Die »lyrix«-Gewinner im Januar 2014

2014 jährt sich der Beginn des Ersten Weltkrieges zum hundertsten Mal. Anlässlich dieses Ereignisses hat »lyrix« seit November 2013 in Kooperation mit dem Friedrich-Bödecker-Kreis ein Sonderprojekt mit Werkstätten zum Thema "Krieg und Frieden" veranstaltet.

    Blick auf die Bundeskunsthalle in Bonn
    Blick auf die Bundeskunsthalle in Bonn (Foto: Peter Oszvald; Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn)
    Die Ergebnisse der Werkstätten und auch ausgewählte Texte aus dem bundesweiten Wettbewerb wurden Anfang April im Rahmen des Symposiums "1914-2014. Ein europäisches Jahrhundert", das im Kölner Funkhaus des Deutschlandradios stattfand, präsentiert.
    So zahlreich und vielfältig eure Einsendungen waren, fällt doch auf, dass die Mehrheit eurer Gedichte den Krieg thematisiert, nicht den Frieden. Ihr vermittelt, welche Bedeutung der Krieg für den Einzelnen haben kann, beschreibt die unmenschlichen Dinge, die ein Krieg hervorbringt und welche Auswirkungen er auf Menschen und ihr gesamtes Umfeld hat.
    Hier nun die Auswahl der 5 gelungensten Gedichte zum Thema "Krieg und Frieden":
    Demokratien führen keinen Krieg
    Demokratien sprechen nicht vom Krieg
    um des Sieges Willen
    Demokratien sprechen vom Krieg
    um des Friedens Willen
    Demokratien erobern nicht
    um Besitz zu erbeuten
    Demokratien erobern
    um Eigentum zu sichern
    Demokratien kämpfen nicht
    gegen ihre Feinde
    Demokratien kämpfen
    für ihre Freunde
    Demokratien triumphieren nicht
    auf Kosten ihrer Bürger
    Demokratien triumphieren
    auf Kosten ihrer Gegner
    Demokratien dient das Gedenken nicht
    als Rache für die Opfer
    Demokratien dient das Gedenken
    als Mahnmal für die Kinder
    Demokratien führen keinen Krieg
    gegeneinander
    Demokratien führen Krieg
    füreinander
    (Philippe Bürgin aus Weil am Rhein, Mathilde-Planck-Schule Lörrach, Jahrgang 1994)
    o.T.
    Ach, meine Eirene,
    für dich, du schönstes Tier,
    der schönste Name: Friede
    Schneeweiß dein Katzenfell,
    Mein heißgeliebter Friede.
    Wunderbare Samt’ne,
    Zu dir nur sprech ich offen:
    Ich habe Angst um dich!
    Ich sah, wie meine Eltern
    Geheim Ares gefüttert,
    Den großen roten Hund,
    Draußen vor der Balkontür.
    Er jagt und tötet alles –
    Wie’s scheint macht ihm das Spaß.
    Und seine Beute schmeckt,
    Ach Liebste, allzu gut.
    Wir essen sie, Eirene,
    Wenn Ares sie getötet.
    Drum füttern meine Eltern
    Den mörderischen Hund,
    Auch wenn er nicht ins Haus darf,
    und helfen ihm beim Jagen.
    Ich kenn ihn nur von ferne
    Und fürcht' ihn doch so sehr.
    Und, meine schöne Weiße,
    Was ist, wenn irgendwann –
    Dort draußen alles tot –
    Der Schlimme hier hereinkommt?
    Die Scheiben sind sehr dünn,
    Die ihn nur von uns trennen.
    Er würde alles töten
    Und dich, Schönste, zuerst,
    Oh zarteste Eirene.
    Verletzliche Geliebte,
    Ich habe solche Angst.
    Ich wüsste ja die Lösung:
    Man müsste ihn betäuben
    Und dann im Schlafe halten,
    Denn sterben kann er nicht.
    Doch teuer wär’s und schwierig,
    Viel Bildung wär vonnöten,
    Viel Stärke bräucht es hier.
    Und alle müssten wissen,
    Wie man den Schlaf erhält,
    Die Kinder müssten’s lernen,
    Den Enkeln weitergeben –
    Nein, einfach wär es nicht.
    Und doch: Dich zu bewahren –
    Es wär den Aufwand wert.
    Es sei der Schlaf des Ares
    Des Menschen höchstes Ziel!
    (Gabriel Ascanio Hecker aus München, Ludwig-Maximilians-Universität, Jahrgang 1996)
    AfghanischerAugenblick

