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Die Macht des Bewunderungswunschs

Ikonen sind Ziele der Bewunderung: Ob religiöse Heilige oder Popikonen, vor allen Ikonen gilt es, auf die Knie zu gehen und aufzublicken, so die Kunsthistorikerin Lydia Haustein. Sie hat sich mit globalen Ikonen befasst, den "ganz besonders markanten Heiligenbildchen". Besonders dem künftigen US-Präsident Barack Obama sei es gelungen, sich als "superglobale Ikone" zu inszenieren, indem er alle Register bis hin zur Heilserwartung gezogen habe.

Lydia Haustein im Gespräch mit Michael Köhler |
    Michael Köhler: Mit der Globalisierung ist das so eine Sache. Das Ferne erscheint uns oft ganz nah, und das Nahe wird manchmal fern. Auf Flughäfen, in Hotellobbys, in Restaurants, Bahnhöfen, Autovermietungen, da finden wir uns weltweit zurecht, die sehen überall gleich aus, in Köln oder Kapstadt, Shanghai, Solingen, New York oder Nürnberg. Wir suchen nach solchen optischen und pragmatischen Orientierungspunkten ja oftmals. Es gibt quasi ein weltweites Filialnetz, nicht nur an Dingen und Objekten, sondern auch vielleicht ja so eine Art Filialnetz unserer Erwartungen, wir suchen danach. Die Kunsthistorikerin Lydia Haustein spricht in solchen Fällen von globalen Ikonen. Also russische Heiligenbilder, das sind Ikonen, habe ich mal gelernt, das "Schwarze Quadrat" von Kasimir Malewitsch, das war auch so eine moderne Ikone. Dann gibt es andere, vielleicht Marilyn Monroe wäre zu nennen. Frage an Lydia Haustein, die dazu ein Buch gemacht: Was sind globale Ikonen?

    Lydia Haustein: Sie haben ja den entscheidenden Begriff schon selbst genannt. Sie haben gesagt, das sind so Heiligenbildchen. Und die modernen Ikonen sind immer noch Heiligenbildchen. Und die globalen Ikonen sind ganz besonders markante Heiligenbildchen, die sich aber natürlich in unterschiedlichen Kulturen sehr diametral entgegengesetzt lesen lassen. Osama bin Laden wäre bei uns ein "Hassheiligenbild", in Anführungsstrichen. Aber das sieht schon ganz anders aus, wenn Sie nach Afrika gehen. Das heißt, es gibt eine Präsenz, diese Heiligenbildchen überall, um in der Terminologie zu bleiben. Aber es gibt natürlich ungeheuer unterschiedliche Interpretationen. Was gleich bleibt, ist die Adoration derselben.

    Köhler: Dieser Bewunderungswunsch, der ja auch damit einhergeht, eine Ikone ist nichts ohne dieses Adorationsverhältnis? Man muss schon davor in die Knie gehen, sonst ist irgendwie wertlos?

    Haustein: Genau. Man muss in die Knie gehen, man muss aufblicken. Und ich glaube, das ist etwas, was sehr tief eingeschrieben ist, also was von den alten Magien bis zu den Medienmagien reicht, von denen unter anderem McLuhan gesprochen hat. Und einer meiner allerliebsten Ikonen ist natürlich der neue Präsident von Amerika. Den kann man, glaube ich, ohne Weiteres als die Superikone, die superglobale Ikone überhaupt bezeichnen.

    Köhler: Warum, weil er bestimmte Lösungserwartungen bedient, weil er so eine Mischung aus Schwiegersohn, Messias und ET ist?

    Haustein: Ja, er ist alles, wie das "Schwarze Quadrat" von Malewitsch. Er hat sich so sehr jeder Kontur enthoben im Laufe seines Wahlkampfes, dass er tatsächlich das "Schwarze Quadrat" geworden ist, unterschiedliche Projektionen. Wenn man durch Afrika fährt, ist geradezu eine Besessenheit da für den schwarzen Präsident, er ist aber weiß genug, um auch die Weißen zu bedienen. Und er hat sehr geschickt, wenn Sie zum Beispiel dieses Label betrachten im Wahlkampf, da erinnert das an Andy Warhol, den Popikonenerzeuger par excellence. Er äußert das Individuelle und fügt sich in diese Popikone ein. Es werden alle Register gezogen bis hin zur Heilserwartung, wenn er unter der Siegessäule spricht, unter untergehender Sonne. Es sind alle Register da.

    Köhler: Frau Haustein, mir ist noch nicht ganz klar der Unterschied zwischen dem, was Sie Ikone nennen und dem, was ich jetzt mal so vorläufig Medium nenne. Moderne Gesellschaften zeichnen sich dadurch aus, dass sie zusammengehalten werden, dass sie synchronisiert werden durch ziemlich viel Unsinn oder Blödsinn, ich sage es mal so. Da fährt einer drei Stunden mit einem Auto mit 300 Stundenkilometern im Kreis. Das nennt man dann Formel 1, alle gucken hin und alle reden drüber. Da haut einer drei Stunden lang mit einem Schläger auf einen Ball, das nennt man Tennis, und am nächsten Tag reden auch alle drüber. Ich will mich weder über Tennis noch über Formel 1 lustig machen, aber das sind so Synchronisierungsereignisse, da würde ich eher vielleicht von Medien sprechen und weniger von Ikonen. Warum?

    Haustein: Na, ich denke, das ist ein wunderbarer Begriff, den Sie da wählen. Und dieser Unsinn ist natürlich auch in die Adoration eingeschrieben. Es muss so stark sein, dass kritische Fragen sich per se verbietet. In dem Moment, wo ich anfange, kritisch zu hinterfragen, ist die Adoration schon gestört. Sie hat nicht mehr diese magische Wirkung, von der wir tatsächlich bei der byzantinischen Ikone ja ausgehen. Ich muss sofort etwas wiedererkennen, ich muss sofort in meinen Emotionen berührt sein, und ich muss es einsetzen können, tatsächlich in dieser medialen Sphäre, von der Sie sprechen. Und dieser "Unsinn", in Anführungsstrichen, ist tatsächlich diesen Ikonen eingeschrieben. Es ist aber mehr, es ist die Magie und es ist die Adoration.

    Köhler: Der Sinn ist stets der Unsinn, den man lässt. Die Kulturwissenschaftlerin Lydia Haustein über globale Ikonen. Dazu hat sie gerade ein Buch veröffentlicht.