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Die Macht der Mikroben

Mikrobiologie. - Tiere sind niemals allein. Sie beherbergen Milliarden von Bakterien, auf der Haut oder in ihrem Darm. Die Mikroben nutzen sie nicht nur als Lebensraum sondern haben auch großen Einfluss auf das Wohlergehen ihres Wirtes. Sie helfen Krankheitserreger abzuwehren oder Nahrung zu verdauen. Manche Biologen rechnen den Bakterien sogar eine noch größere Rolle zu. Sie könnten die Evolution von Arten entscheidend prägen. Eine Studie in "Science" liefert dafür erstmals Belege.

Von Lucian Haas |
    In der klassischen Evolutionstheorie kommt es zur Bildung neuer Arten, wenn sich nah verwandte Organismen durch Mutationen nach und nach auseinander entwickeln. Irgendwann sind die genetischen Unterschiede in ihrem Erbgut so groß, dass sie keine gemeinsamen, lebensfähigen Nachkommen mehr zeugen können. Die Evolutionsbiologen Robert Brucker und Seth Bordenstein von der Vanderbilt University in Tennessee erforschen noch andere Wege der Artenbildung. Sie glauben, dass nicht nur die ureigenen Gene der Organismen eine Rolle spielen. Robert Brucker:

    "Nach der Lehrmeinung von Evolutionsbiologen ist es ein Zusammenspiel von Genen, die verhindern, dass verschiedene Arten sich untereinander paaren können. Wir setzen auf die Idee des so genannten Hologenoms. Demnach wird eine Art nicht nur von den Genen in ihrem Erbgut bestimmt, sondern auch von der Erbinformation der Bakterien, die in und auf den Organismen vorkommen."

    Bisher gab es zum Konzept des Hologenoms nur viele theoretische Überlegungen. Was fehlte, waren praktische Beweise. Robert Brucker startete deshalb ein besonderes Experiment. Er paarte zwei getrennte Arten von parasitären Nasonia-Wespen untereinander. Normalerweise wären deren hybride Nachkommen kaum lebensfähig. Um zu testen, welche Rolle die Bakterien im Verdauungstrakt der Wespen für diese Unvereinbarkeit spielen, hielt der Forscher die Hybriden aber steril, indem er alle Mikroben mit Antibiotika abtötete.

    "Wir waren überrascht wie wichtig die Bakterien sind. Als wir die Mikroben aus dem Darm der Nasonia-Wespen entfernten, waren die Hybriden der zwei gepaarten Arten erstaunlicherweise überlebensfähig. Wir erwarteten, dass 90 Prozent sterben würden, stattdessen waren es nur 20 Prozent. Das ist ein sehr deutlicher Rückgang der Mortalität."

    Robert Bruckers Versuch ging noch weiter: Den überlebenden Hybriden mischte er wieder einen typischen Bakteriencocktail aus dem Darm anderer Wespen ins Futter. Und siehe da: Die Sterblichkeit schnellte alsbald in die Höhe. Offenbar sind es tatsächlich die Bakterien, die im Zusammenspiel mit den Genen ihres Wirtes zur Abgrenzung der Wespenarten untereinander beitragen. Worauf genau diese Wirkung beruht – was nun von den Bakterien- und was von den Wespengenen bestimmt wird – ist allerdings noch ungeklärt.

    "Das ist auch schwer auseinander zu halten, da sie voneinander abhängig sind. Ob bestimmte Wespengene abgelesen werden, hängt von der Anwesenheit der Bakterien ab. Wir vermuten hier eine Art Immun-Inkompetenz, bei der eine Wespe nicht mehr in passender Weise auf die Bakterien reagieren kann. Selbst gute Bakterien erscheinen dann für den Wirt als schädlich und es kommt zu einer Überreaktion."

    Diese Erkenntnis wirft ein neues Licht auf die Evolution. Arten können sich über viele Generationen hin entwickeln und verändern, und zwar sowohl weil ihre Gene mutieren, als auch weil sich die in ihnen lebenden Bakterien verändern. Dabei dürften nicht einzelne Bakterienarten entscheidend sein, sondern die Zusammensetzung der gesamten Mikrobengemeinschaft eines Organismus, des sogenannten Mikrobioms, meint Robert Brucker.

    "Wir haben jetzt einen neuen Zweig der Evolutionsforschung. Anstatt auf die traditionellen Interaktionen von arteigenen Genen zu schauen, geht es nun um das Zusammenspiel von Genen und Bakterien. Neben dem, dass Arten aufgrund nicht kompatibler Gene sich nicht miteinander fortpflanzen können, können wir jetzt auch die Mikrobiome studieren – wie sie die Arten beeinflussen und mit der Zeit verändern."

    Für Evolutionsbiologen brechen spannende Zeiten an. Zugleich wird ihr Forschungsgebiet immer komplexer. Denn wenn man neben dem klassischen Erbgut eines Organismus auch noch alle Bakteriengene des gesamten Mikrobioms mit einrechnet, potenziert sich die mögliche Vielfalt. Nur ein Beispiel: Ein Mensch hat etwa 20.000 Gene; die in ihm lebenden Bakterien kommen zusammen gerechnet auf rund acht Millionen.