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Die langen Nächte der Strategen

Nachdem, was wir wissen, bewegt es sich auch, hinter verschlossenen Türen. Es wird hier sehr scharf gerechnet. Die Rechenexperten beider Seiten sind schon hinzugezogen worden SPD und CDU bewegen sich offensichtlich auf einen Kompromiss zu. Immerhin gibt es einen ersten Vorschlag''.

Von Ilka und Jörg Münchenberg | 12.11.2003
    Bis tief in die Nacht bleiben die Türen geschlossen. Reporter warten beharrlich darauf, dass etwas nach außen dringen könnte. Im Raum 1128 des ehemaligen Preußischen Herrenhauses, dem Kabinettsaal des Bundesrates, ringen ab morgen die politischen Schwergewichte um Kompromisse. Denn bis Ende des Jahres, so lautet die Vorgabe, muss über die zehn Gesetzespakete, die jetzt verhandelt werden, entschieden sein – darunter die vorgezogene Steuerreform, die Reform der Gewerbesteuer und der Handwerksordnung oder die noch ausstehenden Hartz-Gesetze. Der Parlamentarische Geschäfts- und Verhandlungsführer der SPD im Vermittlungsausschuss, Wilhelm Schmidt:

    Wir können es uns nicht mehr erlauben, ohne Ergebnisse aus solchen Verhandlungen und Prozessen herauszukommen. Nehmen Sie nur mal die Steuerreform, das kann die CDU/CSU gar nicht mehr durchhalten, dass sie da immer noch rummacht, das wäre nicht richtig gegenfinanziert. Ich bin ziemlich sicher, dass es zu Einigungsprozessen dieser Art kommt, weil wir auch selber alle spüren, da ist vieles in Deutschland im argen, was auf diese Weise auch bereinigt werden kann.

    Selten zuvor hatte der Vermittlungsausschuss eine so große Bedeutung wie in diesem Herbst. Wieder ist die Rede von der "Keimzelle einer großen Koalition". Die rot-grüne Regierung habe es geradezu darauf angelegt, dass die Gesetzesvorhaben im Vermittlungsausschuss gelandet seien, unterstellt Joachim Hörster, Ausschuss-Vorsitzender und Verhandlungsführer der Union:

    Aus internen Gründen der Koalition ist diese ganz offenbar dazu nicht in der Lage, die Kompromisse bereits im Bundstag einzugehen, die in der Sache notwendig sind, sondern man will sich dann im Vermittlungsausschuss zwingen lassen. Aber, wenn wir zum regelmäßigen Instrument des Gesetzgebungsverfahrens werden, ist das eigentlich nicht mehr die ursprüngliche Gesetzgebungsintention.

    Artikel 77, Absatz zwei des Grundgesetzes: Der Vermittlungsausschuss wird eingeschaltet, wenn die durch den Bundestag beschlossenen Gesetze vom Bundesrat nicht gebilligt werden. Bis zu drei Mal kann das Gremium von beiden Kammern oder der Regierung angerufen werden, im Laufe eines Gesetzgebungsverfahrens von jedem Organ jedoch nur einmal. Das Ergebnis muss schließlich von Bundestag und Bundesrat abgesegnet werden. Doch warum sollte, was zuvor unmöglich war, plötzlich im Vermittlungsausschuss funktionieren? Rudolf Köberle, CDU, Beauftragter des Landes Baden-Württemberg in der Hauptstadt:

    Letztendlich kennt man nicht den Punkt, den jede Seite sich vornimmt: Ich kann so weit gehen, um Kompromisse zu erreichen. Und deshalb ist bei jedem Vermittlungsverfahren noch ein Stück Spannung drin. Dass man selber vielleicht neue Argumente hört. Das ist für mich übrigens auch überraschend gewesen. wie offen man sich zuhört und wie man sich doch neu ausrichtet auf neue Fakten, auf neue Informationen, die bislang vielleicht noch nicht im politischen Verfahren so eingebracht sind.

