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Die Lyrik der Sozialdemokratie

Wolfgang Thierse will mit einem besonderen Ohrenschmaus das Fest verschönern. Der SPD-Politiker liest für ein Hörbuch das neue Grundsatzprogramm seiner Partei.

Von Norbert Seitz |
    Wer in diesen Tagen im weihnachtlichen CD-Angebot herumstöbert, stößt zwischen Anna Netrebko und Harry Potter auf die frohe Botschaft eines in der Regel eher unfrohen Zeitgenossen, der sich zudem gar nicht mehr groß verkleiden muss, um vollbärtig mit einem leibhaftigen Weihnachtsmann verwechselt zu werden.

    Die Rede ist vom SPD-Politiker Wolfgang Thierse, der uns mit einem besonderen Ohrenschmaus das Fest literarisch verschönern möchte. Doch weit gefehlt, davon auszugehen, dass uns der Mann vom Prenzlauer Berg etwas Lyrisches oder sogar seine musikalischen Präferenzen präsentieren wollte.

    Nein, Wolfgang Thierse hat mehr vor und gibt uns weihnachtsgerecht eine große Erzählung zum Besten, in der es von altbösen Feinden und menschheitsbeglückenden Heilsbringern nur so wimmelt. Gemeint ist das neue Grundsatzprogramm der SPD, das nach siebenjähriger Diskussion und unter Verschleiß von fünf Parteivorsitzenden, mit Thierses Timbre vorgetragen, sich wie folgt anhört:

    "Die Zukunft ist offen - voll neuer Möglichkeiten, aber auch voller Gefahren. Deshalb müssen Fortschritt und soziale Gerechtigkeit demokratisch erkämpft werden. Den Menschen verpflichtet, in der stolzen Tradition des demokratischen Sozialismus, mit Sinn für Realität und mit Tatkraft, stellt sich die deutsche Sozialdemokratie in der Welt des 21. Jahrhunderts ihren Aufgaben."

    Kein Zweifel, bei Wolfgang Thierse hört sich noch jede froh gemeinte Botschaft wie eine versteckte Drohgebärde an. Er liest, als wenn er geradewegs mit der Bibel-CD des Schauspielers Ben Becker in Konkurrenz treten wollte.

    Der Mann mit dem moralisierenden Zeigefinger meint es indes ernst, hatte er doch seiner Partei im Kampf gegen den globalisierten Kapitalismus eine große Erzählung als Programm abverlangt, mit der er die postmodernen und neoliberalen Zeitgeister zu verscheuchen glaubt.

    Stattdessen möchte er die Auseinandersetzung gegen Heuschrecken und Sozialdumper mit jener ewiggültigen Botschaft gewinnen, die wieder ausgekramt zu haben er sich als prophetisches Verdienst zugute halten dürfte:

    "Der demokratische Sozialismus bleibt für uns die Vision einer freien, gerechten und solidarischen Gesellschaft, deren Verwirklichung für uns eine dauernde Aufgabe ist. Das Prinzip unseres Handelns ist die soziale Demokratie."

    Die Doppel-CD mit Wolfgang Thierses gelesenem Parteiprogramm wird in seiner untereinander so solidarischen Partei gewiss Neider und Nachahmer auf den Plan rufen. Wie wäre es also zur nächsten Weihnacht mit einer von Sigmar Gabriel zelebrierten Schadstoffsbegrenzungsmesse zur Rettung der Menschheit, Andrea Nahles als tirilierendem Unschuldsengelchen oder spritzgebackenen Willy-Brandt-Elogen von Klaus Harpprecht?

    So scheint sich Wolfgang Thierse nicht nur beim Recycling des Sozialismus-Begriffes, sondern am Ende auch als medienelektronischer Pionierarbeiter in einer ansonsten so fortschrittsskeptischen Partei verdient gemacht zu haben. Doch unser missionarischer Vorleser weiß nur zu gut, dass es mit der Arbeit so eine Sache ist:

    "Titel vier, drittes Kapitel, sechster Abschnitt: Gute Arbeit für alle ( ... ) Jede gut gemachte Arbeit verdient Respekt, aber nicht jede Arbeit ist gute Arbeit."