Damals war die Esplanade für den Komponisten Jean Sibelius so etwas wie das zweite Zuhause. Der Musiker, 1865 im nahen Hämeenlinna geboren, lebte zwischen 1885 und 1904 die meiste Zeit in Helsinki. Hier vollendete er seine ersten großen Werke - und wenn er nicht komponierte, genoss er das gute Leben.
Einer der großen Sibeliuskenner unserer Tage ist der Journalist Vesa Siren. Er durfte als erster in alten Archiven stöbern - und fand bis dato unbekannte Spuren des Komponisten:
" Das Lustige ist, dass Sibelius nie etwas wegwarf, außer jener achten Sinfonie - die verbrannte er. So konnte ich alle möglichen Rechnungen finden, die er in Restaurants bezahlte oder auch wenn er einen neuen Hut oder neue Kleider kaufte. Er war nämlich durchaus ein Dandy. Aus diesen Quittungen konnte ich ablesen: An diesem Tag ging er auf die Esplanade und kaufte drei Flaschen Wein oder er ging in jenen Shop und kaufte einen neuen Hut oder er ging ins Hotel Kämp. Einige dieser Restaurants gibt es bis heute und die können Sie besuchen, wenn Sie mögen."
Das Kappeli auf der Esplanade war nicht nur für Jean Sibelius ein Lieblingsplatz. Das Restaurant in Form eines klassizistischen Pavillons zieht bis heute Einheimische ebenso an wie Gäste aus aller Welt. An schönen Sonnentagen reißen sich die Besucher vor allem um die Plätze auf der Terrasse - mit herrlichem Blick über die Grünanlage mitten in der Stadt.
<im_40342>Helsinki Dom</im_40342>Die Stadt Helsinki, wie Sibelius sie erlebte und wie sie bis heute Besucher verzaubert, entstand Anfang des 19. Jahrhunderts. Damals stand das Großfürstentum Finnland unter russischer Herrschaft. Zar Alexander der Erste verlegte 1812 die Hauptstadt Finnlands von Turku nach Helsinki. Der deutsche Architekt Carl Ludwig Engel erhielt den Auftrag, die durch einen Brand zerstörte Stadt neu aufzubauen - als repräsentative Hauptstadt. So erblühte das klassizistische Zentrum rund um den Senatsplatz - mit dem wunderschönen schneeweißen Dom, dem Senatsgebäude und der Universität.
Auch die Esplanade glänzt bis heute mit einigen Prachtbauten aus dem 19. Jahrhundert - allen voran das noble Hotel Kämp. Und wenn die Flaniermeile für Jean Sibelius das zweite Zuhause war, so war das Kämp zweifellos sein zweites Wohnzimmer. Heute kennen selbst blutjunge Angestellte wie Duty Manager Andres die Anekdoten aus jener Zeit:
" Dies hier war in seinen jüngeren Jahren Sibelius Lieblingsrestaurant. Meist saß er hier von morgens bis nachts mit Komponisten, Malern und auch den deutschen Musikern Willy Burmeister und Alfred Reisenauer. Die Gruppe nannte sich das Symposium. Das war so nach 1892. Sibelius war schon vorher ein guter Kunde gewesen, als Carl Kämp das Restaurant Opera Cellar hatte. Und als Kämp dann das Luxushotel eröffnete, sagte Sibelius: Wenn ich berühmt bin, komme ich zurück. Und das tat er dann auch. Manchmal verbrachte er mehrere Tage und Nächte am Stück hier. Einmal kam seine Frau an die Rezeption und fragte, wann er denn heimkommen würde. Und Sibelius antwortete: Meine liebe Frau, ich bin Komponist - nicht Hellseher."
Ganze Tage und Nächte verlebte Sibelius mit seinen Freunden im Hotel Kämp. Sie philosophierten über die Welt, weniger wohl über Gott, sie speisten und tranken. Sibelius' Frau Aino soll den Komponisten mit tagelangem Schweigen bestraft haben, wenn der Gatte mal wieder nach vier, fünf Tagen völlig ausgebrannt nach Hause kam.
