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Die Kummerkästen der Nation

Menschen, die im Alltag ungehört bleiben, richten ihre Sorgen und Nöte oft an öffentliche Organisationen. Ob an den Zuschauerservice der Fernsehsender, Seelsorger, Abgeordnete oder sogar an das Bundesverfassungsgericht. Die Liste der Anfragen ist lang.

Von Susanne Grüter | 16.10.2011
    "Ich habe jetzt diesen Monat gar kein Geld bekommen."

    "Sämtliche Ämter, da hat keiner reagiert, die haben irgendwie auf doof gemacht."

    "Man hat uns abfällig behandelt."

    Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble:

    "Die Besorgnis unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger ist riesengroß."

    Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen:

    "Wir werden eine solche Dynamik am Arbeitsmarkt auf die Dauer nicht haben."

    Bundeskanzlerin Angela Merkel:

    "Wir sind entschlossen, das Nötige zu tun, um die Rekapitalisierung unserer Banken für eine vernünftige Kreditversorgung sicherzustellen."

    Jörg Zimmermann:

    "In bestimmten Hinsichten glaube ich schon, dass insgesamt in unserer Gesellschaft das Gefühl der Ohnmacht eher stärker geworden ist. Also wenn ich die ganzen Phänomene nehme, die uns in den letzten Jahren im Hinblick auf die Finanzkrise beschäftigen, so hat doch der einzelne Bürger immer stärker den Eindruck, da kann ich persönlich überhaupt nichts machen."

    Schildert der Notfallseelsorger und evangelische Pfarrer Jörg Zimmermann aus Bonn.

    "Die Wut hat zugenommen, aber auch die Resignation hat sehr zugenommen. Man merkt das ja auch am Wahlverhalten der Leute, und ich merke ja oft die Verzweiflung derer, die dann bei mir sind und sagen, ich habe jetzt gar kein Geld bekommen, ich habe Schulden beim Vermieter, was mache ich jetzt eigentlich, und die Gefahr besteht natürlich immer, dass sie kriminell werden mit den ganzen Folgen auch für den Staat, dass sie denn sagen, dann gehe ich klauen."

    Erzählt der SPD-Sozialpolitiker und NRW-Landtagsabgeordnete Bernhard von Grünberg.

    Armut und soziale Not, mit denen von Grünberg bei seinen Bürgersprechstunden konfrontiert wird, aber auch die aktuelle politische Ratlosigkeit der Regierenden, private Probleme und Krankheiten können Menschen verunsichern und aus der Bahn werfen. Manche wissen nicht mehr weiter, andere haben das Gefühl, zu kurz zu kommen, nicht gehört oder vergessen zu werden. Sie verzweifeln an ihrer persönlichen Situation oder gleich an der ganzen Welt.

    Aus diesem Empfinden heraus wenden sich viele an Autoritäten, öffentliche Institutionen oder auch an die Medien und hoffen, dort endlich die lang versagte Hilfe zu bekommen. Anne, die ihren vollen Namen nicht nennen möchte, kümmert sich um die Anliegen der Zuschauer bei einem öffentlich-rechtlichen Fernsehsender.

    "Das Spektrum sind zum einen Leute, die sich ungerecht behandelt fühlen, die dann in der Regel auch schon eine lange Liste haben an Unterlagen, die sie in dieser Sache geschrieben haben an Ämter, möglicherweise auch an Gerichte, und die sagen, so, jetzt will ich das Fernsehen dazuziehen, denn Fernsehen bedeutet immer Aufmerksamkeit, und dann widerfährt mir Recht. Und die uns das dann zuschicken und sagen, hier macht einen Bericht über mich."

    Das können bis zu 100 Zuschriften im Monat sein. Den Zuschauerservice erreichen sehr unterschiedliche Gesuche und Bitten, die zwar immer noch zu einem großen Teil per Post, aber zunehmend per E-Mail eingehen.

    "Dann ist es so, dass sie die Auseinandersetzung mit Ämtern als sehr schwierig empfinden, da zum Teil zurückscheuen oder sich im Stich gelassen fühlen und eben jemanden suchen, der sie da begleitet oder ihnen einfach mehr Gehör verschafft bei diesen Ämtern, oder Leute, die einfach wirklich ratlos sind, was sie in ihrer Situation machen können. Und da sind dann auch durchaus Schicksale dabei, die sehr berührend sind, sehr bewegend sind, wo man das durchliest und sehr schlucken muss, aber eben auch leider sagen muss, das Fernsehen ist da nicht der richtige Ansprechpartner dafür."

