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Die Kultur, die aus der Wüste kam

Die Hochkultur der Pharaonen im alten Ägypten gilt als Vorläufer der westlichen Zivilisationen. Und wie selbstverständlich suchten die Archäologen deshalb auch die Wurzeln dieser ägyptischen Hochkultur im Mittelmeerraum und im vorderen Orient. Doch Ägypten liegt in Afrika und im Sand des südlichen Ägyptens des Nordsudan finden sich nun auch die Gerätschaften, der Schmuck und die Keramikscherben der Vorgänger der Hochkultur am Nil. Sie besiedelten die Sahara, als dort vor 10 000 Jahren begünstigt durch warme Monsunregen eine seenreiche Steppenlandschaft entstanden war.

Von Iris Völlnagel | 30.12.2007
    "Die Wüste ist die Landschaft der Extreme, sie kann wunderschön sein, lieblich sein, sie kann auch hart und schroff sein. Es ist für das Auge für alle Sinnesorgane, auch für das Riechen etwa eine fantastische Landschaft, die aber auch gefährlich ist, wo man Vorsorge treffen muss, dass man genügend Wasser, Lebensmittel zur Verfügung hat, denn die sind nicht beschaffbar in der Wüste... "

    "... und dass diese Wüste, wo man glaubte, man weiß schon viel oder alles und man weiß im Grunde über diesen Subkontinent von der Größe Australiens immer noch erst die großen Leitlinien, den groben Klimaablauf, die grobe Besiedelungsgeschichte aber es ist natürlich im Vergleich zu Europa oder zu Nordeuropa nahezu unerforscht."

    "Die Wüste konzentriert einen sehr auf die Arbeit, weil man nur eine bestimmte Zeit hat...man muss sich genau überlegen, was möchte man, was tut man und wie nutzt man diese Zeit und dadurch erlebt man die Arbeit und die Wüste viel intensiver als auf Grabungen, wie ich sie in Deutschland gemacht habe, wo ich weiß übermorgen bin ich wieder da und kann Sachen, die ich vergessen habe, nachschauen oder nachuntersuchen... . Archäologisch faszinieren einen natürlich daran die Funde... und dass aus der Wüste eine Menge Input in diese späteren Hochkulturen des ägyptischen Niltals kommt."

    "Die Kultur, die aus der Wüste kam
    Archäologische Grabungen in der Sahel-Zone
    Eine Sendung von Iris Völlnagel"
    Scherben, Steine und Knochen gehören zu den wichtigsten Quellen der Archäologen. Vor allem Steine und Sand gibt es in den Wüsten Nordafrikas mehr als genug. Für die Wissenschaftler sind sie der Schlüssel, den Lebensraum Wüste zu ergründen. Vor allem die Ostsahara - das Gebiet zwischen Tschad, Libyen, Ägypten und Nordsudan - galt lange Zeit als unzugänglich. Nur wenig war darüber bekannt. Für Wissenschaftler, Abenteurer und Archäologen ein Eldorado. Viele Orte liegen hier so abseits, dass sie erst in den letzten Jahren entdeckt wurden, manche von ihnen haben noch nicht mal einen Namen. Die Wüste Nordafrikas als Kulturraum, in dem Menschen lebten? Heute kaum vorstellbar. Doch Wissenschaftler sind dem Geheimnis der Wüstenbewohner und ihrer Kulturen auf der Spur.

    Es gibt wohl kaum einen Forscher, der die östliche Sahara so gut kennt, wie Stephan Kröpelin. Mehrere Male im Jahr reist der Kölner Geoarchäologe nach Nordafrika. Und das schon seit fast 30 Jahren. Unzählige Male hat er die Wüstenlandschaft zwischen der ägyptischen Hafenstadt Alexandria und der sudanesischen Hauptstadt Khartum, das Gebiet zwischen dem Nil bis hin nach Mali, durchquert.