Allerdings hatten die Exzesse auch ihr Gutes. Denn ausgerechnet in durchzechten Nächten, in den Gesprächen mit seinen Freunden holte sich der Komponist Inspiration für seine Werke. Eines seiner Stücke soll sogar direkt im Hotel Kämp entstanden sein. Die Geburt des Werks im Jahr 1903 war eine durchaus tragische, wie Sibelius-Biograph Siren weiß:
" Einmal hatte Sibelius die Grippe und trank deshalb keinen Alkohol. Sie gingen nach oben im Hotel Kämp und er sagte: "Mensch, ich muss für meinen Freund Arvid Järnefelt ja noch den 'Walzer des Todes' für sein neues Stück schreiben. Und jetzt nehme ich doch dieses Chinin." Er nahm eine Dosis und fing an etwas zu summen. Und sein Freund Sigurd dachte: "Aha, da kommt der Walzer". Sibelius ging zum Piano, nahm eine weitere Dosis Chinin. Sein Freund besorgt: Was machst Du denn da? Und dann begann er zu improvisieren und nahm NOCH eine Portion Chinin - das war nun wirklich eine Überdosis. Und dann sagte er: "Mein Kopf brummt, meine Ohren klingeln. Jetzt kommt er, jetzt kommt der Walzer des Todes.""
Sibelius spielte die ersten Noten auf dem Piano und musste das Werk am nächsten Tag nur noch niederschreiben. Der Valse Triste, der Traurige Walzer, in einer langen Nacht quasi aus dem Delirium geboren, wurde ein regelrechter Welthit.
Schon zu Lebzeiten war Jean Sibelius ein gefeierter Komponist. Und bis heute kann man in Helsinki seine Spuren verfolgen:
Da ist die Sibelius-Straße, finnisch Sibeliuskatu, wo der Komponist während des Zweiten Weltkriegs für einige Zeit lebte. Dann die Sibelius Akademie, heute eine der größten Musikhochschulen Europas.
Die monumentale Finlandia Halle wurde 1971 vom Stararchitekten Alvar Aalto direkt an der Töölö-Bucht erbaut. Den Namen verdankt die Halle der berühmten sinfonischen Dichtung von Jean Sibelius aus dem Jahr 1900. Die Finlandia steht für den Unabhängigkeitskampf der Finnen gegen Russland und wird von vielen bis heute als eine Art zweite Nationalhymne empfunden.
Im Nationalmuseum gegenüber der Finlandia-Halle kann man Szenen aus dem finnischen Nationalepos Kalevala bewundern: Die Deckenfresken in der Eingangshalle stammen von dem Maler Akseli Gallen-Kallela. Er schuf auch zahllose Illustrationen zum großen Epos. Zu sehen sind sie im Atheneum, dem bedeutendsten Kunstmuseum des Landes.
Auch Jean Sibelius ließ sich in seinen frühen Werken vom Kalevala-Epos inspirieren. Neben der Finlandia entstanden daraus Werke wie die Sinfonie Kullervo, die Lemminkäinen-Suite oder die sinfonische Dichtung Der Schwan von Tuonela.
Als Nationalromantiker aber wollte Sibelius nie gesehen werden. Dennoch konnte er nicht verhindern, dass er von vielen Finnen als Nationalheld gefeiert wurde - und teilweise immer noch wird. Natürlich hat man ihm Helsinki auch ein Denkmal gesetzt.
Im Westen der Stadt liegt ganz nah am Meer der Sibelius Park - ein kleines Stück Natur mitten in der Metropole mit Birken, Wiesen und Felsen. Und mittendrin eine Hommage an den großen Komponisten. Für die Bewohner Helsinkis inzwischen ein Wahrzeichen, wie auch Marjatta Haapio vom Tourismusamt findet:
" Hier stehen wir vor dem Sibeliusmonument, das ist eines von den wenigen Monumenten, wo man das Monument anfassen kann. Man klopft daran, man hört die Pfeifen, wie sie einen Ton und Klang geben. Man kann auf dem Felsen stehen - aber dann Vorsicht, da könnte immer ein bisschen Sand sein! - aber man steht unter der Monument und sieht vielleicht den blauen Himmel. Das ist auch eine dritte Dimension zu dem ganzen Kunstwerk."
