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"Die Krönung der Poppea" am Opernhaus Zürich
Selfies für Monteverdi

Der Selfie-Wahn der Generation Instagram inspirierte Regisseur Calixto Bieito für seine aktuelle Inszenierung der "Krönung der Poppea" am Opernhaus Zürich. Die Sänger von Monteverdis Oper drehen während der Vorstellung Videos von sich, die auf übergroße Leinwände übertragen werden.

Von Elisabeth Richter | 25.06.2018
    Eine Totale von der Bühne, in deren Mittel das Orchester eingelassen ist, an den Seiten sieht man diverse Videoeinspielungen
    Szene aus "Die Krönung der Poppea" - inszeniert von Calixto Bieito (Opernhaus Zürich - Foto: Monika Ritterhaus)
    Das Orchester sitzt mittendrin. Die Sänger agieren auf einem Laufsteg um das Orchester. Eine Arena, in der die musikalischen Aktionen an diesem Abend so spannend werden, wie vermutlich im alten Rom die Kämpfe im Kolosseum. Das Publikum sitzt auch auf der Bühne, auf zwei Tribünen, in der Mitte eine breite Treppe als Raum für die Sänger. Die Bühnenrückwand wird zur Riesen-Leinwand. Die ersten Logen rechts und links sind mit sieben variabel großen Videoscreens einige Ränge hoch verdeckt. Ungewöhnlich und bemerkenswert ist das Bühnenkonzept von Rebecca Ringst allemal.
    Lauftsteg – das lässt an die Modewelt, an einen Jahrmarkt der Eitelkeiten denken, wo man sich selbst im besten Licht zeigen möchte.
    Schein und Sein
    "In dieser Zeit, in der Monteverdi und Busenello, sein Librettist gelebt haben, war eines der Themen, die diskutiert wurden, da gab es ja verschiedene Akademien, wo man sich getroffen hat, eins dieser Themen war eben auch Ethik und Moral und Schein und Sein",
    sagt die Dramaturgin der Zürcher Neuinszenierung Beate Breidenbach.
    Monteverdis "Die Krönung der Poppea" steht jedem Krimi in nichts nach. Kaiser Nero gibt seiner Gattin Ottavia den Laufpass und macht seine Geliebte, die Kurtisane Poppea zur Kaiserin. Er zwingt noch seinen mahnenden Lehrer Seneca zum Selbstmord. Ottavia gibt einen Mord an Poppea in Auftrag, den Poppeas verstoßener Liebhaber Ottone ausführen soll. Ein Welt voller Intrigen. Schein und Sein spielten eine wichtige Rolle, so Beate Breidenbach.
    "Wenn wir uns das anschauen, um was für eine Art von Liebe es hier geht, die ja doch eher wohl eine Illusion von Liebe ist und vielmehr die Lust und die Begierde, dann kommt uns das geradezu unfassbar modern vor."
    Poppea (gespielt von Julie Fuchs) und Nerone (dargestellt von David Hansen) stehen in der Bildmitte. Im Hintergrund ist ein Teil des einrahmenden Publikums zu sehen. 
    Poppea (gespielt von Julie Fuchs) und Nerone (dargestellt von David Hansen) (Opernhaus Zürich - Foto: Monika Ritterhaus)
    Die Generation Facebook, instragram und Co., die in ihrem Selfie-Wahn sekündlich hunderttausende Bilder ins "world-wide-web" stellt, war Inspiration für Calixto Bieitos Inszenierung. Videos sind sein wesentliches Stilelement. Beate Breidenbach:
    "Man filmt sich ständig, will sich ständig gut präsentieren, deswegen gibt es bei uns ganz viel Video vorproduziertes, aber auch Live-Videokameras, wir haben so kleine GoPro-Kameras, dass die Sänger sich auch mal selber filmen und sich ins rechte Licht rücken können."
    Live- und vorproduzierte Videos in Opernproduktionen zu benutzen ist schon lang nichts neues mehr, im rechten Maß kann es eine Inszenierung spannend machen. Sie ermöglichen zum Beispiel auch die Gleichzeitigkeit von Handlungen zu zeigen, was ohne Videos viel schwerer ist. Bei Bieito sieht man immer wieder im harten Close up die Gesichter der leidenden betrogenen Figuren, wie den von Poppea verlassenen Ottone etwa. An der Gesichtsmimik wurde eindrücklich gearbeitet.
    Videos werden zu dominant
    Dennoch werden bei Calixto Bieitos "Poppea" die Videos so dominant, dass sie das wirkliche schauspielerische Agieren der Sänger in den Hintergrund treten lassen. Man schaute fast nur noch auf die Videos, wurde aber durch die vielen parallel gezeigten Bilder abgelenkt und ermüdete im Verlauf. Auch wenn bei dieser ohnehin schon vom altrömischen Sex and Crime gespeisten Handlung enorm viel Theaterblut spritzt. Köpfe werden brutal auf den Boden geschlagen, Seneca liegt in seinem eigenen Blut in der Badewanne.
    Es war zu erwarten, dass Calixto Bieito, der ja für seine Blood-Sweat&Tears-Ästhetik berühmt-berüchtigt ist, diesen Aspekt betonen würde. Erstaunlicher ist, dass er eigentlich die handelnden Figuren ein wenig nivelliert. Alle sind mehr oder weniger Mitglieder einer feinen, exhibitionistischen Party-Gesellschaft von heute. Es fällt quasi unter den Tisch, dass Monteverdi hier Götter, Kaiser, Adlige und einfaches Volk zusammen agieren lässt und das alles auch musikalisch verdeutlicht. Hier kommt Ottavio Dantone, der unglaublich inspirierende Dirigent am Pult des Orchestra La Scintalla vom Opernhaus Zürich ins Spiel.
    Sensible Instrumentierung
    Von Monteverdi sind keine Instrumentierungen überliefert, sie müssen für die jeweiligen Aufführungen erstellt werden. Selten hat die Instrumentierung so einleuchtend, sensibel und abwechslungsreich die Sinnlichkeit und Erotik der Musik gezeigt. Die Zinken (Holztrompeten) haben viel zu tun und werden von dem Originalklang-Ensemble La Scintilla atemberaubend perfekt gespielt, der Dulzian, ein frühes Fagottinstrument, unterstützt für die komischen Figuren, Seneca philosophiert würdig mit Orgel und Kontrabass. Hier haben wir eine musikalische Differenzierung der sozialen Schichten, die die Regie nicht zeigt.
    Auch sängerisch ist diese Produktion ein einziges Fest, exzellent besetzt bis in die Nebenstimmen. Wunderschön sinnlich und eindringlich der Sopran von Julie Fuchs als Poppea, satt, dunkel, betörend-beschwörend der Mezzosopran von Stéphanie d’Oustrac als Ottavia, sonor, würdig, mit samtenem Timbre der Bass von Nahuel di Pierro als Seneca. Der australische Countertenor David Hansen war darstellerisch ein viriler Nero, und zu der enorm schweren und hoch liegenden Partie Nerone passte seine manchmal ein wenig stählern klingende Stimme gut, Hansen konnte aber auch technisch souverän das schillernde Flair des verrückt-exzessiven Kaisers authentisch vermitteln.