    Staub wirbelt auf
    dem Weg vom Wind getragen
    ziehen wir ein am Straßenrand
    schemenhafte Gestalten
    ein junges Mädchen hebt ihren Blick
    zu mir sprechen wässrige Augen
    schwarz wie die Nacht
    voll innerer Tiefe berühren sie
    mein Herz gefüllt mit eiskaltem Leben
    Glaube und Zweifel
    an mir das spüre ich
    in ihrem Ausdruck liegt Leid
    kindliche Erfahrung und Ungewissheit
    die ich nicht verstehen kann
    ganz langsam
    hebt sie die Hand
    zeichnet Hoffnung in den Staub
    der meine Lunge erfüllt in diesem Land
    sehe ich Zukunft in ihren Augen
    zerrissen der Vorhang aus Sand
    verliere ich sie doch niemals
    vergessen ihr Bruder
    der Nächste vielleicht
    tot durch die Waffen
    des Friedens.
    (Kathrin Moll aus Altdorf, Gymnasium Neckartenzlingen, Jahrgang 1996)
    Feldarzt bei der Zigarettenpause (1915)
    Blutrot, was das klebte
    Am schwarzen Kragen.
    Die Nacht, die webte
    ein Tuch über lautes, stilles Jammerklagen.
    Ein roter Strich gesetzt,
    Orthogonal dazu ein zweiter.
    Der Blick nachdenklich und gehetzt.
    Wie lebt man weiter?
    Zitternder Hand hält man den glimmenden Stiel
    um zu vergessen den Albtraum, den man gesehen.
    Blutend und lebend und sterbend und schreiend
    ein Fetzen Körper- es fielen viel zu viel.
    Hass auf die andern, Hass auf die eignen. Dem gestorbenen Freund nachweinend.
    Wie soll es weitergehen?
    Wie geht es weiter? Was ist geblieben
    von der altbekannten Welt?
    In Erinnerungen gefangen das alte, im Spiegel unerkannt geblieben
    das eigene Selbst.
    Unverändert die schwarze Nacht.
    Zum Himmel ein letzter Blick.
    Stöhnen und Klagen halten Wacht.
    Morgen wird es wieder so sein,
    Schweigend ins Zelt zurück-
    hoffnungslos und allein.
    (Marie Julie Rahenbrock aus Wietmarschen, Gymnasium Nordhorn, Jahrgang 1998)
    Krieg im Stundenglas
    Schultere deinen fauligen Tornister
    und lache nicht, denn du gehst fort
    wache lieber, schieß Gespenster
    und verbirg dich bitte dem trotzigen Tod
    Morgen schon, wenn die Feldpost naht
    rat ich dir,
    geh nicht zur Arbeit
    schließ dich ein, begeh Verrat
    Was ist das schon, ein Kriegsgetümmel,
    ist es kleiner ohne dich?
    Also frisst du brav die Briefe und Kümmel
    schnupfst du, wenn du brichst
    Wolltest du nicht nur Französisch lernen
    oder Dänisch, Dialekt?,
    wolltest du nicht nur Reisen gehen?
    Doch dein Zug, er fuhr schon weg
    Kinder winkten aus den Fenstern,
    winkten den Bäumen, dir doch nicht
    du denkst an deine Frau, musst heulen,
    denkst noch ans Kind, dann an die Pflicht
    Manchmal ist das Scheiden schwer
    verschieden sein auch,
    nur für dich nicht mehr
    Schreibe Briefe an deinen Schatten,
    dressiere Flöhe, zähme Ratten
    irgendwas wird sich schon finden,
    für die armen Invaliden
    Doch lieber Mann, vertraue mir,
    bauen kannst du nicht auf mich,
    sich noch einmal lieben lassen
    von einem Mann, der Schädel bricht?
    Nein, du musst jetzt selber sehen
    hungern, kämpfen, siechen gehen
    In deinem dagelassenen Kopf
    sah ich später mein Herz in Wunden
    den Frieden hast du noch im Kampf,
    den Krieg im Leben nur gefunden
    Du spielst jetzt Krieg im Stundenglas
    schießt stundenlang auf Sand und Gas
    siehst keinen Menschen im Gefecht,
    bis es einer dreht - mit Recht
    (Moritz Schlenstedt aus Dresden, Evangelisches Kreuzgymnasium, Jahrgang 1996)
    Laut aktuellen Wettbewerbsbedingungen dürfen nur Jugendliche mit Wohnsitz in Deutschland teilnehmen. Uns erreichen aber immer wieder Einsendungen aus der Schweiz oder aus Österreich, die ebenfalls von unserer Jury gelesen werden. Hier also - außer Konkurenz - das Gedicht einer Schülerin aus der Schweiz, das uns auch sehr überzeugt hat.
    Der junge Soldat

    Mein Leben schwindet,
    Von Stunde zu Stunde,
    Von Sekunde zu Sekunde,
    Von Minute zu Minute,
    Immer mehr.
    Ich lieg nur da,
    Schutzlos,
    Im Schlamm,
    Und höre dem Pulsieren meines Herzens zu.
    Ich versuche mich zu erinnern,
    An die wunderbarenTage,
    Zurück an meine Mutter,
    Ihr warmherziges Lachen,
    Ich muss weg von hier,
    hin zu ihr,
    Der Wille ist da,
    Die Erschöpfung zu gross,
    Ich fühle den Schmerz meiner unzähligen Wunden,
    Die sich das Blut blutwarm über meine Haut ergiesst.
    Angst, Angst wird immer grösser und verschlingt mich fast ganz
    Die Angst vor dem Kommenden, die Angst vor dem Tod.
    Ich werde gehoben, eher gezogen,
    Ich schaue unter mir,
    Mein Körper erschlafft,
    Nur noch eine leblose Hülle,
    Ich werde getragen.
    Ohne Schmerzen,
    Frei in Frieden
    Dem Licht entgegen.
    (Adna Draxl aus Rheinfelden, Rudolf Steiner Schule, Jahrgang 1999)