Entstanden ist das Sibelius-Monument ab 1961 als Ergebnis eines Bildhauer-Wettbewerbs. Gewonnen hat damals eine zierliche Dame: Eila Hiltunen. Die Künstlerin baute sechs Jahre lang an der Skulptur. Dabei tauchte sie so tief wie möglich ein in die Seelenwelt des Künstlers. Es entstand ein Monument aus mehr als 500 Stahlröhren. Enthüllt wurde es 1967 - zum 10. Todestag des Komponisten. Übrigens hat Eila Hiltunen nicht eine Orgel in den Park gestellt, wie viele behaupten, sondern ein Stück stilisierte Natur - ganz im Sinne des Pantheisten Jean Sibelius:
" Das ist ein Resultat daraus, dass als sie dann tatsächlich mit dem Werk angefangen hat für den Wettbewerb, hat sie pausenlos Musik von Sibelius sich angehört. Und das ist ja dann das Resultat: der finnische Wald, was da steht. 500 Baumstämme, die sie persönlich mit einem jungen Mann geschaffen hat. Der Wald für einen Finnen ist irgendwas ganz Großes, und der Finne geht gerne in den Wald, er fühlt sich fast so, als ob er in der Kirche wäre - und er spürt die Natur sehr stark."
Pantheistische Visionen lagen Sibelius schon seit jungen Jahren sehr nah: Gott in allem und vor allem in der Natur. Er liebte die Landschaften Südfinnlands, er liebte die alten Volkssagen - und das musste eines Tages ganz praktische Folgen haben. Sibelius kehrte Helsinki den Rücken - natürlich auch ein wenig auf Drängen seiner Frau, die ihn vor dem totalen Absturz bewahren wollte. 1904 zogen die beiden mit ihren Töchtern nach Järvenpää am Tuusula-See, etwa 40 Kilometer nördlich der Hauptstadt.
Einige der kreativsten Köpfe Finnlands - die meisten auch Freunde von Sibelius - waren schon da: die Maler Eero Järnefelt und Pekka Halonen, der Dichter Juhani Aho und seine Malergattin Venny Soldan-Brodelt. Ihr Atelier, damals das Herz der Künstlerkolonie am Tuusula-See, ist heute Museum.
Fast in Sichtweite ließ sich dann auch Jean Sibelius nieder. Sein Freund Lars Sonck, schon damals ein berühmter Architekt, entwarf das Haus. Und den Namen "Ainola" gab Sibelius dem Anwesen nach dem Vornamen seiner Frau Aino.
Bis heute liegt Ainola weit abseits der Straße auf einer kleinen Anhöhe. Die Kiefern und Birken rund ums Haus sind wahre Giganten geworden, aber man kann immer noch das Blau des Tuusula-Sees durchblitzen sehen. Unter den Bäumen steht das Wohnhaus - mit weißer Holzverschalung und Moos auf den Dachziegeln. Und daneben unter einem Apfelbaum das schlichte Grab von Jean Sibelius und seiner Frau.
Drinnen im Haus taucht der Besucher richtig ein ins Leben von Jean und Aino Sibelius - und in das von Severi Blomsted, heute Direktor des Finnischen Architekturmuseums und außerdem ein Enkel von Jean Sibelius:
" Man muss da gar nichts erklären. Das Haus ist wirklich genau so wie es zu ihren Lebzeiten war. Nichts wurde verändert oder weggenommen. In diesem Sinne ist es also kein Museum, sondern ein Wohnhaus - ich würde sogar sagen eines der am besten erhaltenen Künstler-Wohnhäuser der Welt. Da nichts verändert wurde, ist dies wirklich ein dokumentarischer Ort. Das einzige, was fehlt, ist der Zigarrenrauch. Der sollte noch da sein, denn unsere Kindheitserinnerung war der Duft nach Zigarre."
Man kann sich ganz plastisch vorstellen, wie sich das Leben hier abspielte: Jean Sibelius im Sessel oder am Arbeitspult, Aino im Garten bei ihren Beeten, die Kinder und später Enkel im Garten oder in der Küche bei den Hausangestellten. Ein Künstlerleben Anfang des 20. Jahrhunderts.