    Abseits von der Öffentlichkeit fühlen sich die Politprofis ungestört und reden Klartext, sagt CDU-Verhandlungsführer Hörster:

    Und die vergeuden nicht viel Zeit, indem sie große politische Reden halten und sich wechselseitig anklagen, wer wo was wie falsch gemacht habe, oder vor zehn Jahren so und heute anders gesagt habe. Sondern, dort werden ein paar Grundpositionen relativ knapp beschrieben und verkündet und gesagt, innerhalb dieser Bandbreite könnten wir uns vorstellen, uns zu bewegen. Und dann wird versucht, das auszuloten, wie weit das geht, wie weit die Kompromissfähigkeit trägt.

    Eine mühsame Angelegenheit.16 Ländervertreter, oft die Ministerpräsidenten, treffen auf 16 nach Proporz ausgewählte Bundestagsabgeordnete, in der Regel aus der Führungsebene der Parteien. Ohne Vorgespräche geht da gar nichts, etwa zwischen den sozialdemokratischen Ministerpräsidenten, im Politjargon die so genannte A-Seite oder den Chefs der unionsgeführten Bundesländer auf der B-Seite. Bis zuletzt wird in unablässig tagenden Unterausschüssen und Arbeitsgruppen ausgelotet, wo Kompromisse im Detail möglich sind. Denn keine Seite hat derzeit im Vermittlungsausschuss die Stimmenmehrheit – ein politisches Patt.

    Es sieht gut aus ! Mir sagt das noch nicht zu, aber es gibt eine gewisse Chance, dass auch die Länder mit ihren finanziellen Erwartungen durchdringen. Wenn heute Abend abgestimmt worden wäre, hätte es keine Mehrheit gegeben. Unabhängig von dem Streit zwischen SPD und CDU über die großen politischen Linien. Das Angebot steht weiterhin, dass soviel bewegt werden kann, dass alle zustimmen".

    Die "letzte Bastion der Opposition" haben Regierungs-Getreue den Vermittlungsausschuss genannt. In den 70er Jahren musste sich die sozialliberale Koalition einer Mehrheit der Union in der Länderkammer beugen. In den 90er Jahren galt SPD-Größe Oskar Lafontaine als berüchtigter Verweigerer, der Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl das Leben schwer machte. Er brachte die geplante Steuerreform und vieles mehr zu Fall, als die SPD im Bundesrat am längeren Hebel saß.

    Doch von einer Blockade bei den anstehenden Vermittlungsverfahren könne keine Rede sein, ist zumindest der baden-württembergische CDU-Bevollmächtigte Köberle trotz der Querschüsse etwa aus Hessen überzeugt. Alle Parteien müssten vor allem eines – den Menschen im Lande Handlungsfähigkeit beweisen:

    Deshalb ist es undenkbar, dass man wiederholt, was in den 90er Jahren noch praktiziert worden ist: eine Totalverweigerung des Bundesrates, leicht durchschaubar, um eben dann einen Reformstau zu erzeugen, der dann letztendlich 98 zu einem Regierungswechsel beigetragen hat. So etwas könnte man sich heute nicht mehr erlauben. Der Wähler würde das nicht mehr akzeptieren.

    Der Blick auf die Zahlen scheint ihm recht zu geben. Denn die Arbeit des Vermittlungsausschusses war in der vergangenen Legislaturperiode durchaus von Erfolg gekrönt. In 65 Fällen erzielte das Schiedsgremium einen Kompromiss, den Bundestag und Bundesrat akzeptierten. Nur bei zwölf Gesetzen gab es am Ende keine Einigung.

