammut-Verwaltung soll dazu beitragen, die Arbeitslosigkeit abzubauen. Neue Vorschläge werden im August erwartet. Dann legt die von der Bundesregierung berufene Kommission unter dem Vorsitz von VW-Arbeitsdirektor Peter Hartz ihre Umbaupläne für die künftige "Bundesagentur für Arbeit" vor.

    Link: Arbeitsamt