Archiv


Die Macht des Alters

An der Staatsoper Unter den Linden singt Placido Domingo zurzeit die Hauptrolle in Verdis "Simon Boccanegra". Allerdings ist der Star-Tenor dafür stimmlich in das Bariton-Fach abgerutscht.

Von Georg-Friedrich Kühn |
    Zurück ins Mittelalter! Und dieses leuchtet auf der Bühne in prächtigen Kostümen: Erlesene Stoffe, Farben, Schnitte, die Gewänder der Mächtigen mit funkelnden Steinen besetzt. Giovanna Buzzi, die diese Kostüme nach Bild-Originalen der Zeit entworfen und in den Werkstätten der Mailänder Scala hat anfertigen lassen, scheint der eigentliche Star dieser Inszenierung. "Simon Boccanegra" ist eines der Schmerzenskinder aus dem reichen Schaffen Giuseppe Verdis, durchgefallen bei der Uraufführung 1857 in Venedig und trotz späterer Umarbeitungen nie recht angekommen auf den Bühnen.

    Die Geschichte ist wirr und dunkel mit einigen operngerechten Zufalls-Konstruktionen. Sie orchestriert die Lieblingsthemen des Komponisten, zumal das Beschwören der Einheit Italiens im 19. Jahrhundert. Und verpackt ist das in die private Beziehungsgeschichte eines nach oben gespülten Korsaren mit einer unstandesgemäßen, heimlichen Geliebten und beider Tochter, die durch ihre im Dunkeln gelassene Herkunft den Tod ihres Vaters, des Dogen von Genua, eben Simon Boccanegras, mit bewirkt.

    Der im Programm genannte, aber auf der Bühne kaum Spuren hinterlassende Regisseur dieser Koproduktion von Berliner Staatsoper mit dem Teatro alla Scala di Milano, Federico Tiezzi, versteht Verdis Oper als Teil eines in Italien mit Ausnahme von Manzonis "Promessi Sposi" nie geschriebenen historischen Romans, als eine Geschichtsschreibung in Tönen. Und Verdi mit seinem dramatischen Spürsinn und der Affinität zu Shakespeare und Schiller hat ja einiges dazu beigetragen.

    Musiktheater funktioniert indes doch nach etwas anderen Gesetzen als museale Geschichts-Rekonstruktion oder -Klitterung, wie wir sie hier erleben. Und das wirkt zurück bis zu den Sängern, die hier lediglich eingesetzt sind als Stimm- und Kostümträger – als Darsteller hilflos allein gelassen. Und was das eigentlich für tolle Sänger sind!

    Placido Domingo, der früher vorzugsweise den tenoralen Liebhaber der jungen Frau, Adorno, gesungen hat, ist hier ins Bariton-Fach der Titelfigur gerutscht mit tenoraler Färbung seiner kräftigen Stimme und ungebrochener Bühnenpräsenz. Die verschollene und als Amelia wiederaufgetauchte Tochter Maria ist Anja Harteros, der gegenwärtige Shootingstar der Opernszene mit ihrem alles überstrahlenden Sopran.

    Daniel Barenboim im Graben leitet die Staatskapelle mit höchster Präzision, mit Feingefühl und sprechender Dynamik, von der er die Sänger aber leider nur ausnahmsweise überzeugen kann. Meist wird auf der Bühne forte-fortissimo forciert, kaum piano gesungen.

    Das Publikum feierte, wie zu erwarten, am Ende frenetisch den sympathisch unprätentiösen Domingo, der korrekt die auf die Bühne geworfenen Blumensträuße sortierte. Nicht alle galten ihm. Und auch Barenboim ließ sich mit dem Orchester gern feiern.

    Den vom Publikum mit einem Buhkonzert empfangenen Tiezzi nahm er solidarisch bei der Hand, was freilich kaum mildere Töne provozierte. Es ist einfach ein Bühnen-Nichts, das Tiezzi mit seinem klobigen Bühnenbaumeister Maurizio Balò hinterlassen hat.

    Hätte es in der Staatsoper einen szenisch verantwortlichen Intendanten gegeben, wäre es möglicherweise nicht ganz so schlimm gekommen. Aber so geriet diese Produktion, die ein Prunkstück der letzten Saison im Lindenhaus vor der Renovierung hätte werden sollen, zur szenischen Katastrophe.

    Domingo und Harteros werden nach den ersten paar Aufführungen abreisen. Und dann gähnt die sinnfreie Leere.