<im_40345>Sibelius-Haus Helsinki Flügel</im_40345>Im Wohnzimmer steht noch der Steinwayflügel, ein Geschenk zu Sibelius 50. Geburtstag, an den Wänden hängen Gemälde und Andenken. Der Blick schweift hinaus auf eine friedliche grüne Landschaft mit vielen Bäumen und Wasser. Die Geschichte des Hauses kennt heute wohl Hilkka Helminen am besten, die Direktorin des Museums und der Ainola-Stiftung:
" Als das Haus hier gebaut wurde, hatten Sibelius und seine Familie zwei Wünsche: Erstens: Man sollte einen Blick auf den Tuusula-See haben. Man sieht ihn heute immer noch, allerdings mit einigen Bäumen dazwischen. Und zweitens sagte Sibelius: In meinem Wohnzimmer hätte ich gern einen Ofen in grüner Farbe. Dieser Ofen wurde dann wunschgemäß vom Architekten Lars Sonck entworfen und direkt vor Ort gebaut. Als Jean Sibelius dann die grüne Farbe sah, sagte er ganz spontan: "Das ist ein F-Dur-Ofen." Er hat Musik in Farben gesehen."
Natürlich steht der Ofen noch genau an seiner angestammten Stelle, ebenso wie der Flügel und die alte Stereoanlage. Vor allem in späteren Jahren, als er nicht mehr regelmäßig nach Helsinki fahren konnte, saß Sibelius hier gerne im Ohrensessel und hörte sich Live-Übertragungen im Radio an. Am liebsten aber saß er in einem Sessel in seiner Zigarrenecke und las. Die Regale quellen über von Büchern und auf dem Tisch stehen heute noch sechs Aschenbecher aus Zinn. Angeblich konnte seine Frau an der Wahl des Aschenbechers ablesen, in welcher Stimmung ihr Mann war und was dem Komponisten gerade durch den Kopf ging.
Es muss viel Gutes gewesen sein. Denn immerhin entstanden in Ainola fünf seiner sieben Symphonien. Das ganze Leben im Haus drehte sich um seine Arbeit. Wenn der Meister komponierte, hatten die anderen still zu sein. Erst wenn ein Manuskript fast fertig war, setzte er sich an den Flügel im Salon. Ansonsten saß er im Arbeitszimmer.
" Das ist hier das Zimmer, in dem Jean Sibelius zuletzt gelebt hat. Wir sehen den Schreibtisch und Musiknoten auf dem Tisch, denn er hat bis ins hohe Alter gearbeitet. Gleich rechts von der Tür sehen wir einen schönen weißen Anzug und auf dem Tisch einen Borsalino-Hut und einen Gehstock. Wenn Sibelius einen Spaziergang gemacht hat, trug er immer den weißen Anzug, den Hut und den Gehstock. Die alten Leute hier erinnern sich noch ganz genau daran: Zuerst kam der Duft von Zigarren, dann kam der große Herr."
Selbst zum Fischen ging Sibelius mit Anzug und Hut. Es muss ein köstliches Bild gewesen sein: der große Meister ganz chic, sein Freund, der Maler Pekka Halonen, eher wie ein einfacher Mann vom Lande. Die beiden hatten ihren eigenen Steg und genossen es, mit dem Ruderboot hinauszufahren auf den See, zu fischen und den Zugvögeln zuzuschauen. Diese liebte Sibelius ganz besonders - und die Natur Südfinnlands begleitete ihn bis zuletzt. Sibelius war mit den Elementen seiner Heimat so tief verbunden, dass er sogar seinen nahenden Tod erahnte. Die Begebenheit berührt bis heute auch Hilkka Helminen zutiefst:
" Jetzt ist es 50 Jahre her, dass Jean Sibelius gestorben ist. An einem Tag im September 1957 - Sibelius kam gerade von seinem Spaziergang - da ist er hier auf der Veranda stehengeblieben. Er sah eine Schar Kraniche vorbeifliegen. Einer der Vögel verließ die anderen, flog ein paarmal ums Haus und dann wieder zurück zu den anderen Kranichen. Sibelius ging ins Haus und sagte zu Aino, seiner Frau: Ich glaube, die Natur hat mich verabschiedet. Zwei Tage später war er tot."