    Besonderer Druck im Vermittlungsausschuss lastet auf den Ländern. Von ihren Parteien werden sie darauf eingeschwört, Linie zu halten. Manch Ergebnis wird vor der Abstimmung von den Parteioberen abgesegnet. Der ehemalige Bundesfinanzminister Theo Waigel, CSU war selbst lange Verhandlungsführer der Union im Vermittlungsausschuss. Er kennt die parteipolitischen Zwänge:

    Jedes Land überlegt es sich sehr, sehr gut und drei Mal, bis man sozusagen der eigenen Parteilinie in den Rücken fällt. Aber es findet statt. Und es fand all die Jahre statt. Und dann sind die Ministerpräsidenten oder Bürgermeister selbstbewusst genug, zu sagen: Ich lasse mir von niemandem etwas gefallen. Ich musste das im Interesse des Landes tun. Und wenn dann die Parteifreunde, der oder die Parteivorsitzende sich ärgert, dann kommt das in der Öffentlichkeit nie gut an.

    Das wissen die Länderchefs. Und deshalb haben sie vor allem ihre eigenen Interessen fest im Blick. Also geht es West gegen Ost, Flächen- gegen Stadtstaat, arm gegen reich. Letztlich geht es immer um das Eine, sagt die ehemalige Vize-Bundestagspräsidentin Anke Fuchs, die Jahrzehnte lang für die SPD im Bundestag saß, lange Jahre auch im Vermittlungsausschuss:

    Meistens geht es um Geld. Oft geht es um Prestige. Aber meistens geht es um Geld.

    SPD-Verhandlungsführer Wilhelm Schmidt erinnert an eine Abstimmung über die Steuerreform im Juli 2000 in der Länderkammer. Dort verfügte die Union eigentlich über die Mehrheit der Stimmen. Nach finanziellen Zusagen stimmten die damals durch große Koalitionen regierten Bundesländer Berlin, Brandenburg und Bremen und das SPD/ FDP- Land Rheinland-Pfalz für das Regierungsvorhaben:

    Denken Sie mal daran, wie wir versucht haben, CDU-geführte Länder aus der Phalanx der Opposition heraus zu brechen, und wie das dann geschehen ist. Dann gab es Unterbrechungen der Vermittlungsausschuss-Sitzungen, Telefonate bis hin zum Bundeskanzler, der dann wieder Telefonate führte. Solche Dinge kommen da schon mal vor, wenn es richtig spitz auf Knopf steht.

    Von dieser Dramatik bekommt die Öffentlichkeit in der Regel wenig mit. Allerdings hat die Präsenz der Medien manchmal Einfluss auf den Ablauf der Verhandlungen im Vermittlungsausschuss. Bernhard Vogel, ehemaliger Ministerpräsident Thüringens:

    Dass dabei auch Öffentlichkeitsarbeit eine Rolle spielt, weil man weiß, abends sind die Nachrichten, um 19 Uhr im ZDF, um 20 Uhr in der ARD, und dass man da mit irgendeinem Statement hineinkommen will, das gehört zum politischen Geschäft. Das ist in der Tat auch der Fall. Die beste Zeit, sich zu einigen, ist, wenn alle Nachrichtenprogramme der öffentlich-rechtlichen und der privaten Sender gelaufen sind.

    Auch Theo Waigel machte da seine Erfahrungen. Es ging, wie so oft, um ein Steuergesetz. Und die Verhandlungen mit dem damaligen Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, mit Johannes Rau, traten in ihre schwierigste Phase. Gerade hatten sich die Fronten etwas aufeinander zu bewegt. Nach einer Sitzungspause dann jedoch sichtlich unterkühlte Atmosphäre:

    Rau sagte zu mir: 'Sie haben mir vielleicht etwas Schönes eingebrockt. Ihretwegen habe ich daheim ein Eheproblem bekommen’. Ich: 'Ja, um Gottes Willen, was habe ich denn getan?" Sagt er: 'Ich habe eben meiner Frau, die Gäste hat, erklärt, das dauere wohl noch bis spät in den Abend hinein.’ Und sie erklärte mir und antwortete kühl: 'Du lügst, eben hat der Waigel im Fernsehen erklärt: In einer Stunde seien wir fertig.

    Es kam zu einer Einigung – aber erst in den frühen Morgenstunden.