    Das erfordert von den Bearbeitern wie Anne durchaus diplomatisches Talent und großes Einfühlungsvermögen. Schließlich hat sie es nicht nur mit einer Vielfalt von Themen zu tun, sondern auch mit allen Bevölkerungsgruppen.

    "Wenn Menschen sich in ihrem Rechtsempfinden verletzt fühlen, dann erwarten sie unabhängig von der Schicht Hilfestellung vom Fernsehen, also da stellt sich dann auch der Professor hin und beruft sich auf Menschenrechte oder auf die Informationspflicht und fordert eben, hier müsst ihr helfen, das ist eure Pflicht und Schuldigkeit als öffentlich-rechtlicher Fernsehsender."

    Für die Bonner Soziologin Doris Mathilde Lucke sind solche Erwartungen nicht überraschend.

    "Wir leben ja in einer mediatisierten Gesellschaft, und da sind jetzt zum Beispiel Medien auch nicht ganz unbeteiligt daran, das Fernsehen, wo es ja seit einiger Zeit richtige Formate gibt, Trödelking, Supernanny usw., wo also Menschen geholfen wird, und man kann beim Helfen auch noch in den Medien zuschauen. Und so kann natürlich auch jemand auf die Idee kommen, Menschenskinder, mach' ich jetzt auch so."

    Was Menschen, die im Alltag eher unerhört bleiben, dann irgendwann antreibt, sich bei öffentlichen Organisationen zu artikulieren, deutet Doris Mathilde Lucke so:

    "Jemand, der ein Problem im Leben hat und ein massives, ´ne Lebenskrise, und dann noch ein relativ geringes Selbstwertgefühl hat, der sagt sich, Mensch, ich komme da jetzt einmal ganz groß raus, und ich gehe bis nach Karlsruhe, das ist ja fast schon ein geflügeltes Wort."

    Das Bundesverfassungsgericht gilt als Kummerkasten der Nation und ächzt unter der Flut der Anschriften. Beim Bonner Landgericht ist die Lage weitaus undramatischer als bei den Karlsruher Kollegen. Gemessen an den 50.000 bis 60.000 Verfahren im Jahr sehen sich die Bonner Richter mit überraschend wenig Eingaben konfrontiert. Es sind um die 100 im Jahr, die von vier Richtern bearbeitet werden. Einer von ihnen ist Joachim Klages.

    "Das Anliegen dreht sich in der Regel um ganz konkrete Anliegen des Betroffenen, mit Verfahren, mit denen er zu tun hat, mit Alltagsproblemen, denen er ausgesetzt ist, wo sich dann allerdings eine allgemeine Unmutsäußerung über gesellschaftliche oder politische Zustände bemerkbar macht."

    An Unmutsäußerungen hat sich Joachim Klages gewöhnt, und solange niemand beleidigend daherkommt, schreibt er gern zurück und wird im Namen des Volkes sogar schon Mal in der Spionageabwehr tätig.

    "Ein Anliegen war zum Beispiel einen Überwachungssatelliten abzuschalten, der einen Chip überwachen würde, der dem Petenten eingepflanzt worden sei von einem ausländischen Geheimdienst. So was wird hier natürlich genauso ernsthaft beantwortet und bearbeitet wie auch das Anliegen, dass jemand an uns heranträgt und auf bestimmte Schadstoffe in bestimmten Produkten hinweist, wo das Landgericht Bonn als solches unmittelbar nicht mit entsprechenden Beschwerden befasst ist und von Amtswegen auch nicht einschreiten kann."

    Auf jeden Fall, versichert Joachim Klages, keine Eingabe fällt unter den Tisch oder in den Gerichtsabfall, sondern wird abgeheftet, gestempelt - und gelesen.

    "Wenn wir dem Eingabeführer nicht weiterhelfen können, weil es außerhalb unseres Zuständigkeitsbereiches liegt, dann weisen wir ihn sehr höflich darauf hin, dass wir nichts in seinem Sinne veranlassen können, wenn er sich über konkrete Verfahren beschwert, wird Einsicht in die Verfahrensakten genommen, und dann werden wir im Regelfall auch darauf hinweisen, dass und warum keine Veranlassung zu Maßnahmen bestand, es gibt aber auch Einzelfälle, wo zum Beispiel auch zu Recht Vorbringen dargelegt werden und das Gericht sich dann als Dienstaufsichtsbehörde auch zu Maßnahmen veranlasst sieht."

