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Die Liebe zum Oldtimer

Aufgrund der fallenden Goldpreise könnten manche Anleger in Zukunft vielleicht statt auf Goldbarren auf "Garagengold" setzen. Oldtimer und Pkw-Raritäten, die man mit Sicherheit nicht sehr schnell wieder zu Geld machen kann, die aber überaus wertbeständig sind. Der Hamburger Oldtimer-Händler Eberhard Thiesen hat sich auf diese Branche spezialisiert.

Von Godehard Weyerer | 19.04.2013
    Hamburg, Mittelweg. Den Straßenzug säumen imposante Gründerzeit-Villen. Der Eingang der Hausnummer 119 ist zu beiden Seiten eingefasst von säulenbestückten Erkern, die sich über sämtliche vier Stockwerke des Gebäudes ziehen. Im Erdgeschoss hat Eberhard Thiesen sein Büro - schwerer Sessel, großer Schreibtisch, Bücher, Bilder und allerlei Accessoires aus vielen Jahrzehnten der Automobilgeschichte. Seit den 70er-Jahren handelt der 59-Jährige mit meist sündhaft teuren Oldtimern. Das Internet kam erst später dazu:

    "Das ist auf der einen Seite ein Fluch, auf der anderen Seite ein Segen, was die Beschaffungsweise dieser Autos anbetrifft. Ich war viele Jahre unterwegs in Russland und in Afrika in den ehemaligen Kolonien, wo mal eine reiche Oberschicht war, die auch Autos zurückgelassen hat. Die andere Seite der Medaille ist, dass wir natürlich durch das Internet zunehmend mehr verkaufen. Die Romantik ist raus aus dem Geschäft. Aber so macht es auch noch Spaß."

    Eberhard Thiesen bittet in den Hinterhof. Er sperrt die Tür zu einem zweistöckigen, schmucklosen Flachbau auf und geht eine schmale Treppe hinauf. Ein Geruch aus Öl, Fett. Leder, Benzin, wie man ihn heute kaum noch kennt, liegt in der Luft:

    "Hier ist noch der Originalstoff drin, der Originalteppich, was ganz besonderes. Die Tür fällt auch sehr satt ins Schloss. Man braucht sie kaum anzustoßen."

    Auf 1000 Quadratmetern stehen 50 Oldtimer eng an eng - ein Bentley, Baujahr 1930, 6,5-Liter-Maschine mit Doppelvergaser, daneben ein Mercedes 630, Kompressor-Motor, 160 PS. 100 bis 150 Wagen, genauer gesagt die dazugehörigen Fahrzeugpapiere, gehen pro Jahr über die Ladentheke:

    "Also ich setze mich gerne in einen 300 SL Roadster, wie er hinter Ihnen steht. Das ist für mich eines der schönsten Fahrzeuge, die je gebaut worden sind. Die wurden von 57 bis 63 gebaut in einer Stückzahl von etwa 1652 Exemplaren. Der Bruder von diesem Wagen, der sogenannte Flügeltürer, der vorher gebaut wurde, wurde nicht von ungefähr zum Wagen des 20. Jahrhunderts gekürt. Die Autos gehen langsam auf die Million zu."

    Den ersten Oldtimer hatte Eberhard Thiesen, da war er gerade 18 Jahre alt. Einen Mercedes 190 Diesel, Baujahr 1959 mit Trittbrettern unter den Türen und frei stehenden Scheinwerfern. Und konnte bald keine Ersatzteile für das gute Stück mehr finden. Thiesen klapperte Mercedes-Werkstätten im Ausland ab und kaufte die Ersatzteil-Restbestände auf. 1976 stieg er in den Handel mit Oldtimern ein. Sieben Mitarbeiter helfen ihm heute dabei. Die Vorliebe für Mercedes ist geblieben:

    "Ich kann Ihnen mal den Unterschied zwischen einer Jaguar-E-Tür und einer 300 SL-Tür vorführen. Der Jaguar-E ist eine Leichtbauweise. Das ist auch ein satter Wagenschlag, aber die Tür ist sehr dünn und hallt daher etwas nach. Wenn sie einen 300 SL nehmen, eine sehr solide Tür, die hört sich etwas dumpfer an wie eine Tresortür."

    Woher all die rollenden Raritäten kommen? Aus aller Welt, antwortet Eberhard Thiesen. In den 80er-Jahren war er viel in Afrika unterwegs. Und entdeckte auf einem Schrottplatz in Tschad einen Mercedes 600 Landaulett; über der hinteren Sitzbank lässt sich das Stoffverdeck öffnen. Konrad Adenauer fuhr ein solches Modell, der Papst ebenso. 59 Stück wurden von diesem Fahrzeug gebaut. Nach einer abenteuerlichen Überführung über Kamerun und zwei Jahren aufwendiger Restaurierung verkaufte Eberhard Thiesen das Schmuckstück für damals 450.000 DM nach Österreich. Später machte er sich in der Sowjetunion auf die Suche nach Beutefahrzeugen, die die Rote Armee beschlagnahmt hatte:

    "Diese Fahrzeuge wurden dann den russischen Generälen gegeben, also die teuren Wagen. Mercedes Kompressor, Horch, Maybach. Ich habe da die skurrilsten Objekte entdeckt, umgebaut zu einem Marktfahrzeug. Das war mal der Fall bei einem Mercedes 770 Kompressor. Dieses Auto als Pick-up umgebaut zu sehen, was jahrelang in Kasachstan Gurken und Kürbisse zum Markt gefahren hat, war auf der einen Seite schon erheiternd, aber auch ein trauriger Anblick."

    Zwei Drittel der Oldtimer verkauft Eberhard Thiesen auf Kommission. Rund 100 Fahrzeuge hält er momentan vor. 50 hier in der aufgelassenen Hinterhof-Garage in Hamburg, 30 in seiner Berliner Dependance und auf einem Gelände außerhalb von Hamburg einige historische LKW. Faun, Krupp, Henschel - alte Marken mit großen Namen, die heute in Vergessenheit geraten sind. Mehr und mehr, erzählt er, bestimmen auch Anlage-Aspekte das Geschäft mit Oldtimern. Es gibt sogar einen DOX, einen Deutschen Oldtimer-Index, der in der Rendite besser abschneidet als der DAX selbst.

    Betagte Autos verursachen hohe Kosten. Versicherung, Inspektion und Wartung fallen an; Oldtimer wollen schließlich bewegt werden. Wer sich im historischen Ambiente zur Hochzeit chauffieren lassen will, dem bietet Eberhard Thiesen eines seiner Schmuckstücke an. 400 Euro kostet die Fahrt zum Standesamt. Und nicht allein die Braut in Weiß verzaubert die Hochzeitsgesellschaft. Das Meisterwerk der Technik und des Designs tut es im Mindesten ebenso.