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Die Kuomintang und der Tee

Kuomintang hieß die Armee des chinesischen Generals Tschiang Kai Tschek, die Ende der 1940er-Jahre vor den Truppen Mao Tse Tungs nach Thailand floh. Ihre Nachfahren waren lange in den Opiumhandel verstrickt, jetzt bauen sie Tee an.

Von Dieter Jandt | 25.09.2011
    Was für ein Ausblick! Soeben sind wir über die Kuppe des letzten Kontrollpostens der Armee hinweg gefahren und schauen nun auf eine wellige Berglandschaft, die mit grünen Sträuchern überzogen ist. Wir sind auf etwa 1.500 Meter Höhe, ein ideales Klima um Tee anzubauen. Die Straße windet sich hinab ins Tal, um sich dann den nächsten Berg emporzuschlängeln, an dem niedrige Häuserreihen wie an einer Schnur am Abhang stehen: Mae Salong, eine chinesische Stadt im Norden von Thailand.

    "Dies hier ist Oolongkan Tee, aus ganz jungen Blättern. Wir haben aber auch noch viele andere Sorten. Normalen grünen Tee, chaa ching ching, Jasmintee und so weiter."

    Eine junge Frau sitzt in einem der vielen Teeshops an der Hauptstraße und serviert Oolongkan-Tee, der diese Gegend hier berühmt gemacht hat. Sie gießt mehrere Male heißes Wasser in ein Doppelglas mit grünen Blättern und schließt den Deckel. Hinter der Frau stapeln sich Säcke von Tee, und über ihr künden goldene Schriftzeichen auf rotem Grund davon, dass hier alles in chinesischer Hand ist. Ngön, die Schwester der jungen Frau, nimmt das innere Glas mit den Blättern heraus und drückt das Wasser in das größere, untere Glas.

    "Unser Großvater ist als Soldat vor vielen Jahren in diese Gegend geflohen. Damals gab es noch keine Straßen hier in den Bergen, nur Dschungel und Opium, davon aber reichlich."

    Die Menschen in Santikiri, wie das Städtchen auch genannt wird, stammen mehrheitlich von den Kuomintang ab. So hieß die Armee des chinesischen Generals Tschiang Kai Tschek, die Ende der 1940er-Jahre vor den Truppen Mao Tse Tungs floh. Der größte Teil der Armee rettete sich nach Taiwan, einige Tausend Soldaten schlugen sich mit ihren Familien nach Südwesten durch.

    "Das ist Lii Mii, der General der Truppe, die damals aus Yunnan kam. Und hier, der lebt noch, der heißt Pon Lui Li Thian, der ist 94 Jahre alt, er wohnt hier in Mae Sariang."

    Die junge Alang führt an einer Bilderreihe aus großen Schwarz-Weiß-Fotos entlang, die an einer Wand des örtlichen Museums hängen. Es steht hinter einem großen Tempel. Die Kuomintang haben sich das Museum gegönnt, auf dass es von der Zeit künden möge, in der sie gelernt haben, sich in diesem wilden Land durchzusetzen.

    "Der hier ist schon seit 28 Jahren tot, und die beiden waren die ersten, die nach Thailand kamen. Sie waren Freunde der Amerikaner, und die schickten auch Waffen und unterstützten die Kuomintang. Und der hier, wenn du den treffen willst, der ist jeden Tag um fünf Uhr im Mae Salong Resort. Dort macht er Leibesübungen, der hat noch Kraft."

    Der alte Chanchau hockt auf einem Schemel vor seinem kleinen Haus aus Stein. Von hier aus hat man einen Ausblick auf den großen weißen Tempel, der auf dem nächsten Berg über der Landschaft thront. Gleich hinter dem Haus fällt das Gelände steil bergab ins Tal. Chanchau ist sichtlich gerührt, dass jemand etwas von damals wissen will.

    "Die Armee Maos war einfach zu stark und wir sind damals erst mal nach Burma geflohen. Da gab es dann wieder Kämpfe mit den dortigen Armeen und dann sind wir weiter nach Laos. Aber auch dort wollten sie uns nicht haben. Und so sind wir hierher gekommen."

    Chanchau sitzt im weißem Unterhemd und einer alten grauen Hose da. Was soll er sich noch zurecht machen? Er hat's ja geschafft. Mit langem Arm zeigt er über das grüne Meer aus Teesträuchern, das sich so friedlich über das Land wellt. Jeden Tag kommen einige Reisende aus dem Westen wegen der Chinesen her. Sie sehen den Ort als Farbtupfer in einer ohnehin schon exotischen Region an. Einige reisen allein wegen der Landschaft an, sie unternehmen Wanderungen bis an die Grenzen nach Laos und Burma. Viele Bergstämme siedeln hier seit Jahrhunderten. Jeden Tag kommen sie von den Höhen herunter und bieten gleich gegenüber dem Haus des Alten seltene Kräuter an.

    "Vor 50 Jahren war das doch alles Dschungel, und unsere Anführer in Taiwan wollten, dass wir bleiben und später Maos Armee von hier aus wieder angreifen. Anfangs haben sie ja mit Waffen geholfen und mit Nahrung, aber für einen Angriff gab es dann keine Befehle. Dafür kam die thailändische Armee. Sie hatte große Probleme mit den hiesigen Kommunisten. Und wir trafen eine Abmachung, dass wir die Stellung halten und dafür hier siedeln können. Schließlich haben wir gegen die Rebellen gewonnen und konnten also bleiben. Später haben wir thailändische Ausweise bekommen, und unsere Kinder und Enkel sind Thai."

