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Die Legitimation des Tötens im Zeitalter der Drohnen

Es ist eine hochbrisante Frage: Unter welchen Umständen kann in Kriegs- und Konfliktfällen die Tötung eines Menschen von Staats wegen gerechtfertigt sein? Marc Lindemann, ein ehemaliger Nachrichtenoffizier, wägt in seinem Buch die Argumente ab.

Von Mirko Smiljanic | 03.06.2013
    Das Schicksal Anwar al-Awlakis war besiegelt, als er am Morgen des 30. September 2011 durch die nordjemenitische Provinz al-Dschauf fährt. Zwei Jahre lang hatten Agenten der CIA auf diesen Moment gewartet, zwei Jahre lang hatten sie das Führungsmitglied El Kaidas gesucht – jetzt sehen sie ihn auf ihren Monitoren in Langley bei Washington.

    "Das Multispektral-Zielsystem, das im vorderen Rumpfteil der Drohne eingebaut ist, kombiniert eine hochauflösende Tageslichtkamera mit einem Infrarotsensor, einem Röntgenbildverstärker und einer Laserbeleuchtung. Dunkelste Nacht, morgendlicher Nebel oder das grüne Dach eines Palmenhains – nichts böte dem Konvoi al-Awlakis Schutz vor den Augen seiner Verfolger. Selbst die Nummernschilder der Autos würden die Optiken der Drohnen noch aus mehreren Kilometern Höhe erkennbar machen."

    Der Rest ist Routine: Die Piloten bringen zwei Drohnen vom Typ "Predator" in die optimale Kampfposition, sie markieren das Ziel, vergewissern sich noch einmal, dass der Commander in Chief Barack Obama den Terroristen al-Awlaki tatsächlich zum Abschuss freigegeben hat – und drücken einen roten Knopf.

    "Zwei Sekunden später starben Anwar al-Awlaki und drei seiner Begleiter, darunter ein Terrorverdächtiger namens Samir Khan, im Feuerball ihres zerberstenden Autos. Um ganz sicherzugehen, wurden zwei weitere Raketen abgefeuert."

    Nüchtern, ohne jedes Pathos, beschreibt Marc Lindemann in seinem Buch "Kann Töten erlaubt sein? Ein Soldat auf der Suche nach Antworten" den Einsatz von Kampfdrohnen. al-Awlaki war Thema der großen Nachrichtenkanäle, immerhin zählte er zum Führungsstab El Kaidas. Ungenannt und vergessen bleiben aber die vielen Hundert anderen Opfer von Kampfdrohnen. Sind sie gerechtfertigt? Immerhin gelten im Krieg die Regeln des Völkerrechts. Aber lässt sich angesichts "asymmetrischer Konflikte" das Völkerrecht überhaupt anwenden? Wo beginnt die Kampfzone? Wo endet sie? Hinzu kommt, dass sich die strategischen Ziele militärischer Einsätze binnen weniger Jahre gewandelt haben: Das Zeitalter der Großinterventionen – so Lindemann – sei vorbei, Einsätze wie in Afghanistan, Irak und auf dem Balkan gehören der Vergangenheit an. Sie dauern zu lange und sie sind zu teuer.

    "Ich denke, man wird sich militärstrategisch mit den Drohnen wieder auf das Kerngeschäft konzentrieren, das heißt, dann zu töten, Gegner zu definieren und gezielt auszuschalten und eben nicht das Große und Ganze zu versuchen, das ist der große Unterschied. Und ein weiterer Unterschied zu früheren Kriegen besteht natürlich darin, dass der Gegner heute ein Individuum ist. Man hat keine Staatsregierung mehr als Gegner, als Feind, sondern man pickt sich einzelne Personen heraus. Das klingt perfide, das klingt abgeklärt, aber das hat natürlich auch Vorteile, wenn ich nur einzelne Verantwortliche zur Rechenschaft ziehe und nicht ein ganzes Volk oder einen ganzen Staat."

