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"Die Leidenschaft ist der Schlüssel zur Welt" Briefwechsel 1832-1844

Beste Bettina - nicht überspannt wenn ich bitten darf.

Michael Wetzel | 05.11.2001
    So schreibt Hermann von Pückler-Muskau am 23. September 1833 an Bettine von Arnim, geborene Brentano, mit der er nun schon seit fast zwei Jahren Briefe wechselt. Wiederum zwei Jahre später, nämlich im Februar 1835 erscheint Bettines literarisches Debütwerk, die Korrespondenz mit Goethe unter dem Titel "Briefwechsel mit einem Kinde", die sie auf einen Schlag berühmt machen sollte. Fürst Pückler hat am Entstehen dieser poetischen Überarbeitung der biographischen Zeugnisse mehr Anteil, als die Widmung im Buch es ahnen läßt. Er ist gewissermaßen ihr Initiator, denn er war es, der Bettine zur literarischen Autorschaft ermunterte.

    Auf ihre Schreiblust konnte er dabei zählen. Nachdem sie sich im Salon der Rahel Varnhagen um die Jahreswende 1831/32 kennen gelernt und neugieriges Interesse aneinander gewonnen hatten, überhäufte Bettine den in Berlin nur selten anwesenden Pückler mit zahllosen Briefen, in den sich ihre zügellose Phantasie Bahn brach. Anfang 1831 war ihr Mann, der romantische Dichter Achim von Arnim gestorben und sie stand gerade am Ende des Trauerjahrs. Im März 1832 starb Goethe, das von Bettine seit ihrer Jugend nicht nur geistig umschwärmte Idol. Bettines Mutter, Maximiliane von La Röche, die Tochter der Dichterin Sophie von La Roche, war einst in ihrer Jugend von Goethe verehrt worden. Dieser war nicht wenig geschmeichelt, als die Tochter sich ihm mit jugendlichem Überschwang in Weimar zu Füßen warf. Doch als die Angebote, die Identifizierungen mit literarischen Mädchenfiguren Goethes wie der Kindfrau Mignon allzu eindeutig ausfielen, zog sich der Dichterfürst erschrocken zurück und es blieb nur das Phantasiefeuerwerk der gemeinsamen Korrespondenz.

    Deren Glanz wiederzubeleben, wird nun die Aufgabe des neuen Briefpartners Fürst Pückler. Und das eingangs zitierte Fragment charakterisiert seine Rolle dabei aufs beste. Sie läuft letztlich auf nichts anderes hinaus als auf eine Disziplinierung der Phantasie, die sich bei Bettine immer wieder in Überschwang! ichen und vor allem die Auffassungskraft ihrer Adressaten überfrachtenden Bildübertragungen destruktiv verausgabte. Schon Goethe sprach hintersinnig von "Glücksbomben", die die Briefgaben der Bettine als Dauerbeschuß für ihn darstellten. Fürst Pückler diagnostiziert noch schärfer eine nahezu delirante "Gehirnsinnlichkeit". Sie versucht er nun durch gelenkte briefliche Intervention auf den Boden einer produktiv kanalisierten Einbildungskraft zurückzuholen. Und diese betrifft auch seine eigene Position, die er als die eines Freundes verstanden haben will und nicht die eines Liebhabers.

    Dass wir aber überhaupt Zeugen dieses einzigartigen Prozesses einer Auseinandersetzung sozusagen zwischen einer weiblichen und einer männlichen Autorschaft werden können, verdanken wir dem jetzt erstmalig von Enid und Bernhard Gajek herausgegebenen und vorzüglich kommentierten Briefwechsel zwischen Bettine von Arnim und Hermann von Pückler-Muskau. Die bislang zugänglichen Dokumente waren unvollständig und teils auch falsch zusammengestellt. Das Ehepaar Gajek hat die relevanten Archive in Frankfurt und Krakau gesichtet und alle dort noch erhaltenen Briefe sehr reizvoll in ihrer orthographischen Originalfassung abgedruckt. Dadurch kommt vieles vom unterschiedlichen Naturell der beiden Briefpartner zum Ausdruck.

    Denn letztlich ist die Liaison zwischen der begeisterungswütigen und lebensvollen Mutter von sieben Kindern und dem dekadenten, von Migraine und Hypochondrien heimgesuchten Dandy nicht ohne Brisanz und ohne Widersprüche. Sie sind eigentlich Repräsentanten zweier verschiedener Lebenseinstellungen, in ihnen prallen Schwärmerei und Zynismus aufeinander. Aber diese gehören doch zueinander wie zwei Kehrseiten derselben Medaille, wie die blaue Romantik der Frühlingsblumen und Sonnenaufgänge und die schwarze Romantik des Totenkultes, des Vampirismus und der erotischen Perversion. Fürst Pückler provoziert die unter dem Einfluß von Schleiermacher ihren religiösen Mystizismus kultivierende Bettine immer wieder durch seine Selbstpräsentation als Verstorbener, als Untoter beziehungsweise als "Semilasso", der Halbmüde.,'Er gehört mehr schon zur Epoche des Jungen Deutschland mit seinen Freizügigkeiten und Weltschmerzattitüden. Das Gemeinsame mit der Hyperromantikerin Bettine bleibt aber, daß sich alle noch so gewagten Spiel nur in der Phantasie entfalten. Und diese kann dann sehr weit gehen. So schlägt er ihr zahlreiche Rollenspiele vor, in denen er Sultan, sie Sklave, er Frau, sie Mann, er Blutsauger, sie das lebensspendende Element, er Ritter, sie Page ist. Gelebt werden diese Kühnheiten nur in der Schrift, deren imaginative Kraft sich in der Korrespondenz noch als geteilte Phantasie steigert. Sicherlich lebt Fürst Pückler dabei auch seine Lust aus, mit der Seele der naiven Bettine psychologische Experimente anzustellen. Und er unterlässt es nicht, sie wegen ihres Alters zu verhöhnen. Zumindest nicht, nachdem sie ihm in den Briefen und auch bei einem Überraschungsbesuch auf den Gütern von Muskau deutliche Avancen gemacht hat.

    "Adieu gutes Närrchen, könntest du noch klettern und wärst du noch 18 Jahr, so wäre ich dein Sclave et comment. Dieu le sait. Wie es jetzt ist, mußt du schon der meinige bleiben", schreibt er ihr in ungeschmicktem Ton. Bettine weiß sich ihrerseits dadurch zur Wehr zu setzen, dass sie sich der Einflussnahme Pücklers auf ihre Autorschaft entzieht. Sie wird das Buch auch ohne seine Hilfe zustande bringen. Seine intiatorische Mentorschaft würdigt sie in angemessener Form, indem sie ihm das Buch widmet. Und sie beginnt nun, in ihren Briefen Pückler zum Christentum zu bekehren. Beide sollten sie Erfolg haben: Pückler tritt 1839 zum Katholizismus über, Bettines Briefe nehmen einen neuen, gezügelteren Tonfall an. So haben wird denn in diesem Buch ein wahrhaft einzigartiges Dokument der Korrespondenz männlicher und weiblicher Autorschaft, das zugleich von deren unaufhebbarer Differenz zeugt.