    Einerseits ärgern sich Viele über ungerechte oder vermeintlich ungerechte Urteile der Gerichte und über lange Prozesszeiten, andererseits sehen sie die Justiz als Freund und Helfer, die ihnen eine Stimme geben soll. Die Soziologin Doris Mathilde Lucke glaubt nicht, dass die Hilfesuchenden wirklich immer eine Problemlösung vom Gericht erwarten.

    "Das sind Schreie nach Aufmerksamkeit, nach Sichtbarkeit, nach Bedeutungserhöhung der eigenen Person, die dann zusammentreffen auch mit einem ganz anderen Trend in unserer Gesellschaft, der dazu passt, dass wir uns mehr und mehr daran gewöhnt haben, in einer Gesellschaft zu leben, in der es vermeintlich für jedes Problem, und sei es noch so privat, noch so intim, noch so klein, irgendeine professionelle Lösung gibt. Wir sourcen praktisch unsere Probleme aus und sagen, ja der Arzt wird es richten, der Steuerberater, auch nicht umsonst boomt die Ratgeberliteratur, und das sind dann alles Experten, die anstelle von uns selber Probleme lösen."

    Wenn es aber mit der Problemlösung nicht klappt, also Ratgeber und Experten nicht weiterhelfen können, dann nehmen Hilfesuchende gern Kontakt zur Macht auf, zu führenden Politikern.

    "Die Bürger kommen meistens eher mit Fällen, die die Städte betreffen, die die Justiz betreffen, wo es Urteile gibt, wo es Entscheidungen gibt, und wo die Bürger einfach der Auffassung sind, die Ministerpräsidentin könnte an diesen bereits getroffenen Entscheidungen noch etwas ändern, was sie aber natürlich nicht kann."

    Herbert Lumer arbeitet in der Staatskanzlei Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf. Hier regiert SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Lumer ist für alle Bürgeranfragen zuständig und räumt gleich ein Missverständnis aus: Zwar bestimmt die Regierungschefin die Richtlinien der Landespolitik, sie ist aber nicht Dienstvorgesetzte ihrer Minister, kann deren Entscheidungen also nicht einfach aufheben, wie viele Bürger glauben würden, sagt er. Mit seinen fünf Kollegen vom Landespresseamt versucht er, das immer wieder in den Antworten zu erklären. Das Team hat gut zu tun.

    "Ich bin als Frühaufsteher schon um sechs im Büro. Da habe ich die Ruhe und lese also die Briefe, die ich mir auf die Seite gelegt habe, wo man dann halt viel Zeit braucht. Es gibt ja auch Briefe, die sind 50 Seiten lang, die sind gar nicht so selten. Und die muss man dann, vor allem, wenn sie mit der Hand geschrieben werden von älteren Leuten, die sehr viel Zeit haben, muss man dann auch in Ruhe lesen, damit man dann auch durchdringen kann, was ist denn jetzt eigentlich gewollt. Denn es kann auf Seite 20 eine Dienstaufsichtsbeschwerde sein, auf Seite 40 möchte jemand ein Autogramm haben, und es soll ja alles richtig beantwortet werden."

    Manche Menschen möchten, dass Hannelore Kraft ihnen einen Job verschafft oder eine Wohnung besorgt. Oft handelt es sich um solch unrealistische Bitten und Wünsche, die eine Ministerpräsidentin nicht erfüllen kann. Warum diese dennoch an sie herangetragen werden, erklärt Soziologin Doris Mathilde Lucke:

    "Das hängt damit zusammen, dass wir so viel Privates inzwischen über die Politiker wissen und dann eigentlich so Solidarisierungseffekte eintreten, die natürlich rational mit Abstand betrachtet irgendwie völlig daneben sind, das ist ein bisschen so, wie wenn Sie einen Wasserrohrbruch haben und rufen einen Arzt an."

    Aus einer Sprechstunde:

    " ... Ich kann noch mal schreiben." "Ja, das wäre nett."

    "Sie wollten doch auch nach einer neuen Wohnung schauen."

    "Leider hatte ich noch keinen Erfolg."