    Lindemanns Buch ist fein säuberlich strukturiert – ein Prolog am Anfang, ein Epilog am Ende, dazwischen diskutiert er in sieben Kapiteln die Frage nach der Legitimation des Tötens im Zeitalter von Drohnen. Wer ein unbedingtes "Nein" zur Drohne sucht, wird enttäuscht. Der Autor versteht sich zwar als kritischer Soldat, doch es gibt keinen Wandel vom Saulus zum Paulus. Kampfdrohnen haben seiner Ansicht nach auch Vorteile .

    "Sie reduzieren die Zahl der Unbeteiligten oder der Unschuldigen natürlich nicht auf null, wer das behauptet, der lügt. Also geht es nur darum, wie weit kann ich die Zahl der unschuldigen Opfer, also der Kollateralschäden, begrenzen, und da bietet natürlich die Drohne schon mehr Möglichkeiten als andere Waffensysteme oder auch als eine gesamte Intervention wie in Afghanistan."

    "Kann Töten erlaubt sein" ist nicht das Buch eines Politmissionars, es ist eher eine gründlich recherchierte Materialsammlung, ein kritisches Abwägen von Argumenten. Verständlich und erstaunlich ruhig umkreist der 36-jährige Politologe das komplexe Themenfeld. Erstaunlich ruhig deshalb, weil der Text in krassem Gegensatz steht zu seinem ersten Buch aus dem Jahre 2010. "Unter Beschuss: Warum Deutschland in Afghanistan scheitert" ist eine Anklage, "Kann Töten erlaubt sein" dagegen ein Sachbuch in bester Tradition. Endgültige Antworten legt aber auch Lindemann nicht vor. Vor allem nicht bei der heiklen Frage, ab wann Präventivschläge erlaubt sind.

    "Ein Präventivschlag, egal in welcher Form, klingt für viele heute grundsätzlich unzulässig. Das gilt besonders für die Terrorismusbekämpfung. Dabei sind nach der Interpretation der meisten Völkerrechtler präventive Maßnahmen in Ausnahmefällen sehr wohl gestattet, sofern ein Angriff des Gegners unmittelbar bevorsteht. Wann aber dieser Zeitpunkt erreicht ist, lässt sich mittlerweile auch bei zwischenstaatlichen Auseinandersetzungen fast genauso schwer ermitteln wie bei terroristischen Bedrohungen. Wann sind die Kriegsvorbereitungen eines aggressiven Staates so weit fortgeschritten, dass ‚mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ‘ein Angriff unmittelbar bevorsteht?"

    "Kann Töten erlaubt sein?" ist ein überfälliges Buch, weil es sich nur vordergründig mit dem US-Drohnenkrieg beschäftigt. Immer geht es auch um das große Tabuthema der deutschen Nachkriegsgesellschaft, um den legitimen oder illegitimen Einsatz militärischer Gewalt. Das Euro-Hawk-Debakel ist noch nicht aufgearbeitet, da fordern Militärstrategen schon den Kauf von Kampfdrohnen. Spätestens nach der Bundestagswahl geht das Drohnenprogramm in die nächste Runde. In die nächste Runde geht dann aber auch die Debatte, ob Deutschlands Zivilgesellschaft den Einsatz von Drohnen mitträgt. Die Vorstellung, junge Soldaten lassen von Brandenburg oder Bayern aus fliegende Killer über die Krisengebiete dieser Welt kreisen und töten zum Abschuss freigegebene Terroristen, ist nur schwer erträglich.

    "Die Debatte, wann wir Gewalt einsetzen wollen, also wann wir dann auch töten wollen, die hätte ja längst geführt werden müssen. Auch vor dem Einsatz in Afghanistan hätte man die Frage breit diskutieren müssen, wollen wir das, und wenn ja, in welchem Maße, wollen wir Soldaten einsetzen, um Politik zu machen, welche Politik auch immer, das ist nie geschehen. Man hat sich im Grunde um die Frage immer herumgedrückt, und die gehört beantwortet !"

    Marc Lindemann: Kann Töten erlaubt sein?
    Ein Soldat auf der Suche nach Antworten.
    Econ Verlag, 256 Seiten, 19,99 Euro