    Wir konnten zu keiner Zeit am heutigen Abend den Eindruck gewinnen, dass die Koalition vermittlungs- und damit einigungsbereit war". Bisher hatte ich den Eindruck, dass die Koalition nicht will. Und zwar grundsätzlich nicht will". Wenn die Bundesregierung bei ihrer grundsätzlichen Position bleibt, sehe ich kaum eine Chance".

    Mindestens drei Mal wird der Vermittlungsausschuss bis Weihnachten zusammen kommen, um nach möglichen Kompromissen zu suchen. Zusatztermine wurden jedoch bereits gebucht, selbst die Weihnachtsferien sind kein Tabu. Natürlich wollen grundsätzlich alle ein Ergebnis, aber eben nicht um jeden Preis, heißt es erwartungsgemäß vor den Verhandlungen. Und so werden die Terrains schon einmal abgesteckt, etwa zum zentralen Streitthema, dem Vorziehen der Steuerreform - unabhängig davon, was später rauskommt:

    Die erste Bedingung ist noch einmal klipp und klar: nicht auf Pump. Zweitens darf ein solches Vorziehen der Steuerreform nicht zu einer Gegenfinanzierung in dem Maße kommen: linke Tasche, rechte Tasche. Wenn man eine Steuerreform vorzieht, dass man als dritten Punkt ihn verknüpft mit einer Modernisierung des Arbeitsrechtes. (…) "Die Union hat damit parteitaktisches Verhalten vor das Interesse unseres Landes und seiner Menschen gestellt. Und ich hoffe und erwarte, dass dies keinen Bestand haben wird.

    Sagen der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber und Bundeskanzler Gerhard Schröder. Doch nicht allein das schwere Verhandlungspaket und der knapp bemessene Zeitraum werden die Akteure im Vermittlungsausschuss gehörig unter Druck setzen. Mitte November und Anfang Dezember stehen auch noch die Parteitage von SPD und CDU ins Haus – dies ist nicht die Zeit der leisen Töne und könnte die Gespräche zusätzlich belasten. In dieser Situation kann der Ausschussvorsitzende entscheidend sein, erinnert sich Heribert Blens, CDU, der die Sitzungen lange Jahre geleitet hat:

    Wichtig ist, dass die Temperatur stimmt im Vermittlungsausschuss. Es gibt die Möglichkeit, wenn es zu heiß wird, Sitzungen zu unterbrechen, zu sagen. So jetzt unterbrechen wir einmal und jetzt ziehen sich bei den politischen Seiten zurück um einmal untereinander zu diskutieren".

    Unterbrechungen sind damit ein zentraler Bestandteil des Vermittlungsgeschäfts. Diese Erfahrung dürfte auch der bevorstehende Verhandlungsmarathon einmal mehr bestätigen. Doch der Vorsitzende hat noch mehr Möglichkeiten, in die festgefahrenen Gespräche neuen Schwung zu bringen:

    Es ist ja so, dass auch viele Dinge, die im Vermittlungsausschuss laufen oder beschlossen werden, im Vermittlungsausschuss gar nicht zustande kommen. Sie müssen auch kleine informelle Gremien haben, in denen Sie mal offen reden können mit den Vertretern der anderen Seite. Wo Sie dann auch wissen, dass dann am nächsten Tag nicht alles in der Zeitung steht oder im Radio verkündet wird. Ich habe darauf immer viel Wert gelegt.

    Doch die Profis im Vermittlungsausschuss zeichnet nicht nur ihre Erfahrung aus, sondern auch ihre Ausdauer. Berühmt-berüchtigt sind die langen Nachtsitzungen, bei denen bis drei oder vier Uhr morgens getagt wird. In dieser Phase der Gespräche spielen die begleitenden Fachbeamten, die die Vorschläge zuletzt akribisch geprüft haben, längst keine tragende Rolle mehr. Jetzt geht es um die große Linie, um die Abwägung der Positionen. In dieser Situation, so Anke Fuchs, entstehe dann schon mal eine besondere Vertrautheit, selten geworden im politischen Alltagsgeschäft:

    Wenn ich mich an die Vermittlungsausschuss-Ergebnisse erinnere, dann haben wir die ganze Nacht durchgetagt. Und als ich junge Staatssekretärin im Arbeitsministerium war, habe ich mit große Verdienste erworben, weil ich immer was zu trinken holte. Wir saßen da in Bonn in einem einfachen Raum. Da haben wir bis morgens getagt. Und dann kam auch ein gutes Ergebnis zustande. So wie ich sage, ein gutes Tarifergebnis braucht auch seine Sitzzeit.