Einer der großen Sibeliuskenner unserer Tage ist der Journalist Vesa Siren. Er durfte als erster in alten Archiven stöbern - und fand bis dato unbekannte Spuren des Komponisten:
" Das Lustige ist, dass Sibelius nie etwas wegwarf, außer jener achten Sinfonie - die verbrannte er. So konnte ich alle möglichen Rechnungen finden, die er in Restaurants bezahlte oder auch wenn er einen neuen Hut oder neue Kleider kaufte. Er war nämlich durchaus ein Dandy. Aus diesen Quittungen konnte ich ablesen: An diesem Tag ging er auf die Esplanade und kaufte drei Flaschen Wein oder er ging in jenen Shop und kaufte einen neuen Hut oder er ging ins Hotel Kämp. Einige dieser Restaurants gibt es bis heute und die können Sie besuchen, wenn Sie mögen."
Das Kappeli auf der Esplanade war nicht nur für Jean Sibelius ein Lieblingsplatz. Das Restaurant in Form eines klassizistischen Pavillons zieht bis heute Einheimische ebenso an wie Gäste aus aller Welt. An schönen Sonnentagen reißen sich die Besucher vor allem um die Plätze auf der Terrasse - mit herrlichem Blick über die Grünanlage mitten in der Stadt.
<im_40342>Helsinki Dom</im_40342>Die Stadt Helsinki, wie Sibelius sie erlebte und wie sie bis heute Besucher verzaubert, entstand Anfang des 19. Jahrhunderts. Damals stand das Großfürstentum Finnland unter russischer Herrschaft. Zar Alexander der Erste verlegte 1812 die Hauptstadt Finnlands von Turku nach Helsinki. Der deutsche Architekt Carl Ludwig Engel erhielt den Auftrag, die durch einen Brand zerstörte Stadt neu aufzubauen - als repräsentative Hauptstadt. So erblühte das klassizistische Zentrum rund um den Senatsplatz - mit dem wunderschönen schneeweißen Dom, dem Senatsgebäude und der Universität.
Auch die Esplanade glänzt bis heute mit einigen Prachtbauten aus dem 19. Jahrhundert - allen voran das noble Hotel Kämp. Und wenn die Flaniermeile für Jean Sibelius das zweite Zuhause war, so war das Kämp zweifellos sein zweites Wohnzimmer. Heute kennen selbst blutjunge Angestellte wie Duty Manager Andres die Anekdoten aus jener Zeit:
" Dies hier war in seinen jüngeren Jahren Sibelius Lieblingsrestaurant. Meist saß er hier von morgens bis nachts mit Komponisten, Malern und auch den deutschen Musikern Willy Burmeister und Alfred Reisenauer. Die Gruppe nannte sich das Symposium. Das war so nach 1892. Sibelius war schon vorher ein guter Kunde gewesen, als Carl Kämp das Restaurant Opera Cellar hatte. Und als Kämp dann das Luxushotel eröffnete, sagte Sibelius: Wenn ich berühmt bin, komme ich zurück. Und das tat er dann auch. Manchmal verbrachte er mehrere Tage und Nächte am Stück hier. Einmal kam seine Frau an die Rezeption und fragte, wann er denn heimkommen würde. Und Sibelius antwortete: Meine liebe Frau, ich bin Komponist - nicht Hellseher."
Ganze Tage und Nächte verlebte Sibelius mit seinen Freunden im Hotel Kämp. Sie philosophierten über die Welt, weniger wohl über Gott, sie speisten und tranken. Sibelius' Frau Aino soll den Komponisten mit tagelangem Schweigen bestraft haben, wenn der Gatte mal wieder nach vier, fünf Tagen völlig ausgebrannt nach Hause kam.