    Die Ostsahara ist das trockenste Warmgebiet der Erde. Im Durchschnitt fallen hier im Lauf eines Jahres zwei Millimeter Niederschlag, während die Verdunstungsrate bei ungefähr 6000 Millimetern liegt. So trocken ist es sonst nur noch auf dem innerantarktischen Hochplateau. Kleinste Klimaveränderungen können große Wirkungen haben: So haben die Kölner Forscher beobachtet, dass in Teilen Nordsudans wieder Gras wächst, wo vor 20 Jahren noch Wüste war. Gras ist ein Zeichen für Niederschlag. Doch der ist kaum messbar, nicht zuletzt, weil die Wissenschaftler immer nur im Winter in die Wüste fahren, der Regen aber im Sommer fällt. Doch wenn aus den Weltmeeren mehr Wasser verdunstet, weil das Klima allgemein wärmer wird, fällt in der Sahara mehr Niederschlag, so die Erklärung.

    Stephan Kröpelin hat deshalb ein Ziel: Er will herausfinden, wie sich das Klima in den letzten 12000 Jahren verändert hat und wie der Mensch sich und seine Kultur diesen Veränderungen angepasst hat.

    "Das Besondere an der östlichen Sahara ist eben, dass es praktisch ein optimales natürliches Labor ist. Es ist sehr flach, man kann praktisch von der Mittelmeerküste bis in die Sahelzone, auf einer Strecke von 2000 Kilometern praktisch ohne irgendwelche Verfälschungen durch große Gebirge oder Flussläufe oder sonstiges die alten Klimaänderungen verfolgen, und das ist halt wirklich eine einmalige Versuchsanordnung, die man sonst in dieser Art weltweit kaum findet. Und dadurch kann man dann eben sehr gut anhand von alten Seeablagerungen und Flussablagerungen und eben vor allem auch archäologischen alten prähistorischen Siedlungsplätzen sehr gut die Verschiebung der Regenzonen oder der Klimazonen in diesem Raum während der letzten 12000 Jahre, also seit dem Ende der letzten Eiszeit, sehr gut verfolgen."

    Das schafft kein Wissenschaftler alleine. An der Kölner Universität haben sich über 60 Wissenschaftler – darunter Ethnologen, Archäologen, Biologen und Klimaforscher zu einem Sonderforschungsbereich "Kultur- und Landschaftswandel im ariden Afrika" zusammengeschlossen. Erste Ergebnisse haben sie in einem Artikel der Zeitschrift "Science" veröffentlicht. Aufgrund ihrer langjährigen Forschung konnten sie zum ersten Mal über ein Gebiet von der Größe Westeuropas über einen kontinuierlichen Zeitraum von rund 10.000 Jahren das Zusammenspiel zwischen der Klima- und Umweltentwicklung und der prähistorischen Besiedelung aufzeigen.

    Weil die Menschen aufgrund von Klimaveränderungen die Wüste vor rund 7000 Jahren verlassen mussten, begannen sie damals auch am Nil zu siedeln. War die erste Hochkultur des Mittelmeerraums also das Produkt einer existentiellen Notlage der vormaligen Wüstenbewohner?

    Bei einer seiner Touren hat Stephan Kröpelin das größte Seebecken, das bislang in der östlichen Sahara identifiziert wurde, entdeckt. Wasser gibt es hier keines mehr, doch vor 8000 Jahren soll hier ein 5000 Quadratkilometer großer See gewesen sein, an dem über mehrere Jahrtausende hinweg Menschen lebten. Bereits 1985 hatte Kröpelin das Seebecken während einer Expedition aufgespürt, auf Satellitenbildern war es damals noch gar nicht erkennbar. Die Kölner Forscher fanden dort bis zu 1,8 Meter lange Fischknochen, Knochen von Krokodilen und Flusspferden. Da Wasser für die Menschen damals wie heute zum Überleben wichtig war, sind die ehemaligen Seen und vor allem ihre Ufer wichtige Fundstellen. Doch nicht immer sind sie leicht auffindbar. Kröpelin:

    "Wenn man an der falschen Stelle sucht, könnte man monatelang suchen ohne etwas zu finden, weil ein großer Teil heute von aktiven Dünen eingenommen ist und man muss natürlich auch immer in den ehemaligen Uferzonen suchen, aber sobald man die eben gefunden hat und wenn man die in der gleichen Höhe abfährt, haben wir unzählige archäologische Fundplätze gefunden, in denen Knochenreste erhalten waren, dass man eben sehr viel sagen kann, über die Wirtschaftsweise, über die Ernährungsweise, man kann daraus folgern, welche Wildtiere damals existiert haben, also von Hyänen bis zu den …Elefanten oder eben auch vielen Fischarten und dann natürlich ein ganz wichtiges archäologisches Zeichen sind Keramikfunde."

