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Die letzte Insel

Es macht mir Spaß, die überraschenden Glanzpunkte Havannas zu entdecken, zwei- oder auch dreistöckige Häuser, verschnörkelte Giebel ohne intellektuelle Eitelkeiten, Namen von vergessenen Eigentümern, in Zement gemeißelte Daten und Fenster aus von den Jahren und den Steinen und Bällen der Nachbarjungen zerbrochenem Buntglas. Dort oben, so habe ich immer gedacht, reiche die Luft bis in den Himmel. Dort, über jeden menschlichen Maßstab erhaben, befinde sich die reine Seele der Stadt, während sie unten auf der Straße mit schäbigen, gehässigen Geschichten beschmutzt wird. Seit zwei Jahrhunderten ist Havanna eine lebendige Stadt mit eigenen Gesetzen und besonderen Attributen, mit denen sie ihre Einzigartigkeit unterstreicht. Warum wurde ich in diese Stadt hineingeboren, ausgerechnet in diese riesige, stolze Stadt? Ich versuche, das Schicksal zu ergründen, das ich mir nicht ausgesucht habe, und gleichzeitig versuche ich, Havanna zu ergründen. Doch die Stadt entzieht sich mir und überrascht mich immer wieder mit ihren verborgenen Winkeln, die wie Schwarzweißfotos aussehen, und mein Verständnis zerbröselt wie das alte Wappenschild der durch Mangos, Ananas und Zuckerrohr reich gewordenen Adelsfamilie. Nach so viel Hingabe und Abweisung ist meine Beziehung zu der Stadt geprägt durch das Helldunkel, in dem meine Augen sie sehen. Das hübsche Mädchen verwandelt sich in eine traurige kleine Hure, der aufbrausende Mann in einen potenziellen Mörder, der dreiste Junge in einen unheilbaren Drogensüchtigen, der Alte an der Ecke in einen Dieb im Ruhestand. Alles verfinstert sich mit der Zeit; wie die Stadt, durch die ich gehe, zwischen dreckigen Hauseingängen, stinkenden Abfallhaufen, abblätternden Häuserwänden, überlaufenden Kloaken, Flüssen gleich, die direkt aus der Hölle zu kommen scheinen, und baufälligen Balkons, die von Holzbalken abgestützt werden. Am Ende sind wir uns gleich, die Stadt, die mich erwählt hat, und ich, der von ihr Erwählte. Tag für Tag sterben wir einen vorzeitigen, langsamen Tod, verursacht durch kleine Verwundungen, größer werdende Schmerzen, fortschreitende Tumore ... Und selbst wenn ich aufbegehren wollte, diese Stadt mit ihren letzten Geheimnissen hält mich am Genick gepackt und beherrscht mich. Deswegen weiß ich, dass sie vergänglich sind, sterblich, die abbröckelnde Schönheit eines Wappenschildes und der scheinbare Frieden der Stadt, die ich nun mit den Augen der Liebe sehe und die es wagt, mir die unerwarteten Freuden ihrer prunkvollen Vergangenheit zu enthüllen.

Von Jörg Wagner und Peter B. Schumann |
    Havanna in Farbe - Havanna beschrieben von einem Habanero, Leonardo Padura, Autor des Kriminalromanzyklus "Das Havanna-Quartett". Band 2 des Zyklus ist jetzt auch in deutscher Sprache erschienen, und zwar unter dem Titel "Handel der Gefühle", Unionsverlag, Zürich 2004.
    Leonardo Padura, einst Reporter der Zeitung Juventud Rebelde, versteht sich meisterhaft auf das Genre Sozialgemälde: Kuba konkret - verpackt in Literatur. Und das kann spannender sein als jeder Krimi.

    "RDA grüßt Cuba socialista" - so klang’s im Sommer ´78, als die XI. Weltfestspiele der Jugend und Studenten in Havanna stattfanden. Die DDR und Kuba - das war immer ein Bruderbund der besonderen Art, gehegt und gepflegt von den Machthabern in Ostberlin und Havanna. Als die kubanische Revolution noch jung war, machte sich im Juli 1961 der Schriftsteller Eberhard Panitz auf den Weg nach Havanna, um im Auftrag der FDJ ein Buch über Kuba zu schreiben. 43 Jahre später, im Jahre 2004, hat Panitz, basierend auf seinen Aufzeichnungen von damals, eine Liebeserklärung verfasst: "CUBA, mi amor - Die letzte Insel".

    Jörg Wagner über Eberhard Panitz, sein neues Buch, seine alte Liebe Kuba und bemerkenswerte Begegnungen zwischen Havanna und Sierra Maestra im Sommer 1961.

    Eberhard Panitz ist Jahrgang ´32, geboren in Dresden, der Stadt, die im Februar 1945 die Wucht des Zweiten Weltkriegs wie kaum eine andere deutsche Stadt erlebt hat. Er studiert in der jungen DDR Pädagogik und Germanistik und wird bereits mit 21 Verlagslektor, der auch gern selbst zur Feder greift. Das hat Konsequenzen. 1959 wird er freischaffendes Mitglied im Schriftstellerverband und veröffentlicht in Massenauflagen Romane und Erzählungen wie "Unter den Bäumen regnet es zweimal", "Die unheilige Sophia" und "Die sieben Affären der Dona Juanita". Auch nach der Wende bleibt Panitz anders als andere DDR-Schriftsteller produktiv und veröffentlicht beinahe jedes Jahr ein neues Werk. Sein jüngstes, "CUBA, mi amor", blendet mehr als 40 Jahre zurück.
    Der wesentliche Bestandteil des Buches von Eberhard Panitz sind Tagebuchaufzeichnungen, die er vom 20. Juli bis zum 28. September 1961 während eines Kuba-Aufenthaltes zu Papier bringt. Auf die Reise geschickt vom damaligen FDJ-Funktionär und späteren SED-Politbüromitglied Werner Lamberz landet Panitz mit nur 5 Dollar ausgestattet auf der Karibik-Insel.

