Samstag, 27. April 2024

Archiv


Die Kultur der Konkurrenz

Die Nützlichkeit des Konkurrenzprinzips in der Geschichte dürfte außer Frage stehen. Dessen haben sich jetzt Sozial-, Politik- und Kulturwissenschaftler sowie Sozialpsychologen und Sozio-Biologen auf einer Tagung des Internationalen Kollegs Morphomáta in Köln ausdrücklich versichert.

Von Kersten Knipp | 24.11.2012
    Konkurrenz belebt das Geschäft, sagt ein Spruch, der ebenso wahr wie hart ist. Hart, weil man weiß, man muss sich anstrengen, um anerkannt zu werden in dem, was man tut. Und wenig hat die Moderne so sehr verinnerlicht wie den Konkurrenzgedanken. Doch so nüchtern der Konkurrenzgedanke auch ist, erläutert der in Köln lehrende Historiker Ralph Jessen – er birgt auch ein moralisches Prinzip.

    "Es steht immer im Streit die Frage, inwieweit die Freisetzung von Konkurrenz Leistungen erbringt, zu höheren Leistungen stimuliert - in gewisser Weise auch mehr Gerechtigkeit schafft, weil das Leistungsprinzip in höherem Maße gilt. Und diejenigen, die erfolgreich sich in einem Feld bewähren, die Chance haben, auch sich durchzusetzen."

    So verstanden, erläutert der in Köln lehrende Historiker Karl-Joachim Hölkeskamp, verwandelt sich Konkurrenz von einem Prinzip der Rivalität in eines, das in der Lage ist, eine Gesellschaft zu organisieren. Es gelte nämlich, …

    "... dass Konkurrenz nur funktioniert – und nicht nur funktioniert, sondern sogar befriedend, konfliktkanalisierend wirkt -, wenn sich die Akteure und der Schiedsrichter an einen im Konkurrenzverhalten nicht verfügbaren Rahmen von Regeln halten. Das heißt, es ist eine Sache, die einen Grundkonsens voraussetzt. Interessant ist, dass also die Grundbegriff Konkurrenz und Konsens in unserem Modell notwendig komplementär sind. Eins bedingt das andere."

    Und das, so der in Bielefeld lehrende Soziologe Tobias Werron, hat seinen weltweiten Siegeszug gefördert.

    "Die Denk- und Argumentationsweise ist ja in diesem Sinne universalistisch. Und man muss schon vermuten, dass es eine Assoziation gibt, zwischen dieser Art Denken und der Moderne, in der wir uns befinden, die solche Denkweisen schätzt. Also in diesem Sinne gibt es einen weltkulturellen Vorteil für diese Art, zu beobachten."

    Konkurrenz befördert Kreativität. Doch das allein macht ihre weite Verbreitung nicht allein aus. Hinzu kommt eine große ästhetische Kraft. Ralph Jessen.

    "Dann hat es natürlich auch eine hohe Attraktion, wenn man jetzt an die mediale performative Inszenierung der Konkurrenz denkt. Die Fernsehformate sind ja voll davon. Und das hat ja auch einen hohen Unterhaltungswert, wenn man diese Sphäre betrachtet. Aber generell ist es zunächst mal das Versprechen von Leistung, von Effizienz und von Legitimität von Unterschieden."

    Was geschieht, wenn Konkurrenz politisch nicht zugelassen wird, konnte man im 20. Jahrhundert im Osten Europas erleben. Karl-Joachim Hölkeskamp.

    "Es gibt auch Gesellschaften, die dazu neigen, Konkurrenz gegen Null zu stillen. Das sind totalitäre Gesellschaften. Auch der real existierende Sozialismus gehört in die Kategorie: dass Konkurrenz in ganz enge Bereiche und unter strengste Kontrolle, die sozusagen dazu führt, dass Konkurrenz gegen Null tendiert, gestellt wird."

    Diese Zeit ist vorbei. Die meisten gegenwärtigen Gesellschaften basieren auf der Konkurrenz – und wetteifern miteinander, in vielerlei Hinsicht: Bildung, Gesundheit, Kreditwürdigkeit, Toleranz. Die Frage ist nur: Spiegeln die Rankings, die aus diesem Wetteifern resultieren, tatsächlich die Wirklichkeit? Tobias Werron:

    "Man muss aber natürlich sehen, dass die Kriterien, nach denen die Kriterien, auf denen solche Einteilungen, Rankings von Staaten entstehen, sehr komplexe Datensammlungs- und Auswertungsprozesse sind, von denen man häufig nicht so genau weiß, was sie bedeuten. Und ob sie nun wirklich Leistungen widerspiegeln oder ob sie nicht gewissermaßen eine Welt eigener Art konstruieren."

    "Konkurrenzkulturen in historischer Perspektive", nannte das an der Universität Köln angesiedelte "Internationale Kolleg Morphomata" sein Symposium. Das Kolleg weiß, wovon es spricht: Auch es selber muss sich gegen Konkurrenz anderer Kollegs behaupten. Sodass das klug durchdachte Symposium auch in sich selbst zeigte, wie viel Kreativität Konkurrenz freisetzt.