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Die Macht der Gewohnheit

Der Vogelzug naht und wegen der Vogelgrippe soll Geflügel ab dem 1. März wieder in die Ställe. Im vergangenen Herbst hat das ganz gut geklappt, auch die meisten Landwirte waren einverstanden, zumal sie Eier und Fleisch der betreffenden Tiere trotzdem als Freilandware verkaufen konnten. In diesem Frühjahr allerdings könnten die Gänsehalter ein Problem bekommen. Gänsen nämlich behagen enge Ställe nicht, gerade in der Brunftzeit im Frühjahr.

Von Annette Eversberg |
    Die Gans war schon bei den Römern ein beliebtes Haustier. Man schätzte das Fleisch und die Federn. Über die Jahrhunderte hat die Hausgans ihr Verhalten kaum verändert. Vor allem in der Partnerschaft, weiß Jürgen Klingenhoff, der in Markerup bei Flensburg 16.000 Gänse hält:

    " Die Gänse sind sehr treu und haben die Beziehung immer zu den gleichen Gänsen. Normalerweise sagt man immer drei Gänse zu einem Ganter. Wenn man Gänse hält im kleineren Stil, dann leben die auch in Einehe, immer mit dem gleichen Partner."

    Die Stallpflicht bedeutet für diese Tiere ein besonderes Problem. Denn sie brauchen einen entsprechenden Freiraum, um sich wohl zu fühlen. Der Platzbedarf pro Tier beträgt etwa 25 Quadratmeter. Ist eine Weide groß genug, können die Gänse in Herden von je 1000 Tieren gehalten werden. Gänse brauchen aber nicht nur Platz zum Leben, sondern auch, um sich fortzupflanzen. Vor der Fortpflanzung kommt die Balz, weiß Peter Marke, Leiter des Westküstenparks in St. Peter-Ording. Er hat das Verhalten von Gänsen bereits viele Jahre lang studiert:

    " Man muss sich das so vorstellen, dass die Balz eingeleitet wird durch das Imponiergehabe, dass auch ein Aufforderungscharakter da sein muss, der überhaupt auch das weibliche Tier dazu bewegt, den Begattungsakt letztlich mit durchzuführen."

    Dafür brauchen die Tiere wiederum Platz und eine Zeit der Ruhe, in der sie Abstand zu den anderen Gänsen haben:

    " Da ist es eigentlich so, dass so ein Kopulationsakt mit Anbalzen, dem Höhepunkt, bis hin zum Imponiergehabe danach, dann immer irgendwie in einer Zeit von vier bis zehn Minuten liegen mag. Und das muss normalerweise auch auf den Wasserflächen passieren. Und das können sie ganz schlecht nachgestalten in kleinen Räumen mit kleinen Wasserflächen."

    Auch Wasser bedeutet für die Tiere Wohlbefinden. Denn das Gefieder entfaltet sich am besten, wenn es immer wieder befeuchtet wird. Sind diese Voraussetzungen nicht vorhanden, haben die Tiere Stress. Dabei kann es zum Streit unter Gantern und Gänsen kommen, der dann unter Umständen dazu führt, dass andere Ganter sich auf die Geschlechtsteile ihrer Artgenossen stürzen oder sie sogar töten. Für den Züchter bedeutet dies zweierlei. Er kann Tiere verlieren. Oder die Befruchtung der Eier findet gar nicht oder nur zum Teil statt, so dass keine Küken schlüpfen können. Der wirtschaftliche Schaden kann dann erheblich sein. Gänsehalter Jürgen Klingenhoff:

    " Eine schlechte Gans legt 35 Eier, eine gute Gans legt ungefähr 70 Eier. Es gibt auch Gänse, die 80 und 90 Eier legen. Aber in der Regel legen die so 60, 70 Eier."

    Gänsezüchter, die versucht haben, die Gänse ganz im Stall zu halten, gingen leer aus. Die Tiere legten keine Eier. Das befürchten die Züchter derzeit bei der Stallpflicht. Denn eine künstliche Befruchtung wie bei Schweinen und Rindern gibt es bei Gänsen nicht. Auch nach Jahrhunderten läuft alles noch natürlich ab. Gänse sind Gewohnheitstiere. Sie reagieren sehr empfindlich auf die Veränderung ihrer Lebensumstände, erläutert Jürgen Klingenhoff:

    " Wir haben das auf unserem Betrieb beobachtet. Wenn wir die Futtertröge umstellen, dann dauert es wirklich sehr lange, bis die Gans wieder die neue Futterstelle überhaupt annimmt. Eine Gans ist auch sehr vorsichtig. Man kann immer feststellen, dass einige Gänse den Hals hoch haben und beobachten, was in der Umwelt los ist, und nur einige Tiere fressen, und wenn die Tiere jetzt von heute auf morgen auf einmal eingesperrt werden, und dann soll das alles funktionieren? - Es wird nicht funktionieren. Und da werden Einbußen kommen."

    Die Qualität der Mastgänse hängt ebenfalls von den Zuchterfolgen ab. Und da fürchten die Gänsehalter um ihren Marktanteil in Deutschland, der derzeit lediglich bei 12 Prozent liegt. Noch immer kommt ein Großteil der Gänse, die in Deutschland gegessen werden, aus Polen oder Ungarn. Gänseexperte Peter Marke sorgt sich bei der neuen Stallpflicht für Geflügel dagegen vor allem um eines:

    " Während der Hauptbrutzeit, die Tiere zusammengepfercht zu halten, das würde sämtliche Zoorichtlinien, gerade was Ethik und Tierschutz angeht, normalerweise sprengen."