Freitag, 29. März 2024


Die lyrix-Gewinner im Januar und Februar 2011

Alles über den Künstler – wie das gleichnamige Gedicht von Robert Gernhardt lautete auch unser Leitmotiv im Januar und Februar. Gemeinsam mit Carl Spitzwegs Bild "Der arme Poet" aus der Neuen Pinakothek in München diente es euch als Inspirationsquelle zu Texten über Künstler und ihre Kunst. Hier sind die Gewinner der ersten Leitmotivrunde 2011.

25.07.2011
    Die von euch eingesendeten Gedichte setzen sich nicht nur mit dem Bild des Künstlers, sondern auch mit dem Begriff Kunst und der Wahrnehmung von Kunst auseinander. Dabei haben die meisten von euch besonders die Malerei, die Musik und natürlich die Dichtung ausgewählt, um sie als Kunstform in euren Texten zu thematisieren. Die Ambivalenz der Kunst genauso wie ihr Zauber sind zentrale Aspekte vieler Gedichte.

    Hier sind die Gedichte aus dem In- und Ausland, die die lyrix-Jury ausgewählt hat. Wir gratulieren allen Gewinnern ganz herzlich!


    An der Straßenecke
    Der Mann an der Straßenecke.
    Du hast ihm einen Mitleidseuro
    In sein Leben geschmissen
    Und nicht verstanden,
    Dass er dich
    Angelächelt hat.

    Der Alte an der Straßenecke.
    Du hast im Vorbeigehen
    Den Kopf geschüttelt
    Und nicht verstanden,
    Dass er sich von da unten
    Die Schönheit der Welt ansieht.

    Der Penner an der Straßenecke.
    Du hast sein Fleckchen Welt
    Mit Blicken beschmiert
    Und nicht verstanden,
    Dass er dort
    Alltagswunder aufbewahrt.

    Der Künstler an der Straßenecke.
    Du hast ihn mit Gedanken
    Bespuckt
    Und nichts verstanden.


    (Anna Neocleous aus Rietberg, Deutschland, Gymnasium Nepomucenum Rietberg, Jahrgangsstufe 12, Muttersprache: deutsch)


    Des Dichters Wahn

    Tinte entströmt meinem Denken
    Wie Blut zu Blütenblattpapier
    Sinne lassen sich kaum lenken
    In mir tobt die Schattengier

    Die Unschuldstage sind vorbei
    Der wilde Hunger ist erwacht
    Die Sehnsucht nach Phantasterei
    Hat mich um den Schlaf gebracht

    Stück für Stück zerfließe ich
    Auf das Weiß werd‘ ich gebannt
    Denn so bin ich ewiglich
    In den Saum der Zeit gebrannt

    Nur ein Platz am Himmelszelt
    Jenes sei mir wohl gewährt
    Wenn in den Klauen dieser Welt
    Doch mein Name schon verjährt

    In meinem Federspurenland
    Hat Erfolg Verrat geboren
    Als ich sie blind zusammen fand
    Hab ich einzig mich verloren


    (Sophie Garbe aus Tübingen, Deutschland, Uhlandgymnasium, Jahrgangsstufe 11, Muttersprache: deutsch)


    Ich fragt mich, warum ich nicht rede
    Ich kann - nicht, will - nicht, werd' - nicht, nein!
    Mein Kopf ist voll von Formen, Farben
    Wenn ihr könnt, seht einmal hinein:

    Leuchtend rinnt die rote Farbe
    Auf der Leinwand, wie mein Blut.
    Ohne Rücksicht, jede Vorsicht
    Fing ich jene Feuersglut.

    Hastig zucken meine Finger,
    Es ist dunkel um mich, Nacht.
    Doch ich erzeuge hier, jetzt Feuer -
    Noch ein Strich, es ist vollbracht!

    Denn ich bin ein Zaubr'r, Magier,
    Kann erschaffen, was ich will:
    Innen bin ich der Reichste aller
    Nur außen bin ich arm und still.


