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Die Luft macht's

Biologie. - Die Vogellungen sind wahre Hochleistungsmaschinen, die von Säugetieren eher schwache Hündchen. Biologen aus den USA haben jetzt entdeckt, dass Alligatoren vogelähnliche Lungen haben, dass diese Erfindung also schon sehr alt sein muss. Ihre Erfindung dürfte bereits im Perm, vor mehr als 251 Millionen Jahren, gelungen sein, und damals den Kampf um die Vorherrschaft im Tierreich entschieden haben. Die Forscher veröffentlichten ihre Ergebnisse in "Science".

Von Dagmar Röhrlich |
    Man glaubt es kaum - aber für einen Alligator wäre das Erklimmen selbst höchster Berge kein Problem - zumindest theoretisch:

    "Wenn sie mit der Kälte fertig würden, dann könnten sie ohne weiteres bis zur Spitze des Mount Everest laufen, ohne einen Sauerstofftank zu benötigen."

    Diese Aussage ist das Ergebnis von aufwendigen Experimenten, die die Evolutionsbiologin Colleen Farmer von der Universität von Utah in Salt Lake City durchgeführt hat, um der Funktion des Alligator-Atmungssystem nachzuspüren: Ein betäubtes Tier wurden in einen CT-Scanner geschoben, fünf anderen implantierte man für einige Zeit Durchflussmesser in den Lungen, und außerdem gab es noch Experimente mit den Lungen toter Echsen. Das Ergebnis war überraschend, so Farmer:

    "Eigentlich dachte man, dass die Alligatorlunge der Lunge von Säugetieren gleicht. Bei Säugetieren wird die Luft bis in die Lungenbläschen transportiert, die so etwas wie Sackgassen sind. Dort gelangt der Sauerstoff über die vielen Blutgefäße ins Blut, während beim Ausatmen der Abfallstoff Kohlendioxid herausgeschafft wird. Wir konnten nun zeigen, dass die Alligatorlunge ganz anders funktioniert, nämlich wie die Höchstleistungslunge der Vögel: Bei Vögeln wie Alligatoren gibt es keine "Sackgassen", sondern die Luft strömt gleichmäßig in röhrenähnlichen Strukturen - und zwar immer in eine Richtung."

    Die Luft wird in der Lunge eines Alligators also im Kreis geführt, bevor sie das Tier wieder verlässt: Der Gasaustausch wird dadurch intensiviert:

    "Wenn sich die Lungen von Alligator und Vogel gleichen, bedeutet das, dass auch der gemeinsame Urahn von Vögeln und Alligatoren solche Lungen hatte. Wir wissen, dass die Archosaurier als letzte gemeinsame Vorfahren von Krokodilen einerseits und Dinosauriern und Vögeln andererseits in der Trias gelebt haben, vor 246 Millionen Jahren. Wir wissen auch, dass der Sauerstoffgehalt in der Luft damals sehr viel geringer war als die heutigen 21 Prozent. So effiziente Lungen verschafften den Archosauriern also einen Vorteil. Ihre Lungen haben sie zu sehr guten Ausdauer-Athleten gemacht."

    Die "Erfindung" dieser Hightech-Lunge liegt jedoch noch weiter zurück in der Erdgeschichte: Sie stammt aus der Zeit vor dem größten Massenaussterben aller Zeiten, durch das vor 251 Millionen Jahren das höhere Leben auf der Erde fast ausgelöscht worden wäre. Damals brach der Sauerstoffgehalt in der Luft von rekordverdächtigen 28 oder 30 Prozent auf spärliche 12 bis 15 Prozent zusammen:

    "Unter diesen sauerstoffarmen Bedingungen brachten ihre exzellenten Lungen den Archosauriern einen Vorteil: Aus einem konstanten Luftfluss lässt sich mehr Sauerstoff für den Stoffwechsel herausholen als bei der Säugetieratmung. So konnten Ahnen der Saurier und Krokodile trotz des niedrigen Sauerstoffgehalts in der Luft einen Spurt hinlegen und Beute überwältigen. Die besseren Lungen könnten dann eine große Umwälzung in der Evolution ausgelöst haben: In der sauerstoffarmen Atmosphäre gerieten die Ahnen der Säugetiere, die bis dahin die Welt beherrscht hatten, zunehmend ins Hintertreffen, während die Ahnen der Saurier an Boden gewannen. Unserer Meinung nach kann die Lunge diesen Umschwung in der Evolution zumindest teilweise erklären."

    Colleen Farmers Ergebnisse passen sehr gut zu einem paläontologischen Forschungszweig, der seit einigen Jahren von sich reden macht. Danach soll der Sauerstoffgehalt in der Luft ein wichtiger Weichensteller für die Evolution sein. Die Datenbasis, nach der an dieser Idee etwas dran sein könnte, wird immer breiter.