    Eine Einschätzung, die auch der alte Hase im Vermittlungsausschuss, der frühere Bürgermeister von Hamburg und jetzige SPD-Bundestagsabgeordnete, Ortwin Runde, teilt:

    Taktik und Psychologie spielt eine große Rolle. Und es ist merkwürdig, dass Menschen erst zu Ergebnissen neigen, wenn der Zustand der Erschöpfung näher kommt. Also das ist eine gewisse Konstante. Ich habe immer wieder erlebt, dass die Kompromisse erst bei einem gewissen Grad der Erschöpfung eingetreten sind.

    Das Ergebnis der Sitzungen wird also von vielen, höchst unterschiedlichen Faktoren beeinflusst. Deshalb ist es fast unmöglich, den Ausgang der Vermittlungsberatungen voraus zu sagen. Alles ist drin – ein Scheitern genauso wie eine Verständigung. Überraschungen sind dabei nicht selten. So konnte sich etwa die Union bei der Neuregelung der Minijobs im Dezember 2002 fast in allen Punkten durchsetzen - trotz des anfänglichen heftigen Widerstandes in der SPD. Nicht zuletzt, weil der zuständige Wirtschafts- und Arbeitsminister Wolfgang Clement unbedingt eine Einigung erreichen wollte. Doch kein Zweifel: der Zwang zum Kompromiss und zum politischen Erfolg für alle Beteiligten erhöht das Risiko falscher Entscheidungen beträchtlich. Theo Waigel:

    Es ist auch schon einmal passiert, dass in einer solchen Runde Ergebnisse zustande kamen, die sich nachher als ökonomisch viel problematischer herausgestellt haben als man das bedacht hat, ich denke nicht zuletzt an die Besteuerung der Jahreswagen und vieles mehr, was einfach gemacht werden musste, um die Mehrheit zu bekommen, was aber für eine ganze Branche und die Konjunktur sehr problematisch war.

    Bei den schwierigen Verhandlungen über die Agenda 2010 dürfte es am Ende zugehen wie auf dem Basar. Gelingt die Einigung, wird es ein großes Gesamtpaket geben. Etwa getreu dem Motto: gibt die Union bei der Steuerreform nach, zeigt sich die Koalition bei Hartz IV oder bei der geplanten Amnestie für Steuersünder kompromissbereit. Hauptsache, jeder bewegt sich und alle Seiten können ihr Gesicht wahren.

    Die Union macht überall dort mit wo es sinnvoll ist. Unsinn beschließen wir nicht. Vielleicht geht es mal um die Sache. Kann man ja nicht ausschließen. Ob wir von unserer Seite dieser Grundlage, die bisher gelegt wurde, zustimmen können, hängt ab wie sich da CDU/CSU positionieren werden.

    Doch welche Trümpfe im Polit-Poker stechen, welche Taktik am Ende des Ausschlag gibt, dass wird die Öffentlichkeit erst viel später erfahren. Denn die Akten und Gesprächsprotokolle werden zunächst als geheim eingestuft. Erst nach Ablauf der folgenden Legislaturperiode lässt sich im Detail nachlesen, an welcher Stelle die Verhandlungen im Vermittlungsausschuss stockten, wer wann zu welchem Preis nachgegeben hat oder auch nicht. Gerade in dieser Vertraulichkeit, da sind sich alle Beteiligten einig, liegt der zentrale Schlüssel für den erstaunlichen Erfolg dieses Gremiums, betont auch Ortwin Runde:

    Vermittlungsgespräche in aller Öffentlichkeit sind von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Da kommt es doch darauf an, wo könnten Kompromisslinien liegen, nachdem vorher eben Positionen in der Öffentlichkeit als unvereinbar, ehern und ähnliches dargestellt worden sind.