    Er hatte natürlich die Hoffnung, dass wir ein Buch schreiben. Es sollte ein Buch über die kubanische Revolution werden. Das war schon unser Auftrag. Übrigens wurde gesagt: Wir schießen Euch das Geld für die Flugkarten vor, aber wenn dann das Buch erschienen ist und ihr bekommt dafür ein Honorar, dann wird das euch wieder abgezogen. Also, mit dieser Aussicht und mit diesem Auftrag von Lamberz, das kann man schon sagen, und seiner Hoffnung dieses Buch zu schreiben, schickte er uns los. Er hatte natürlich noch einen weiteren Gedanken dabei. Er hatte das Gefühl oder das Wissen, dass der Weg Kubas zum Sozialismus geht.

    Lamberz’ Interesse an Kuba wächst, als im Dezember 1960 einer der Protagonisten der kubanischen Revolution und damalige Präsident der Kubanischen Nationalbank die DDR besucht und nicht nur ihn in den Bann zieht.

    Es gab eben die ersten konkreten Informationen und Eindrücke und lebendigen Erzählungen Ché Guevaras, der Bücher geschrieben hat und auch eine Erzählung über den Revolutionskampf. Das Phantastischste, was überhaupt über diesen Kampf geschrieben wurde, wurde von Ché Guevara geschrieben. Das alles hat natürlich Lamberz genau zur Kenntnis genommen. Lamberz hat an Walter Ulbricht einen Brief geschrieben, wo er nun ganz genau, detailliert seine Eindrücke weitergegeben hat, um nun entsprechende außenpolitische oder wirtschaftliche Schlüsse daraus zu ziehen.

    Ernesto Ché Guevara fasziniert zu dieser Zeit weltweit Millionen Menschen. Sein schwarz-weißes Konterfei wird zur Ikone einer Generation, die auf der Suche ist nach Gerechtigkeit und aktiver Veränderung der Gesellschaft. Wolf Biermann:

    Der rote Stern an der Jacke,
    im schwarzen Bart die Zigarre,
    Jesus Christus mit der Knarre
    - so führt dein Bild uns zur Attacke.
    Uns bleibt, was gut war und klar war:
    Dass man bei dir immer durchsah
    und Liebe, Haß, doch nie Furcht sah
    Comandante Ché Guevara.
    Uns bleibt -
    Dass man bei dir immer durchsah
    und Liebe, Hass, doch nie Furcht sah
    Comandante Ché Guevara.


    An der Seite Ché Guevaras in Leipzig ist als Dolmetscherin eine FDJ’lerin, die fortan seine Nähe und die Nähe zur kubanischen Revolution sucht und letztlich mit ihm zusammen 1967 im bolivianischen Urwald als Partisanin Tania La Guerrillera in einen Hinterhalt gerät und getötet wird: Tamara Bunke. 1937 in Argentinien als Tochter emigrierter deutscher Kommunisten geboren, hält sie es nach der Begegnung mit Ché nicht lange in ihrer zweiten Heimat DDR. Sie begibt sich nach Kuba, wie Panitz beschreibt' ohne die bürokratischen Vorschriften zu erfüllen - ein bis heute nicht zweifelsfrei aufgeklärter Vorgang, wenn man bedenkt, dass Kubareisen ähnlich restriktiv behandelt wurden wie Besuche im so genannten kapitalistische Ausland.

    Ich kann da nur sagen, dass Werner Lamberz da eine Haltung hatte, die bei mir absolutes Verständnis sofort hervorrief, denn er meinte: Nun gut, sie hat nicht alle bürokratischen Dinge eingehalten, die man hätte tun müssen, als sie ausgereist ist. Sie hat zwar angekündigt, dass sie gern dort bleiben würde. - Lamberz hatte sie eben auch aus dem Grunde kennen gelernt, weil er gute Leute brauchte zum Dolmetschen mit Kubanern und anderen Lateinamerikanern. Da hat er sie immer hinzugezogen. Er kannte sie also, ihre Träume, ihre Ideen. In ihrem Kopf brauste wirklich schon damals die Revolution, als sie noch hier war und dann erst recht, als wir sie trafen. Sie war eine sehr eigenwillige Person. Wir hatten ja nun schon eine Handelsvertretung, die praktisch eine Botschaft war, in Havanna - da tat man sich sehr schwer und wollte sie eigentlich auch nicht hineinlassen in die DDR-Botschaft, weil sie sich nicht jeden Stempel hier geholt hatte und nicht gedachte zurückzukehren und das auch immer wieder betonte. Wenn wir nun in diesen Trubel dieses Landes gerieten, dann sagte sie sehr oft zu uns: Na, könnt ihr nicht verstehen, dass ich hier bleibe, dass ich nie wieder hier wegwill? Ich kann nur hier in diesem Land glücklich sein.

