Donnerstag, 02. Mai 2024

Archiv


Die Macht der Musik

Musik ist mächtig, weil sie Gefühle wecken kann. Eine Forschergruppe in Halle hat nun untersucht, wie der Komponist Georg Friedrich Händel im Nationalsozialismus und später in der DDR politisch vereinnahmt worden ist. Dort passten Person und Werk Händels aber nicht zur jeweiligen Doktrin.

Von Jakob Epler | 22.08.2013
    Um die Macht der Musik geht es in Georg Friedrich Händels Alexanderfest, das er 1736 in London uraufführte. In dieser Ode manipuliert Timotheus Alexander den Großen mit seinem Gesang. Es gelingt ihm, den Herrscher von einem Gefühlszustand in den nächsten zu versetzten, bis dieser schließlich vor Wut die persische Stadt Persepolis niederbrennt.

    Die Idee, dass man mit Musik Menschen beeinflussen kann, ist nicht neu, sagt Juliane Riepe. Sie forscht im Projekt "Händel-Rezeption" der Stiftung Händel-Haus in Halle.

    "Es gibt seit der Antike die Auffassung – also man könnte Platon nennen – dass Musik, weil sie so stark wirkt, politisch kontrolliert werden muss. Das ist die eine Seite: Sie muss kontrolliert werden, sie muss kanalisiert werden. Aber das Bewusstsein, dass sie benutzt werden kann, ist mindestens genauso alt."

    Dass ein Sänger die Mächtigen beeinflusst, wie in Händels Alexanderfest, ist wohl eher die Ausnahme. Verbreiteter ist der umgekehrte Fall: Herrscher, die die Macht der Musik für sich nutzen wollen. Dafür ist Händel ein gutes Beispiel. Riepe hat erforscht, wie der Komponist im Nationalsozialismus und in der DDR für politische Zwecke vereinnahmt wurde.

    In der DDR zeigte sich das bei den auch heute noch bekannten Haller Händelfestspielen. Sie wurden 1952 zu einer prestigeträchtigen Veranstaltung ausgebaut und fanden von da an jährlich statt. Händel wurde so im Sinne sozialistischer Kulturpolitik gegen den Westen in Stellung gebracht, sagt der Musikwissenschaftler Lars Klingenberg.

    "Die SED verstand sich als der legitime Vollstrecker, der legitime Erbe des deutschen Kulturerbes. Und man sprach der westdeutschen Seiten genau diese Fähigkeit ab. Es wurde so eine Propagandaformel in der Kulturpolitik der 50er-Jahre: Die Bundesrepublik sei ein Vasallenstaat der Amerikaner geworden. So wird das Erbe eben nicht gepflegt. Aber die DDR muss stellvertretend für ganz Deutschland das Kulturerbe pflegen. Das war ganz zentral in der Kulturpolitik."

    Kultur hatte in der DDR aber auch einen Erziehungsauftrag. Sie sollte helfen, den sozialistischen Menschen zu formen. Händel war dazu gut geeignet. Seine Musik galt als erhaben, fortschrittlich, monumental und zugleich massentauglich. Susanne Spiegler forscht im Projekt zur Händel-Rezeption in der DDR. Sie unterstreicht das Kämpferische in Händels Werk.

    "Der Kampf des Guten gegen das Böse und natürlich der Sieg des Guten stand auch immer im Mittelpunkt, sowohl in den Opern als auch in den Oratorien. Was natürlich dann Entsprechendes auslösen sollte auch beim Publikum, dass man sich da mit dem Regime besser identifizieren sollte, gerade auch in dieser Aufbauphase des Sozialismus, dass man da entsprechende Parallelen ziehen sollte."

    Ganz so einfach ließ sich Händel dann aber doch nicht vor den Karren des real existierenden Sozialismus spannen. Von Händel zum Klassenkämpfer ist es ein langer und widersprüchlicher Weg. Schließlich war Händel eigentlich Opernunternehmer gewesen, der vor allem die englische Aristokratie mit unterhaltender Musik versorgte. Außerdem investierte er bei der South Sea Company und verdiente so am Sklavenhandel.

    Das versuchte man, zu verschweigen. Schwieriger war es mit dem Inhalt seiner Werke. Händels Oratorien haben religiöse Themen. "Israel in Egypt" handelt beispielsweise vom Auszug des Volkes Israel aus Ägypten. Das widersprach der atheistischen Staatsdoktrin der DDR. Deswegen wurde das Gotteszeugnis in Begleittexten zum Volksdrama. Hier befreite sich nun ein Volk von seinen Ketten und das Religiöse galt nur noch als unwichtiges Beiwerk.