    Solche Grabungsorte finden die Wissenschaftler in der Regel mit Hilfe von Satellitendaten, erzählt die Frühgeschichtlerin Karin Kindermann. Spezielle Radar-Satelliten können den Wüstenboden bis zu zwei Meter tief durchleuchten. So werden alte Flussläufe und ehemalige Besiedlungsgebiete sichtbar. Haben die Wissenschaftler den richtigen Grabungsort erst einmal gefunden, so ist der Erfolg der Grabung fast vorprogrammiert. Kindermann:

    "Der große Vorteil an der Wüste ist natürlich, dass die Artefakte zum Großteil an der Oberfläche auch liegen. Es gibt keine Vegetation wie in Mitteleuropa und es ist natürlich leichter zu finden, wenn man zu Fuß läuft. Viele Sachen, die man dann schon mal an der Oberfläche sehen kann und man dann sieht, an diesem Platz ist möglicherweise mehr, hier könnte ich graben."

    In seinem Kölner Institut hat Kröpelin einen Raum, in dem er eine Auswahl seiner Gesteinsfunde in Tüten und Kartons lagert. Im Lauf seiner wissenschaftlichen Tätigkeit hat er kistenweise Fundstücke mitgebracht. Für den Transport müssen die Proben immer mehrfach verpackt werden, damit sie auf den Tausende kilometerlangen Wegen nicht kaputt gehen. In seinem Fundus hat der Geoarchäologe auch einen Stein, an dem eine faustgroße Schnecke verewigt ist. Für die Forschung ein wichtiges Indiz. Kröpelin:

    "Das ist ein Stück Seekreide, in dem eine sehr große Molluske, also eine ganz große Wasserschnecke, die einen Durchmesser hat von sechs Zentimetern oder so eingebettet ist und solche alte Seeablagerungen zeigen uns eben, dass es während der Feuchtzeit der Sahara, eben etwa 11.000 bis 3000 Jahre vor der heutigen Zeitrechnung, dass vor dieser Zeit eben die Sahara praktisch übersäht war mit Süßwasserseen, im Süden, also im Nordsudan hauptsächlich und mit temporären Sümpfen in Ägypten und das sind die wichtigsten Anzeiger, einmal für ein ehemals viel feuchteres Klima, was ja auch viel lokalen Niederschlag erfordert und zum anderen waren diese Seen und die alten Flussläufe oder Wadi, wie wir sagen, waren temporär abfließende Flüsse, waren die bevorzugten Siedlungsgebiete des prähistorischen Menschen."

    Genaue Analysen gibt es erst im Labor. Holzkohlenreste beispielsweise geben Aufschluss über das Alter der Seeablagerungen. Doch erfahrene Forscher können auch auf den ersten Blick, wenn sie die Steine in die Hand nehmen, einiges über deren Herkunft erzählen. Nun hat der Geoarchäologe eine Tüte mit feinem Sand aus dem Nordsudan aus einer Kiste geholt: Schätzungsweise 8200 Jahre ist er alt. Kröpelin:

    "”Und man sieht hier zum Beispiel, das ist ein helles Sediment, fast staubig, wenn man die Tüte öffnet, man sieht darin, kleine Reste von Schnecken, von Süßwasserschnecken, die häufig sehr gute Anzeiger sind für die Wasserqualität, für die Wassertiefe und die Beschaffenheit, man kann dieses Sediment zum Beispiel in den Mund nehmen, dann knirscht es etwas, das heißt, dass dort eben auch noch ein bisschen Feinsandanteil dabei ist. Wenn man andere Proben nimmt, knirscht es nicht. Es ist wie Puder aus der Dose, kann es also zwischen den Zähnen bewegen, das ist ja ganz steril, absolut sauberes Material.""

    Als Stephan Kröpelin den Staub zwischen seinen Fingern anfeuchtet, entsteht eine klebrige Masse.