    Eberhard Panitz begegnet Tamara Bunke auf Kuba. Sie betreut den jungen Schriftsteller im Auftrag von Werner Lamberz. Gerade bei den Passagen mit Tamara Bunke kommt die Wirkung der Original-Tagebuchaufzeichnungen voll zur Geltung. Panitz beschreibt seine Zeit auf der Karibikinsel mit sachlicher und offener Nüchternheit. Die Notizen verstehen sich ja als Protokoll seiner Stoffsammlung ohne das die Fakten überdeckende Pathos. Damit tritt plötzlich die ganze Widersprüchlichkeit des Sozialismus, gebrochen an der Person Tamara Bunke, hervor, kulminierend im Umfeld des Mauerbaus in der DDR im August 1961, den Panitz im Buch so beschreibt:

    Unterwegs war auch Tamara kaum zum Zeitungslesen gekommen, nun erscheint sie aufgeregt bei uns und berichtet, dass in Berlin eine kritische Situation an der Grenze herrsche und viele DDR-Bürger in den letzten Tagen und Wochen die Republik verlassen haben. Franz-Josef Strauß sei in die USA gereist, habe dort zur Erfüllung von NATO-Plänen neue Rüstungskäufe getätigt und eine Verstärkung der Bundeswehr angekündigt. Zugleich finde ein Seemanöver der Bundesmarine mit hundert Kriegsschiffen in der Ost- und Nordsee statt, und der frühere Nazigeneral Speidel, jetzt NATO-Oberbefehlshaber, begebe sich demonstrativ an die DDR-Grenze, um die dort stationierten Truppenteile der Bundeswehr zu inspizieren.

    Sie drängt uns, zur DDR-Mission zu gehen, um Informationen zu erhalten, und will es nicht glauben, als wir ihr sagen, nach unserer Rückkehr aus Santiago dort gewesen zu sein und von dem Botschafter kein Wort darüber gehört zu haben. "Na, jetzt wißt ihr endgültig, warum ich hier bin," sagt sie und verliert auch in den folgenden Tagen, als sich die alarmierenden Nachrichten aus Berlin überstürzen, in unserer Gegenwart kein Wort mehr darüber. Nach ihrem Verständnis hätten wir und alle anderen Genossen aus der DDR, wo auch immer, sofort die Koffer packen, nach Hause eilen und uns an der Grenze oder sonstwo im Land zur Verfügung stellen müssen, um unsere sozialistische Republik zu verteidigen. Indirekt sagt sie es uns, indem sie von Ché spricht, der in einer solchen Situation gewiss "allen Companeros Beine gemacht" hätte.


    Wenn wir über die kubanische Revolution schrieben, glaubten wir natürlich auf gewisse Weise, auch für unser Land und für den Sozialismus überhaupt einzutreten. Was hätte es genützt - es wäre auch technisch gar nicht möglich gewesen -, nun sofort da abzureisen, um am nächsten Tag da zu sein. Und außerdem, sie hat ja angeführt, Ché Guevara würde euch nach Hause jagen. Und es ist möglich (lacht), dass er das mit Kubanern gemacht hätte, oder wenn er irgendwo gewesen wäre, dass er sofort abgereist wäre. Da hatten wir kein allzu schlechtes Gewissen, als wir da gesagt haben: Nein, wir bleiben hier und gehen hier weiter unseren Weg. Aber beunruhigt und aufgestört waren wir schon. Und das Interessantere daran war vielleicht, dass Kubaner sich doch sehr interessiert haben für diese Ereignisse in Berlin. Es war eben eine sehr politische Bevölkerung und eine sehr politische Stimmung, in der wir eben auch in dieser Situation da überall Rede und Antwort stehen mussten.

    Was der DDR-Texter und Liedermacher Kurt Demmler in seinem Lied über Tamara Bunke nur andeuten konnte, tritt im Buch von Panitz im Kontext einer untergegangenen DDR deutlich hervor. Das bessere Gesellschaftsmodell als Gegenentwurf zum real existierenden Kapitalismus sieht Panitz in Kuba.

    Ich muss sagen, ich bin natürlich ein Mann, der diese DDR geliebt hat, vertreten hat, aber auch kritisch gesehen hat. Wir haben ja hier auch eine andere Art von Revolution gehabt oder von einer Entwicklung zum Sozialismus hin. Bei uns war die Revolution im Grunde genommen, dass die Sowjet-Armee dieses Land nach dem Faschismus befreit hat und dann hier die Weichen entschieden gestellt hat, gewaltsam gestellt hat. Und natürlich sieht man auch so ein Land wie Kuba mit einem doch gewissen Abstand, so nahe man sich ihm auch fühlt und ich mich über die ganzen Jahre auch gefühlt habe. Aber ein Unterschied ist da, und darauf habe ich versucht in diesem Buch immer wieder hinzuweisen, diese Hochachtung und diese etwas andere Art mit dem Volk umzugehen, nicht von oben herab. Das ist, glaube ich, eine Sache, die man nicht leugnen kann. Da haben wir wirklich vielleicht auch zu wenig uns selbst eingebracht, um auch ein solches Verhältnis mit dem Volk, oder im Volk und untereinander zu haben.