    (Stephanie Klusekemper aus Rheine, Deutschland, Arnold-Janssen-Gymnasium, Jahrgangsstufe 11, Muttersprache: deutsch)


    Geschichten

    Ich hauche Papier
    wieder Leben ein.
    Erschaffe Welten,
    allein durch mein Schreiben.
    Erzähle damit Geschichten,
    mal böse, mal gut,
    mal politisch korrekt
    oder den Kopf voller Wut.
    Ich denke und dichte,
    erwecke Gestalten,
    die sich selbst erst
    währenddessen gestalten.
    Sie haben Charakter,
    nicht immer akzeptiert,
    wenn nicht gesellschaftsfähig,
    gehasst und ignoriert.
    So zerstört ruhig meine Schriften
    für die ich mich quäle,
    zerreißt meine Blätter,
    zerreißt meine Seele.


    (Joris Grahl aus Aurich, Deutschland, IGS Aurich-West, Jahrgangsstufe 13, Muttersprache: deutsch)


    Tanzende Maiblumen im Kopf, im Ohr honigfarbener Duft,
    eifert das schaffende Wesen nach der höchsten Ästhetik der Welt.
    Unendliches Meer, Garten, Nymphen, orange leuchtende Luft.
    Süßer Klang, Staunen, Seelen füllen das majestätische Sternenzelt.
    Schmetterlinge singen, kreiert, lesen, Tag um Tag.
    Des Alltags Spiegel sowie Flucht: Kunst, Musik, Poesie.
    Unhübsche Dunkelheit, dem Menschen verwünscht, jede Nacht.
    Facettenreiches Leben wie das Leben selbst träumt nie.
    Getragen vom hartsanften Hauche durch Pech und Glück,
    im Strom des Ungewissen schwimmt das Strebende hin und zurück.
    Das Edle, zugleich Elende schreibt, sitzt am Klavier, malt,
    ferne Klarinettenmelodie gibt dem beflügelten Geist keinen Halt.


    (Yike Guo aus Darmstadt, Deutschland, Georg-Büchner-Schule, Gymnasium der Stadt Darmstadt, Jahrgangsstufe 13, Muttersprache: chinesisch)


    schiller am neckar

    bunkergleich
    zementgeerdet
    liegt der bau
    mit schießscharten
    versehen

    bedrohlich große
    auswüchse
    abwehrverästelungen

    mittelalterlich
    überhängig
    krähen
    beschrien

    unfassbar
    wie bedrohliche
    kriegserinnerungen

    reumütig weniger
    mehr agressiv
    zeitverwesend


    (Jan Moritz Molitor aus Gebesee, Deutschland, Oskar Gründler Gymnasium, Jahrgangsstufe 12, Muttersprache: deutsch)


    Und hier die Gewinner aus dem Ausland

    Alles über den Künstler

    Er schrieb mir das Lächeln ins Gesicht,
    Malte mir eine Träne,
    Dichtete mir sein Gedicht,
    Ins Herz.

    Er sah mit anderen Augen,
    So scharf, so stark,
    Hörte und sang und spielte mir
    Seine Musik,
    Ins Herz.

    Die Kunst ist sein Fluch,
    sein Gewehr.
    Einerseits schützt sie ihn,
    Andererseits dient sie ihm zum Selbstmord.


    (Haris Poturcović aus Zenica, Bosnien und Herzegowina, Erstes Gymnasium in Zenica, Jahrgangsstufe 11, Muttersprache: bosnisch)


    Der Zauberer

    Wenn dir aus Ton ein Lächeln geschenkt wird
    Wenn aus der Tinte ein Fluss entspringt
    Wenn aus Farben ein Regenbogen entsteht
    Das ist der wahrhafte Künstler.
    Wenn ein sauberes Papier zur Natur wird
    Wenn von einer Ebene das Gebirge entsteht
    Wenn aus Stein ein Wesen geboren wird
    Das ist ein Kϋnstler in seiner Freiheit.


    (Edin Ibreljić aus Zenica, Bosnien und Herzegowina, Erstes Gymnasium in Zenica, Jahrganggstufe 12, Muttersprache: bosnisch)