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Die Leiden des Studienrats

Martin Walsers Novelle "Ein fliehendes Pferd" erschien 1978. 29 Jahre später garnierte jetzt die Uraufführung des Films "Ein fliehendes Pferd" den Abschluss des 25. Münchner Filmfests, das nach acht Tagen zu Ende gegangen ist. Ganz berühmte Regisseure haben sich sehen lassen bei diesem Festival, Werner Herzog, Richard Linklater, William Friedkin, um ihre neuesten Filme vorzustellen.

Von Rüdiger Suchsland | 01.07.2007
    In seiner Novelle "Ein fliehendes Pferd", erschienen 1978, erzählt der Schriftsteller Martin Walser von einer abgenutzten Ehe. Jetzt hat Rainer Kauffmann, einst mit seiner erfolgreichen Beziehungskomödie "Stadtgespräch" eine der Hoffnungen des deutschen 90er-Jahre-Kinos, inzwischen eher Experte für gehobene Fernsehspiele, den Stoff verfilmt - als gehobenes Fernsehspiel, das gestern trotzdem und sehr passenderweise das vom Fernsehen stark mitgeprägte Filmfest München abschloss.

    Im Zentrum des Films steht das Ehepaar Helmut und Sabine, gespielt von Ulrich Noethen und Kauffmanns Lieblingsschauspielerin Katja Riemann. Seit zwölf Jahren machen sie im immergleichen Haus im immergleichen Bodenseekaff den immergleichen Badeurlaub. Die Kinder sind aus dem Haus, Helmut zieht sich ins Schneckenhaus seines Innenlebens zurück und liest den Pessimismusphilosophen Schopenhauer. Sabine liegt in der Sonne und kühlt ihren Frust im Bodensee. Doch plötzlich werden sie gestört.

    Es ist Klaus Buch, ein eher ungeliebter Klassenkamerad aus Helmuts Vergangenheit, der den Trott des gelangweilten Paares stört, und gemeinsam mit seiner jungen, attraktiven Gefährtin Helen die eingefahren Verhältnisse gehörig aufmischt. Ulrich Tukur spielt diese Nervensäge als extrovertierten Wichtigtuer - ein Lichtblick in einem überaus biederen, uninspirierten Film, dem es nie gelingt, irgendein Interesse für diesen 30 Jahre alten Stoff zu erzeugen, ihn für die Gegenwart zu aktualisieren.

    Dabei hatte Walser "Ein fliehendes Pferd" auch als zeitloses Portrait einer saturierten Rebellion angelegt, als sarkastische Innenschau des Bürgertums einer Wohlstandsgesellschaft, die feige und leidenschaftslos geworden, nicht wirklich etwas mit sich anzufangen weiß. Das könnte uns heute einiges zu erzählen haben. Doch Rainer Kauffmann bebildert nur, anstatt etwas freizulegen - und plötzlich sieht Walsers Szenario überaus alt aus, wie stecken geblieben in einer Zeit, als Nacktbaden noch zur Chiffre gesellschaftlicher Befreiung werden konnte.

    Deutsche Filme sind traditionell einer der Schwerpunkte beim mit über 200 Filmen in acht Tagen überladenen Filmfest München, dass in diesem Jahr sein 25 Jubiläum feierte.

    Klar dass da auch Marcus H. Rosenmüller nicht fehlen durfte, dessen Debüt "Wer früher stirbt, ist länger tot" im Vorjahr den Regieförderpreis gewann. Mit seinem neuen Film bewegt sich Rosenmüller auf gewohntem Terrain: "Beste Zeit" erzählt von zwei Mädchen im Voralpenland und ihrem Alltag zwischen Aufbruchsträumen, Langeweile und den Dorfburschen, die sich für sie interessieren, der eben gerade nicht. Rosenmüller zeigt eine im Grunde heile, zeitlose Welt, wo alle Bayrisch reden, Bier trinken, auf einem Hof leben und von der Dorfdisco träumen - und die Gegenwart in ihren schönen wie hässlichen Seiten konsequent ausgeblendet bleibt. Es ist der Blick eines modernen Heimatfilmers, der Kino als Fluchtmaschine versteht und nicht viel zu sagen hat, außer dass doch alles nicht so schlimm ist, man nett zueinander sein und nicht zuviel träumen sollte. Opas Kino, das vor 40 Jahren schon vom Oberhausener Manifest für tot erklärt worden war, steht bei diesem Enkel wieder auf, glatter, intelligenter, aber kein bisschen interessanter und getunkt in viel Biedermeier-Moral.

    Wie es auch anders ginge, wie interessant eigentlich die Themen Erwachsen-Werden, Ehefrust und bürgerliche Werte mit ihrem Pro und Contra auch im Kino sein können, wenn man es besser macht, als Kauffmann und Rosenmüller, das zeigte die Berliner Filmstudentin Pia Marais.

    Ihr Debüt "Die Unerzogenen" war der vielleicht aller-allerbeste Film des Filmfests, jedenfalls aber der beste der deutschen Reihe. Er erzählt von einem jungen Mädchen, einem Kind von Späthippies, die als moderne Nomaden mal hier und mal da leben, in Häusern, deren Besitzer nicht ganz klar ist, mit Drogen handeln, und ziemlich verantwortungslos handeln. Ihre Tochter, großartig gespielt von Ceci Schuh, ist ein Little Girl Lost zwischen Drogen und Parties, Sex und Ich-Gesellschaft und der Sehnsucht nach einem ganz normalen Leben, die hier sehr nachvollziehbar, und ganz unaufdringlich vermittelt wird - weit entfernt von allem Moralpredigen.

    "Die Unerzogenen" ist ein ganz unneurotischer, bezaubernder, in satt-dezenter Farbpalette und mit starker Kamera toll gefilmter, ungemein guter Film! Und viel zu subtil, um ihn auf Floskeln zu bringen!

    Wegen solcher unerwarteter Filmerlebnisse hat sich das Filmfest München doch noch gelohnt. Ein paar mehr Filme dieser Art hätte man sich allerdings schon gewünscht.