    Vor 23.000 Jahren, als in Europa die Gletscher zu schmelzen begannen, dehnte sich die Sahara noch mehrere 100 Kilometer weiter nach Süden aus als heute. Bis ungefähr 8500 vor Christus war es in der Wüste so heiß, dass niemand dort leben konnte. Lediglich am Nil – in der Gegend des heutigen Assuan-Sees lebten Menschen. Mit dem Beginn des Holozäns im 9. Jahrtausend vor Christus aber änderte sich das Klima im nordafrikanischen Raum grundlegend. Innerhalb kurzer Zeit drangen feuchte Monsunwinde vom Indischen Ozean her weit in die Sahara ein. Die Folge: die bis dahin extrem trockene Sandwüste verwandelte sich in eine fruchtbare Savanne, daraufhin zogen zuerst Tiere und dann der Mensch aus dem Südsudan Richtung Norden. Regelmäßige Niederschlägen machten es möglich, dass die Menschen sich dort ansiedelten, erklärt Rudolph Kuper, Leiter des Sonderforschungsbereichs "Kultur und Landschaftswandel im ariden Afrika":

    "Es ist ja so, dass etwa um 8500 vor Christus, das heißt vor rund 10.000 Jahren eine Regenfront von Süden kam und die Sahara, die heutige Sahara, in eine savannenähnliche Landschaft verwandelte. Der Mensch damals war Jäger und Sammler, verfügte aber schon über eine wesentliche Errungenschaft, nämlich die Keramik. Keramik ist ja der älteste Kunststoff des Menschen, deren Entstehung man bisher im altweltlichen Bereich vor allem im Nahen Osten annahm, aber die Radiokarbon-Daten, die wir haben, sprechen dafür, das die Keramiktechnologie offenbar am Südrand der Sahara entwickelt wurde."

    Sobald man unter der Flugsanddecke gräbt, stößt man vielerorts auf unzählige Scherben. Anhand der Keramikfunde können die Forscher Aussagen machen über die grobe Zeit ihrer Entstehung. Die älteste Keramik aus der Sahara gehört der so genannten Wavie-Linie an, die sich durch wasserwellen-artige Linien auszeichnet. Sie ist zugleich ein Indikator für einen sehr alten Fundplatz. Die Verzierungen lassen auf eine am Wasser lebende, von Fischfang und Jagd sich ernährende Bevölkerung schließen. Im Lauf der Zeit verändern sich die geometrischen Muster der Keramikfunde. Aus späteren Zeiten wurde unverzierte Keramik gefunden, was bedeutet, dass ihr nicht mehr dieselbe Bedeutung beigemessen wurde wie am Anfang. Durch die Keramik-Gefäße konnten die Menschen Wasser und andere Rohstoffe speichern und damit die trockenen Zeiten, in denen keine Ernte möglich war, überleben. Das hat die Lebens- und Wirtschaftsweise der Menschen stark verändert. Einen zweiten, großen Fortschritt bedeutet der Beginn der Tierhaltung, besonders von Rindern. Rudolph Kuper:

    "Im Laufe der Jahrtausende dieser Savannensahara hat sich ein beträchtlicher Wandel in der Wirtschaftweise des Menschen vollzogen und zwar - nicht wie wir das kennen - der Übergang vom Jäger und Sammler zum Ackerbauern und Viehzüchter und zur Sesshaftigkeit, sondern der Übergang vom Jäger zum Hirten. Während Schafe und Ziegen offenbar aus dem Nahen Osten eingeführt werden mussten, wo das natürliche Vorkommen ihrer Wildform ist, ist das Rind wahrscheinlich im nordostafrikanischen Raum, also im Raum der heutigen libyschen Wüste beziehungsweise des westlichen Ägyptens domestiziert worden. Und dort hat sich dann das spezialisierte Rinderherdentum entwickelt, was heute eine der wesentlichsten Grundlagen der Menschen in den großen Trockengebieten Afrikas ist."