Allerdings hatten die Exzesse auch ihr Gutes. Denn ausgerechnet in durchzechten Nächten, in den Gesprächen mit seinen Freunden holte sich der Komponist Inspiration für seine Werke. Eines seiner Stücke soll sogar direkt im Hotel Kämp entstanden sein. Die Geburt des Werks im Jahr 1903 war eine durchaus tragische, wie Sibelius-Biograph Siren weiß:
" Einmal hatte Sibelius die Grippe und trank deshalb keinen Alkohol. Sie gingen nach oben im Hotel Kämp und er sagte: "Mensch, ich muss für meinen Freund Arvid Järnefelt ja noch den 'Walzer des Todes' für sein neues Stück schreiben. Und jetzt nehme ich doch dieses Chinin." Er nahm eine Dosis und fing an etwas zu summen. Und sein Freund Sigurd dachte: "Aha, da kommt der Walzer". Sibelius ging zum Piano, nahm eine weitere Dosis Chinin. Sein Freund besorgt: Was machst Du denn da? Und dann begann er zu improvisieren und nahm NOCH eine Portion Chinin - das war nun wirklich eine Überdosis. Und dann sagte er: "Mein Kopf brummt, meine Ohren klingeln. Jetzt kommt er, jetzt kommt der Walzer des Todes.""
Sibelius spielte die ersten Noten auf dem Piano und musste das Werk am nächsten Tag nur noch niederschreiben. Der Valse Triste, der Traurige Walzer, in einer langen Nacht quasi aus dem Delirium geboren, wurde ein regelrechter Welthit.
Schon zu Lebzeiten war Jean Sibelius ein gefeierter Komponist. Und bis heute kann man in Helsinki seine Spuren verfolgen:
Da ist die Sibelius-Straße, finnisch Sibeliuskatu, wo der Komponist während des Zweiten Weltkriegs für einige Zeit lebte. Dann die Sibelius Akademie, heute eine der größten Musikhochschulen Europas.
Die monumentale Finlandia Halle wurde 1971 vom Stararchitekten Alvar Aalto direkt an der Töölö-Bucht erbaut. Den Namen verdankt die Halle der berühmten sinfonischen Dichtung von Jean Sibelius aus dem Jahr 1900. Die Finlandia steht für den Unabhängigkeitskampf der Finnen gegen Russland und wird von vielen bis heute als eine Art zweite Nationalhymne empfunden.
Im Nationalmuseum gegenüber der Finlandia-Halle kann man Szenen aus dem finnischen Nationalepos Kalevala bewundern: Die Deckenfresken in der Eingangshalle stammen von dem Maler Akseli Gallen-Kallela. Er schuf auch zahllose Illustrationen zum großen Epos. Zu sehen sind sie im Atheneum, dem bedeutendsten Kunstmuseum des Landes.
Auch Jean Sibelius ließ sich in seinen frühen Werken vom Kalevala-Epos inspirieren. Neben der Finlandia entstanden daraus Werke wie die Sinfonie Kullervo, die Lemminkäinen-Suite oder die sinfonische Dichtung Der Schwan von Tuonela.
Als Nationalromantiker aber wollte Sibelius nie gesehen werden. Dennoch konnte er nicht verhindern, dass er von vielen Finnen als Nationalheld gefeiert wurde - und teilweise immer noch wird. Natürlich hat man ihm Helsinki auch ein Denkmal gesetzt.
Im Westen der Stadt liegt ganz nah am Meer der Sibelius Park - ein kleines Stück Natur mitten in der Metropole mit Birken, Wiesen und Felsen. Und mittendrin eine Hommage an den großen Komponisten. Für die Bewohner Helsinkis inzwischen ein Wahrzeichen, wie auch Marjatta Haapio vom Tourismusamt findet:
" Hier stehen wir vor dem Sibeliusmonument, das ist eines von den wenigen Monumenten, wo man das Monument anfassen kann. Man klopft daran, man hört die Pfeifen, wie sie einen Ton und Klang geben. Man kann auf dem Felsen stehen - aber dann Vorsicht, da könnte immer ein bisschen Sand sein! - aber man steht unter der Monument und sieht vielleicht den blauen Himmel. Das ist auch eine dritte Dimension zu dem ganzen Kunstwerk."
