Sonntag, 12. Mai 2024


Die lyrix-Gewinner im August 2010

Im August solltet ihr "Warten auf das was kommt". Hier sind die Gewinnergedichte aus dem In- und Ausland.

28.09.2010
    In euren Gedichten seid ihr ganz unterschiedlich mit dem Thema "Warten auf das was kommt" umgegangen. Manche von euch haben das Warten auf eine Erklärung oder Entschuldigung beschrieben. Andere von euch erzählten von dem Warten auf den richtigen Moment, der vielleicht nie kommen wird. Auch das Warten auf die Rückkehr eines geliebten Menschen war häufig Thema in euren Gedichten. Während einige von euch die Hoffnung auf eine bessere Zukunft zum Ausdruck gebracht haben, beschrieben andere eine von Technik beherrschte, düstere Zukunftsvision.

    Im September lautet unser Leitmotiv: Familienalbum

    Hier sind die lyrix-Gewinnerinnen und -Gewinner, deren Gedichte die Jury im August am meisten überzeugt hat. Herzlichen Glückwunsch!



    Verhängnis Mensch

    an manchen tagen da breitest du
    einen sorgenfaltenteppich
    über meiner stirn aus

    da bist du
    die einzige sauerstoffflasche
    doch du sinkst schnell und
    ich schlucke schon wasser

    da werden deine worte
    mir zugespiene magmabrocken
    das brennen gibt sich doch
    ich weiche kleinlaut
    vor dir zurück

    da blicke ich mit
    strahlenden augen auf den
    kleinen luftballon den du mir reichst bevor du mich aus dem flugzeug schubst

    an jedem tag da warte ich darauf
    dass du mir nichts dir nichts ein
    ich
    nichts
    du
    schaffst
    alle entfernung zu mir
    ablegst

    am letzten tag da werden mir die worte
    über dich im mund splittern
    und ich werde nicht weiter
    reden können

    ich warte trotzdem


    (Jonas Kohnen aus Ludwigshafen, Deutschland, Heinrich-Böll-Gymnasium Ludwigshafen, Jahrgangsstufe 11, Muttersprache: deutsch)


    Mach das Fenster auf.

    Gitarrenmusik auf den Ohren
    Haben wir in Zügen gesessen und
    Vorwärts fahrend
    Rückwärts geträumt
    Mit offenen Augen und vernunftverklebten Gesichtern
    Von morgen geredet
    Gestern unter den Nägeln
    Zeitschleife.
    Wir wollten immer weiter
    Wachsüchtig, rastlos, wir zerbröseln uns,
    Geradeaus blickend
    Und hinterlassen eine Spur aus Brotkrumen
    Die wir nie zurückverfolgen.
    Wir weinen nicht.
    Mach das Fenster auf, die Luft schmeckt nach gestern.


    (Josefine Berkholz aus Berlin, Deutschland, Romain Rolland Oberschule, Jahrgangsstufe 10, Muttersprache: deutsch)


    Wunschdenken

    Hast niemals keine Zeit für nix
    weil ein Erfolgsplan nötig ist
    wo du in 20 jahren wohnst
    was du trägst, wer genau du bist
    Du siehst die Zukunft wie das Meer
    unendlich weit, doch klar begrenzt
    musst jetzt wissen, was noch kommt
    willst, dass du die Gezeiten kennst

    Werd das Gefühl einfach nicht los
    dass du den Sinn nicht ganz durchschaust
    erträum weiter dein Schicksal,
    denn es lacht dich sowieso nur aus
    Fällt heute nacht ein Meteorit ganz ungeschickt,
    dann war‘s das fast oder ein Blitz trifft dich plötzlich

    Zukunft vorbei, Leben verpasst

    Denn wie viel wäre es noch wert
    morgen leben anzufangen
    wenn du‘s versäumt hast, bis hierher
    nur in Wünschen fern gefangen


    Luca-Franziska Detemple aus Rottweil, Deutschland, Albertus-Magnus-Gymnasium, Jahrgangsstufe 12, Mutterspraache: deutsch)


    Auf der Parkbank

    Eingesunken die schwache Gestalt
    Schien aufgemalt auf die morsche Parkbank
    Die im letzten Winterlicht
    Sonnenstrahlen einzufangen versuchte
    Hoffnungshungernd die schwache Gestalt
    Klammernd an leere Worte
    Die Hilfsorganisationen ihr zuschmissen
    Als Knebel für unerwünschte Wahrheiten
    Zitternd die schwache Gestalt
    Schreiend in stummen Gebeten
    In der Hand einen tränendurchnässten
    Letzten Liebesbrief eines "Vermissten"
    Lächelnd die schwache Gestalt
    Die in die untergehende Sonne blickte
    Und auf der morschen Parkbank
    Die Zeit verstreichen ließ
    Hier hatten sie sich geküsst – zum ersten Mal
    Hier hatten sie getanzt – so überglücklich
    Hier hatten sie geweint – als sie ihn eingezogen
    Hier würde sie warten