    Damals sei eine Lebensform entstanden, die bis heute in weiten Teilen Afrikas enorm erfolgreich ist: das Nomadentum. Je mehr unterschiedliche Artefakte an einer Stelle entdeckt werden, desto besser. Jedes Fundstück trägt dazu bei, ein Gesamtbild über das Leben der Menschen zu entwickeln. Auch botanische Überreste geben Aufschluss über die Umwelt. Mit Hilfe der Radiokarbon-Methode können die Forscher das genaue Alter einer Pflanze ermitteln. Weitere Isotopanalysen geben Aufschluss über die Vegetation. So können die Wissenschaftler erfahren, ob eine Pflanze zum Beispiel im Sommer oder im Winter gewachsen ist. Kuper:

    "Sowohl für die Altersbestimmung als auch für die Umweltrekonstruktion sind die organischen Materialien natürlich unsere wichtigsten Quellen. Das sind sowohl botanische Reste als auch zoologische Reste, zum Beispiel können sie aus den Knochen, die wir innerhalb der Siedlungen finden, erkennen, ob es sich dabei um Wildtiere oder um Haustiere handelte. Wenn sie nur Hase und Gazellen finden, war es relativ trocken und der Mensch lebte als Jäger und Sammler. Wenn Sie hingegen Rind, Schaf und Ziege haben, muss es feuchter gewesen sein und der Mensch hatte bereits den kulturgeschichtlichen wichtigen Schritt hin zur Viehzucht getan."

    Auch Heiko Riemer gehört zum Team der Kölner Wissenschaftler. Zusammen mit Karin Kindermann fuhr er zum ägyptischen Kalksteinplateau Djara. Von der Oase Dakhla aus, wo die Kölner Wissenschaftler ihre Basisstation und ein Labor haben, sind es eigentlich nur 200 Kilometer. Trotzdem dauert die Fahrt auf das Plateau drei Tage, weil die Geländefahrzeuge die Treppen des Plateaus nur Schritt für Schritt erklimmen können. Doch die Strapazen lohnen sich. Im Sand fanden die beiden Prähistoriker fast handgroße, bearbeitete Werkzeuge, die aussehen wie Messer. Riemer:

    "”Dieses Messer und diese sehr regelmäßige feine Oberflächenbearbeitung des Messers ist insofern eine Überraschung, weil diesen Gerätetyp und diese Bearbeitung kennen wir aus den prädynastischen Kulturen des Niltals, die also etwas jünger sind und hier entwickelt sich die Technik zu einer wahnsinnigen Perfektion. Das sind dann allerdings keine Gebrauchsgegenstände mehr, sondern das sind etwa Kultmesser. Und wir sehen aber eben, dass diese Techniken hier 500 oder 1000 Jahre früher in der Wüste schon entwickelt wurden und das ist hier zum ersten Mal belegbar mit Hilfe dieser Objekte.""

    Demnach hat die ägyptische Hochkultur sich zumindest einen Teil ihrer Techniken bei den Wüstenbewohnern in der Sahel-Zone abgeschaut. Doch wie hoch entwickelt war die Kultur dieser Wüstenmenschen? Und was wissen die Forscher über die Lebensweise der Wüstenbewohner? Riemer:

    "”Was wir wissen, ist, dass sie jägerisch und sammlerisch gelebt haben und in dieser Zeit offensichtlich auch schon Kleinvieh hatten, das heißt Schafe und Ziegen hatten, da gibt es Knochennachweise, die bestimmt worden sind, aber im Wesentlichen war die Jagd die Grundlage des Lebens und des Wirtschaftens in dieser Zeit. Zusätzlich hat man, um das ganze durch pflanzliche Nahrung zu ergänzen, Wildgräser - so nehmen wir an - gesammelt. Es gibt bislang keine wirklichen Nachweise, von einem richtigen Anbau, keine Landwirtschaft und die Menschen sind extrem mobil gewesen.""

    Um 5000 vor Christus setzt in der Sahara erneut ein Klimawandel ein. Die Monsunregen werden schwächer, die Vegetation zieht sich zurück. Die harscheren Umstände zwingen die Menschen wiederum zur Umstellung ihrer Lebensweise. Sie ziehen sich vor den vorrückenden Sanddünen in die verbleibenden bewohnbaren Gebiete zurück. Riemer:

    "Gerade hier ist es besonders interessant zu sehen, dass irgendwann nichts mehr da ist. Da hat sich niemand mehr aufgehalten. Also wir haben keine Fundplätze mehr, die in eine Zeit 5000 vor Christus datieren. Und das lässt sich hier besonders gut darstellen. Während in den Jahrtausenden vorher, sehr viele Besiedelungsspuren an den Seen oder saisonalen Seen zu finden sind und aus der jüngeren Zeit gibt es überhaupt keine Artefakte mehr, auch nichts, was datierbar wäre. Aber dieses Aussetzen, das sehr, sehr spontane Aussetzen, das kann man so interpretieren, dass die Leute nicht zurückgekommen sind."