    Natürlich erfüllt die Vertraulichkeit noch einen zweiten wichtigen Aspekt – sie schützt die Amtsinhaber vor einer kurzfristigen Abstrafung durch den Wähler, der nicht verstehen kann, warum seine Partei in einem wesentlichen Punkt plötzlich umgefallen ist. Doch gerade an dieser Stelle setzt auch die Kritik an. Da ist von der Dunkelkammer der Gesetzgebung die Rede, von einem Ersatzparlament, selbst wenn anschließend noch Bundestag und Bundesrat zustimmen müssen. Auch der bekannte Verfassungsrechtler Herbert von Arnim teilt die Bedenken:

    Weil man gar nicht mehr sieht, wer eigentlich die Verantwortung für ein auf diesem Weg zustande gekommenes Gesetz trägt. Damit verflüchtigt sich die politische Verantwortung und der Wähler weiß gar nicht, wem er das Gesetz, das er eigentlich ablehnt, verdankt.

    Zumal die beiden Kammern nur geschlossen zustimmen oder ablehnen können. Detailveränderungen sind angesichts des so mühsam austarierten Kompromisses im Vermittlungsausschuss nicht zugelassen. Und doch sind sich die meisten Experten wie Politiker darin einig, dass es zu diesem parlamentarischen Prozedere mit seinen besonderen Spielregeln keine Alternative gibt:

    Ich würde den Vermittlungsausschuss, wenn Sie so wollen, als eine Plattform für letzte Chancen für politische Einigungsprozesse ansehen und ihn unter diesem Aspekt wertschätzen. Ich will ihn aber gar nicht überhöhen. Man hat dort natürlich Arbeitsformen, die man draußen, in dem von Medien sehr stark begleiteten politische Prozess nicht haben kann, das muss ich genauso nüchtern zur Kenntnis nehmen.

    So SPD-Verhandlungsführer Wilhelm Schmidt. Ohnehin ist die gewachsene Bedeutung des Vermittlungsausschusses nur Ausdruck einer schleichenden Machtverschiebung zu Gunsten des Bundesrates. Notwendig wären also Vorschläge für eine umfassende Reform, die nun die erst vor wenigen Tagen gegründete Föderalismus-Kommission von Bundestag und Bundesrat erarbeiten soll. Es geht um eine Entflechtung der Zuständigkeiten bei der Gesetzgebung. Verfassungsrechtler Herbert von Arnim:

    Das Hauptproblem der Bundesgesetzgebung liegt darin, dass der Bundesrat eine zu große Rolle spielt. Dass er bei fast allen wichtigen Gesetzen zustimmen muss. Das müsste zurückgefahren werden. Früher war die Zustimmungsbedürftigkeit sehr viel geringer als heute. Man müsste versuchen, da wieder hin zu kommen. Und die Gefahr einer Blockade, praktisch einer Handlungsunfähigkeit der Bundespolitik, würde gemindert.

    In diesem Fall aber würde auch der Vermittlungsausschuss im politischen Alltagsgeschäft erheblich an Bedeutung verlieren. Doch noch ist das Zukunftsmusik. Zunächst einmal wird der Vermittlungsausschuss, die Schiedsstelle von Bundestag und Bundesrat Geschichte schreiben. Denn es geht um die zentralen Reformvorhaben der rot-grünen Bundesregierung und damit in letzter Konsequenz auch um ihr politisches Schicksal, über das ab morgen in langen Nächten verhandelt wird:

    Man ist auf dem Weg – möglicherweise zu einer Einigung. FDP und CSU schließen sich dieser Kritik an. Aber wegen der großen Steuerausfälle haben die Länder enorme finanzielle Probleme". Das heißt noch nicht, dass man sich einigen wird, denn so etwas kann dann auch an vielen Details scheitern.