    Auch im Nationalsozialismus sollte Händel unter anderen Vorzeichen der Ideologie dienen. Feiertage der Nazis - wie der Heldengedenktag - gipfelten in Massenveranstaltungen. Zum Konzept gehörte natürlich auch Musik. Das Monumentale und Erhabene, das Händel zugeschrieben wird, sollte die Volksgemeinschaft zusammenschweißen. Aber die religiösen Sujets seiner Oratorien bereiteten auch den Nationalsozialisten Kopfzerbrechen.

    "Seine populärsten Werke, das waren natürlich die Oratorien, hatten das Problem aus Sicht der Nazis, dass die Texte überwiegend aus dem alten Testament kamen. Also aus ihrer Sicht von Juden handelten. Und das wurde, als der Antisemitismus sozusagen Staatsraison wurde, natürlich als unerträglicher Zustand empfunden. Und dann gab es mehrere Möglichkeiten, damit umzugehen: Man hat alle jüdischen Begriffe entweder aus den Libretti entfernt, im Prinzip das Libretto aber beibehalten. Oder aber die andere Form bestand darin, ein vollkommen neues Libretto zu schaffen, das dann an einem ganz anderen Ort oder ganz anderen Zeit spielt."

    Das Oratorium "Judas Maccabäus" ist dafür ein typisches Beispiel. Für die nationalsozialistische Propaganda war es eigentlich perfekt, um das Verhältnis von Führer und Volk zu symbolisieren: Der Held Judas führt darin die Israeliten durch mehrere siegreiche Schlachten und in die Freiheit. Die Nationalsozialisten mussten aber die Reizworte aus dem Libretto, dem Text des Oratoriums, entfernen. Das Werk hieß nun "Der Feldherr", aus Jahve wurde "Gott" und aus den Israeliten "das Volk".

    Diese Bearbeitung sei keineswegs von oben angeordnet worden, sagt Musikwissenschaftler Klingenberg. Im Gegenteil: Zwar sollte auch im Nationalsozialismus Kunst und Kultur der Staatsdoktrin dienen. Aber sogar Adolf Hitler hatte in seiner sogenannten großen Kulturrede auf dem Reichsparteitag vom September 1937 wörtlich zur "Toleranz gegenüber den wahrhaft großen Schöpfungen der Vergangenheit" aufgerufen. Auch Joseph Göbbels sah das nicht anders. Dass Judas Maccabaeus also zum "Feldherrn" wurde, ist ein Zeichen für die Selbstgleichschaltung der deutschen Kulturszene.

    "Es gab also die ausdrückliche Erlaubnis, die Werke in ihrer Originalgestalt aufzuführen. Und Göbbels hat dann während des Krieges dem Druck von unten ein Stück weit nachgegeben, indem er eine Institution in seinem Ministerium gegründet hat, die Reichsstelle für Musikbearbeitungen, wo man dann nicht nur Händel, vor allem andere Komponisten bearbeitet hat, um diesem Prozess, der sowieso von unten in Form eines Wildwuchses passierte, sozusagen in geordnete Bahnen zu lenken. Ein Prozess, den er eigentlich gar nicht wollte und gar nicht ausgelöst hat."

    Trotzdem wurde Händel ab 1940 immer seltener gespielt. Zu anstößig schienen die alttestamentarischen Stoffe auch noch nach der Bearbeitung. Auch in der DDR hat es nicht vollends geklappt, Händel politisch zu instrumentalisieren. So wurde sogar in der zuständigen SED-Arbeitsgruppe die marxistische Interpretation von Händels Oratorien kritisiert. Für Juliane Riepe sind beides Zeichen dafür, dass die Macht der Musik vielleicht groß ist. Sie aber doch nicht zu jedem beliebigen Zweck eingesetzt werden kann.

    "Ich glaube schon, dass Musik nicht frei verfügbar ist. Dafür ist Händel ein ganz gutes Beispiel. Also, man hat versucht, mit ihm zu manipulieren, ihn als Mittel einzusetzen. Und das ist doch nur sehr begrenzt gelungen. Ich denke, dass Musik offenbar so etwas hat, wie einen, pathetische gesagt, einen inneren Kern, eine innere Aussage, die eben nicht hundert Prozent verfügbar ist. Darauf scheint es hinauszulaufen."