    Da die Wüstenmenschen gewohnt waren, mobil zu sein, wanderten sie weiter - dorthin, wo es noch Wasser gab - in die Oasen Westägyptens, ins Niltal und ins Wadi Howar, im nordwestlichen Sudan. Ihre Kultur nahmen sie mit und verbreiteten so ihre Lebensform in andere Gebiete Afrikas. Interessant sei zu beobachten, dass bei den prädynastischen Kulturen im Niltal die gleichen Keramiken und Verzierungen gefunden wurden wie bei den Menschen in der Wüste, meint Rudolph Kuper. Anders als in der Wüste begannen sie nun aber, im Niltal Getreide anzubauen und sesshaft zu werden. Rudolph Kuper:

    "Aus den ersten bäuerlichen Kulturen, die dort um 5000 vor Christus nachzuweisen sind, hat sich dann über 2000 Jahre hinweg eine Lebensform, eine Kulturform entwickelt, aus der die ägyptische Hochkultur um 3000 entstehen konnte. Kurz nach 3000 haben wir ja dann die Pyramiden im Niltal und man hat lange gefragt, wo kommt das her? Und man hat wesentliche Wurzeln der ägyptischen Kultur im Nahen Osten, also im Bereich Mesopotamien gesehen, Aber Ägypten liegt nun mal in Afrika und das wird immer deutlicher, dass nicht alle, aber entscheidende Wurzeln der ägyptischen Hochkultur in die Sahara zurückverfolgen sind."

    Die Austrocknung der Sahara als Motor für die Entwicklung der ägyptischen Hochkultur? Die Ergebnisse der Kölner Wissenschaftler habe das Bild der Ägyptologen gründlich verändert. Dietrich Wildung, Professor und Leiter des Ägyptischen Museums in Berlin.

    "Für den Ägyptologen sind die Ergebnisse deshalb so wichtig, ich würde sagen, sensationell, weil Alt-Ägypten in sein afrikanisches Umfeld eingebunden wird. Wir sind seit der griechischen Antike fixiert auf den europäischen Blick auf Altägypten, die Pharaonen als Vorläufer der westlichen Zivilisationen, aber dass diese Kultur auf dem afrikanischen Kontinent entstanden ist und geblüht hat und natürlich ihre Wurzeln in Afrika hat, das war vor drei Jahrzehnten kein Forschungsgegenstand, darüber wussten wir auch fast nichts."

    Vor zehn Jahren entdeckte der Berliner Ägyptologe in der sudanesischen Wüste, rund 150 Kilometer nordöstlich von der Hauptstadt Khartum und 30 Kilometer vom Nil entfernt einen Ort, den er bis dahin nur von Erzählungen kannte: Naga. Als Dietrich Wildung dort ankam, sah er einzelne Reliefs einer Tempelanlage aus dem Flugsand ragen. Wildung:

    "Der Tempel, in dem wir heute auf dem originalen Tempelpflaster stehen, so wie vor 2000 Jahren der König und die Priester schaute mit seinem oberen Drittel aus dem Sand bei den hohen Tempeltoren, vom Rest sah man überhaupt nichts. Aber man konnte vermuten, dass darunter sehr viel gut erhalten sein würde."

    Natürlich war unter den Wissenschaftlern die Existenz Nagas bekannt, nicht zuletzt aus den Reiseerzählungen von Richard Lepsius, der 1844 mit einer preußischen Expedition nach Naga gekommen war und viele Zeichnungen angefertigt hatte. Doch niemand hatte sich bislang länger in Naga aufgehalten. In früheren Jahren nicht, weil wilde Tiere und Banditen das Leben der Europäer bedrohten. Auch heute sind wegen der Hitze Ausgrabungen nur während der Wintermonate möglich. Mit Hilfe einheimischer Beduinen begannen Dietrich Wildung und seine Grabungsleiterin Karla Kröper ihre Arbeit. Kröper:

