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"Die Macht muss der Macht Grenzen setzen"

Das Prinzip der Demokratie hat es bis in die Jetzt-Zeit geschafft, aber die Idee ist alt. In dem Klassiker "Vom Geist der Gesetze" zeigte Charles-Louis Montesquieu (1689 bis 1755) die Grundsätze auf.

Von Michael Kuhlmann | 03.08.2009
    "Alles, was nicht Mönch, Finanzmann oder Regierungsangestellter war, war entzückt!","

    beobachtete der Philosoph Voltaire. 22 Auflagen erlebte Montesquieus Buch innerhalb dreier Jahre. Bis es 1751 verboten wurde - zu viel Sprengstoff steckte darin. Dabei ist "Vom Geist der Gesetze" lediglich ein Buch über Gesetzgebung in verschiedenen Ländern und Kulturen. Eine historisch-politische Betrachtung, aber im Frankreich des 18. Jahrhunderts war das eine Provokation. Denn die französischen Könige waren Absolutisten. Sie beanspruchten die ganze Macht - auch die Macht, Gesetze allein zu erlassen. Montesquieu hielt dagegen:

    ""In ihrer weitesten Bedeutung sind Gesetze die notwendigen Bezüge, die sich aus der Natur der Dinge ergeben."

    Und damit eben nicht aus den Launen eines Königs oder eines Despoten. Despotie, das ist das einzige Feindbild dieses Buches. Die Willkürherrschaft ohne Recht und Gesetz. So herrscht in Montesquieus Augen der König von Frankreich. Dem stellt das Buch zwei positive Formen entgegen: die konstitutionelle Monarchie und die Republik.

    "Republikanisch ist diejenige Regierung, bei der das Volk die souveräne Macht besitzt. Monarchie ist die Regierung, bei der ein einzelner Mann regiert - aber nach festen Gesetzen!"

    Alle Regierungssysteme - Republik, Monarchie und Despotie - funktionieren indessen nicht ohne weiteres, sondern:

    "Es sind die menschlichen Leidenschaften, die sie in Bewegung setzen."

    Damit ist allerdings nicht blinder Hurra-Patriotismus gemeint. Montesquieu lebt schließlich im Zeitalter der Aufklärung. Die Republik etwa, da ist er überzeugt, verlangt von ihren Bürgern vor allem eines: Tugend.

    "Tugend ist in einer Republik eben Liebe zur Republik. Liebe zur Republik ist in einer Demokratie Liebe zur Demokratie. Liebe zur Demokratie bedeutet Liebe zur Gleichheit. Bedeutet auch Liebe zur Genügsamkeit. In einer Demokratie schränkt die Liebe zur Gleichheit den Ehrgeiz ein - auf den einzigen Wunsch, dem Vaterland größere Dienste als die andern Bürger zu leisten."

    Wohlgemerkt bedeutet das nicht, andere Nationen gering zu schätzen, sondern lediglich am Gedeihen des eigenen Landes mitzuwirken. Freiwillig, nicht gezwungenermaßen. Auf die Freiheit des Einzelnen kommt es Montesquieu nämlich besonders an.

    "Freiheit ist das Recht, all das zu tun, was die Gesetze gestatten."
    Freiheit gibt es - Montesquieu zufolge - allerdings nicht in jedem Staat, auch nicht in jeder Monarchie oder Republik, sondern nur in Staaten, in denen Macht nicht missbraucht werden kann.

    "Die Macht muss der Macht Grenzen setzen."

    Und das heißt: Gewaltenteilung. Montesquieus Denken war prinzipiell nicht neu. Bedeutsam aber war, dass er ein feingliedriges Modell entwickelte. Inspirieren ließ er sich dabei von den Verhältnissen in England, die er intensiv studiert hatte. Jede einzelne Gewalt - Gesetzgebung, ausführende und richtende Gewalt - wird verteilt: auf König, Adel und Volk.

    "Durch ihr wechselseitiges Verhinderungsrecht wird der eine den andern an die Kette legen."

    Folglich herrscht in diesem Modell-Staat ein permanenter Machtkampf. Ein Machtkampf, der dennoch nicht zur gegenseitigen Blockade der Staatsgewalten führt.

    "Eigentlich müssten diese unterschiedlichen Befugnisse einen Stillstand herbeiführen. Doch durch den notwendigen Fortgang der Dinge müssen sie notgedrungen fortschreiten."

    Es seien die schlichten Sachzwänge, die diesen heilsamen Druck ausüben: Für die europäischen Staaten seiner Tage wird Montesquieu zum Beispiel an den Erwerb neuer Kolonien gedacht haben, was die wirtschaftlichen Außenbeziehungen verändert oder an eine überraschend steigende Geburtenrate, auf die der Staat reagieren muss, um der Macht des Faktischen zu gehorchen. "Vom Geist der Gesetze" ist heute, 260 Jahre nach seinem Erscheinen, in vielerlei Hinsicht überholt. Das Organigramm heutiger Demokratien sieht anders aus als jenes, das Montesquieu entworfen hat. Gültig ist bis heute aber die Erkenntnis, dass man über ein klug angelegtes System von Checks und Balances, von gegenseitiger Kontrolle der Staatsgewalten, Machtmissbrauch verhindern kann. Freilich wusste schon Montesquieu, dass ein solches System die Vernunft des Einzelnen fordert: Er muss dazu beitragen, dass das System funktioniert: ob als Regierungschef, als Parlamentarier, als Richter oder als Wähler. Montesquieus Appell an die Tugend gilt auch in modernen Demokratien - in der Mediendemokratie des 21. Jahrhunderts vielleicht mehr denn je.

    Rezensiert von Michael Kuhlmann

    Charles-Louis Montesquieu: Vom Geist der Gesetze
    Reclam Verlag, Ditzingen, 10,80 Euro.