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Die Lage eskaliert

Vor zwei Wochen demonstrierten auf Lampedusa die Flüchtlinge gemeinsam mit den Einwohnern der Insel friedlich gegen die Flüchtlingspolitik der italienischen Regierung und die unmenschlichen Zustände in den hoffnungslos überfüllten Auffanglagern. Nun ist die Lage endgültig eskaliert, denn gestern steckten verzweifelte Flüchtlinge das Lager in Brand.

Von Karl Hoffmann | 19.02.2009
    Als der Fischer Enzo Billeci gestern morgen aus dem Fenster sah, da wusste er, dass etwas Schlimmes passiert war:
    "Zuerst sah man überall Polizeiwagen mit Immigranten darin, das war ein hin und her. Und dann stieg eine gewaltige schwarze Rauchwolke gen Himmel, wie von brennenden Autoreifen. Es stank fürchterlich, dann sah man Krankenwagen und Feuerwehr. Da war wirklich die Hölle los."

    Erst hatte es eine Revolte im Lager gegeben hatte, die Polizei war mit Schlagstöcken gegen eine Gruppe von Tunesier vorgegangen, die daraufhin die Polizisten mit Türen und Toilettenschüssel beworfen hatten. Plötzlich schlugen Flammen aus einem der Lagergebäude. Die Lagerinsassen hatten Matratzen und Möbel in Brand gesteckt. In kürzester Zeit stand eines von insgesamt drei Gebäuden des vor gut zwei Jahren renovierten Lagers in Flammen. Weil es schwer zugänglich in einer Felsschlucht liegt und die Feuerwehren in Lampedusa nur ungenügend ausgestattet sind, brannte es bis auf die Grundmauern nieder. Die Revolte der Tunesier war ausgebrochen, nachdem sie erfahren hatten, dass die italienische Regierung sie auf direktem Weg wieder zurück in ihr Heimatland befördern wollte. Für Enzo Billeci waren die gestrigen Ereignisse vorhersehbar.

    "Irgendwann musste das ja passieren. Das lag schon länger in der Luft. Man kann die Leute nicht Monate lang einsperren. 1000 Leute, auch wenn sie noch so schwer bewacht werden können nicht in solch einem Aufnahmelager festgehalten werden."
    Das Lager ist jetzt zur Hälfte zerstört. Die Insassen werden aufs Festland gebracht, denn bevor es wieder benutzt werden kann, muss es komplett neu aufgebaut werden. Es hat sich herausgestellt, dass für die Schlafsäle hochbrennbaren Materialien benutzt wurden. Ein Wunder, dass gestern nur etwa 50 Personen leicht verletzt wurden, vor allem bei den Zusammenstößen der Polizei mit den revoltierenden Immigranten. Die meisten von ihnen sind Tunesier, die Repressalien fürchten, wenn sie zurück nach Tunesien gebracht werden. Durch das Feuer ist auch der Plan des italienischen Innenministers Roberto Maroni vorerst gescheitert, die ankommenden Immigranten nach Feststellung ihrer Identität direkt wieder in ihr Herkunftsland zurückzubringen. Gescheitert ist aber auch ein ehrgeiziges Projekt, das gemeinsam von der italienischen Regierung und der Europäischen Union im Lager von Lampedusa gefördert wurde. Es sollte die Erstaufnahme von Boat People humaner machen und vor allem die Versorgung von Frauen und Jugendlichen nach der lebensgefährlichen Überfahrt gewährleisten. Meint Laura Boldrini, die Vertreterin des Un-Flüchtlingskommissars in Italien:

    "Im Aufnahmezentrum von Lampedusa arbeiteten alle möglichen Organisationen zusammen. Und es wurde dadurch zu einem Modellversuch für ähnliche Einrichtungen überall in Europa. Der Plan dort nun ein Ausweisungslager einzurichten ohne zu wissen, wie das gehen soll, macht unsere jahrelange Arbeit zunichte."

    Die italienische Regierung hat in den letzten Monaten eine immer härtere Gangart gegen illegale Immigranten eingeschlagen. Nach zähen Verhandlungen mit der libyschen Regierung sollen italienische Streitkräfte nun die Überwachung der nordafrikanischen Küste mit übernehmen, um die Überfahrt von Boat People nach Lampedusa zu verhindern. Die Rückführung von Immigranten ohne Aufenthaltsberechtigung soll massiv beschleunigt werden. Und wer von den etwa 500.000 im Land lebenden illegalen Einwanderern ärztliche Hilfe benötigt, der riskiert nach dem jüngsten Gesetzesdekret der Regierung eine Anzeige bei der Polizei. Die Einheimischen von Lampedusa sind - wie der Fischer Billeci - nach den jüngsten Ereignissen verzweifelt.
    "Lampedusa ist schon längst keine Touristeninsel mehr, hier ist es inzwischen wie in Afghanistan. "