    Und bist kein Bonze geworden,
    kein hohes Tier, das nach Geld schielt
    und vom Schreibtisch aus den Held spielt
    in feiner Kluft mit alten 0rden.
    Uns bleibt, was gut war und klar war:
    Dass man bei dir immer durchsah
    und Liebe, Haß, doch nie Furcht sah
    Comandante Ché Guevara.


    Die Tagebuchaufzeichnungen von Eberhard Panitz sind nicht nur eine späte indirekte Abrechnung mit dem bürokratischen DDR-Sozialismus, sondern in erster Linie, wie der Titel "CUBA, mi amor" dokumentiert, eine Liebeserklärung an Kuba. Ob es allerdings der das Tagebuch ergänzenden Textpassagen bedurft hätte, die dem Leser, die heutige Weltsicht des Autors direkt und unverblümt vermitteln, mag zumindest bezweifelt werden. Sie vereiteln wohl leider die Chance, jene Leser zu gewinnen, die die Castro-Ära durch eine ausgesprochen negative Brille sehen. Das große Plus der zuvor nicht veröffentlichten Notizen von Panitz’ Kubareise ist ja gerade die sehr sachliche, mehr journalistische Beschreibung der kubanischen Revolution, durch die man sich mittendrin im Geschehen fühlt als Zeitzeuge, Beobachter einer Begegnung zwischen Fidel Castro und einfachen Bauern, die selbst hartnäckigen Zweiflern am kubanischen Weg Erklärungen dafür liefert, warum Kuba trotz enormer Probleme von manchen hoffnungsvoll als letzte Insel betrachtet wird, als letzte Insel des Sozialismus.

    Die letzte Insel - und eine Hoffnung, dass vielleicht der Gedanke, der unser Leben bestimmt hat, noch nicht ganz auf dieser Erde verloren ist und vergessen ist und dass er sogar in der Realität noch lebt, dass ein Volk, das eine Revolution zu diesem Ziele hin gemacht hat vor mehr als 40 Jahren nun heute immer noch auf dieser kleinen Insel glaubt, diese Revolution verteidigen und auch vervollständigen und erweitern und vielleicht verbessern zu können, die Ideen, die Gedanken und die Möglichkeiten, die sich daraus ergeben. Ja, da leuchtet schon für mich noch eine Menge herüber in mein Leben und auf meine älteren Tage. Ich habe da die Gedanken eigentlich auch meines Lebens und meiner schriftstellerischen Arbeit doch damit verknüpft. Das ist für mich ein wesentlicher Punkt, darauf zurückzukommen.


    Kuba - 26. Juli 2004. Kuba im Jahre ´51 nach dem Sturm auf die Moncada-Kaserne in Santiago de Cuba. Der Mythos Moncada lebt - und Fidel Castro ist immer noch am Ruder, seit 1959.

    Sie heißen Radio Rebelde, Radio Progreso oder Radio Taino, und sie bieten Kuba in Farbe: sehr ansprechend gestaltete Programme, flott moderiert, unterhaltsam und informativ - aber alles andere als Infotainment.

    Annette Massmann, in Ihrer Studie "Kuba. Globalisierung, Medien, Macht" bezeichnen Sie den Hörfunk als das kubanische "Leitmedium"...

    Annette Massmann:
    Ich glaube, zunächstmal muss man darauf hinweisen, dass es das Leitmedium ist, auch vor dem Hintergrund der Krise in Kuba seit 1990 mit dem Wegfall der Sowjetunion als Handelspartner, mit der Blockade von den USA seit 1961. Auch Fidel Castro muss sich heute fragen, wohin es weitergeht vor dem Hintergrund von Globalisierungsprozessen und vor dem Hintergrund der internationalen Bestrebungen, Kuba als Insel zu isolieren.

    Moderator:
    Sagt allein die Partei, die Kommunistische Partei, wo es langgeht oder können da auch andere mitreden in Kuba?


    Annette Massmann:
    Also, gerade im Rundfunkbereich ist es vor dem Hintergrund der Krise wieder zu einer stärkeren Zentralisierung gekommen - auch im Rahmen der Partei, aber auch das nicht widerspruchslos. Auch innerhalb des kubanischen Leitmediums gibt es sehr, sehr viele Diskussionen. Das wäre einfach zu vereinfachend, zu simplifizierend, das jetzt auf eine Schwarzweißmalerei im Rahmen alter Blockmentalitäten zurückzustutzen. Da wird man diesen Wandlungsprozessen nicht gerecht. Ich habe auch versucht in meinem Buch gerade nachzuzeichnen, welche internen Diskussionen es gibt, in welche Richtung die gehen sollen, wie so eine Zielperspektive von solidarischer Gesellschaft gefasst werden kann.

    Moderator:
    Was mir auffällt, die kubanischen Medien sind sicher Parteimedien, parteiische Medien vor allem auch, doch die ideologische Soße wird dabei nicht so dick aufgetragen wie
    z. B. früher in der DDR. Woran liegt das?

    Annette Massmann:
    Also, das ist immer sehr, sehr schwierig, das so plakativ zu vergleichen zwischen DDR und Kuba. Das sind andere zeithistorische Prozesse...

    Moderator:
    ... aber das waren ja früher mal "Bruderländer"...

