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"Die Liberaldemokraten sind eigentlich die EU-freundlichste Partei auf der Insel"

Großbritanniens neuer Premierminister ist fortan David Cameron, der Chef der Konservativen. Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg ist aber auch eine weitere Partei an der Regierung beteiligt. Großbritannienkorrespondent Martin Zagatta erklärt, zu welchen Problemen das führen könnte.

Martin Zagatta im Gespräch mit Britta Fecke | 12.05.2010
    Britta Fecke: Heute beginnt für den Chef der britischen Konservativen David Cameron der erste Arbeitstag als Premierminister. Weil die Konservativen bei der Wahl aber keine absolute Mehrheit erreichten, sind sie auf die Liberaldemokraten als Koalitionspartner angewiesen. Diese neue Koalition ist für Großbritannien ein Kulturbruch, denn erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg stellt nicht mehr nur eine Partei die Regierung. In seiner ersten Stellungnahme nach seiner Nominierung zum Premier verwies Cameron auf die, wie er es nannte, schweren und drängenden Probleme des Vereinigten Königreichs und zählte dazu vor allem das enorme Staatsdefizit und das reformbedürftige politische System. Auch wenn heute die Besetzung der Ministerämter die Regierungsgeschäfte vorerst bestimmen werden, will ich mit Martin Zagatta, unserem Korrespondenten in London, über die angesprochenen Reformen und die zu erwartende europapolitische Ausrichtung der Koalition sprechen. Herr Zagatta, wo liegen denn die Unterschiede zwischen den Konservativen und den Liberaldemokraten?

    Martin Zagatta: Also, da gibt es schon große Unterschiede, denn die Liberaldemokraten sind ja eigentlich eine Art sozialdemokratische Partei, sind grün angehaucht, verfolgen also eine ganz andere Politik als die Konservativen. Aber man hat sich zusammengerauft. Beispielsweise haben die Liberaldemokraten in der Steuerpolitik einiges durchsetzen können – so ist das dem Koalitionsvertrag jetzt zu entnehmen. Sie haben sich dann im Gegenzug darauf eingelassen, was die Konservativen wieder wollen, das Defizit möglichst schnell abzubauen, die Rekordschulden abzubauen auf einen Sparkurs. Große Unterschiede – und die hat man auch gar nicht ausgeräumt – die gibt es in der Einwanderungspolitik, in der Verteidigungspolitik und auch in der Europapolitik. Da haben die Tories in den Gesprächen schon festgelegt: Wir sind die größere Partei, wir sind der größere Partner in dieser Koalition und geben den Ton an. In der Europapolitik heißt das: Die Liberaldemokraten sind eigentlich die EU-freundlichste Partei auf der Insel, die Tories sind europaskeptisch, EU-skeptisch. Und diese Politik, so haben sie klargestellt, die gilt jetzt für diese Koalition.

    Fecke: Ja, sie sagten es. Und David Cameron gilt als ausgewiesener Europagegner. Wird er sich tatsächlich komplett durchsetzen mit seinen Vorstellungen?

    Zagatta: Also, das ja. Aber man wird auch das pragmatisch angehen. Die Tories haben angekündigt, sie wollen mehr Distanz zu Brüssel, sie wollen keine weiteren Kompetenzen an die EU abgeben, sie sind ja aus der konservativen EVP-Fraktion ausgetreten, der beispielsweise die deutsche CDU und CSU angehören. Und der neue Außenminister William Hague, der frühere Parteichef und ein ausgesprochener EU-Skeptiker, der hat auch schon angekündigt, dass dieses Abgeben von Kompetenzen an Brüssel, dass das in Zukunft nicht ohne Volksabstimmung geht. Er hat gesagt: Wenn in der Zukunft irgendwelche wichtigen Kompetenzen von den Briten an die EU abgegeben werden, dann muss das über ein Referendum geschehen, und wir werden ein entsprechendes Gesetz verabschieden. Also, diese neue Koalitionsregierung, die verfolgt da genau die gleiche Politik wie sie beispielsweise in Irland auch schon Gesetz ist. Hintergrund ist: Die Konservativen sind ja für ein Referendum über den Lissabon-Vertrag schon eingetreten, wollten den ablehnen, waren da sehr sauer auf ihren jetzigen Koalitionspartner, auf die Liberaldemokraten, denn die haben ein solches Referendum verhindert. Man hat aber auch klargestellt: Also, dieser Lissabon-Vertrag – dabei bleibt es. Wir gehen pragmatisch vor, und der wird auch nicht rückgängig gemacht.

    Fecke: Was glauben Sie, wie wird die neue Regierung ausgerichtet sein, wenn sie Richtung Europa schaut – eher frankophil oder eher nach Deutschland ausgerichtet?

    Zagatta: Vielleicht von den Sparvorstellungen, die hier jetzt die ganze Politik bestimmen werden vielleicht, eher nach Deutschland ausgerichtet. Man hat ja hier Rekordschulden, die Gordon Brown dem Land hinterlassen hat. Es gab Verstimmungen auch schon mit der Bundesregierung, hieß es, in der Vergangenheit, ganz einfach, weil auch Frau Merkel nicht begeistert war vom Austritt der Briten, also der Konservativen hier aus der EVP-Fraktion. Es gibt aber, darüber machen sich die Zeitungen jetzt schon lustig, das war Thema in den vergangenen Tagen, deutliche Verstimmungen vor allem zwischen der neuen Regierung hier, zwischen David Cameron und Präsident Sarkozy in Frankreich. Das geht wohl darauf zurück, dass Sarkozy ihn in Paris ziemlich von oben herab behandelt hat, bei einem ersten Treffen ihn belehrt hat, und zum anderen hat es da einen Vorfall gegeben bei einem Besuch von Sarkozy hier in Großbritannien. Da soll sich der neue starke Mann in der Regierung George Osborne, der Finanzminister, vor laufenden Kameras lustig gemacht haben über die Körpergröße von Sarkozy. Da soll das Wort "Zwerg" auch gefallen sein. Das hat also nach Informationen der britischen Presse hier zu deutlichen Verstimmungen geführt, auch zu offiziellen Protesten schon der französischen Regierung. Und da hat Frau Merkel vielleicht die leichtere Ausgangsposition. Aber nach allem, was man hört, will die neue Regierung hier ganz pragmatisch vorgehen.