    "Wir sind hier ganz unbedarft angekommen, haben in der ersten Kampagne in Zelten gewohnt, weil wir nichts zu wohnen hatten und während wir hier waren, sind schon die Beduinen gekommen und haben uns natürlich erstmal bestaunt, weil vorher keine Europäer - oder fast keine Europäer da gewesen waren und dann haben wir ein oder zwei gefragt, ob sie mithelfen wollen, erst mal ein paar Sachen tragen, Wasser holen und solche Sachen. Und dann haben wir gemerkt, dass wir uns verständigen können - da sprechen alle nur schlechtes Arabisch, aber man kann sich verständigen - und die haben dann ihre Brüder mitgebracht, die haben dann ihre Cousins mitgebracht und so hat sich das ausgebreitet bis eine Gruppe beisammen war."

    Inzwischen haben die Berliner Wissenschaftler einen großen Amun- und mehrere kleine Tempel ausgegraben. Doch unter dem Wüstensand ist noch eine ganze Stadt mit mindestens elf Tempeln, 20 Verwaltungsgebäuden und einem Friedhof verborgen.

    Die Stadt Naga war vermutlich der südlichste Posten des Königsreich von Meroe, dem letzten von mehreren selbstständigen politischen Reichen südlich von Ägypten. Innerhalb der Ägyptologie wurde der Erforschung Nubiens, zu dem auch das Reich der Meroiten gehörte, lange keine große Bedeutung beigemessen. Das hat sich gründlich geändert. Das von deutschen Archäologen angeführte Ausgrabungsprojekt in Naga gilt derzeit als das für das Fachgebiet interessanteste und wichtigste. Ein Merkmal der Meroiten ist es, dass sie lange keine eigene Schrift entwickelt haben, sondern nur ägyptische Hieroglyphen verwendeten. Das sei einer der Gründe gewesen, warum die Forscher dieser Kultur lange Zeit keine Aufmerksamkeit widmeten, meint Sylvia Schoske, leitende Direktorin der Staatlichen Sammlung Ägyptischer Kunst in München. Denn eine Kultur ohne eigene Schrift, war für die Ägyptologen nicht vorstellbar. Schoske:

    "”Die Kulturen des antiken Sudan sind Hochkulturen gewesen, der ägyptischen absolut ebenbürtig. Die Problematik darin ist, die Kulturen des antiken Sudan waren bis in die meroitische Zeit hinein illiterat, das heißt sie haben nicht ein Aufzeichnungsbedürfnis entwickelt, natürlich hatten sie ihre eigene Sprachen, aber sie haben kein eigenes Schriftsystem – auch etwas afrikanisches – entwickelt. Aus diesem Grund haben die alten Ägypter von oben herab auf die Nubier heruntergeguckt und die immer nur als die Elenden von Kusch bezeichnet. Und die moderne Ägyptologie ist demselben Irrtum anheim gefallen. Das konnte ja nichts gescheites sein, die haben ja noch nicht einmal Hieroglyphen.""

    Heute wissen die Ägyptologen, dass das Königreich von Meroe durchaus sehr fortschrittlich war. Lange Zeit wurde es von weiblichen Regentinnen, den so genannten "Schwarzen Königinnen" geführt. Auch das ein afrikanisches Element der Kultur. Die im Neuen Testament erwähnte Königin Kandake ist eine von ihnen. Nun hoffen die Wissenschaftler in Naga einen Zweisprachenstein zu finden, auf dem meroitisch neben ägyptisch oder griechisch steht. Dies könnte helfen, die Sprache zu entschlüsseln und das bisherige Wissen neu zu bewerten.

    Typisch für die Funde in Naga sei auch, dass sie sowohl afrikanische als auch europäische Einflüsse aufweisen, meint Dietrich Wildung. Ein Beispiel dafür sei die etwa einen halben Meter hohe Fayence-Figur der Göttin Isis, die inzwischen im Berliner Ägyptischen Museum zu bewundern ist. Wildung:

    "Sie steht auf einer rechteckigen Basis mit Brückenpfeiler, das ist gut altägyptisch. Sie trägt ein rein hellenistisches Gewand, das ist also griechisch-römisch. Und ihre Körperform, die einer african beauty, sie ist recht schön rundlich. Ihr Schönheitsideal also ist afrikanisch, ihre Struktur ist pharaonisch und ihre Kleidung ist griechisch-römisch. Das ist ganz typisch für diese Ecke der Welt, Brücke zu sein zwischen Afrika und Europa."