    Annette Massmann:
    Gut. Aber da spielt sicherlich eine Rolle, dass Kuba Produkt einer Volkserhebung ist, dass die meisten Organisationen aus einer Volkserhebung hervorgegangen sind, die natürlich der Partei untergeordnet sind. Und dennoch gibt es dadrin auch ein Spektrum. Und dieses Spektrum ist auch relativ breit und auch konfliktiv. Dazu kommt, dass das Mediensystem in Kuba sich ja nicht nur innerkubanisch herstellt, sondern auch darüber, dass halt massiv von außen der kubanische mediale Raum erschlossen wird. Also, es gibt sozusagen immer ein berichterstatterisches Pendant zu innerkubanischen Medien durch die Medien, die von seiten der USA ausstrahlen, sprich Hörfunk und Fernsehen, und von daher auch andere Akzentsetzungen bewirken.

    Moderator:
    Aus der Sicht von Havanna, aus der Sicht Kubas sind das ja die Stimmen der Konterrevolution, die da von außen, von seiten der USA auf Kuba einwirken. Welche Rolle spielen die: Radio Martí, TV Martí und die ganzen anderen Sender der Dissidenten oder der Emigranten?

    Annette Massmann:
    Seit 1961 gibt es ja Radioprogramme, die in Richtung Kuba strahlen. Seit 1990, mit Einsetzen der Krise, wurden der Umfang dieser Programme und die Anzahl dieser Programme deutlich hochgeschraubt - auch mit US-Regierungsunterstützung. Diese Programme, vor allem Radio Martí, werden sehr viel gehört. Man hat nun jetzt nicht die Chance, Rezipientenstudien anzufertigen über die Nutzer in Zahlen. Man merkt es immer wieder an politischen Reaktionen der Bevölkerung, wenn von seiten Radio Martís zu irgendetwas aufgerufen wird. TV Martí hat keinerlei Chancen durchzukommen. TV Martí wurde noch nie in Kuba wirklich gesehen. Aber über die US-amerikanische Vertretung in Havanna werden Videokassetten des Programms auch verteilt.

    Moderator:
    Es gibt ja in Kuba durchaus Journalisten, die nicht unbedingt
    das Lied der Partei anstimmen, die auch Castro-kritisch sind und die zum Teil dann in Nischen ausgewichen sind. Haben diese Leute heute noch eine Chance sich Gehör zu verschaffen oder sind die völlig isoliert?

    Annette Massmann:
    Im kulturellen Raum gibt es sehr, sehr viele Ausdrucksformen und, sage ich mal, Stellen für Journalisten, wo sie versuchen, innerhalb der kubanischen Revolution in ihrem Sinne produktiv tätig zu werden. Aber die Nische, die Sie gerade beschrieben haben, ist halt eine sehr kleine und zwischen diese Fronten zu geraten von einerseits einem harten Block innerhalb der Kommunistischen Partei Kubas und andererseits US-amerikanischen Kräften, ist sehr, sehr einfach. Das heißt, es gibt eigentlich keinen freien, unabhängigen Journalismus in Kuba. Denn wenn jemand in Kuba jenseits von Staatsmedien für eine internationale Öffentlichkeit schreiben will - jetzt nicht im Bereich von Literatur, sondern im Bereich des Alltagsjournalismus - ist es so, dass auf dem einen oder anderen Wege die US-Finanzierung dann doch ins Spiel kommt und damit auch sehr schnell der Vorwurf, den USA zuzuarbeiten.

    Moderator:
    Ich glaube, Sie haben in Ihrem Buch mal nachgezählt und sind auf 21 unabhängige Nachrichtenagenturen gekommen. Arbeiten die noch im Untergrund?

    Annette Massmann:
    Auch da ist es immer dieses wechselseitige Pendel, das sich hochschaukelt. Die Leute arbeiten weiter auch wie bisher. Es gibt in Kuba nicht wie in allen lateinamerikanischen Staaten massive Übergriffe auf Journalisten im Sinne von massiven Menschenrechtsverletzungen: Ermordung, Verschleppung oder ähnlichem. Es gibt aber sehr wohl auch Einschüchterungsversuche. Das heißt, dieser Grat, da zu versuchen, einen alternativen Weg für die Entwicklung von Kuba zu formulieren, ist in diesem Segment praktisch unmöglich, gerade aufgrund dieser konfliktiven Konstellation: einerseits Finanzierung von seiten der USA, und auch gleichzeitig stellen die US-Medien die einzigen umfassenden Abnehmer der Produkte kubanischer Journalisten dar, und andererseits die kubanische Regierung, die das sofort als Denunzierung der Revolution, als Angriff auf die Revolution wertet.

    Moderator:
    Annette Massmann, Stichwort: batalla de las ideas, Schlacht der Ideen - die kubanische Revolution ist in die Jahre gekommen. Heute vor 51 Jahren, am 26. Juli 1953, griffen Fidel Castro und seine Mitstreiter die Kaserne von Moncada an. In den kubanischen Medien ist das Thema Nummer eins heute: Moncada. Ist das Revolutionsnostalgie oder mehr?

    Annette Massmann:
    Das ist natürlich im zeitgenössischen Rückblick immer eine gewisse Nostalgie. Aber Kuba hat es nach einer langen defensiven Phase der Krise vermocht, oder die kubanische Führung hat es vermocht, nach dieser Krise einen neuen Ansatzpunkt, der nicht nur passiv und defensiv ist, zu formulieren. Das ist dieses Stichwort, das Sie gerade genannt haben, also, batalla de las ideas, der Kampf der Ideen. Was dahinter steht, ist, zu überlegen, wie man Kultur ausweitet, wie man im Bereich von Gesundheit und Bildung so investiert, dass diese Gesellschaft, die kubanische Gesellschaft, als ansprechende Gesellschaft erscheint, gelebt wird und sozusagen moralisch von den Werten her eine Überlegenheit im Kampf der Systeme - also, einerseits des neoliberalkapitalistischen und andererseits des kubanischen Systems sich präsentieren kann.

