Archiv


Die Kulturhauptstadt Graz und das drohende Vakuum

Im Jahr 2010 wird Deutschland wieder eine der europäischen Kulturhauptstädte stellen dürfen. Und schon jetzt steht ein gutes Dutzend bundesrepublikanischer Metropolen in den Startlöchern und bewirbt sich um den Titel. Denn Kulturhauptstadt Europas zu sein, das verspricht Tourismus und Wirtschaftsförderung, Bekanntheit und Attraktivität - und mit all dem Geld. So jedenfalls sollte man meinen. Im österreichischen Graz allerdings, das Anfang Dezember das Hauptstadtszepter an Genua und Lille weiterreichen wird, ist die Euphorie einer gewissen Ernüchterung gewichen - in finanzieller Hinsicht jedenfalls.

Susanne Lettenbauer |
    Graz 2003 ist eine Stadt im finalen Endrausch. Die Erfolgszahlen aus dem grünblauen Stammhaus der Graz 2003 GmbH überrollen im Monatsrhythmus jeden Skeptiker, für den Statistiken nur die halbe Wahrheit sind. Über 30 Prozent mehr Übernachtungen im Vergleich zum Vorjahr meldeten die Drei- bis Fünf-Sterne-Hotels. Um die elf Prozent mehr Führungen durch das Unesco-Weltkulturerbe von Graz, dazu gut 3000 Medienberichte über das Zentrum der südöstlichsten Ecke Europas, die Internet-Besucher gar nicht eingerechnet. Wie die 108 einzelnen Kulturprojekte jedoch ausgelastet waren fehlt.

    Das beschauliche "Pensionopolis" Österreichs ist in diesem Jahr vehement wachgerüttelt worden. Spätestens mit der furiosen Arbeitsaufnahme des Grazer Herzmuskels, dem neuen, kontrovers diskutierten Kunsthaus am städtischen Flüsschen Mur, wurde Graz in den Blickpunkt der europäischen Avantgarde gerückt. Weitere fünf neue Kultureinrichtungen erbt Graz vom Jahr 2003, darunter ein Literaturhaus, ein Kindermuseum und die Helmut-List-Halle.

    Und hier beginnt die andere Wahrheit: Die Helmut-List-Halle ist ein Millionengrab. Die aufgelaufenen Betreibungskosten sind nur das Tüpfelchen auf dem I. "Kulturstadt Europas" sein zu dürfen, ist dem Initiator Helmut Strobl wie auch den Stadtvätern heute klar, bedeutet vor allem hinterher Löcher zu stopfen. Nicht nur das Vakuum, in das die Kulturstadt nach permanenten Kulturevents fällt sondern auch die finanziellen Löcher. In Graz sind es 700 Millionen Euro Schulden, die dem Ereignis Graz 2003 angelastet werden. Das sind zwar die offiziellen städtischen Schulden - dass das Kulturstadtjahr seinen Teil nicht dazu beigetragen hat, glaubt keiner:

    Das heißt, wir stehen jetzt vor dem Dilemma zu wissen, das haben wir gewusst, als diese Infrastrukturen geschaffen wurden, dass wir da Dauerkosten haben werden und auf der anderen Seite zu wenig Geld dafür. Das heißt, die Stimmen regen sich, natürlich in erster Linie die, die mit Kultur im weiteren und Kunst im engeren Sinne ohnehin nie etwas am Kicker hatten. Wir wissen das ja: Kunst ist generell ein Minderheitenprogramm. Die melden sich als erste und sagen, ja, ja zuviel Geld rausgeschmissen, und jetzt stehen wir da.

    An dieser Situation ist Europa nicht ganz unschuldig: Den 18 Millionen Euro aus Graz stehen magere 500 000 Euro aus Brüssel gegenüber. Außerdem drückte Brüssel der steirischen Landeshauptstadt noch die Kosten für den Kulturmonat von St. Petersburg aufs Auge - eine Partnerschaft, die mehr einer Zweckgemeinschaft glich, weil St. Petersburg zu seinem 300. Geburtstag gern selbst "Kulturstadt Europas" geworden wäre. Die Streitigkeiten mit den Parallelveranstaltern von styriarte und steirischerherbst um Bundesgelder fielen da fast gar nicht mehr ins Gewicht.

    Schadensbegrenzung lautet nun das Schlagwort. Das heißt es gibt keine pompöse Abschlussfeier, die für 2003 aufgestellten Wahrzeichen sollen meistbietend veräußert werden und die 2003 örtliche Kulturszene sollte schnellstens die in diesem Jahr aufgebaute Aufmerksamkeit für Graz mit neuen innovativen Projekten wach halten.

    Genau diese Projektlastigkeit von Graz 2003 ist es, die Margarethe Makovec als Vertreterin der freien Szene selbstkritisch am Kulturstadtjahr bemängelt. Es wurde keine dauerhafte programmatische Veränderung in der städtischen Kulturpolitik bewirkt. Lokale Politzänkereien nach der Gemeinderatswahl und einem SPÖ zu ÖVP-Wechsel im Frühjahr machten die Atmosphäre nicht leichter.

    "Graz spielt in der Champions League und hat unglaubliche Sehnsucht nach der Regionalliga", fasst der Intendant von Graz 2003 Wolfgang Lorenz lapidar die Position seines Partners im Rathaus zusammen. Was für Lorenz bleibt, ist die Erkenntnis, "wie gut eine Gesellschaft aufgelegt ist für das was man Kultur nennt, wenn man Kultur nicht auf Kunst reduziert."

    Der parallel beim ORF in Wien angestellte Kulturmanager kann sowieso nicht verstehen, warum seine 2003 Wahrzeichen, wie der Uhrturmschatten, der Marienlift, die Installationen an der Autobahn, im Flughafen und im Bahnhof bleiben sollen. Eine so verdächtige Bewahrermentalität herrscht für ihn in der scheidenden Kulturstadt:

    Dass ich glaube, dass die Zeichen nicht richtig gelesen worden sind und man jetzt etwas was temporär eingesetzt worden ist, behalten will, um sich nicht neuerlich anstrengen zu müssen und zu sagen: jetzt müssen wir weiterarbeiten, jetzt müssen wir diesen Erfolg sozusagen verlängern und müssen uns was neuen einfallen lassen. Okay, das war 2003. Die Frage ist nur, was ist 2004. Wie erzeugen wir wieder solche Zeichen, wie zeigen wir, dass Zukunft nicht dadurch geschieht, dass man das Vergangene möglichst lange festhält. Diese Übung scheint mir hier zu beginnen und das scheint mir ein bisschen verdächtig.