Ein junger Mensch hat natürlich den wahren Wert und die Herausforderung, die das Schreiben von Nachrufen bedeutet, nicht verstanden und hat nur gedacht, Oh Gott, jetzt hat man mich in diese schreckliche, depressive Abteilung gesteckt. Aber das ist natürlich eine völlig falsche Betrachtung, denn es sollte gerade der beste Schreiber im Haus sein, dem man die Nachrufe anvertraut. und ich, denke, die Aufgabe dieser Konferenz ist es, das Augenmerk auf die guten Nachrufe zu richten und zu zeigen, dass dies ist eine sehr wertvolle literarische Form ist.
Es ist noch nicht sehr lange her, dass man Nachrufe auch wegen ihrer literarischen Qualität liest. Diesen Wahrnehmungswandel hat nicht zuletzt der Autor Alden Whitmann bewirkt, der für die "New York Times" um die ganze Welt flog und authentisches Material für sein Nekrologe sammelte, da er sich nicht auf das staubtrockene Rohmaterial offizieller Lebensläufe verlassen wollte. So interviewte er in den siebziger Jahren auch Stefan Heym in Berlin, der – vielleicht wegen dieser Erfahrung – seiner Autobiographie den Titel: "Nachruf" gab. Mit diesem Buch möge der geneigte Leser vorliebnehmen, schrieb Heym, bis Whitmans Nachruf erscheinen könne. Doch das Schicksal spielte anders: Whitman starb lange vor Heym und die "New York Times" würdigte ihn für seine präzisen Recherchen und seine gelungen Interviews.
Alden Whitman hat da Maßstäbe geschaffen, die sich Autoren im ganzen Land zu eigen gemacht haben. Der Nachruf war nicht mehr bloß eine Todesnotiz, sondern eine Kunststück. Allerdings haben eigentlich die Briten den Standard für wirklich interessante Nachrufe gesetzt, besonders daran beteiligt war der Londoner Daily Telegraph, der vor zwanzig Jahren begann, Würdigungen zu drucken, die über pure Lobhudelei hinausgingen. Auch das Mysteriöse, das Anrüchige, wenn jemand eine Leiche im Keller hatte, all das sollte in seinem Nachruf vorkommen.
Die Engländer mit ihrem Hang zum Makabren erlauben es sich auch, an prominenter Stelle noch einen letzten Scherz über den Verstorbenen zu machen. Und sie haben den Kreis derer, die für einen redaktionellen Nachruf in Frage kommen, enorm ausgeweitet. Neben Politikern, Künstlern, Sportlern und Popstars spielten schon immer Militärs – und hier vor allem Weltkriegsveteranen – eine bedeutende Rolle, doch mittlerweile gefällt sich die Presse darin, auch völlig unprominente Menschen mit einem Nachruf zu bedenken, wenn denn ein Stück Weltgeschichte oder irgend etwas Ungewöhnliches in ihrer Biographie aufscheint.
Das spektakulärste Beispiel hierfür liefert wiederum die "New York Times" mit ihren "Portraits of Grief", für die das Blatt einen Pulitzer-Preis erhielt. Kurz nach dem 11. September zogen über einhundert Reporter aus und versuchten, mit den Angehörigen der im World Trade Center umgekommenen Menschen Kontakt aufzunehmen. Es entstanden 1800 Kurzportraits, die jeweils einen speziellen Aspekt des Verstorbenen hervorhoben. Einer, der auf wundersame Weise noch in den letzten Minuten dem Inferno entkam und dessen Geschichte durch alle Medien ging, ist Steve Miller. Er ist von Beruf Nachrufschreiber und Herausgeber eines Nachruf-Magazins mit dem entschiedenen Titel: "Goodbye".
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