Mittwoch, 24. April 2024


Die lyrix-Gewinner im Juli und August 2011

"Lebensräume - drinnen und draußen" lautete das Leitmotiv im Juli und August. Kreative Impulse sollten euch zwei Gedichte von Thomas Kling sowie Architekturen aus dem Museum Insel Hombroich geben.

10.10.2011
    Museum Insel Hombroich
    Museum Insel Hombroich (Tomas Riehle)
    Dichter Thomas Kling setzt sich in seinen Werken mit der Veränderung von Lebensräumen auseinander, wobei die Natur ein dominierendes Element darstellt. Wir wollten von euch wissen, was ihr seht, wenn ihr nach drinnen oder nach draußen blickt und wozu euch dieser Blick inspiriert.

    Erreicht haben uns zahlreiche Gedichte über die Natur, den Menschen und seine verschiedenen Gefühle in Bezug auf seinen Lebensraum. In vielen eurer Texte werden eure negativen Assoziationen mit Innenräumen und Städten deutlich. Im Gegensatz dazu steht die Natur, die häufig als belebender Zufluchtsort dargestellt wird.

    Herzlichen Glückwunsch den Gewinnern!

    Hier die Texte der Leitmotivrundengewinner aus dem Inland:

    Es ist unter dem Lampenschirm hervorgekrochen,
    das Licht,
    Ist einmal durch den Raum getänzelt
    Über den glänzenden Langfaserteppich
    Zur Jugendstil-Kommode,
    überlegte kurz ob es der Spalt zwischen Tapete und Sofa wert ist
    zu strahlen.
    Schwebte weiter Richtung Konzertflügel
    Zu den bodenlangen Gardinen,
    den bodentiefen Fenstern,
    und kam
    durch das Fenster
    zu mir.
    In die Dunkelheit,
    in die Kälte,
    in die Ungewissheit,
    Schob sich zwischen mich und mein ungewaschenes,
    löchriges T-Shirt,
    fand zwischen zwei freigelegten Rippen Platz,
    nistete sich in mein Herz,
    und ließ mich lächeln.


    (Johanna Fugmann aus Memmelsdorf, Deutschland, Dientzenhofer-Gymnasium Bamberg, Jahrgangsstufe 8, Muttersprache: deutsch)


    Das Glasfenster
    oh wie trügerisch
    der Anblick in die weite Ferne
    grüne Bäume, hohe Felsen
    du über ihnen
    stehend auf Glas
    rundherum Glas
    unter dir, in die Tiefe
    etliche Schichten von glasklarem
    Glas
    aber kein Grashalm ist mehr zu sehen
    keine Bewegung -
    sonst machst du was kaputt
    keine Berührung -
    sonst machst du etwas dreckig
    kannst du es nicht genießen? den schönen Ausblick,
    das unbeschwerte Atmen - nirgendwo ist ja ein
    Windhauch
    die Ruhe wegen der Stille
    und die Aufmerksamkeit von allen, weil sie
    darauf warten, was du machst
    es sind die, die noch Farbe haben
    und deswegen nicht zu Glas wurden
    sie spielen dir den Ball zu
    ein echter Ball
    schwarz und weiß
    aus echtem Leder
    schön zu spielen, hart im Schuss
    annehmen kannst du ihn
    schieße ihn, zerbreche das Glas
    laufe dem Ball hinterher
    lasse dich fallen
    vielleicht fängt der Baum dich auf.


    (Bettina Diller aus Kranzberg, Deutschland, Imma-Mack-Realschule Eching, Jahrgangsstufe 10, Muttersprache: deutsch)


    Offenes Fenster zur Straße

    Verwaschene, weite, unendliche Luftgebilde
    Stehend-schwebend, wild und frei
    Betonene Fesseln drücken es nieder
    Bedrängend einzwängen ist die Devise von Haus mit Straße
    Beglückend Bedrohung der neongelben Sängerin
    Insekt in konkurrenzvollem Verhalten imponiert Blechschaden und grellroter Ampel-Angst
    Trennung der Emulsion?
    Metastasen der Geschwüre sind hier nicht heilbar!
    Heile, unversehrte Welt
    Tier und Strauch vor meinem blinden Auge
    Schockgefrornes Lid öffnet dem Grauen Tor und Ohr
    Umfängt es liebevoll brutal
    Hauch von Liebe, Streif von Glück
    Brennt Ausblick in die Seite
    Das blinde Auge schreckt zurück
    Und öffnet sich der Weite
    Vom grauen Star geheilt, lieblich umfangend sein Heim.