    Moderator:
    Hier noch einmal der Titel der profunden Studie von Annette Massmann: Kuba - Globalisierung, Medien, Macht, IKO-Verlag für interkulturelle Kommunikation, Frankfurt am Main und London 2003.

    Der 26. Juli - das ist auch der Tag, an dem sich der Maximo Líder regelmäßig zu Wort meldet, Bilanz zieht in puncto Revolution. Heute vor 30 Jahren - am 26. Juli 1974 - setzte sich Fidel Castro besonders mit der Rolle der Frau im sozialistischen Kuba auseinander, kritisierte, dass die kubanischen Frauen in bestimmten Situationen immer noch diskriminiert und ungleich behandelt würden. Und er mahnte, man dürfe niemals Lenins Worte vergessen, "dass das Proletariat nicht seinen endgültigen Sieg erringen kann, solange nicht die Frau vollkommen frei ist." Und heute? - Miriam Lang ist der Frauen-Frage auf Kuba nachgegangen. Ihr Buch trägt den Titel: "Salsa Cubana - Tanz der Geschlechter". Peter B. Schumann stellt es vor.


    Eine der Fragen, an denen wir gemessen werden, ist die Art und Weise, wie wir in unserer Gesellschaft die Probleme der Frauen gelöst haben.

    So beteuerte Fidel Castro immer wieder. Und deshalb gibt es in Kuba seit 1960 den bis heute größten Frauenverband in ganz Lateinamerika. Eine Vielzahl von Emanzipationsgesetzen garantiert außerdem die juristische Gleichstellung der Frau. Doch der rechtliche Fortschritt hatte eine ebenso pragmatisches Ursache wie die Massenorganisation.

    Sie sollte die Loyalität der weiblichen Bevölkerung gegenüber dem neuen gesellschaftlichen Projekt garantieren und sie zu den vielfältigen Partizipationsaufgaben mobilisieren.

    Miriam Lang weist in ihrem Beitrag Staatssozialismus, ökonomische Gleichstellung und Frauenpolitik ausführlich nach, dass die Revolution den Kubanerinnen zahlreiche neue Tätigkeiten eröffnete, die sie auch begeistert ausfüllten. Dadurch konnten sie eine zentrale Rolle beim gesellschaftlichen Transformationsprozess übernehmen. Sie zeigt aber zugleich, dass viele Männer sich im Alltag lange Zeit gegen die Berufstätigkeit der Frauen sperrten und es Jahrzehnte dauerte, bis das Prinzip "gleicher Lohn für gleiche Arbeit" weitgehend durchgesetzt war. Vom Zentrum der Macht sind die Frauen bis heute ausgeschlossen, und es wird ihnen sogar schwergemacht, ihre ureigenen Anliegen über den dafür vorgesehenen Rahmen hinaus zu artikulieren.

    Trotz der Existenz der Frauenföderation hatten kubanische Frauen nie eine Lobby, die ihre Geschlechtsinteressen unabhängig von oder gar gegen staatliche Interessen vertreten hätte ... Ein Versuch, kubanischer Medienarbeiterinnen, Mitte der 90er Jahre einen feministischen Diskussionskreis zu diversen Themen zu etablieren, wurde von der Parteiführung mit dem Hinweis unterbunden, die Zeit sei für derartige Initiativen ungünstig.

    Schreibt Miriam Lang. Bei uns hat diese Debatte bereits in den 60er Jahren des gesellschaftlichen Aufbruchs stattgefunden und zwar mit ganz ähnlichen Argumenten. Nur konnte sich hier die Frauenbewegung frei entfalten und wurde nicht vermeintlichen Partei- und Staatsinteressen untergeordnet. In Kuba hingegen erhielt sie nur so viel Spielraum, damit die Frauen ihre vom herrschenden Patriarchat definierte Rolle für das Gemeinwesen erfüllen konnten.

    Deshalb sind die Kubanerinnen vor so zweifelhaften "weiblichen Tugenden" wie Selbstlosigkeit oder Allzuständigkeit nicht gefeit. Allerdings verfügen sie – u.a. wegen ihres hohen Bildungsstandards – zumindest über bessere Voraussetzungen für ein gesundes Selbstbewusstsein.

    Die Revolution hat 30 Jahre lang eine Gesellschaft entwickelt, die weder Klassengegensätze noch ein krasses Gefälle zwischen Arm und Reich kannte, in der es weder Arbeitslose noch Hungernde noch Prostitutierte gab. Kuba war eine in jeder Beziehung einsame Insel in den beiden Amerikas. Gestützt wurde sie als "rotes Bollwerk im Vorhof der USA" von der Sowjetunion und den übrigen osteuropäischen Ländern. Als der Staatssozialismus zusammenbrach und die Pipeline ständiger Versorgung versiegte, war Kuba plötzlich auf die eigenen Kräfte angewiesen. Das Biotop der Ideale verkümmerte. Die Dollarisierung der Revolution unterminierte den gesellschaftlichen Fortschritt und auch die familiären Strukturen.

