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Die Liebe als Baustelle

In einem Hörspiel und einem Feature beschäftigt sich Walter van Rossum mit dem französischen Philosophen und Schriftsteller. Die spannungsvolle Geschichte eines der berühmtesten Paare des 20. Jahrhunderts, Jean Paul Sartre und Simone de Beauvoir erzählt sein Hörspiel "Die Liebe ist eine Baustelle". Darüber und über sein Sartre-Feature hat sich Frank Olbert mit Walter van Rossum unterhalten.

11.06.2005
    Frank Olbert: Herr Rossum, ich habe immer gedacht "Love is a Battlefield". Sie sagen jetzt "Die Liebe ist eine Baustelle". Das klingt viel konstruktiver.

    Walter van Rossum: Ja, so ist es auch gemeint. Das Bewundernswerte an Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir als Paar ist ja, dass sie ganz jung mit allen Konventionen brechen, ohne irgendeine Anleitung dazu zu haben. "Baustelle" ist keine Metapher von ihnen, aber es ist das, was ich dokumentieren wollte, dass es nicht reicht zu sagen: "Wir machen jetzt mal auf Libertinage", sondern dass man sich überlegt, was bedeutet das. Es war zum Teil turbulent und ist grandios schief gegangen. Aber in der Summe, finde ich, hat dieses Paar eine Innigkeit und einen Zusammenhang, wie ich es kaum je irgendwo in der Welt erlebt habe.

    Olbert: Der äußere Anlass, sich mit Sartre zu beschäftigen, ist natürlich sein 100. Geburtstag. Hatten Sie denn darüber hinaus noch ein Motiv? Er war ja lange Zeit aus der Diskussion oder aus der Mode.

    Van Rossum: Ich würde sagen: er ist mausetot. Bei dem 100. Geburtstag ist er auch noch mehrfach beerdigt worden, mit immer denselben Argumenten. Da muss man fragen, warum? Ich würde sagen, wenn Sartre "in" wäre, dann würden wir auch in anderen Zeiten leben.

    Olbert: Was meinen Sie damit? Was wären das für Zeiten?

    Van Rossum: Wenn man sich diese Kritik an Sartre ansieht, muss man sich fragen, was die Kritiker eigentlich wollen. Es ist ja keine Auseinandersetzung um philosophische Thesen. Die Figur wird lächerlich gemacht. Das politische Engagement wird lächerlich gemacht. Er hätte sich andauernd geirrt, sei für Stalin gewesen, hätte Andreas Baader besucht. Das ist alles so gar nicht richtig, wenn man mal ein bisschen auf die Umstände guckt. Aber in den heutigen Zusammenhängen reicht es, so etwas anzudeuten und schon ist das ein Suppenkasper. Wenn man das zusammenfassen wollte, worin diese ungeheure Herausforderung Sartres besteht, dann liegt es in der Auftrittsgeste, mit der er schrieb. Zunächst einmal hatte er ein Publikum, was wir heute alle von uns kaum sagen können. Und er hat auch für ein Publikum geschrieben. Er hat nicht Philosophie gemacht, um mit Philosophen zu reden oder um Hauptseminare zu bestücken, sondern er hat philosophiert, um Betriebsideen für das real existierende Leben, für die Wirklichkeit zu bekommen.

    Olbert: Sie haben ein Hörspiel und ein Feature zu Sartre gemacht. Wie sind Sie da vorgegangen? Wie haben Sie das Material auf die beiden Genres verteilt?

    Van Rossum: Bei dem Feature war es eine große Herausforderung für mich, zu diesem 100. Geburtstag noch einmal eine Figur zu zeigen, die ich großartig finde, ohne Sartre auf nur einen bestimmten Gedanken festzulegen oder zu historisieren. Ich wollte dieses generöse und zugleich sehr konkrete Denken vermitteln und habe das im Wesentlichen in meinen Kommentaren eng geführt Das Hörspiel besteht hauptsächlich aus Originalzitaten. Da wollte ich die beiden zum Sprechen bringen. Zumindest für gewisse Zeitabschnitte, in denen sie räumlich getrennt waren, gibt es gute Quellen in Form von Briefen. Ich finde, wenn man den beiden zuhört und verfolgt, wie dieses Paar nach zehn Jahren noch mit sich umgeht, dann fällt einem viel auf. Man hört auf, zu bewerten, ob sie sich moralisch verhalten haben oder nicht. das haben sie zweifelsohne nicht. Das sagen sie auch selbst.

    Termine:

    Das Hörspiel "Die Liebe ist eine Baustelle" - Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre von Walter van Rossum sendet der Deutschlandfunk am Dienstag, den 21. Juni, um 20.10 Uhr.

    Das Feature Es geht nicht darum, sich kennenzulernen, sondern sein Leben zu ändern von Walter van Rossum ist am Dienstag, den 21. Juni um 20.10 Uhr im Deutschlandfunk zu hören.

    Die Hölle - das sind die anderen, meinte Sartre und in seinem Stück Geschlossene Gesellschaft hat er sie in einen Salon des Second Empire verlegt. Die Hörspielfassung von "Geschlossene Gesellschaft" sendet der Deutschlandfunk am Samstag, den 18. Juni um 20.05 Uhr.

    Der Norddeutsche Rundfunk ehrt Jean Paul Sartre, der in diesen Tagen einhundert Jahre alt geworden wäre, mit der Ausstrahlung einer Hörspielfassung seines Stückes "Die schmutzigen Hände". Kurz vor seiner Hinwendung zur Kommunistischen Partei beschäftigte sich Sartre darin mit Gewissenskonflikten, die ein politisch motivierter Mord beim Täter auslöst. Zu hören am Mittwoch, den 22. Juni um 20.05 Uhr auf NDR Kultur.
    Eine Vorstufe zu Sartres Drama "Die schmutzigen Hände" war die dramatische Skizze "Im Räderwerk", vom Autor ursprünglich als Filmstoff gedacht. Sie handelt von dem abgesetzten Diktator eines kleinen Landes, der sich dafür verantworten muss, sein der Freiheit und Gerechtigkeit verschriebenes Programm verraten zu haben. Hartmann Goertz hat die dramatische Skizze "Im Räderwerk" zu einem Hörspiel bearbeitet. Es steht am Mittwoch, den 15. Juni um 20.05 Uhr bei HR 2 auf dem Programm.
    Auch in dem Historienstück "Der Teufel und der liebe Gott" thematisierte Sartre eine fragwürdige Gewissensentscheidung. Während des Bauernkriegs in Deutschland wandelt sich der böse Adlige Götz zum Helfer der Armen. Doch die gegen den Adel revoltierenden Bauern bedrohen am Ende auch ihn mit dem Tod. Die Hörspielfassung von Sartres Drama "Der Teufel und der liebe Gott" sendet WDR 3 am Sonntag, den 26. Juni um 20.05 Uhr.