    (Anna Neocleous aus Rietberg, Deutschland, Gymnasium Nepomucenum Rietberg, Jahrgangsstufe 11, Muttersprache: deutsch und griechisch)


    und wie immer

    warten
    auf den richtigen Moment
    für ein ‚ich liebe dich’
    auf den perfekten Menschen
    die Illusion der Vollkommenheit
    und Erfüllung aller Sehnsüchte
    auf die passende Situation
    für alles und mehr
    warten auf die Gelegenheit
    verzeihender Worte
    vergebender Gesten
    überfälliger Entschuldigungen
    warten auf den perfekten Tag
    fürs Glücklichsein
    die perfekte Woche
    für die lang geplante Reise
    ans Ende der Welt
    warten auf die Sekunde
    des Anfangs einer neuen Zeit
    einer Zeit ohne später
    ohne früher und gestern
    einer Zeit
    ohne Verlangen nach Perfektion
    eine Zeit
    für irgendwen und irgendwo
    für irgendwas. Irgendwann
    eine Zeit
    des Erwachens
    und Begreifens
    dass das Leben endlich ist
    das Verschieben auf morgen
    vielleicht das Vergeben
    einer einmaligen Chance
    die Gewissheit
    dass es eines Tages
    zu spät für vieles ist
    und das Warten
    auf Unsterblichkeit
    vergebens


    (Larissa Hieber aus Schwäbisch Gmünd, Deutschland, Hans-Baldung-Gymnasium, Jahrgangsstufe 10, Muttersprache: deutsch)



    Und hier die Gewinner aus dem Ausland:

    Hoffnung(slos)

    Die Flügel der Gegenwart segeln schwach,
    Porträtieren sie als ergraut,
    Fast senil, zu monoton.
    Wenn kein Fortschritt in Sicht ist,
    Worauf arbeiten wir dann hin auf diesem Weg in die unerträgliche Unendlichkeit?
    Es gibt einen der die Hoffnung noch nicht verloren hat,
    Ich lebe und ackere für etwas Besseres.
    Was für ein Narr...


    (Haris Poturkovic aus Zenica, Bosnien und Herzegowina, Erstes Gymnasium in Zenica, Jahrgangsstufe 10, Muttersprache: bosnisch)


    Kommst du wieder?

    Du bist weg!
    Du bist einfach weggegangen...
    Ohne mich mitzunehmen!
    Hast du vergessen?
    Hast du vergessen,
    dass du mein bester Freund warst?
    Und dass ich ohne dich nicht weiter kann?
    Du hast mit dir
    einen Teil von mir
    mitgenommen!

    Und jetzt...
    Was kommt jetzt?

    Kommst du?
    Kommst du, um mich abzuholen?
    Oder denkst du nicht mehr an mich?
    Ich brauch dich!
    Ich brauch dich
    mehr als alles Andere!
    Bitte...
    Komm zurück!


    (Isabella von Wallwitz aus São Paulo, Brasilien, Colégio Visconde de Porto Seguro, Jahrgangsstufe 6, Muttersprache: portugiesisch)


    Alte Optimistin

    Die Leere der Kindheitsvergangenheit
    geramt in misshandelten Gedanken
    wartet auf einen Paradis-Augenblick.
    In der alten Seele der Frau
    wartet Jünglingshoffnung
    versteckt im verrosteten Buch.
    Erwartet der verbrauchten
    - durch Herkommen der Träume -
    verschluckten Zeit rettet 'ne rote Uhr,
    um das Warten festzuhalten.


    (Anna Bernat aus Radom, Polen, Ogólnoksztalcaca Szkola Sztuk Pieknych, Lyzeum für angewandte Künste, Jahrgangsstufe 10, Muttersprache: polnisch)


    Saga der Zukunft

    Morgen.
    Tausende Maschinen
    Säen die Neon-Kälte.
    Blitzschnell füllen sich mit Benzin
    Ihre Benzinbehälter.

    Morgen.
    Tausende Motoren
    Erhitzen gehorsam das Eisen.
    Jeden deinen Traum zerstören
    Tote Mikroschaltkreise.

    Morgen.
    Tausende Algorithmen
    Kontrollieren das stählerne Herz.
    In der giftigen Luft zittern
    Tausende Kilohertz.


    (Valentyna Bilokrynytska aus Tscherkassy, Ukraine, Cherkaska Himnazija Nr. 31, Jahrgangsstufe 10, Muttersprache: ukrainisch)


    Warten

    Ich warte.
    Ich warte auf die Zukunft,
    die so weit weg ist.
    Ich warte auf die Sätze,
    die mir alles erklären.
    Auf die Augen,
    die mich verstehen!
    Ich warte auf die richtigen Leute,
    die einzelnen Momente, die ich nie vergessen werde.
    Warte auf unbeschreibliche Geschichten…

    Worauf warte ich wirklich?
    Ich brauche nur den Willen.
    Eine Bewegung kann alles verändern,
    und ein Lächeln auch.
    Aber ich warte…immer noch….


    (Beatriz Albuquerque aus Amadora, Portugal, Schule Oficinas de S.Jose., Jahrgangsstufe 10, Muttersprache: portugiesisch)