    Natürlich gibt es genug Verzweifelte, die sich berechtigt und in aller Bescheidenheit an Politiker wenden, um für ihre Rechte zu kämpfen. Der NRW-Landtagsabgeordnete Bernhard von Grünberg hält im Bonner Rathaus seit vielen Jahrzehnten eine Bürgersprechstunde ab und kennt die Schicksale. Jede Woche warten die Menschen auf ihn, hoffen, dass der SPD-Mann seine Beziehungen zu den Behörden spielen lässt.

    "Die Menschen wohnen ganz katastrophal in irgendwelchen Wohnungen, tragen das beim Wohnungsamt vor, das nimmt aber keiner so richtig zur Kenntnis. Wohnungen werden vergeben nach Dringlichkeiten, und deren Dringlichkeit wird nicht deutlich genug gemacht. Durch meine Intervention ist es dann oft möglich, dass sie doch ´ne Wohnung kriegen, weil ich die soziale Situation den Ämtern klar mache."

    "Aufs Sozialamt, Wohnungsamt, hat mich abgeholt zu Hause, da war ich schwanger mit Angelo, da ist der überall mit mir hingegangen, doch wenn man mit dem irgendwo hinkam, das war so, als wenn sie ein neuer Mensch wären, das die Ihnen nicht die Füße geküsst haben, das war auch alles. Ein Tag vorher herablassend und rausgejagt einfach."

    Seit Jahren geht Barbara Meffert zu von Grünberg, wenn die Ämter wieder alle Anfragen abblocken. Irgendwie hat sich das unter den Hilfesuchenden in Bonn herumgesprochen, dass der Sozialpolitiker ihre letzte Hoffnung ist. Auch für Johanna. Sie bezieht seit sechs Jahren Hartz IV, hat aber nun eine Ausbildung begonnen und bekommt plötzlich keine Unterstützung mehr. Ein Fall für von Grünberg, sagt Johanna.

    "Ich hoffe, dass er jetzt die Arge anschreiben kann und dass die Arge dann die Leistung für mich aufnehmen kann. Es liegt im Ermessen der Arge, wenn sie will, kann sie mich unterstützen, wenn sie nicht will, dann muss sie nicht."

    Oft gibt es Ärger mit den Jobcentern, und es liegt nicht immer daran, dass jemand vergessen hat, seine Anträge rechtzeitig abzugeben. Bernhard von Grünberg:

    "Oft kommt es auch vor, dass der Kunde sagt, ich habe das abgegeben, der Mitarbeiter beim Jobcenter aber sagt, ich habe das nicht gekriegt, was auch daran liegen kann, dass oft in den Jobcentern ja ganz viele Mitarbeiter an ganz unterschiedlichen Fällen arbeiten und es eben durcheinander kommt, da ist denn der Brief in der falschen Akte gelandet. Und der kriegt ´ne Kürzung und wundert sich denn, dass er kein Geld mehr kriegt und dass er existenzielle Krisen hat."

    Einen Anwalt können sich Sozialhilfeempfänger nicht leisten. Um sich gegen Entscheidungen von Behörden zur Wehr zu setzen, gibt es eine Alternative: Den Petitionsausschuss des Landtages. Von Grünberg ist dort Mitglied und fackelt nicht lange. Bernhard von Grünberg:

    "Wenn ich nicht damit einverstanden bin, und das kommt bei mir oft vor, da kann ich einen Termin machen zwischen dem Betroffenen und zum Beispiel der Stadtverwaltung und gegebenenfalls dem Ministerium, und sage, warum entscheidet ihr so bescheuert."

    Über 25.000 Petitionen sind in der vergangenen Wahlperiode in NRW eingegangen. Die Vorsitzende des Ausschusses Rita Klöpper von der CDU wirbt ebenfalls mit großem Engagement für dieses Hilfsangebot.

    "Lieber Bürger, du hast dieses Recht, es steht im Grundgesetz, dein Grundgesetz steht bestimmt irgendwo in einem Bücherregal, aber bitte guck auch mal rein, lies den Artikel 17, und dort ist ein Recht für dich, was, und das muss man auch mal ganz deutlich sagen, was, wenn die Überprüfung stattfindet, dich keinen Cent kostet, keinen Cent, denn bevor man klagt, man hat ja manchmal nur die Möglichkeit des Klageweges, bevor man klagt, kann man besser hingehen und sagen, Petitionsausschuss, bitte guck noch mal drüber, ist die Möglichkeit, dass man da vielleicht noch ´ne andere Möglichkeit findet, mir zu helfen."