    Ohne die Arbeit der Archäologen, so Wildung, würde das besondere Erbe Nordafrikas immer noch unter dem Wüstensand schlummern. Dabei könnten gerade die Wissenschaftler mit ihrer Forschung helfen, Brücken zu schlagen sowohl zur heutigen Kultur als auch zum Verstehen der Vergangenheit. Wildung:

    "Der Kölner Forschungsbereich konzentriert sich in seinem archäologischen Bereich auf die Anfänge der Kultur in Nordostafrika und hat dort ganz eindeutig festgestellt, dass die Kulturentwicklung, die dann zum pharaonischen Ägypten führt um 3000 vor Christus viele Jahrtausende vorher schon weit im Süden ihre Ursprünge hat... Das ist der Anfang der Konnektion zu Afrika. Was wir in unserem Projekt in Naga betreiben ist das Ende dieser Entwicklung, aber trotzdem unter dem gleichen Vorzeichen, nämlich eine Brücke zwischen der Mittelmeerwelt und damit letztlich Europa auf der anderen Seite und dem afrikanischen Kontinent auf der anderen Seite."

    Bei ihren Ausgrabungen arbeitet Karla Kröper eng mit den Sudanesen zusammen. Abgesehen davon, dass sie sich jetzt von dem Geld, das sie durch die Ausgrabungen verdient haben, etwas mehr Kleidung kaufen und ihre Kinder in die Schule schicken können, habe sich das Leben der Nomaden nicht wesentlich verändert. Die Ausgrabungen haben allerdings die Neugierde der Anwohner auf ihre eigene Geschichte geweckt. Kröper:

    "Die Leute, die mit uns gearbeitet haben, die sehen es inzwischen als etwas Wichtiges: nicht für sich selbst direkt, aber weil wir so sorgsam damit umgehen, haben sie es übernommen und sie fangen auch an, sich damit zu identifizieren. Wir haben mehrere Male schon Stücke gefunden von Königsköpfen und solchen Sachen, wo dann einer sagt, "Ah, das sieht genau aus, wie Mohammed - mein Bruder!" Und jetzt fangen sie an, auch in den letzten Jahren immer wieder an zu fragen, was da eigentlich ist, wer da gelebt hat, wie das war, ob die die gleichen Tiere hatten, wie sie heute."

    Dass die Forschung nicht nur für die Wissenschaft, sondern auch für die Menschen in den Wüstenländern wichtig ist, davon ist auch Stefan Kröpelin überzeugt. Mit Ausnahme der wenigen, noch in der Sahara lebenden Nomaden, wisse kaum jemand im Tschad, in Libyen, in Ägypten oder im Sudan etwas über die entlegenen Landesteile und welche kulturellen Schätze sich dort verbergen. Die Daten ihrer Forschung seien deshalb mindestens genau so wichtig wie Entwicklungshilfe. Kröpelin:

    "Es ist für das Selbstbewusstsein der Menschen sehr wichtig, zu wissen, dass sie heute nicht sehr arme Länder sind, sondern, dass es Länder sind, in denen sich zum Teil schon vor Jahrtausenden, vor der Entstehung der ersten Hochkulturen, sich Hinweise zeigen auf die Frühentwicklung von Keramik, von Felsbildern, von Lebensräumen, die ihresgleichen suchten zu dieser Zeit und das ist für die Entwicklung eines nationalen Selbstbewusstseins, einer nationalen Identität von höchster Bedeutung."

    Viel haben die Archäologen in den vergangenen Jahren entdeckt. Doch die Wüste Nordafrikas ist groß und noch viele Fragen sind ungelöst. Um weitere Antworten zu finden, werden die Wissenschaftler noch so manche Reise unternehmen müssen.

    Den ersten Teil der dreiteiligen Reihe, der von Archäologie in der Stadt handelt, finden Sie hier.

    Der dritte Teil wird am 31. Dezember, 16:30 Uhr, gesendet.
    Thema: Von versunkenen Städten und ihren Schätzen. Archäologische Grabungen unter Wasser