    (Moira Neumann aus Wehrheim, Deutschland, Kaiserin-Friedrich-Gymnasium, Jahrgangsstufe 13, Muttersprache: deutsch)


    Hafengraffiti (Dual)

    Da ist ein Hafen
    Und da sind
    Füße und Segel und Söge
    Die ziehn mich und zögen noch ewig,
    das weiß ich, wenn ich nicht –
    halt.
    Da ist ein Hafen
    Da sind
    Taue und Tauben und Teer.
    Schlick ist und Luft und Geruch und
    Blei.
    Eintopf und Duft mit Graffiti und Straßenkreide
    Ich bleibe hier ewig
    Wenn ich nicht –
    geh.
    Renn. Das Wachs in den Venen wird kalt
    Wir müssen hier weg, wir müssen doch –
    Halt.
    Da bin ich.
    Was wär ich?
    Wenn ich nicht –
    Wehr' ich mich?
    geh!
    halt.
    Gib halt.
    Lauf weiter, veranker mich, geh.
    renn los und bleib stehen.
    Vergeh nicht.
    Bleib ewig.
    Verweh mich.
    Ich sehne mich
    Sehe mich
    Und da ist ein Hafen.
    Was werde ich?


    (Josefine Berkholz aus Berlin, Deutschland, Romain Rolland Oberschule, Jahrgangsstufe 12, Mutersprache: deutsch)


    Und hier die Gewinnertexte aus dem Ausland:

    Draußen und Drinnen

    Lebensraum
    draußen,
    außen,
    außerhalb von allem,
    weit weg von dir!
    Aus meinem Fenster sehe ich die Sonne.
    Sie scheint
    über allem,
    sie scheint!
    Aber über dich nicht.
    Nein, sie scheint nicht über dich.
    Sie lässt sich von niemandem etwas befehlen,
    besonders von dir, der gar nicht denkt,
    wie man nachdenkt
    über das, was man tut,
    den anderen antut und wehtut.
    Nein!
    So geht es nicht
    ich bleibe drinnen.
    In meiner Welt
    wo es dich nicht gibt
    wo du nicht in meiner Nähe bist
    wo ich nicht zulassen kann
    dich rein zu lassen
    damit du mich entlassen kannst!


    (Isabella von Wallwitz aus São Paulo, Brasilien, Colégio Visconde de Porto Seguro, Jahrgangsstufe 7, Muttersprache: portugiesisch)


    Ein Und Aus

    Aus dem Fenster
    Die Weide lächelt und bückt sich
    Die Wolken ziehen und verändern sich dauernd
    Die Taube schwingt ihre Flügel schnell
    Der Fluss fließt reißend
    Oh, Herz ist der Landschaft gewogen
    Lauf, lauf, nach draußen
    Der Wind spielt mit meinen Haaren
    Mein Körper kann sich nicht enthalten, zu tanzen
    Die Blätter wehen wirbelnd
    Der Fisch im Wasser atmet aus
    Plötzlich bläst der Wind stärker und stärker
    Ich werde ganz nass
    Lauf, lauf, nach drinnen
    Der Goldfisch tanzt noch,
    als spränge er aus dem Wasser,
    hebe ich meinen Kopf,
    fühle ich das Gesicht meiner Mutter, wirklich so schön
    auf Zehenspitzen schenke ich meiner Mutter einen Kuss
    lauf, lauf, ins Liebesmeer-------


    (Xu Weixia aus Zhejiang, Provinz Ningbo, China, Ningbo Gymnasium, Jahrgangsstufe 11, Mutersprache: chinesisch)


    Gewinnertexte "außer Konkurrenz":

    (Jeder Teilnehmer kann maximal zweimal Leitmotivrundengewinner werden. Weitere eingesandte Gedichte werden trotzdem von der Jury bewertet. Sollte ein Gedicht nach Punkten unter den besten sein, wird es "außer Konkurrenz" veröffentlicht.)

    weiter draußen : mein zimmer

    hand über hand fühlte ich fremdwelten katzte an
    himmeldecken und pflückte sternfrüchte im traurigen herbst.
    die blätterdächer und waldwände waren mein raum
    der raum war nichts als ich: schlicht und symmetrieverlassen.
    fuß über fuß lief ich durch flussbetten schälte
    tapetenrinde von baumhäusern und wischte blütenstaub.
    der klangteppich und die tonfliesen waren mein boden
    der boden war nichts als zeit: weit und gegenwartsflüchtig.
    kopf über kopf ließ ich fiktionen in stadtrandecken
    öffnete nebelfenster im nachtwanken und saß auf lichtstühlen.
    das windheulen und luftzittern waren die angst
    die angst war nichts als natur: fragil und zivilisationsfrei.
    blick über blick sah ich mein leben hörte noch lange
    die heisere stille als mein zimmer am abend allein blieb.


    (Christiane Heidrich aus Vaihingen/Enz, Deutschland, Friedrich-Abel-Gymnasium, Jahrgangsstufe 10, Muttersprache: deutsch)


    Mörtel im Haar

    ich bestreiche meine papierhaut
    innen: erinnerungen
    jemand sprüht aussen:
    gut gemeinte graffitibilder
    - auf die fenster -

    der späher in der tür sieht:
    aufgemaltes lächeln auf der tapete
    in den flur gestellte glückseligkeit
    - nicht die risse unterm teppich -

    beim einschlafen schmecke ich:
    verbranntes papier

    noch hat niemand bemerkt,
    dass Keiner zu hause ist,
    um das gedicht
    zu ende zu -


    (Anna Neocleous aus Rietberg, Deutschland, Gymnasium Nepomucenum Rietberg, Jahrgangsstufe 12, Muttersprache: deutsch)