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"Die Leute haben 20 Euro bezahlt für die Kacke"

Aufstieg und vor allem Fall eines Fernsehstars ist Thema in "Johnny Chicago", Jakob Heins Dreipersonenstück, das an der Berliner Volksbühne Premiere hatte. Inszeniert vom Oscar-prämierten Jungregisseur Jochen A. Freydank spielt der TV-Komiker Kurt Krömer eine verdächtig lebensnahe Rolle.

Von Eberhard Spreng | 23.06.2010
    10.000 Jahre soll er alt sein. Das behauptet zumindest der Talkmaster, der in der Nachmittagsshow "Stars von gestern" dem Publikum einen eher jungen Mann in goldenem Blouson vorstellt, über das er ein Bärenfellimitat gehängt hat. Johnny Chicago soll von seinem Leben erzählen, von der Steinzeit bis heute. Links ist eine kleine Showband installiert und vor der Sendung huscht Assistentin Bettina mit Blondie-Perücke und superkurzem Minirock über die Bühne. Mit sechs Szenen, unterbrochen von fünf Werbepausen und fünf Einspielern will Autor Jakob Hein auf der Theaterbühne ein ödes Fernsehformat veralbern. Er selbst, der Berliner Charité-Arzt und Literatur-Performer, steht als Talkmaster Kai Kacke auf der Bühne. Und an seiner Seite spielt Kurt Krömer den ungeliebten Gast, der in den Werbeunterbrechungen von seinem gescheiterten mittelalterlichen Selbstmordversuch erzählt.

    "War kein Kinderspiel gewesen, damals im Mittelalter sich umzubringen. Nicht einmal auf die Seile konnte man sich verlassen. Da warst du auf dem Marksplatz beim Seiler, hat du ein Meter Seil gekauft. Auf dem Marktplatz hat das wunderbar funktioniert, kaum warst du mit dem Ding zu Hause, hast du es über den Balken geworfen, hast mal kurz dran gezogen - da war es kaputt."

    Wenn die Kameras auf Sendung sind - zwei Kameraleute laufen über die Bühne und fangen die Theaterfernsehshow ein - dann will Johnny Chicago alias Kurt Krömer seine CD "Ein Moment Ewigkeit für Dich" ins Bild bringen und seinen Song "10.000 Jahre" vortragen. Wir sollen verstehen: Die Kunstfigur ist eine verkrachte Existenz, ein Lumpenprolet des Showbusiness, aus Ausgelaugter am Ende der Laubahn. "Johnny Chicago" ist allzu bemühte, irgendwie bräsige, letztlich naive Medienkritik. Die Gags sind kalkulierbar und die erzählten Anekdoten aus der abendländischen Menschheitsgeschichte wenig originell. Von Jesus will Johnny Chicago für eine Party einen Krug Wasser in Wein verwandelt haben, während dieser ihn als 13. Jünger gewinnen will, als Friseur des jungen Kunstmalers Adolf Hitler sorgt er mit einem Versehen für den speziellen Zuschnitt des Hitlerschen Schnurrbarts, in der Steinzeit verständigen sich die Menschen mit Keulenhieben. Natürlich wird das auf dem tiefsten erreichbaren Karnevals-Spielniveau auch vorgeführt, solange bis der von Inka Löwendorf gespielten Assistentin Bettina der Kragen platzt:

    "Siehst du, ich finde das auch nicht komisch, und wenn es keine Komödie ist, dann muss es eine Medienkritik sein. Aber das sehe ich nicht. Was für ein Medium wird denn hier kritisiert, erklär mir das mal bitte. Verstehst du, eine Medienkritik wäre, wie die Leute durch die Formate gezogen und dann ausgespuckt werden. Das sehe ich aber nicht. So funktioniert Theater nicht. Das muss ich sehen, die Leute haben 20 Euro bezahlt für die Kacke, die können doch gleich in die Glotze kieken, das ist das Gleiche. "

    Die Produktionsassistentin fährt ganz stückgetreu, aber doch auch mit improvisierenden Ergänzungen aus der Rolle, baut in die scheiternde Fernseh-Comedy-Blödelei eine zünftige Selbstkritik ein und sorgt für den einzigen wirklichen Moment von Theater. Die Schauspielerin zeigt damit indirekt auch, dass Theater im Gegensatz zum Fernsehen eben doch auch Professionalität, Können, Ausbildung, Talent voraussetzt. Und dass weder anarchisch neuköllnische Gag-Moderationen noch Subkultur-Kleinkunst-Lesungen schon fürs Theaterspiel qualifizieren. Aber auch der vor Jahren überraschend mit einem Oscar ausgezeichnete Kurzfilmregisseur Jochen A. Freydank ist nicht unbedingt die richtige Besetzung für die Regie im Berliner Komödienstadl. Der Macher von "Spielzeugland" arrangiert hier gerade nur eben die Szenen ohne jede Inspiration. Trotzdem: Die Volksbühne hofft mit Fernsehstar Kurt Krömer auf Quote, denn sie hat im Zuschauerraum die platzraubenden Sitzsäcke durch eine schlanke provisorische Bestuhlung ersetzt.