    Die kubanische Durchschnittsfamilie hat einen Arzt in Moskau, einen Gefallenen in Afrika, einen Fettleibigen in Miami, einen Unterernährten in Havanna und als vollkommenste Metapher ihres Daseins ein Mitglied, das gerade mit einem Schlauchboot im Golf von Mexico unterwegs ist.

    So spottet der in Barcelona lebende kubanische Kulturwissenschaftler Iván de la Nuez. Er wird von Ingrid Kummels als Zeuge zitiert, um die Veränderungen im Familiengefüge zu verdeutlichen. Liebe und Leben in den Zeiten der Diaspora heißt ihr Beitrag. Als Folge verschiedener Auswanderungswellen leben heute schätzungsweise 20 Prozent der kubanischen Bevölkerung außerhalb der Insel, die meisten – etwa 1,5 Millionen – naturgemäß in Miami. Ingrid Kummels bringt zwei Vorzüge in ihre Betrachtung ein: den Blick der Ethnologin und ihre kubanische Abstammung.

    Frauen griffen in der Krisenperiode ... auf alte Handwerke zurück, etwa auf die Seifenherstellung und die Schusterei. Auch stellten sie verstärkt Speisen für den Verkauf her ... Die Frauen meistern mehr als die Quadratur des Kreises: Nicht selten müssen sie Haushälterin, Mutter, Geliebte/Frau, Arbeiterin und illegale Produzentin sein.

    Angesichts der ständigen Überforderung bei der Bewältigung der Alltagsmisere, die vor allem auf ihnen lastet, hat die Zahl der Kubanerinnen zugenommen, die bereit sind, Scheinehen einzugehen oder – wie es die Autorin formuliert:

    - die gezielt ein vornehmlich das wirtschaftliche Überleben sicherndes oder auch Wohlstand versprechendes Heiratsarrangement anpeilen.

    Das soll sogar auf viele bereits verheiratete Kubanerinnen zutreffen. Andererseits hat sich auch das Verhältnis zum Mann gelockert. Es gilt unter Frauen als durchaus üblich, "mehrere Männer an der Hand zu haben".

    Zum einen, weil sie auch als Ehemänner grundsätzlich unsichere Kandidaten sind. Zum anderen aber, weil potentielle Partner einem im Alltag behilflich sein können. Auffallend viele Frauen erzählten mir von der Schlüsselrolle, die ein Ex-Geliebter oder Verehrer – ähnlich wie ein Familienangehöriger – bei der Beschaffung wichtiger Güter, etwa eines Visums, spielte.

    Kuba galt bis 1959, dem Sieg der Revolution, als "Bordell der Karibik". Danach wurden viele Anstrengungen unternommen, die etwa 100.000 Prostituierten wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Seit 1 Dollar 27 Peso wert ist und 10 Dollar bereits einen Durchschnittslohn darstellen, sind die tradierten Wertvorstellungen auf der Insel immer mehr verfallen und soziale Unterschiede aufgebrochen, die als überwunden galten. Viele junge Frauen – aber auch Männer – begannen, sich der Sexarbeit zu verschreiben.

    Das Sexgeschäft ist in Cuba für die Betroffenen in der Regel nicht der letzte Ausweg.

    So äußert sich Sara Más Farías in ihrem Beitrag über Die neue Prostitution und die Reaktionen der Gesellschaft. Die Redakteurin des Parteiorgans "Granma" ist auf Themen wie Frauen und Sexualität spezialisiert.

    Viele "jineteras" und "jineteros" verfügen über eine hohe Schulbildung oder einen Hochschulabschluss und praktizieren Prostitution und Studium bzw. Beruf im Wechsel. Andere hängen ihre eigentliche Arbeit ganz an den Nagel, um mehr Zeit für die weitaus einträglichere Sexarbeit zu haben. Manche jungen Frauen wollen sich dadurch unabhängig von ihren Eltern machen ... Auch freuen sich manche Eltern über die zusätzlichen Dollar, die aus der Prostitution ihrer Kinder in die Familienkasse fließen.

    Der Staat duldet keine Bordelle und versucht mit Razzien und drastischen Strafen den Verfall der moralischen Werte einzudämmen, zumal sich im Umfeld der Prostitution Geschlechtskrankheiten, Drogenhandel und Kriminalität ausgebreitet haben. Aber er kann die Wurzel des Übels, die Macht des Dollars, nicht beseitigen, denn von den US-Devisen zehren Gesellschaft wie Staat. Das hätte sich Fidel Castro auch nicht träumen lassen, als er vor 45 Jahren siegreich in Havanna einmarschierte.

    Mit dem Sieg der Revolution 1959 wurde die ungleiche Behandlung der verschiedenen ethnischen Gruppen innerhalb der kubanischen Gesellschaft aufgehoben, der Rassismus offiziell abgeschafft ... Für die schwarzen Frauen, die fast 500 Jahre Diskriminierung hinter sich hatten, änderte sich jedoch nichts an ihrer prinzipiellen Benachteiligung, auch wenn sich ihre Lebensbedingungen in mancher Hinsicht zweifellos verbesserten.

    Die Historikerin Daisy Rubiera Castillo hat sich mit diesem Thema seit langem auseinandergesetzt. Ihr Beitrag Schwarze Frauen in Kuba macht erneut deutlich, dass ein gesellschaftlicher Umbruch nicht automatisch die Rassendiskriminierung beseitigt.

