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Die Leser der Zukunft?

Lehrer: So, wir haben ja die Gruppen eingeteilt und wollen heute mal beginnen mit den Fragen, die ihr euch überlegt habt, die man stellen könnte...

Von Martina Schulte | 25.09.2004
    Mittwoch Morgen. 11.30. In der Klasse 10b des Kopernikusgymnasiums Niederkassel beginnt ein ganz besonderer Deutschunterricht. Statt Satzanalyse oder "Maria Stuart" bereiten die Schüler für das Projekt "Zeitung in der Schule" einen Rechercheausflug auf den Flughafen Köln-Wahn vor. Als Nachwuchsjournalisten wollen sie Zeitungsartikel zu Themen rund um den benachbarten Großflughafen recherchieren. Es geht um Lärmschutz, die Arbeit von Zoll und Drogenfahndung und um das Thema Sicherheit.

    Schüler: Ich denke, interessant wäre es auch, zu fragen wie die Stewardessen sich fühlen, nach dem was ja am 11. September passiert ist. Auch die Passagiere, ob sie mit der Sicherheit zufrieden waren oder ob sie sich da unsicher gefühlt haben.

    Lehrer: Wollen wir mal einen Moment überlegen: Sind die Fragen sinnvoll, die die Gruppe erarbeitet hat, oder nicht? Tobias!

    Schüler: Also ich finde das Gröbste decken sie schon ab.

    Eine Stunde lang wird die 10b mit ihrem Lehrer die Fragen besprechen, die sich die Arbeitsgruppen für den großen Tag auf dem Flughafen ausgedacht haben. Es wird ergänzt, diskutiert und an der Reihenfolge gefeilt. Denn schließlich sollen die Artikel, die die Schüler später schreiben, auf einer Sonderseite der Frankfurter Rundschau veröffentlicht werden.

    Neben ihrem Rechercheprojekt bekommt die ganze Klasse ein Jahr lang kostenlos eine Tageszeitung an den heimischen Frühstückstisch geliefert. Einzelne Artikel und wichtige Themen wie Wahlen oder Rechtsradikalismus werden dabei immer wieder im Unterricht besprochen. So kann Deutschlehrer Hans-Jürgen Bollig seinen Schülern neben Allgemeinbildung auch etwas vermitteln, was von Bildungspolitkern immer wieder gern gefordert wird, nämlich Medienkompetenz:

    Bollig: Es geht darum, das Schüler lernen, mit Zeitungen umzugehen, dass sie lernen wie Zeitungen aufgebaut sind und dass sie eben dann auch begreifen, wie Artikel geschrieben werden, also, welche Vorbereitungen getroffen werden müssen, um einen Artikel zu schreiben und ihn dann auch verstehen können.
    Ähnlich wie die Schüler des Kopernikusgymnasiums haben seit dem Start der Initiative "Zeitung in der Schule" vor 25 Jahren fast eine Millionen Schüler an und mit einem Medium gearbeitet, das bei Jugendlichen nicht besonders populär ist. Bereits in den 70er Jahren läuteten in den Zeitungsverlagen die Alarmglocken. Wissenschaftliche Studien zum Leseverhalten prognostizierten einen schleichenden Jungleserschwund:

    Brand: Man hatte nämlich festgestellt, dass die jungen Erwachsenen zwischen 19 und 29 Jahren, dass sie immer weniger Tagezeitung gelesen haben. Die Reichweite ist jährlich um zirka ein Prozent zurückgegangen. Also man sieht: Eine dramatische Entwicklung. Und auf diesem Hintergrund haben wir 1979 den Auftrag bekommen vom "Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger", ein Projekt zu entwickeln, mit dem es gelingen sollte, dass Jugendliche ans Lesen der Tageszeitung herangeführt werden.

    Peter Brand vom Aachener Izop-Institut ist der Initiator des Projekts. Sein "Institut zur Objektivierung von Lern- und Prüfungsverfahren" ersann "Zeitung in der Schule" als Gegenmittel zur pubertären Zeitungsverdrossenheit. 1979 startet er das Pilotprojekt an 17 nordrhein-westfälischen Schulen und handelte sich zunächst ein Verbot des Kultusminsteriums ein.

    Und zwar mit der Begründung: Wenn jeder Schüler ein Jahr lang eine Tageszeitung bekommt, dann wird der Unterricht fremdbestimmt .
    Ein Jahr hat es gedauert, bis der Erlass wieder aufgehoben wurde, erzählt Peter Brand. Heute rennt er mit seinem Projekt bei Bildungspolitikern, Eltern und Lehrern offene Türen ein. Seinen Auftrag, die Jugendlichen wieder für die Zeitung zu begeistern, sieht Brand dank einer Allensbachstudie aus dem Jahr 1995 erfüllt:

    Also die Schülerinnen und Schüler, die während ihrer Schulzeit an einem Projekt Zeitung in
    der Schule teilgenommen haben, die haben zu 65 Prozent eine Zeitung abboniert und die die
    nicht die Möglichkeit hatten, hatten zu 36 Prozent eine Zeitung abonniert. Das heißt also, eine Verdopplung des Zeitschriften-Abonnementverhaltens.

    Ob dieses Ergebnis auch heute - knapp 10 Jahre später - noch seine Gültigkeit hätte, ist eine spannende Frage. Ein Umfrage in der 10b des Kopernikus-Gymnasium lässt daran zumindest leise Zweifel aufkommen. Das Rechercheprojekt finden die meisten Schüler 'cool’, auch die Abwechslung im Unterricht wird honoriert. Das Medium Tageszeitung bekommt allerdings von der Internet und Dokusoap-Generation auch nach einem halben Jahr 'Zeitung in der Schule’ eher schlechte Noten.

    O-Töne Schüler: Zeitung ist nicht so die Informationsmöglichkeit, die ich am liebsten hätte.
    Die Zeitung bringt jetzt nicht gerade die Informationen, die im Augenblick aktuell sind, also eher vom Vortag.

    Da schau ich doch lieber Fernsehen, das ist nicht so anstrengend. (Gelächter)