    In dem Gremium engagieren sich 25 Abgeordnete über alle Parteigrenzen hinweg, um Ärger mit den Behörden aus dem Weg zu räumen. Rita Klöpper:

    "Jeder hat das Recht, uns anzuschreiben, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, einfach nur zu formulieren. Es gibt keine Anträge, es geht alles formlos. Er kann auch wirklich aus einer Justizvollzugsanstalt heraus schreiben. So was haben wir auch öfter mal. Wenn da irgendwelche Dinge vielleicht mal nicht so ganz laufen, dann gehen wir der Sache nach und gucken nach, ob es so ist, und wenn es so ist, und man kann Abhilfe schaffen, wird das getan."

    Ein Teil der Hilfesuchenden, die sich an öffentliche Organisationen wenden, haben keine Probleme mit Behörden, sondern erleben ein Gefühl der Ohnmacht oder der Einsamkeit. Viele wollen einfach nur Ansprache. Darauf hat jetzt auch der Malteserhilfsdienst reagiert und testet an vier Standorten den sogenannten Malteserruf.

    Hier geht es nicht um Notversorgung. Ehrenamtliche Mitarbeiter rufen ältere Menschen an und sprechen mit ihnen über Gott und die Welt. Aber viele der Anrufer sind tatsächlich verzweifelt, hadern mit den äußeren Umständen oder mit sich selbst. Das beobachtet der evangelische Pfarrer und Notseelsorger Jörg Zimmermann aus Bonn.

    "Es ist manchmal so, dass man durchaus hingucken muss, ob diese Einschätzung der Leute überhaupt stimmt, kann man wirklich nichts machen oder ist das jetzt ein Gefühl, in das der Betreffende sich hineingesteigert hat, obwohl möglicherweise objektiv noch gar kein Anlass dazu besteht. Das versuche ich rauszukriegen. Das ist kein leichtes Brot, manchmal gelingt das, aber ich muss zugeben, nicht immer."

    Der Stress am Arbeitsplatz, Burnout-Syndrom, die Schnelllebigkeit der Zeit machen viele orientierungslos. Wer heute eine Servicenummer wählt, klickt sich durch ein Menu, bekommt oft nur vorgestanzte Auskünfte vom Band.

    "Allein mit dieser Art der Kommunikation sind insbesondere Menschen der älteren Generation häufig überfordert, und das führt dann manchmal auch zu einem Rückzugsverhalten, dass man sich aus bestimmten Bereichen der Wirklichkeit heute ausklinkt beziehungsweise sich dort erst gar nicht einklinkt, aber natürlich gleichzeitig sieht, die Welt entwickelt sich, und ich habe daran keinen Anteil mehr. Das verstärkt Phänomene der Depression und des Frustes."

    Natürlich versuchen Verzweifelte auch zunehmend Zuspruch und Hilfe im Internet zu finden. Doch beim Chatten oder Bloggen in Diskussionsforen lauern jede Menge Gefahren. Man sollte wissen, wer die Seite betreibt, ein Impressum finden und man sollte prüfen, ob die Ratgeber auch wirklich qualifiziert sind. In den Zuschauer- und Poststellen der Republik sammeln sich die verzweifelten Hilferufe, aber: und das heitert die Mitarbeiter doch regelmäßig auf - es gibt sie noch - die Positiven und Zuversichtlichen, erzählt Herbert Lumer von der NRW-Staatskanzlei:

    "Mir fällt da eine ältere Dame ein, die bisher immer anonym geblieben ist, die aber zwei bis dreimal pro Woche schreibt, immer irgendwas mitschickt, immer Karten schreibt, alle Briefe mit der Hand schreibt und die also die Ministerpräsidentin hoch verehrt, und da sehe ich immer schon an der Schrift, jetzt hat die Dame wieder geschrieben. Jetzt letzte Woche hat sie wieder frische Kirschen in einer Dose geschickt, sie schickt Kalender, sie schickt Traubenzucker, alle möglichen Dinge."

    Und Hannelore Kraft?

    "Sie weiß das, ja selbstverständlich, aber wir können nicht antworten, weil die Dame halt eben anonym schreibt", fasst Herbert Lumer zusammen.