Entstanden ist das Sibelius-Monument ab 1961 als Ergebnis eines Bildhauer-Wettbewerbs. Gewonnen hat damals eine zierliche Dame: Eila Hiltunen. Die Künstlerin baute sechs Jahre lang an der Skulptur. Dabei tauchte sie so tief wie möglich ein in die Seelenwelt des Künstlers. Es entstand ein Monument aus mehr als 500 Stahlröhren. Enthüllt wurde es 1967 - zum 10. Todestag des Komponisten. Übrigens hat Eila Hiltunen nicht eine Orgel in den Park gestellt, wie viele behaupten, sondern ein Stück stilisierte Natur - ganz im Sinne des Pantheisten Jean Sibelius:
" Das ist ein Resultat daraus, dass als sie dann tatsächlich mit dem Werk angefangen hat für den Wettbewerb, hat sie pausenlos Musik von Sibelius sich angehört. Und das ist ja dann das Resultat: der finnische Wald, was da steht. 500 Baumstämme, die sie persönlich mit einem jungen Mann geschaffen hat. Der Wald für einen Finnen ist irgendwas ganz Großes, und der Finne geht gerne in den Wald, er fühlt sich fast so, als ob er in der Kirche wäre - und er spürt die Natur sehr stark."
Pantheistische Visionen lagen Sibelius schon seit jungen Jahren sehr nah: Gott in allem und vor allem in der Natur. Er liebte die Landschaften Südfinnlands, er liebte die alten Volkssagen - und das musste eines Tages ganz praktische Folgen haben. Sibelius kehrte Helsinki den Rücken - natürlich auch ein wenig auf Drängen seiner Frau, die ihn vor dem totalen Absturz bewahren wollte. 1904 zogen die beiden mit ihren Töchtern nach Järvenpää am Tuusula-See, etwa 40 Kilometer nördlich der Hauptstadt.
Einige der kreativsten Köpfe Finnlands - die meisten auch Freunde von Sibelius - waren schon da: die Maler Eero Järnefelt und Pekka Halonen, der Dichter Juhani Aho und seine Malergattin Venny Soldan-Brodelt. Ihr Atelier, damals das Herz der Künstlerkolonie am Tuusula-See, ist heute Museum.
Fast in Sichtweite ließ sich dann auch Jean Sibelius nieder. Sein Freund Lars Sonck, schon damals ein berühmter Architekt, entwarf das Haus. Und den Namen "Ainola" gab Sibelius dem Anwesen nach dem Vornamen seiner Frau Aino.
Bis heute liegt Ainola weit abseits der Straße auf einer kleinen Anhöhe. Die Kiefern und Birken rund ums Haus sind wahre Giganten geworden, aber man kann immer noch das Blau des Tuusula-Sees durchblitzen sehen. Unter den Bäumen steht das Wohnhaus - mit weißer Holzverschalung und Moos auf den Dachziegeln. Und daneben unter einem Apfelbaum das schlichte Grab von Jean Sibelius und seiner Frau.
Drinnen im Haus taucht der Besucher richtig ein ins Leben von Jean und Aino Sibelius - und in das von Severi Blomsted, heute Direktor des Finnischen Architekturmuseums und außerdem ein Enkel von Jean Sibelius:
" Man muss da gar nichts erklären. Das Haus ist wirklich genau so wie es zu ihren Lebzeiten war. Nichts wurde verändert oder weggenommen. In diesem Sinne ist es also kein Museum, sondern ein Wohnhaus - ich würde sogar sagen eines der am besten erhaltenen Künstler-Wohnhäuser der Welt. Da nichts verändert wurde, ist dies wirklich ein dokumentarischer Ort. Das einzige, was fehlt, ist der Zigarrenrauch. Der sollte noch da sein, denn unsere Kindheitserinnerung war der Duft nach Zigarre."
Man kann sich ganz plastisch vorstellen, wie sich das Leben hier abspielte: Jean Sibelius im Sessel oder am Arbeitspult, Aino im Garten bei ihren Beeten, die Kinder und später Enkel im Garten oder in der Küche bei den Hausangestellten. Ein Künstlerleben Anfang des 20. Jahrhunderts.
