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Die Kunst der Linie

In Renaissance bis in die Klassische Moderne hat die Zeichnung einen prominenten Platz. Erst in jüngster Gegenwart tut sie sich schwer. Das muss nicht sein. Im norwegischen Moss verhilft die "Biennale der Zeichnung" der Linie zu großem Auftritt.

Von Carsten Probst |
    Die Momentum-Kunsthalle von Moss ist in einem ehemaligen Fabrikgebäude im Hafen der norwegischen Kleinstadt untergekommen. Gleich neben der Papierfabrik, dem größten Arbeitgeber der Stadt, scheint es eigentlich keinen besseren Ort für die Ausrichtung einer Biennale nur für das Medium Zeichnung zu geben. Könnte man meinen.

    "Moss ist ja ein Standort einer sehr etablierten Biennale für skandinavische Kunst, die Momentum-Biennale. Und der norwegische Zeichnerverband, der doch relativ einflussreich und gut mit Mitgliedern bestückt ist, auch jüngeren, wollte seine Biennale, seine Zeichner-Biennale, die schon zum fünften Mal stattfindet, wollte die auf größere Füße stellen. Und damit bot sich diese Momentum-Halle an, das auch ein bisschen internationaler zu gestalten","

    ... erklärt Susanne Altmann, die zusammen mit dem in Norwegen lebenden deutschen Künstler Stefan Schröder dieses Mal das nicht ganz gewöhnliche Kunstfestival kuratiert. Die beiden sind sozusagen die Gründungsdirektoren einer neuen Form.

    Die ehemals nationale Leistungsschau norwegischer Zeichenkünstler in der Kleinstadt Moss bauen sie nun zu einem Treffpunkt der internationalen Kunstszene um. Trotzdem geht es immer noch ungewöhnlich zu. Die Biennale von Moss ist bisweilen wohl die einzige, für die sich Künstler selber bewerben können - zumindest wenn sie in einem der nordischen Staaten leben oder aus diesen stammen. Die Kuratoren haben so aus über 300 Bewerbungen die besten ausgesucht und einige Künstler aus anderen Ländern außerhalb der Bewerbungsliste hinzugeladen. Ob sich dieses Verfahren in Zukunft halten lässt, wenn diese Biennale weiterhin internationalen Rang anstrebt, darf man bezweifeln. Für dieses Mal jedoch beschert es der Ausstellung einen grandiosen Querschnitt und die Beteiligung teilweise völlig unbekannter, höchst origineller Positionen, die ohne Weiteres im internationalen Maßstab mithalten und den klassischen Begriff der Zeichnung zugleich erweitern.

    ""Und das ist etwas, was wir versucht haben, hier mit reinzunehmen, mit Arbeiten von Christian Henni, der hier mit einer Propagandamaschine, einer Batterie aus fünf Sprayflaschen ohne abzusetzen eine Linie durch das Treppenhaus zieht in den Farben der Norwegischen Fahne zum Beispiel, oder mit dem monumentalen Wandgemälde von Andreas Soma, der sich auch ganz deutlich auf Cartoon und Comicästhetik bezieht, oder die lokalen Helden, genannt Sex Tags, zwei Brüder, die hier in der Kleinstadt Moss schon seit zehn Jahren in der Graffiti,- Subkultur-, Music-, DJing-Szene aktiv sind."

    Hinzu kommen Entdeckungen wie die Arbeit von Mona Brekke, die in ihrem schaurig-appetitlichen Video aus Wurstschnipseln die Konturen jener Tiere in Comicästhetik wieder zusammensetzt, aus denen die Wurst hergestellt wurde. Oder die blumigen Filigranzeichnungen von Fröydis Erstad, einer älteren Künstlerin, die seit Jahren die Spitzenmuster von Damenunterwäsche mit Bleistift abzeichnet und zu geisterhaften Tableaus anordnet. Cathrine Thorstensen wiederum illuminiert ihr nachtdunkles Studio mit geisterhaften Lichtblitzen zu einer Choreografie aus Netzhautreflexen.

    Ergänzt werden die unbekannten durch einschlägige Positionen etwa von Marion Porten und Hannah Schneider, Tilo Baumgärtel, David Macintosh oder dem konstruktivistischen Altmeister Norwegens, Kjell Varvin. Der Anfang für eine künftige Preziose unter den europäischen Biennalen scheint gemacht zu sein.