    Der Alte spricht nur Chinesisch, Thailändisch hat er nie gelernt. Der Enkel sitzt gegenüber auf einer Mauer. Er ist Mitte 20 und trägt einen modisch kurzen Haarschnitt. Er ist nur zu Besuch hier, studiert er doch in der Provinzhauptstadt Chiang Rai Agrarwissenschaften. Das wird ihm später von Nutzen sein, wenn er die Plantagen der Familie bewirtschaftet. Sein Großvater und dessen Kameraden haben damals erst einmal das Land urbar gemacht, mit der Machete.

    "Hier waren ja nur schmale Pfade, Fahrzeuge gab es nicht, und wir hatten kein Einkommen. Wir haben dann angefangen, Reis anzubauen und Gemüse. Wir haben alles selbst in die Hand genommen, und diejenigen, die ohne Familie gekommen waren, haben sich hier Frauen in der Umgebung gesucht."

    Der Alte lacht verschmitzt. Dann aber kommt er doch darauf zu sprechen, was eigentlich jedermann weiß, wovon aber niemand redet.

    "Mohn angebaut haben wir nicht. Wir haben wohl Geschäfte damit gemacht, zum Beispiel Waffen gegen Opium getauscht, und wir haben auch eine Art Wegezoll genommen und gleichzeitig darauf geachtet, dass hier niemand Opium anbaut. Schließlich waren wir diejenigen, die in der Gegend für Sicherheit gesorgt haben. Und manchmal haben wir auch Opiumtransporte bewacht und sie über die Grenzen geleitet. Aber Anbau, nein."

    Tief waren die Kuomintang in den Drogenhandel verstrickt. Sie finanzierten sich damit. Entweder sie nahmen das Opium den Bergvölkern ab, schmuggelten es oder bauten es gleich selbst an. Die thailändische Regierung sah jahrzehntelang ohnmächtig diesem Treiben zu. Erst als eine Straße hinauf in die Berge gebaut wurde, konnte die Thai-Armee diese Region allmählich unter Kontrolle bekommen. Dort, wo früher die Kuomintang anderen Opiumhändlern als Wegelagerer auflauerten, auf den Höhenzügen, hat die Thai-Armee nun Kontrollposten eingerichtet. Drogenhandel vor allem aus Burma ist hier immer noch ein Thema. Die Chinesen aber bauen nun Tee an und leben gut damit.

    "Sicher, wir waren hier früher nicht gut angesehen, auch nicht in Laos und Burma. Wir waren ja als Drogenhändler verschrien, aber was sollten wir denn machen? Wir brauchten das Geld, um zu überleben. Der Nachteil war natürlich, dass die meisten der Soldaten das Zeug auch geraucht haben."

    Alang führt weiter durch das Museum. Noch lange Jahre wurden die Kuomintang aus Taiwan unterstützt. Man schickte Waffen auf verschlungenen Wegen, später Teesamen über offizielle Routen, den berühmten Oolongkantee. Alang zeigt auf ein weiteres Foto, auf dem ein Chinese vor abgeladenen Warenballen steht.

    "Das war jemand, der eine Firma in Taiwan hatte, der kam her und hat Decken und Lebensmittel mitgebracht. Und das wurde dann alles verteilt, es gibt ja noch dreizehn kleine Dörfer in der Gegend."

    Wer will und sich nicht von der vergangenen Wildheit abschrecken lässt, kann hier tagelange Wanderungen unternehmen und entweder in einer der vielen kleinen Pensionen übernachten, die einen Postkartenausblick auf die Umgebung gewähren, oder in die vielen kleinen Dörfer der ehemaligen Kuomintang weiterziehen. Allerdings ist es nicht ratsam, einfach in die Dörfer der Bergvölker hineinzuspazieren. Das wäre im übertragenen Sinne etwa so, als würde ein Fremder plötzlich eine Wohnung betreten und sich neugierig umschauen.

    Alang ist in Mae Salong geboren. Sie hat ihre beiden Kinder zur weiteren Ausbildung nach Taiwan geschickt.

    "Das machen hier viele so. Sie können dort auch Arbeit finden und ihren Familien Geld schicken. Zunächst lernen die Kinder hier in einer Grundschule neben thailändisch auch chinesisch, und wenn sie sehr gut in der Schule sind, werden sie nach Taiwan geschickt und bekommen dort ein Stipendium. Dort können sie dann, wenn sie einen Job haben, richtig Geld verdienen. So zwischen 20.000 und 30.000 Baht."

    Das ist für thailändische Verhältnisse eine stolze Summe, rund 600 Euro. Wohlstand hat sich längst breit gemacht im Ort, nicht wenige prunkvolle Häuser, die gewagt am Abhang stehen, zeugen davon. Die Gefahren drohen nicht mehr von burmesischen Banden oder chinesischen Kommunisten. Nun kommen Chinesen als Touristen und Mittelständler aus dem alten Reich herüber, um ihre ehemaligen Feinde und Landsleute zu besuchen. Gefahren lauern nun buchstäblich an der nächsten Ecke. Im letzten Jahr hat es in Folge schwerer Regenfälle zwei Erdrutsche gegeben, die jeweils einen Hang mit sich in die Tiefe zogen, mitsamt einiger Häuser.

    Ngön und ihre Schwester aber sitzen ungetrübt wie jeden Tag hinter der Theke und schenken an eine Familie so genannter Rotchinesen Jasmintee aus, während die Sonne den schneeweißen Tempel hoch oben am Berg beleuchtet. Ngön hat den Tee nun in Tassen mit Blümchenmuster gegossen, Untertassen darauf gelegt und das Ganze auf den Kopf gestellt. Wer zunächst einmal das Aroma erfahren will, ziehe die Tasse ab und schnüffle daran. Getrunken wird aus der Untertasse.