<im_40345>Sibelius-Haus Helsinki Flügel</im_40345>Im Wohnzimmer steht noch der Steinwayflügel, ein Geschenk zu Sibelius 50. Geburtstag, an den Wänden hängen Gemälde und Andenken. Der Blick schweift hinaus auf eine friedliche grüne Landschaft mit vielen Bäumen und Wasser. Die Geschichte des Hauses kennt heute wohl Hilkka Helminen am besten, die Direktorin des Museums und der Ainola-Stiftung:
" Als das Haus hier gebaut wurde, hatten Sibelius und seine Familie zwei Wünsche: Erstens: Man sollte einen Blick auf den Tuusula-See haben. Man sieht ihn heute immer noch, allerdings mit einigen Bäumen dazwischen. Und zweitens sagte Sibelius: In meinem Wohnzimmer hätte ich gern einen Ofen in grüner Farbe. Dieser Ofen wurde dann wunschgemäß vom Architekten Lars Sonck entworfen und direkt vor Ort gebaut. Als Jean Sibelius dann die grüne Farbe sah, sagte er ganz spontan: "Das ist ein F-Dur-Ofen." Er hat Musik in Farben gesehen."
Natürlich steht der Ofen noch genau an seiner angestammten Stelle, ebenso wie der Flügel und die alte Stereoanlage. Vor allem in späteren Jahren, als er nicht mehr regelmäßig nach Helsinki fahren konnte, saß Sibelius hier gerne im Ohrensessel und hörte sich Live-Übertragungen im Radio an. Am liebsten aber saß er in einem Sessel in seiner Zigarrenecke und las. Die Regale quellen über von Büchern und auf dem Tisch stehen heute noch sechs Aschenbecher aus Zinn. Angeblich konnte seine Frau an der Wahl des Aschenbechers ablesen, in welcher Stimmung ihr Mann war und was dem Komponisten gerade durch den Kopf ging.
Es muss viel Gutes gewesen sein. Denn immerhin entstanden in Ainola fünf seiner sieben Symphonien. Das ganze Leben im Haus drehte sich um seine Arbeit. Wenn der Meister komponierte, hatten die anderen still zu sein. Erst wenn ein Manuskript fast fertig war, setzte er sich an den Flügel im Salon. Ansonsten saß er im Arbeitszimmer.
" Das ist hier das Zimmer, in dem Jean Sibelius zuletzt gelebt hat. Wir sehen den Schreibtisch und Musiknoten auf dem Tisch, denn er hat bis ins hohe Alter gearbeitet. Gleich rechts von der Tür sehen wir einen schönen weißen Anzug und auf dem Tisch einen Borsalino-Hut und einen Gehstock. Wenn Sibelius einen Spaziergang gemacht hat, trug er immer den weißen Anzug, den Hut und den Gehstock. Die alten Leute hier erinnern sich noch ganz genau daran: Zuerst kam der Duft von Zigarren, dann kam der große Herr."
Selbst zum Fischen ging Sibelius mit Anzug und Hut. Es muss ein köstliches Bild gewesen sein: der große Meister ganz chic, sein Freund, der Maler Pekka Halonen, eher wie ein einfacher Mann vom Lande. Die beiden hatten ihren eigenen Steg und genossen es, mit dem Ruderboot hinauszufahren auf den See, zu fischen und den Zugvögeln zuzuschauen. Diese liebte Sibelius ganz besonders - und die Natur Südfinnlands begleitete ihn bis zuletzt. Sibelius war mit den Elementen seiner Heimat so tief verbunden, dass er sogar seinen nahenden Tod erahnte. Die Begebenheit berührt bis heute auch Hilkka Helminen zutiefst:
" Jetzt ist es 50 Jahre her, dass Jean Sibelius gestorben ist. An einem Tag im September 1957 - Sibelius kam gerade von seinem Spaziergang - da ist er hier auf der Veranda stehengeblieben. Er sah eine Schar Kraniche vorbeifliegen. Einer der Vögel verließ die anderen, flog ein paarmal ums Haus und dann wieder zurück zu den anderen Kranichen. Sibelius ging ins Haus und sagte zu Aino, seiner Frau: Ich glaube, die Natur hat mich verabschiedet. Zwei Tage später war er tot."