    Die ethnische Pluralität der Gesellschaft wurde nicht ausreichend problematisiert ... Für schwarze Frauen blieb dadurch selbst im Kontext der neuen frauenpolitischen Maßnahmen ein sozialer Aufstieg schwierig.

    Die wirtschaftliche Öffnung Kubas in den 90er Jahren hat diese Situation noch verschärft. Und selbst bei der Suche nach den begehrten Jobs im Tourismus- und Joint-Venture-Bereich werden schwarze Frauen häufig benachteiligt. Selbst Kunst und Medien sind nicht frei von solchen Vorurteilen. Und auch die Alltagssprache kennt eine Vielzahl diskriminierender Ausdrücke.

    Bis Mitte der 80er Jahre war ein Niveau von sozialer Gleichheit erreicht worden, das alle Kubaner und Kubanerinnen mit Stolz erfüllte. Die Wirtschaftskrise brachte jedoch den Rückschritt und so schlimme soziale Folgen, dass ihre Auswirkungen bis heute nicht beseitigt werden konnten. Und was noch schlimmer ist: Ausgerechnet für Schwarze und generell für die ärmeren Bevölkerungsschichten ist es erheblich schwieriger geworden, ihre Lebensziele zu erreichen.

    Diese Salsa Cubana hinterlässt notwendigerweise einen bitteren Nachgeschmack. Der von Miriam Lang vorzüglich edierte Tanz der Geschlechter zeigt, dass die revolutionäre Vision vom "neuen Menschen" auf einem alten Menschenbild basiert, in dessen Mittelpunkt eben nicht der Mensch, sondern heute wie vor 45 Jahren der Mann steht.

    Peter B. Schumann über das von Miriam Lang herausgegebene Buch Salsa Cubana - Tanz der Geschlechter. Emanzipation und Alltag auf Kuba, KVV Konkret, Hamburg 2004.

    Kuba im Sommer 2004 - ein Land zwischen Revolutionsnostalgie und Dollarisierung, ein Land zwischen den Welten, zwischen untergegangenen und künftigen, noch nicht geborenen Welten.
    Abschließend noch einmal eine Rückblende in das Kuba der neunziger Jahre. Leonardo Padura: Handel der Gefühle, gelesen von Bert Cöll:


    Der Wind hatte nachgelassen. Er konnte die Zeitung gefahrlos aufschlagen, und was Besseres hatte er ja nicht zu tun. Die Titelseite informierte ihn darüber, dass die Zuckerrohrernte zurzeit langsam, aber sicher auf das Ziel mit überdurchschnittlichen Ergebnissen zumarschierte, wie immer. Die sowjetischen Kosmonauten kreisten immer noch im Weltraum und stellten Aufenthaltsdauerrekorde auf, weit weg von den alarmierenden Informationen auf der Seite »Internationales«. Dort war die Rede vom Niedergang der früher so perfekten Sowjetunion und von dem schrecklichen Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan; der Tourismus in Kuba marschierte — und das war nun wirklich das adäquate Verb — mit Riesenschritten voran, die Hotelkapazität würde sich in diesem Jahr bereits verdreifachen; die Beschäftigten der Gastronomie- und Hotelbetriebe in Havanna begannen ihren schweren interkommunalen Kampf um das Recht, die Feiern ihrer Branche zum Tag der Arbeit in der Hauptstadt ausrichten zu dürfen. Sie starteten Initiativen, um die Qualität der Dienstleistungen zu verbessern und »Fehlbestände« zu verhindern. Für Mario Conde war dieser Begriff eine elegante Umschreibung für den üblichsten aller Diebstähle, den er für eine ontologische Zwangsläufigkeit hielt. Aus dem Mittleren Osten gabs nichts Neues, es wurde immer schlimmer, bis eines Tages alles zum Teufel gehen und es zum totalen Krieg kommen würde; die Gewalt in den Vereinigten Staaten nahm weiter zu; noch mehr Verschwundene in Guatemala, mehr Tote in El Salvador, mehr Arbeitslose in Argentinien und mehr Arme in Brasilien. Ein schöner Planet, auf den ich da geraten bin, nicht?... Er faltete die Zeitung zusammen, überzeugt davon, dass alles marschierte, voran- oder weiterging wie vorgesehen, und widmete sich dem für genau diesen Zeitpunkt, 18.52 Uhr, ebenfalls vorgesehenen endgültigen Sonnenuntergang.


    Literaturliste:

    Miriam Lang (Hrsg.): Salsa Cubana - Tanz der Geschlechter. Emanzipation und Alltag auf Kuba, KVV Konkret, Hamburg 2004, 143 S., 12.00 Euro,
    ISBN 3-930786-42-7

    Eberhard Panitz: Cuba, mi amor - Die letzte Insel, edition ost, Das Neue Berlin Verlagsgesellschaft, Berlin 2004,
    160 S., 12.90 Euro,
    ISBN 3-360-01054-X

    Annette Massmann: Kuba. Globalisierung, Medien, Macht, IKO-Verlag für interkulturelle Kommunikation, Frankfurt am Main 2003, 592 S., 34.90 Euro,
    ISBN 3-88939-693-3

    Buchtipp:

    Leonardo Padura: Handel der Gefühle. Aus dem kubanischen Spanisch von Hans-Joachim Hartstein, Unionsverlag, Zürich 2004, 255 S., 19.80 Euro,
    ISBN 3-293-00322-2